10.09.2013

Klimawandel/Überschwemmungen

Versicherungswirtschaft stellt sich

Klimawandel/Überschwemmungen

Versicherungswirtschaft stellt sich

Aufklärung, Prävention und risikoadäquater Versicherungsschutz sind die obersten Maximen beim Naturgefahrenschutz. | © fotomek - Fotolia
Aufklärung, Prävention und risikoadäquater Versicherungsschutz sind die obersten Maximen beim Naturgefahrenschutz. | © fotomek - Fotolia

In den letzten Jahren haben Naturereignisse wie Starkregen oder Überschwemmungen spürbar zugenommen. Immer häufiger sind Regionen betroffen, die bislang verschont geblieben sind. Insbesondere Orte abseits der historischen Überflutungsgebiete werden zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Fernab der Flussläufe unterspülen Sturzfluten ganze Straßenzüge und dringen in Häuser und Keller ein. Jüngstes Beispiel für diese Entwicklung ist das Juni-Hochwasser 2013: Acht Bundesländer waren von der Naturkatastrophe betroffen, besonders stark Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern. Nicht nur die Fluten der großen Flüsse, wie der Donau, brachten Zerstörung, sondern auch viele kleine Flüsse, wie Sprotte, Pleiße, Gera, traten nach anhaltenden Regenfällen in bisher ungeahntem Maß über die Ufer. Ferner wurden durch Deichbrüche Regionen überflutet, in denen es seit Jahrzehnten, zum Teil seit Jahrhunderten, kein Hochwasser gegeben hat. Nach einer ersten Bilanz der Versicherungswirtschaft entstanden dadurch 180.000 versicherte Schäden in Höhe von fast 2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Elbe-Flut 2002 verursachte 150.000 versicherte Schäden in Höhe von 1,8 Milliarden Euro.

GDV-Klimastudie prognostiziert häufigere Überschwemmungen

Eine der umfassendsten Klimastudien zum Hochwasser-Risiko in Deutschland hat der GDV in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der Freien Universität Berlin und der Universität Köln durchgeführt. Dafür wurden die wetterbedingten Schäden der letzten Jahrzehnte mit unterschiedlichen Klimamodellen verknüpft und dabei erstmals konkrete Schadenszenarien für die Zukunft ermittelt. Die Ergebnisse wurden 2011 veröffentlicht. Eine der zentralen Erkenntnisse: In den kommenden Jahrzehnten werden Wetterextreme immer häufiger und heftiger auftreten. Überschwemmungsschäden können sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts verdoppeln – je nach Szenario auch verdreifachen. Das gilt für alle untersuchten Flussüberschwemmungen an Rhein, Elbe, Weser, Ems und Donau. Auch die Intervalle von extremen Hochwasser-Ereignissen können sich zukünftig verkürzen: Aus einem 50-jährlichen Hochwasser kann im Durchschnitt ein 25-jährliches Hochwasser werden. Die Klimaforscher gehen davon aus, dass der zukünftige Ausstoß von Treibhausgasen dabei eine entscheidende Rolle spielt. Je größer der Ausstoß, desto schneller kann der Klimawandel voranschreiten und umso extremer können die Unwetter auch hierzulande werden. Aus den eindeutigen Ergebnissen der Klimastudie hat die Versicherungswirtschaft einen konkreten Forderungskatalog an Bund, Länder, Kommunen und Bauplaner abgeleitet, der unter anderem folgende Punkte enthält:


  1. Überschwemmungsgefährdete Regionen dürfen nicht als Bauland ausgewiesen werden. Städte und Kommunen müssen in ihrer Flächennutzungsplanung die vorhandenen Risikogebiete berücksichtigen.
  2. Flussläufe brauchen Retentionsflächen (Polder), damit der Wasserpegel nicht dramatisch ansteigt. Dämme und Deiche allein verlagern die Flutwelle lediglich flussabwärts auf weniger geschützte Bereiche.
  3. In den Städten müssen zusätzliche Flächen zur Versickerung und zum Auffangen von Regenwasser geschaffen bzw. frei gehalten werden.
  4. Ein intelligenter Straßenbau kann nach einem Starkregen die Wassermassen auf weniger empfindliche Flächen leiten. Es muss verhindert werden, dass Regenwasser in Gebäude, U-Bahnschächte und andere öffentliche Einrichtungen fließt.
  5. Bauplanungen sind an zukünftige Sturm- und Starkregenereignisse auszurichten: Gebäudeöffnungen wie bspw. Kellerfenster müssen vor Starkregen und Oberflächenwasser sicher sein.
  6. Privathaushalte sollten neben einem umfassenden Versicherungsschutz auch die Eigenvorsorge stärker betreiben: Schutzmaßnahmen wie Rückstauventile, Hebeanlagen oder Dammbalkensysteme an erdgleichen Türen und Fenstern werden immer wichtiger.

Naturgefahren bleiben ein verkanntes Risiko

Die unmittelbare mediale Aufmerksamkeit für Hochwasser- und Überschwemmungskatastrophen ist in der Regel groß, dennoch wird das Risiko von Naturgefahren noch immer unterschätzt. Nur 32 % aller Haushalte in Deutschland sind mit einer Elementarschadenversicherung gegen die finanziellen Folgen von Hochwasser und Überschwemmung abgesichert. Die Versicherungswirtschaft kann 99 % der Gebäude unproblematisch versichern. Auch für das verbleibende Prozent lassen sich über Selbstbehalte oder Schutzmaßnahmen überwiegend bezahlbare Lösungen finden.

ZÜRS Geo – Versicherungsschutz dank gesicherter Daten

Großflächig Versicherungsschutz anbieten zu können ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. Versicherer müssen genau bestimmen, welche Risiken vor Ort bestehen und wie sie sich im Schadenfall auswirken. Den Versicherern steht hier seit 2001 das geografische Informationssystem ZÜRS Geo zur Verfügung.

Mit dem „Zonierungssystem für Überschwemmung Rückstau und Starkregen“ – kurz ZÜRS – besitzt die deutsche Versicherungswirtschaft ein zuverlässiges geografisches Informationssystem, das auf Basis der öffentlich-rechtlichen Gefahrenkarten einheitliche Überschwemmungsgebiete für das gesamte Bundesgebiet ausweist. Praktisch ausgedrückt: Dank ZÜRS Geo ist es möglich, jedem Kunden in Deutschland ein risikogerechtes Angebot für Naturgefahrenschutz zu unterbreiten. Die für eine Risikoeinschätzung wesentlichen Gefährdungsdaten können dabei direkt aus dem System abgerufen werden.

In ZÜRS Geo wurden bis heute mehr als 20 Millionen Adresskoordinaten abgebildet, fast 200.000 Kilometer Fließgewässer integriert und Überschwemmungsdaten bei mehr als 200 Wasserwirtschaftsämtern gesammelt. Und das Ergebnis lässt sich sehen: ZÜRS Geo hat dazu geführt, dass die Versicherer heute 99 % der Gebäude in ganz Deutschland unproblematisch versichern können.

Von ZÜRS Geo zu ZÜRS public – Verständliche Informationen für jedermann

Es ist gut, wenn Experten über solche Geoinformationssysteme verfügen. Noch besser ist es aber, wenn sich auch die Bürgerinnen und Bürger auf einfache Weise über Naturgefahren ihres Wohnortes informieren können. Seit April 2012 können sich Mieter, Hausbesitzer und Unternehmer in Sachsen per Mausklick darüber informieren, wie stark ihr Gebäude gefährdet ist. Im November 2012 folgte das Land Niedersachsen dem sächsischen Vorbild. Seither haben auch dort die Menschen die Möglichkeit, sich schnell und einfach ihr individuelles Risiko für Hochwasser, Starkregen, Sturm, Blitzschlag und Erdbeben anzeigen zu lassen. ZÜRS public soll den Menschen das Naturgefahrenrisiko bewusst machen und sie dazu anhalten, durch Schaden verhütende Maßnahmen und durch entsprechenden Versicherungsschutz darauf zu reagieren. Perspektivisch setzt sich die Versicherungswirtschaft für ein bundesweit einheitliches Naturgefahren-Informationssystem ein. Nach dem Vorbild Österreichs sollte ein solches System von Bund, Ländern und der Versicherungswirtschaft gemeinsam getragen werden.

Informationskampagnen der Bundesländer

Der Schutz vor Naturgefahren ist ein sehr vielschichtiges Thema. ZÜRS public ist dabei nur eine Informationsquelle. Die Internetplattform wird deshalb von Informationskampagnen der Länder ergänzt.

Der Startschuss zur ersten Aufklärungskampagne über Naturgefahrenschutz fiel 2009 im Freistaat Bayern. 2012 folgten Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, und 2013 Rheinland-Pfalz und Brandenburg. Gemeinsam mit den jeweiligen Landesregierungen, der Versicherungswirtschaft, kommunalen Spitzenverbänden und Verbraucherschützern wird an die Eigenvorsorge der Menschen appelliert und über die möglichen Folgen von Naturereignissen und daraus resultierenden Schäden informiert.

Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen. Schäden durch Naturgefahren werden weiter zunehmen. Umso wichtiger ist es, nicht immer erst nach einer Naturkatastrophe wach zu werden und zu informieren, sondern das Bewusstsein für Naturgefahren im Vorfeld zu schärfen. Die Versicherungswirtschaft hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan. Wir hoffen, dass die Informationskampagnen bundesweit Schule machen. Aufklärung, Prävention und risikoadäquater Versicherungsschutz sind die obersten Maxime beim Naturgefahrenschutz.

 

Dr. Bernhard Gause

Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Berlin
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