03.09.2018

Rechtfertigung von Straßenausbaubeiträgen lehnt sich unzulässig an Grundstückserschließung an

Teil 2

Rechtfertigung von Straßenausbaubeiträgen lehnt sich unzulässig an Grundstückserschließung an

Teil 2

Grundstückserschließung und grundlegende Straßenerneuerung sind fundamental unterschiedliche Sachverhalte | © fefufoto - stock.adobe.com
Grundstückserschließung und grundlegende Straßenerneuerung sind fundamental unterschiedliche Sachverhalte | © fefufoto - stock.adobe.com

Bereits in der August-Ausgabe des Publicus hat sich Dr. Niemeier mit der rechtlichen Fragwürdigkeit von Straßenbaubeiträgen auseinandergesetzt, deren Vorteilskon- struktion sich an die Grundstückserschließung anlehnt.

Vermeintliche Gebrauchswertsteigerung kann Beiträge nicht rechtfertigen

Die zuvor dargestellte wichtige Tatsache, dass sich die Straßenerneuerung normalerweise nicht auf den Verkehrswert der Grundstücke auswirkt, veranlasst die Verwaltungsrechtler in Anlehnung an den Erschließungsfall, trotzdem nach einer Wertsteigerung der Grundstücke zu suchen, die es ihnen ermöglicht, die Erhebung eines Beitrages von den Grundstückseigentümern zu for­dern. Sie glauben ihn im Gebrauchswert der Grundstücke gefunden zu haben, der beispielsweise durch die bessere Erreichbarkeit der Grundstücke bewirkt werde. Dabei wird nicht nur übersehen, dass diesen Bequemlichkeits- und Zeitvorteil für die Erreichung ihrer Ziele alle Stra­ßennutzer haben, sondern auch, dass die Straßenerneuerung die Nutzung, den Gebrauch des Grundstücks überhaupt nicht berührt. Das Grundstück wird nach der Straßenerneuerung nicht anders oder besser genutzt als vor der Straßenerneuerung. Wenn es eine Gebrauchswertsteige­rung gibt, betrifft sie die Straße, die nach der Erneuerung wieder besser, fahrzeugschonender und angenehmer befahren werden kann. Es steigt also nur der Gebrauchswert der Straße. Diese Ge­brauchswertsteigerung der Straße aber kann einen Straßenausbaubeitrag speziell für Grund­stückseigentümer nicht rechtfertigen, da sie für alle Straßennutzer gilt. Vielmehr weist sie auf die Vorteile hin, die alle Straßennutzer von der Straßenerneuerung haben.

Der Gebrauchswert ist aber auch noch aus weiteren Gründen ungeeignet, einen beitragsberechtigenden Sondervorteil darstellen zu können. Zum einen wäre er methodisch zur Ermittlung ei­nes erforderlichen konkreten objektiven Vorteils ungeeignet. Denn es handelte sich dabei um ei­ne subjektive Größe, die entsprechend den individuellen Nutzungswünschen und Wertvorstellungen von Person zu Person ganz unterschiedlich ist und mit deren Hilfe objektive Vorteile nicht ermittelt werden können; objektive Vorteile, die notwendig unabhängig von individuellen Wunsch- und Wertvorstellungen und für alle Beteiligten gültig sind. Zum anderen handelte es sich bei einer Gebrauchswertsteigerung – wenn es sie denn für die Grundstücke gäbe – nicht um einen Vorteil für die Grundstückseigentümer. Diese Steigerung würde davon ausgehen, dass der Gebrauchswert zuvor durch die Straßenabnutzung gesunken war, sodass die Steigerung nichts anderes wäre als ein Nachteils- oder Schadensausgleich für die Entwertung, die durch die Fremdnutzung der Straße verursacht worden war.


Das „öffentliche Gut“ kommunale Straße erfordert statt nicht begründbarer vorteilsbeding­ter Beitragsfinanzierung notwendig die Steuerfinanzierung

Der verwaltungsrechtliche Versuch, die Beitragsbelastung der Grundstückseigentümer mit Sondervorteilen zu begründen, ist nicht nur wegen der dargestellten Fehlkonstruktion der Vorteile misslungen. Die unzulässige Anlehnung an den Erschließungsfall, die sich in der sachlich nicht zu rechtfertigenden Umdeutung des Erneuerungssachverhalts in einen grundstücksbezogenen Sachverhalt ausdrückt, führt auch dazu, dass die Verwaltungsrechtler die Vorteile nicht erkennen, die die Straßenerneuerung tatsächlich zur Folge hat. Diese Vorteile bestehen ausschließlich in der schon beschriebenen besseren Befahrbarkeit der Straße, die in einem kausalen Verhältnis zur vorhergehenden Straßenabnutzung steht. Die grundstücksbezogene Vorteilskonstruktion lässt die Verwaltungsrechtler nicht nur die wirklich entstehenden Vorteile der Straßenerneuerung bzw. die vorausgehende Abnutzung übersehen, sie übergehen damit auch die Schwierigkeiten, die die individuelle Zurechnung der Vorteile oder der Abnutzungswirkung an die Straßennutzer mit sich bringt. Sie übersehen damit die Gründe dafür, die die Finanzwissenschaft veranlassen, kommunale Straßen als „öffentliche Güter“ zu klassifizieren, die es in der Praxis regelmäßig nicht zulassen, Abnutzungsgrad oder Vorteile dem einzelnen Straßennutzer zuzurechnen. Übersehen wird damit zugleich, dass die Grundstückseigentümer nicht als solche, sondern nur als Nutzer der Straße betroffen sind.

Die gleichzeitige Nutzung der kommunalen Straße durch viele Fahrzeuge erlaubt die anteilige Zurechnung der verursachten Abnutzung oder des gewonnenen Vorteils nicht. Dabei spielt zusätzlich nicht nur der Kreuz- und Querverkehr im kommunalen Stra­ßensystem eine Rolle, die Zurechnung wird auch dadurch erschwert, dass die Abnutzung je nach Achslast der Fahrzeuge unterschiedlich stark ist. Da die Abnutzung durch die vierte Potenz der Achslast bestimmt wird, nutzen schwere Fahrzeuge wie Lastkraftwagen die Straße zigtausend­fach stärker ab als normale Personenkraftwagen. Die gleichzeitige Nutzung durch viele ganz un­terschiedliche Straßennutzer, verbunden mit der Potenzwirkung der summierten Achslast, ver­hindert also die Erfassungsmöglichkeit der verursachten Abnutzung. Aus diesen Gründen zählt die fachlich maßgebliche Finanzwissenschaft kommunale Straßen zu den „öffentlichen Gütern“[2]. Diese zeichnen sich in finanzwissenschaftlicher Terminologie durch die „Nichtausschließ­barkeit von der Nutzung“ und durch eine „Nichtrivalität im Konsum“ aus. „Nichtausschließ­barkeit hat zur Folge, dass derjenige, der das öffentliche Gut bereitstellt, andere nicht von der Nutzung ausschließen kann, selbst wenn diese sich nicht an den Bereitstellungskosten beteiligen. Nichtrivalität bedeutet, dass der Nutzen, den der Einzelne aus einem öffentlichen Gut zieht, nicht dadurch sinkt, dass auch andere das Gut nutzen“[3]. Diese Eigenschaften öffentlicher Güter haben zur Folge, dass „dem einzelnen Bürger in der Regel keine Leistungsmenge zugeordnet werden kann, die als Bemessungsgrundlage“ für ein Entgelt dienen könnte. Das bedeutet, dass das Äqui­valenzprinzip, das mit seiner erforderlichen Abnutzungs- oder Vorteilszurechnung der Beitrags- oder Gebührenerhebung zugrunde liegt, auf öffentliche Güter nicht anwendbar ist und dass da­mit eine Beitrags- oder Gebührenerhebung als mögliche Finanzierungsquelle für die grundle­gende Straßenerneuerung ausscheidet[4]. Zwar können Straßen im Fall eines Staus die Eigenschaft der Nichtrivalität im Konsum temporär verlieren, es bleibt aber die Nichtausschließbarkeit be­stehen, d. h. die „mehr oder minder große Unteilbarkeit der öffentlichen Güter“, die einen Aus­schluss nicht zulassen „oder ihn als unzweckmäßig erscheinen“[5] lassen. Ergänzt werden muss noch, dass die Nichtanwendbarkeit des Äquivalenzprinzips auf „öffentliche Güter“ für die öf­fentliche Wohlfahrt von grundlegender Bedeutung ist. Denn die 1959 von dem amerikanischen Finanzwissenschaftler Richard A. Musgrave entwickelte „Theorie der öffentlichen Güter“[6] be­gründet vor allem ein zentrales Ziel der staatlichen Haushaltspolitik. Die staatliche Budgetpolitik soll eine optimale Allokation, also eine optimale Verwendung der volkswirtschaftlichen Res­sourcen sicherzustellen versuchen, um sich einem Wohlfahrtsoptimum anzunähern. Das ist im Falle „öffentlicher Güter“, da sie durch den Markt nicht bereitgestellt werden können, nur über die Steuerfinanzierung möglich. Eine Beitragsfinanzierung, der – wie aufgezeigt – eine gültige Vorteilszurechnung nicht zugrunde liegt, verletzt deshalb sogar das allgemeine Wohlfahrtsoptimum.

Finanzwissenschaft lehnte Erschließungsbezug und Beitragserhebung auch ohne Rück­griff auf „öffentliche Güter“ ab

Die Problematik der Nutzenzurechnung öffentlicher Straßenbaumaßnahmen wurde in der deutschen Finanzwissenschaft allerdings auch schon vor der Übernahme der „Theorie öffentlicher Güter“ gesehen. Der deutsche Finanzwissenschaftler Heinz Haller schrieb in seinem finanzwissenschaftlichen Steuer-Lehrbuch im Rahmen der Behandlung des Äquivalenzprinzips: „Einen speziellen Fall stellen diejenigen Sondernutzungen dar, die sich aus der Belegenheit eines Wohngebäudes oder eines Betriebsgebäudes(-grundstücks) ergeben. Hier liegen nicht einfach zu lösende Zurechnungsprobleme vor. Die Frage ist, wann ein Sondernutzen gegeben ist, der zur Erhebung eines Beitrages zur Finanzierung an sich allgemeiner Einrichtungen berechtigt. Sind das Straßennetz und das System der zugehörigen Versorgungsleitungen in einer Gemeinde gleichmäßig ausgebaut für den gesamten Siedlungsbereich, so hat es wenig Sinn, von Sondernutzungen zu sprechen … Alle Gemeindebürger sind Nutznießer der gesamten Anlage … Es ist berechtigt, zu ihrer Finanzierung Abgaben heranzuziehen, die alle Gemeindebürger belasten“[7]. Zuvor hatte Haller auf die Unmöglichkeit hingewiesen, die jeweilige Inanspruchnahme des Stra­ßennetzes durch die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer feststellen zu können[8].

Die Nichtanwendbarkeit des Äquivalenzprinzips, die von den Verwaltungsrechtlern wegen der Umdeutung der Straßenerneuerung in einen grundstücksbezogenen Sachverhalt übersehen wird, hat zur Folge, dass alle verwaltungsrechtlichen Konstruktionsversuche von Vorteilen überflüssig sind. Sie können den Straßennutzern nicht zugerechnet werden. Öffentliche Güter müssen aus dem Steueraufkommen finanziert werden. Der verwaltungsrechtlichen Rechtfertigung von Straßenausbaubeiträgen liegt ein falsches Sachverhaltsverständnis und eine Missachtung der von der Finanzwissenschaft formulierten verfassungsrelevanten Regeln und Prinzipien für die Erhebung öffentlicher Abgaben zugrunde. Nur wenn in der Zukunft die individuelle Abnutzungs- bzw. Vorteilszurechnung durch technische Neuerungen möglich werden und damit das Äquivalenzprinzip auf die kommunale Straßenerneuerung anwendbar würde, ergäbe sich eine neue Situation. Allerdings würden auch dann nicht Beiträge von Grundstückseigentümern erhoben werden dürfen. Vielmehr müssten in diesem Fall wegen der Verursachung der Straßenabnutzung durch alle Straßennutzer Gebühren von allen Straßennutzern erhoben werden.

 

[2]     Horst C. Recktenwald: Öffentliche Güter, in: Wörterbuch der Wirtschaft, Stuttgart 1990, S. 438.

[3]     Wolfgang Scherf: Öffentliche Finanzen, 2. Auflage 2011, S. 7.

[4]     Wolfgang Scherf, a. a. O., S. 194.

[5]     Horst C. Recktenwald, a. a. O.

[6]     Richard M. Musgrave: The Theory of Public Finance, New York 1959.

[7]     Heinz Haller: Die Steuern, Tübingen 1964, S. 27.

[8]     Heinz Haller, a. a. O., S. 26.

 

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