27.09.2018

Weiblich – Männlich – Divers: Die Entscheidung des BVerfG vom 10. Oktober 2017 sportlich betrachtet

Was hat das Geburtenregister mit Sport oder Sportrecht zu tun?

Weiblich – Männlich – Divers: Die Entscheidung des BVerfG vom 10. Oktober 2017 sportlich betrachtet

Was hat das Geburtenregister mit Sport oder Sportrecht zu tun?

Im November 2017 hat das BVerfG sein Urteil zum Thema Geschlecht gefällt. | © www.bildidee.net
Im November 2017 hat das BVerfG sein Urteil zum Thema Geschlecht gefällt. | © www.bildidee.net

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Mit seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 (1 BvR 2019/16) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Personen verstößt, wenn § 21 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 PStG die Eintragung eines Geschlechts jenseits der Kategorien „männlich“ und „weiblich“ ausschließen. Anlass für die Entscheidung war die Beschwerde einer Person, die bei Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragen wurde. Sie verfügt über einen atypischen Chromosomensatz (sog. Turner-Syndrom) und fühlt sich daher dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Nach deutschem Personenstandsrecht muss im Geburtenregister das Geschlecht des Kindes mit entweder „weiblich“ oder „männlich“ angegeben werden. Darüber hinaus ist es möglich, überhaupt keine Angabe über das Geschlecht der Person zu treffen. Eine dritte Kategorie sieht das deutsche Recht nicht vor. Das BVerfG kommt zu dem Schluss, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die geschlechtliche Identität einer Person schützt. Darunter falle auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Das geltende Personenstandsrecht, das die Einordnung zu entweder dem weiblichen oder männlichen Geschlecht erfordert und darüber hinaus keinen anderen positiven Geschlechtseintrag zulässt, stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts dar. Das BVerfG hat nun dem Gesetzgeber bis 31. Dezember 2018 Zeit gegeben, diese Benachteiligung der Betroffenen zu beseitigen.

Die Geschlechtertrennung im Sport

Die Trennung von Männer und Frauen im Sport ist historisch begründet. Lange Zeit wurde den Frauen der Zugang zu sportlichen Wettbewerben untersagt mit dem Verweis auf sittliche und moralische Werte der damaligen Zeit. Begründet wurde das mit anatomischen Vergleichen und daraus abgeleiteten physischen Eigenschaften der Geschlechter: Der Mann hat Kraft, Stärke und ist aktiv, die Frau ist schwach, passiv und emotional. Daraus folgend gibt es im Sport die diskursive Einordung (Männer und Frauensportart) und die Separation in geschlechtshomogenen Wettbewerben (Männer- und Frauenstartklasse). Während die Trennlinien zwischen Männer- und Frauensport immer durchlässiger werden (beispielsweise Skispringen, Synchronschwimmen), beruht letztere auf formalen Wettkampfregeln unter der Annahme über die grundsätzliche körperliche Leistungsfähigkeit bestimmter Personenkreise. Abgesehen von einigen Sportarten (Reiten, Segeln, Ultimate Frisbee) oder mixed Disziplinen, (mixed Staffel im Biathlon), hat sich die Einordung in Startklassen aufgrund des Geschlechts verfestigt. Sie verstößt nach allgemeiner Ansicht auch nicht gegen das AGG.[1]

Historie der Geschlechterzuordnung

Seit Beginn der sportlichen Wettkämpfe, in denen Teilnehmer – anders als in der Antike – bekleidet antraten, bestand die Befürchtung, dass sich Frauen als Männer verkleidet Zugang zu dem nur für Männer erlaubten sportlichen Wettstreit erschleichen wollten. Nachdem auch Frauen zu Wettkämpfen zugelassen wurden, verkehrte sich das ins Gegenteil: Nunmehr stand zu befürchten, Männer könnten sich in die Frauenkonkurrenz einschleusen. Um das zu verhindern, führte der Internationale Leichtathletikverband IAAF 1966 Geschlechtstests ein. Bei diesen Geschlechtstests mussten sich die Athletinnen nackt vor einer Kommission präsentieren, die nach Augenschein, im Zweifelsfall durch Betasten, entschied, ob sie als Frauen starten dürfen. Aufgrund von Protesten ordnete das Internationale Olympische Komitee IOC 1967 den Geschlechtschromosomentest per Wangenabstrich an. Mitte der siebziger Jahre löste eine DNA-Analyse den als unzuverlässig geltenden Chromosomentest ab. Auch wenn Anfang der 1990-iger Jahre ein Umdenken stattfand, dauerte es noch bis zum Jahr 2000, bis die generellen Geschlechtstests eingestellt wurden.


Probleme mit der Geschlechtertrennung im Sport

Die im Sport geforderte Einteilung in Mann und Frau bereitet insbesondere dann Probleme, wenn die potenziellen Teilnehmer Trans- oder Intersexuelle sind. Transsexuelle haben sich gegen ihr ursprünglich entwickeltes Geschlecht entschieden und eine Transformation hin zum anderen Geschlecht vollzogen. Beispiele aus dem Sport sind hier Andreas (vormals Heidi) Krieger und Balian (vormals Yvonne) Buschbaum. Intersexuelle Athleten sind solche mit Störungen der sexuellen Entwicklung. Dieser Begriff umfasst eine Vielzahl von Diagnosen. Allen Betroffenen ist gemeinsam, dass sie aufgrund genetischer Störungen in der Geschlechtsentwicklung sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane haben. Am häufigsten tritt der intersexuelle Befund des androgenitalen Syndroms auf, bei dem defekte Nebennierenrinden von genetisch eindeutigen Frauen zu viele männliche Sexualhormone produzieren (Hyperandrogenismus). Die aktuellsten Beispiele hierfür aus dem Sport sind Caster Semenya und Dutee Chand. Da der Hormonspiegel oft eng mit der Leistungsfähigkeit verkoppelt ist, kommt es hier zu vermeintlichen Wettbewerbsvorteilen gegenüber Athletinnen mit „normalen“ Testosteronwerten. Die Erkenntnisse der Praxis zeigen, dass es dann keine Probleme gibt, wenn sich eine transsexuelle Frau zur Männerkonkurrenz meldet. Auffälliger ist der Leistungsunterschied bei der Teilnahme von transsexuellen Männern und Intersexuellen in der Frauenkonkurrenz. Insbesondere nach den Vorkommnissen um Caster Semenya während und nach der Leichtathletik- Weltmeisterschaft 2009 in Berlin sah sich die IAAF gezwungen, Regelungen zu erlassen, ob und wann eine Athletin in der Frauenkonkurrenz starten darf.

Die Regelungen im Spitzensport

Transsexuelle dürfen dann in der jeweiligen Geschlechtsklasse starten, wenn die medizinisch-anatomischen Eingriffe abgeschlossen sind und das neue Geschlecht von den jeweiligen nationalen Behörden anerkannt ist. Zudem muss sich der Sportler einer Hormonbehandlung unterziehen, die nachweisbar ist und auf Dauer sicherstellt, dass er aus seiner Geschlechtsumwandlung keinen Wettkampfvorteil zieht. Hierfür wird ein Mindestzeitraum von zwei Jahren angenommen. Intersexuelle dürfen dann in der Frauenkonkurrenz starten, wenn ihr Testosteronspiegel unter einem festgelegten Grenzwert (10 nmol/ l Blutserum) liegt, der unter dem der Männer ist. Sollte der natürliche Hormonspiegel höher sein, müssen sich die Personen einer Hormontherapie unterziehen, die den Level auf das „weibliche“ Maß reduziert (üblicherweise durch die Einnahme eines Kontrazeptivums). Gegen diese Regelung klagte die indische Sprinterin Dutee Chand vor dem Internationalen Sportschiedsgericht in Lausanne. Sie hatte einen natürlichen Hormonlevel über dem Grenzwert und weigerte sich, eine Hormontherapie zu absolvieren, um bei internationalen Wettkämpfen der Frauen starten zu dürfen. Das Gericht setzte die Regel aus. Es sah zwar als erwiesen an, dass ein erhöhter Androgenspiegel leistungssteigernde Wirkung hat, Hyperandrogenismus einen Wettbewerbsvorteil darstellt, es einen Unterschied zwischen endogen produziertem und exogen angewandtem Testosteron gibt, es eine unterscheidbare Grenze zwischen dem Level von männlichem und weiblichem Testosteron gibt und diese bei 10 nmol/ l Blutserum liegt. Jedoch sah das Gericht als nicht ausreichend erwiesen an, wie hoch der sportliche Vorteil von hyperandrogenen Athletinnen gegenüber den „normalen“ Konkurrentinnen ist. Es geht also um den quantitativen Zusammenhang zwischen erhöhtem Androgenspiegel und Leistungssteigerung. Denn nur wenn dieser signifikant ist, dann ist ein diskriminierender Ausschluss von hyperandrogenen Athletinnen von Frauen-Wettkämpfen gerechtfertigt, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

Innerhalb der vorgegebenen zwei Jahre erstellte die IAAF eine Studie und wies nach, dass der Wettbewerbsvorteil vor allem in den Disziplinen 400 m, 400 m Hürden, 800 m, Hammerwurf und Stabhochsprung besteht und dort einen Leistungsunterschied von 1,8 bis 4,5 Prozent ausmacht.[2]

Die Aufgabe der Sportrechtler

Die Sportrichter des CAS (Court of Arbitration for Sport mit Sitz im schweizerischen Lausanne) müssen nun entscheiden, ob oder wie die Regelung in Zukunft im Spitzensport Anwendung finden soll oder Frauen mit zu hohem Androgen-spiegel aus der im Sport üblichen Kategorisierung in Frau und Mann herausfallen. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob im Leistungssport Menschen mit besonderen, nicht mit der Norm übereinstimmenden natürlichen Voraussetzungen um des FairPlay willens eine nicht zu akzeptierende Ausnahme sind. Dabei haben die Richter viele Aspekte zu berücksichtigen. Auf der einen Seite geht es darum, den fairen Wettbewerb zu schützen, der eine Vergleichbarkeit der Leistungen gewährleisten soll. Andererseits spielen die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eine große Rolle. Können sie gezwungen werden, eine biochemische Behandlung ihrer natürlichen Körpervoraussetzungen vorzunehmen, um ihren Sport auf internationalem Niveau ausüben zu können? Ist ein derartiger Eingriff in einen zwar vom „normalen“ abweichenden, aber dennoch gesunden Körper ethisch vertretbar? Wie verträgt sich das mit der allseitigen Akzeptanz anderer natürlicher Körpervoraussetzungen, die vorteilhaft für eine bestimmte Sportart oder Disziplin sind (etwa besonders große Hände im Schwimmen, besonders große Körperhöhe im Basketball usw.)? Wird die Behandlung nicht vorgenommen – ist es dann korrekt, die Betroffenen von internationalen Sportwettbewerben auszuschließen und ihnen damit unter Umständen ein Berufsverbot aufzuerlegen? Oder – und hier kommt der Beschluss des BVerfG ins Spiel – muss im Sport ebenfalls über die Einführung einer dritten, neutralen, Startklasse nachgedacht werden? Wie erfolgt die Einordung dann – nach der Angabe im Geburtenregister? Nach einem festzulegenden Bereich des Hormonspiegels? Selbst wenn derartige Regelungen in Deutschland eingeführt würden, wie könnten diese international durchgesetzt werden? Zwar gibt es in anderen Ländern bereits ähnliche Regelungen, wie sie das BVerfG jetzt verlangt (etwa Nepal, Portugal, Großbritannien, Australien, teilw. Kanada), das ist jedoch nicht die Mehrheit der internationalen Sportwelt.

Regelungen im Breitensport

Bei den obigen – und auch generell wissenschaftlichen – Betrachtungen wurde bisher völlig außer Acht gelassen, dass es für den Breitensport in Bezug auf Intersexuelle keinerlei Regelungen gibt. Kompliziert stellt sich das vor allem bezüglich Transsexueller dar. Nach dem Transsexuellengesetz (TSG) dürfen Personen, die sich für ein anderes Geschlecht entschieden haben und seit drei Jahren unter dem Zwang stehen, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, das andere Geschlecht formal annehmen. Mit dem entsprechenden Vornamen, Eintrag im Geburtenregister und Personaldokument. Das TSG verlangt als Nachweis dazu zwei von Sachverständigen erstellte Gutachten. Eine geschlechtsangleichende Operation wird nicht (mehr) verlangt (BVerfG 1 BvR 3295/07). In der Konsequenz ermöglicht das die Meldung dieser Athleten zu Breitensportwettkämpfen in der Klasse des angenommenen Geschlechts. Deutlicher: Männer, die sich zu Frauen transformieren wollen, können bereits so in der Frauenkonkurrenz starten. Die Frage nach dem wahren Geschlecht oder gar dessen Preisgabe bei Kenntnis unterliegt dem Offenbarungsverbot (§ 5 TSG). Die zunehmende Stärkung der Rechte von Trans- und Intersexuellen stellt daher den Sport vor enorme Herausforderungen auch in diesem Bereich. Er muss Wege finden, diese Rechte zu berücksichtigen, gleichfalls aber einen fairen Wettbewerb zu garantieren, eine Gratwanderung zwischen sportlicher Chancengleichheit und menschlicher Würde. So sorgt der Beschluss des BVerfG für ein weiteres spannendes Betätigungsfeld im Sportrecht.

[1] 1 Vgl. Block, SpuRt 2012, 46 ff. 99 ff.

[2] Bermon & Garnier 2017, British Journal of Sports Medicine 2017, 1.

Dieser Beitrag stammt aus dem Wirtschaftsführer.

 

Prof. Dr. Anne Jakob LL.M.

Rechtsanwältin für Sport- und Vereinsrecht und Schiedsrichterin am Deutschen Sportschiedsgericht in Köln.
Sie lehrt Wirtschaftsprivatrecht, Sportrecht und Compliance an der accadis Hochschule Bad Homburg und
Versicherungsrecht im Rahmen des LL.M. Sportrecht an der Universität Gießen/Sporthochschule Köln

Diskutieren Sie über diesen Artikel

n/a