24.09.2018

Die Gewalt nimmt zu

Antisemitismus und Übergriffe an deutschen Schulen

Die Gewalt nimmt zu

Antisemitismus und Übergriffe an deutschen Schulen

Die Entwicklung alltäglicher Gewalt in den Schulen ist besorgniserregend. | © petrabarz - Fotolia
Die Entwicklung alltäglicher Gewalt in den Schulen ist besorgniserregend. | © petrabarz - Fotolia

Gewalt an Schulen ist ein Dauerthema in Forschung und Medien. Meist geht es um sogenannte „jugendtypische“ Gewalt wie Mobbing und Bullying. Schreckenstaten wie Amokläufe an Schulen oder das Tötungsdelikt von Lünen im Januar 2018 sind glücklicherweise fürchterliche Ausnahmen. Doch die Entwicklung alltäglicher Gewalt in den Schulen ist besorgniserregend. Gerade antisemitisch begründete Übergriffe nehmen seit einigen Jahren in Deutschland sowohl im öffentlichen Raum als auch in den Schulen zu.

Zunahme registrierter Gewalt

Während nach aktuellem Stand und Medienberichten die Zahlen der registrierten Kriminalität in Deutschland deutlich gesunken sein sollen, zeigt sich der Trend an nordrhein-westfälischen Schulen gegenwärtig steigend (dies bereits auch im Jahr 2016, während bis zum Jahr 2015 die erfassten Delikte der Altersgruppe unter 21-jähriger rückläufig war). Laut LKA NRW nahmen die im Jahr 2017 an den Schulen registrierten Gewaltdelikte im Vergleich zum Vorjahr zu, allerdings gab es weniger Fälle von Diebstahl. Nach Angaben des LKA stiegen die Körperverletzungen von 5.600 auf 6.200, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen von 40 auf 55 angezeigte Fälle. Insgesamt waren in NRW im vergangenen Jahr 22.913 Straftaten an Schulen (1. – 13. Klasse) registriert worden, etwa 1.000 mehr als im Vorjahr.  Die Zahlen der PKS geben keinen Aufschluss über nicht angezeigte Gewalt (Dunkelfeld-Problematik) und auch nicht darüber, was an ausschreitender Gewalt an Schulen durch gezielte Intervention möglicherweise verhindert werde konnte.

Antisemitismus in neuer Dimension

2017 wurden ca. 1.450 antisemitische Straftaten angezeigt. Umgerechnet sind dies vier pro Tag. Unter Antisemitismus wird allgemein Judenfeindlichkeit begriffen. Dabei geht es längst nicht nur um die Kritik an der israelischen (Siedlungs-)Politik, sondern um die Ablehnung des Staates Israel, der Religiosität des Judentums bis hin zur Feindschaft gegen den Juden / der Jüdin an sich. Somit impliziert Antisemitismus regelmäßig eine ausgeprägte Form von Rassismus, die aus dieser Perspektive Gewalt legitimiert.


Eine Diskussion besteht hinsichtlich der Motivation antisemitischer Gewalt in Deutschland. Während diese traditionell und auch in der Registrierung regelmäßig als rechtsextrem eingeordnet wird, zeichnen nicht nur Medienberichte, sondern auch einzelne Erlebnisberichte mittlerweile ein vielfältigeres Bild. So wird judenfeindliche Gewalt in der Öffentlichkeit mehr und mehr als ein Attribut aus dem islamischen Kulturkreis verstanden.

Diese Entwicklung ist neben der fragilen Situation im Gaza-Streifen auch dem Aufstieg islamistischer Bewegungen geschuldet. Islamisten, egal ob sunnitisch oder schiitisch geprägt, sind sich in ihren mitunter religiös motivierten Ressentiments gegen Israel und Juden weitgehend einig. Lokal können auch salafistische Strukturen unmittelbar Einfluss auf muslimische Schüler nehmen und den Judenhass weiter befeuern. Doch Religiosität ist dabei nur ein Aspekt.

Antisemitische Gewalt in Schulen

Vor allem in Berliner Schulen äußern sich Lehrer zunehmend besorgt über antisemitische Gewalt unter Schülern. Diese äußern sich zum einen verbal. Was zunächst nicht dramatisch klingt, geht jedoch mit Todeswünschen bzw. Drohungen und handfestem Mobbing einher. Schüler und Schülerinnen, die als jüdisch „enttarnt“ werden, würden stigmatisiert und seien nicht selten einem Spießrutenlauf ausgesetzt, der beängstigend sei und die betroffenen Schüler in ihrer persönlichen Freiheit stark einschränkt. Die Antidiskriminierungsbeauftragte für die Berliner Schulen, Saraya Gomis, stellt diesbezüglich eine Steigerung fest, die sich zunehmend auch in physischer Gewalt gegen die Schüler äußere.

Dabei fallen vor allem Schüler und Schülerinnen auf, die bekennende Muslime sind und / oder sich sehr mit dem Herkunftsland ihrer (Groß-)Eltern identifizieren. So geht beispielsweise türkischer Nationalismus von Jugendlichen, die in Deutschland geboren wurden, nicht selten mit artikulierter Judenfeindlichkeit einher. Doch längst nicht nur in Berlin fällt diese Entwicklung auf. Schulen und Präventionsstellen u.a. in Niedersachsen widmen sich gegenwärtig dem Phänomen und versuchen gemeinsame Strategien zu entwickeln, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Prävention: Ein gegenwärtiges Versuchslabor

Der Umgang mit Gewalt und aggressivem Verhalten durch Schüler stellen Lehrer und die Schulsozialarbeit nicht selten vor Unsicherheit. In den vergangenen Jahren wurden und werden deswegen unterschiedliche Handlungskonzepte an den Schulen erprobt; viele Schulen haben die Sozialarbeit ausgebaut und versuchen Gewalt gemeinsam mit der Schülerschaft zu thematisieren und pädagogisch aufzuarbeiten. Dies geschieht in Projektarbeiten, Reflektion in moderierten Gruppengesprächen oder auch Rollenspielen. Andere Schulen streben ein aktives Bedrohungsmanagement an, das diverse Gefährdungssituationen frühzeitig wahrnehmen und intervenieren kann. Auch externe Projekte finden starken Zulauf. Ein Beispiel dafür stellt das Projekt „Heroes“ dar, welches es bereits in mehreren Städten gibt und nicht nur Gewalt aus kulturell geprägtem Ehrempfinden aufarbeitet, sondern auch Judenfeindlichkeit als unreflektiertes Traditionsgut behandelt.

Fazit

Medienmeldungen sind oft Anlass, selten jedoch in ihrer Aussagekraft inhaltlich geeignet, das Aufkommen von Gewalt, Kriminalität und Extremismus an Schulen zu bewerten.  Auch die Frage nach der Intensität der Gewalt und ob hierbei eine Verschärfung des Problems eingetreten ist, kann auf Basis der PKS ebenso wenig ermittelt werden wie Radikalisierungstendenzen von Schülern. Häufig werden Vorfälle, die prinzipiell strafrechtlich relevant wären, nicht der Polizei gemeldet, gleichzeitig treten andere Verhaltensweisen und Sachverhalte nicht in einer Form auf, in der sie strafrechtlich behandelt werden könnten, die jedoch bedrohlich wirken. Zudem müssen Probleme und Verursachergruppen konkret benannt werden, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Zusammenfassend bedarf es nachfolgender Punkte, um insbesondere antisemitischer Gewalt an deutschen Schulen mittel- und langfristig zu begegnen:

  • Diverse Untersuchungen an unterschiedlichen Schulformen, um das Phänomen auch abseits registrierter Gewalt besser erfassen zu können.
  • vergleichende Untersuchung o.g. Forschung in Deutschland, Zusammenfassung der Ergebnisse und Bereitstellung dieser für die Schulen,
  • Darstellung der Gewaltformen, Akteure und Opfer, Erkunden der Motivlage,
  • Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen,
  • Kritische Evaluation ergriffener Maßnahmen auf die Wirksamkeit.
 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen

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