Nutzungsuntersagung wegen Brandschutzmängeln
Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
Nutzungsuntersagung wegen Brandschutzmängeln
Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
Der Verwaltungsgerichtshof Bayern hatte über die Rechtmäßigkeit einer auf Grundlage von Art. 54 Abs. 4 BayBO ergangenen Nutzungsuntersagung wegen Brandschutzmängeln innerhalb des ersten und zweiten Rettungswegs zu entscheiden.
Sachverhalt
Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit dem die Unterbringung von Menschen in den Räumen des Obergeschosses und Dachgeschosses des westlichen Gebäudeteils der baulichen Anlage auf dem Grundstück der Antragstellerin untersagt wurde. Begründet wurde die Untersagung im Wesentlichen mit Brandschutzmängeln durch nicht ausreichend gesicherte erste und zweite Rettungswege.
Das Verwaltungsgericht (VG) hat den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abgelehnt. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter.
Sie meint, die Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 4 BayBO lägen nicht vor. Die beiden Wohnungen seien genehmigt worden. Die Brandschutzanforderungen seien bereits heute im Bestand gewährleistet. Dies bestätige der Brandschutznachweis.
Die im Bescheid ausgesprochene Untersagung der Unterbringung von Menschen in den Räumen des Obergeschosses und Dachgeschosses im westlichen Gebäudeteil sei zu unbestimmt. Der Bescheid richte sich auch an den falschen Adressaten. Die Interessenabwägung müsse daher zugunsten der Antragstellerin ausfallen.
Der VGH wies die Beschwerde zurück und führt Folgendes aus:
Aus den Gründen
„Anders als die Antragstellerin meint, ging das VG zu Recht davon aus, dass die Nutzungsuntersagung auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützt werden kann. Die Bauaufsichtsbehörden können gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO auch bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen stellen, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.
Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne kann darin begründet sein, dass diese erst nachträglich auftritt oder erst nachträglich erkannt bzw. ihre Schwere nunmehr – etwa unter Berücksichtigung der fortschreitenden technischen Entwicklung oder neuer Erkenntnisse – anders beurteilt wird (BayVGH, Beschl. v. 18.09.2018 – 15 CS 18.1563 – juris Rn. 20).
Bei Anwendung des Art. 54 Abs. 4 BayBO ist das Handlungsermessen regelmäßig auf null reduziert, d. h., dass die Behörde in der Regel tätig werden muss, soweit Anordnungen zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit notwendig sind (vgl. BayVGH, Beschl. v. 13.08.2020 – 15 CS 20.1746 – juris Rn. 8).“
Erhebliche Gefahr durch Mängel innerhalb der Rettungswege
„Mängel innerhalb der Rettungswege indizieren eine erhebliche Gefahr i. S. v. Art. 54 Abs. 4 BayBO. Von einer erheblichen Gefahr in Bezug auf den Brandschutz ist unter anderem dann auszugehen, wenn die nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen (BayVGH, Beschl. v. 11.10.2017 – 15 CS 17.1055 – juris Rn. 23).
Hier ist … nach summarischer Prüfung zumindest offen, ob die Voraussetzungen des Art. 54 BayBO vorliegen. Unstreitig wurden Räume im Obergeschoss und Dachgeschoss zu Aufenthaltszwecken genutzt, weshalb nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für die jeweilige Nutzungseinheit mit Aufenthaltsräumen zwei unabhängige Rettungswege erforderlich waren.
Unabhängig davon, ob es sich lediglich um je eine Wohneinheit im Obergeschoss und Dachgeschoss oder um eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge handelt, muss für jede Nutzungseinheit, die nicht zu ebener Erde liegt, nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayBO der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen.“
Fehlen eines zweiten baulichen Rettungswegs
„Ob der erste Rettungsweg über die notwendige Treppe hier den Brandschutzanforderungen entspricht, ist zumindest offen: Zwar hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25.11.2023 einen Brandschutznachweis eines Planungsbüros vom 09.11.2023 und weitere Unterlagen vorgelegt, der nach ihrer Auffassung bestätigt, dass die Brandschutzvorschriften eingehalten werden.
Allerdings ergibt sich aus dem vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 14.12.2023 vorgelegten Aktenvermerk des Kreisbaumeisters vom gleichen Tag, dass der erste bauliche Rettungsweg mit Mängeln behaftet, ein zweiter, mangelfreier baulicher Rettungsweg im Dachgeschoss überhaupt nicht vorhanden und der zweite Rettungsweg im Obergeschoss nur für zwei Räume über Rettungsgeräte der Feuerwehr sichergestellt sei.
Die Ausführungen des Kreisbaumeisters erscheinen nach den vorgelegten Unterlagen und Plänen auch nachvollziehbar und plausibel. Die Antragstellerin ist diesen auch nicht entgegengetreten.
Es sind daher weiterhin erhebliche Gefahren für Leib und Leben im Sinne des Art. 54 Abs. 4 BayBO zu befürchten, weshalb bis zur endgültigen Klärung der Brandschutzsituation im Hauptsacheverfahren trotz der erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin die Interessenabwägung … (weiterhin) zugunsten des Antragsgegners ausfällt.“
Richtiger Adressat einer vorläufigen Nutzungsuntersagung
„Zutreffend hat das VG auch ausgeführt, dass sich der Bescheid an den richtigen Adressaten gewandt hat. Entscheidend war für den Antragsgegner, dass die Nutzungseinheiten im Obergeschoss und Dachgeschoss mangelhafte Rettungswege aufweisen, nicht, ob dort eine Wohnnutzung oder Gemeinschaftsunterkunft vorhanden war.
Für die Herstellung baurechtmäßiger Zustände, wie Brandschutzmaßnahmen, ist in der Regel nur der Grundstückeigentümer verantwortlich, da der Mieter einer Wohnung oder der Nutzer einer Gemeinschaftsunterkunft, selbst wenn er dazu bereit wäre, die genutzten Räume baulich zu verändern, im Verhältnis zu seinem Vermieter dazu regelmäßig nicht berechtigt ist.“
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 10.01.2024 – 15 CS 23.1929
Entnommen aus der Fundstelle Bayern 11/2024, Rn. 120.