Kein öffentlicher Auftrag für Verfassungsfeinde?
Risiken im Vergaberecht und Schutz staatlicher Infrastrukturen
Kein öffentlicher Auftrag für Verfassungsfeinde?
Risiken im Vergaberecht und Schutz staatlicher Infrastrukturen
Der Rechtsextremismus und die „Reichsburger“-Szene als verfassungsfeindliche Strömungen sind durch die Aufdeckung der Plane der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß und die Potsdamer Remigrationskonferenz1Bensmann/von Daniels/Dowideit/Peters/Keller, Geheimplan gegen Deutschland, correctiv.org v. 10.01.2024, https://correctiv.org/aktuelles/neuerechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen. wieder starker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Im Bereich des Vergaberechtes spielte verfassungsfeindlicher Rechtsextremismus in der Vergangenheit hingegen bislang keine Rolle, mochten doch die Auftraggeber im Wesentlichen ihre Beschaffungsbedarfe decken. Betrachtet man das Erstarken dieser Bewegungen in jüngerer Zeit, stellt sich die Frage, ob diese gleichgültige Haltung der öffentlichen Auftraggeber noch angemessen ist. Denn ein verfassungsfeindlicher Bieter erlangt im Fall des Zuschlags Zugang zu Menschen und Infrastruktureinrichtungen, die vom Staat zu schützen sind. Dementsprechend stellt sich die Frage, wie mit den Gefahren, die von rechtsextremen Verfassungsfeinden ausgehen, im Vergaberecht umzugehen ist.
Dieser Beitrag soll unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen beleuchten, welche Gefahren von Rechtsextremen als öffentlichen Auftragnehmern ausgehen können und wie im Rahmen des Vergabeverfahrens sichergestellt werden kann, dass sich diese Gefahren nicht realisieren.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Verfassungsfeinde wenden sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dieser Begriff bezeichnet die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind.2BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 535. Die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die zur Einstufung als Verfassungsfeind führt, ist gegeben, wenn dasjenige infrage gestellt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss.3A. a. O. Dazu gehören das Prinzip der Menschenwurde gem. Art. 1 Abs. 1 GG sowie das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.4A. a. O., Rn. 529.
I. Negierung der Menschenwürde bestimmter Personen(-gruppen)
Die Menschenwurde ist der oberste Wert des Grundgesetzes.5St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – juris Rn. 33 = BVerfGE 6, 32; BVerfG, Urt. v. 03.03.2004 – 1 BvR 2378/98 – juris Rn. 119 = BVerfGE 109, 279; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed., Stand: 15.01.2024, Art. 1 Rn. 1; Herdegen, in: Durig/Herzog/Scholz, GG, 102. EL., August 2023, Art. 1 Rn. 4 m. w. N. Sie kommt jedem Mitglied der Gattung „Mensch“ schon allein aufgrund dieser Zugehörigkeit zu6BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541. und kann nicht durch Taten oder Status verloren werden7Vgl. Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed., Stand: 15.01.2024, Art. 1 Rn. 3.. Die Menschenwurde ist nicht disponibel – weder für ihren Inhaber noch für Dritte.8Vgl. die berühmte „Zwergenweitwurf “-Entscheidung des VG Neustadt, NVwZ 1993, 98, 99.
Die Menschenwurde garantiert eine Rechtsgleichheit aller Menschen kraft ihres Menschseins.9Diese Rechtsgleichheit ist nicht beschränkt auf das deutsche Verständnis der Menschenwurde, sondern ist international anerkannt, vgl. Universal Declaration of Human Rights (UDHR): „All human beings are born free and equal in dignity and rights. “; ebenso beginnt die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit den Worten: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal“. Sie ist egalitär und unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Lebensalter oder Geschlecht; dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gesellschaft immanent.10BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541. Die elementare Rechtsgleichheit bedeutet die Anerkennung der Rechtssubjektivität – das „Recht auf Rechte“.11Wapler, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 1 Rn. 64 m. w. N. Mit der Menschenwurde sind deshalb ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar.12BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541.
- Ethnisch-homogener Volksbegriff
Die zentrale Ideologie rechtsextremer Verfassungsfeinde ist der ethnisch-homogene (oder ethnisch-kulturelle) Volksbegriff.13Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 16 ff.; das BVerfG spricht von einer „ethnisch definierten ‚Volksgemeinschaft‘“ und von einem „ethnischen Volksbegriff “, vgl. BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 324 ff., 338; rechtsextreme Bewegungen sprechen selbst ebenfalls vom „ethnisch-kulturellen“ Volk, vgl. VG Köln, (nicht rechtskräftiges) Urt. v. 08.03.2022 – 13 K 326/21. Diese Ideologie zeichnet sich in der Praxis durch die Unterscheidung von vermeintlich „echten Deutschen“ – Rechtsextreme sprechen von „autochthonen14Der Begriff „autochthon“ stammt aus der Ethnologie und bedeutet einheimisch, indigen. Deutschen“ – und sog. „Passdeutschen“ aus, also Menschen, die zwar eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, aber nicht zum deutschen Volk gehören sollen.
Durch die Unterscheidung in „echte Deutsche“ und „deutsche Staatsburger“ wird eine unüberbrückbare Trennung zwischen diesen beiden Gruppen begründet. Denn „echter Deutscher“ kann man nach dieser Ideologie nur durch Geburt und Abstammung sein.15So sagte bspw. der Bundesvorsitzende der Partei „Die Heimat“ (ehem. NPD) in einer Rede am 12.02.2020: „‘Deutscher ist der, der deutsche Eltern hat‘. Das heißt, man kann nicht ‚Deutscher‘ werden, indem irgendeine Behörde eine Plastikkarte ausstellt, auf der dann ‚deutsch‘ steht. Man kann deutscher Staatsburger werden. Das ist möglich. Aber man kann eben nicht durch irgendein wundersames Verfahren über Nacht oder über eine Behörde seine Abstammung andern.“, Zitat nachgewiesen in BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 333. Die Unterscheidung zwischen „echten Deutschen“ und „Passdeutschen“ ist – neben der schlichten Trennung – mit einer Wertzuschreibung verbunden. Der ethnisch-homogene Volksbegriff lauft auf eine Unterscheidung in Staatsburger erster und zweiter Klasse hinaus, wobei die „echten Deutschen“ die vollen Burgerrechte zugesprochen bekommen, während als „Passdeutsche“ verunglimpfte Mitburger mit weniger Rechten ausgestattet sein sollen – bis hin zur völligen Rechtlosigkeit.16Die Ansätze hierzu bilden ein Spektrum des Grades der Rechtlosigkeit von sog. „Passdeutschen“. So halten es rechtsextreme Verfassungsfeinde etwa für unangebracht, dass eine Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund für ein Wahlamt in Deutschland kandidiert.17Vgl. BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 349.
- Rassismus und Antisemitismus
Rassismus ist eine Ideologie bzw. Theorie, nach der Menschen in – angeblich biologisch-genetisch konstante – Gruppen eingeteilt und ihnen kollektiv bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, wobei einige Gruppen anderen aufgrund dieser Eigenschaften überlegen sein sollen.18Backes, in: Jesse/Mannewitz, Extremismusforschung – Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 2018, S. 116 f.
Antisemitismus ist eine Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen.19Backes, in: Jesse/Mannewitz, Extremismusforschung, S. 123 m. w. N. Die Feindschaft basiert, anders als beim Rassismus, nicht auf einer Abwertung der diskriminierten Gruppe zu Menschen zweiter Klasse, sondern auf ihrer Aufwertung zu einer angeblich weltbeherrschenden Elite, die sich die Bekämpfung der weißen Europäer und insbesondere der „ethnisch- kulturellen Deutschen“ zum Ziel gesetzt habe. In der Konsequenz führt das zu einem mit der Menschenwurde unvereinbaren, als Verteidigung verstandenen Vernichtungswillen gegen jüdische Menschen. Freilich verstoßt auch die Abwertung jüdischer Menschen ebenso gegen das Prinzip der Menschenwurde wie die Abwertung anderer Menschen aus rassistischen Gründen.
Versteht man das Menschenwürdeprinzip als eine Abgrenzung von den Gräueln des totalen Staates im Nationalsozialismus20Dazu Wapler, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 1 Rn. 24., sind die Verstoße rassistischer und antisemitischer Haltungen gegen dieses Prinzip evident, standen doch Rassismus und Antisemitismus im Zentrum der nationalsozialistischen Rassenideologie.
- LGBTQI+-Feindlichkeit
Zur Ideologie rechtsextremer Verfassungsfeinde (wenngleich nicht nur dieser) gehört auch der Hass auf Menschen, die sich nicht dem binaren Geschlechtersystem (Frau/Mann) und dem sog. klassischen Familienbild unterordnen.21Ausführlich Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 71 f. m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 350, 365. Auch diese Ideologie ist eine Verletzung der Menschenwurde der betroffenen Personen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist eng mit dem Menschenwürdeprinzip verbunden. Es schützt nicht gegen alles, was die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung auf irgendeine Weise beeinträchtigen konnte, greift aber dann, wenn die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet ist.22BVerfG, Urt. v. 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13 – juris Rn. 32 m. w. N. = BVerfGE 141, 186; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 – juris Rn. 38 = BVerfGE 147, 1. Die Geschlechtsidentität ist vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst23BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005 – 1 BvL 3/03 – juris Rn. 71 = BVerfGE 115, 1. und bildet regelmäßig einen konstituierenden Aspekt der eigenen Personlichkeit.24BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 – juris Rn. 39 = BVerfGE 147, 1. Deshalb wird die Menschenwurde der Betroffenen verletzt, wenn die Existenz ihrer Geschlechtsidentität abgewertet oder sogar schlechthin negiert wird.
II. Ablehnung des Staates und seiner Institutionen
- Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip
Die freiheitliche demokratische Grundordnung beinhaltet neben der Menschenwurde als weitere Elemente das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Auch die Demokratie als Herrschaftsform ist an die Menschenwurde gebunden, die ihre Prämisse und ihr Ankerpunkt ist.25Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 63.
Demokratie ist die Herrschaftsform der Freien und Gleichen; sie beruht auf der freien Selbstbestimmung aller Burger.26BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 542. Die Orientierung der grundgesetzlichen Demokratie an der Freiheit hat zwei Ausprägungen: erstens die Freiheit des Einzelnen und zweitens die gleiche Freiheit aller.27Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 65. Demokratische Herrschaft ist darüber hinaus stets Herrschaft auf Zeit, d. h., dass in regelmäßigen Abstanden Neuwahlen stattfinden müssen, bei denen der Zeitraum der Herrschaftsübertragung im Vorhinein feststehen muss.28Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 73.
Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist das Prinzip der parlamentarischen Demokratie.29Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 761. Als Parlamentarismus wird das staatsorganisationsrechtliche Prinzip bezeichnet, dass alle staatliche Gewalt immer wieder an das Parlament ruckgebunden, sprich, von (dem Vorhandensein einer Mehrheit in) diesem abhängig ist. Dieses Prinzip wird am deutlichsten in dem System der Wahl des Bundeskanzlers nach Art. 63 GG.30Sog. „Leitbild des parlamentarischen Regierungssystems“, vgl. Herzog, in: Durig/Herzog/Scholz, GG, 102. EL, August 2023, Art. 63 Rn. 2. Im Parlament wiederum müssen die gewählten Repräsentanten aufgrund des Mehrheitsprinzips stets Mehrheiten für ihre Entscheidungen suchen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Entscheidungen, die das Parlament trifft, von einer Mehrheit der (Wahl-)Bevölkerung mitgetragen werden.
Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit.31BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 547. Bestimmend für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte.32A. a. O. Die Durchsetzung der Rechtsordnung muss zum Schutz der Freiheit des Einzelnen allein den an Gesetz und Recht gebundenen und der gerichtlichen Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen obliegen, sodass auch das Gewaltmonopol des Staates ebenfalls als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anzusehen ist.33A. a. O.
- Ausprägungen der Ablehnung des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips
a) Verächtlichmachen des Parlamentarismus
Ein Verächtlichmachung des Parlamentarismus liegt vor, wenn pauschale Äußerungen über eine zugespitzte Kritik an der Politik oder an einzelnen handelnden Politikerinnen und Politikern hinausreichen und das parlamentarisch-repräsentative System im Sinne des Grundgesetzes grundsätzlich zur Disposition stellen.34BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 396.
Insbesondere Rechtsextreme schüren immer wieder Zweifel an der Legitimität der Volksvertretung durch die Parlamentarier.35Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 768 ff. mit z. T. unappetitlichen Äußerungen aus dem Kreis der NPD; mit weiteren Äußerungen BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 384 ff. Indem pauschal unterstellt wird, dass die Parlamentarier nicht die Interessen des Volkes vertreten (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), sondern ihre Entscheidungen durch andere Kräfte beeinflusst wurden, üben sie Kritik am System der repräsentativen Demokratie als solchem. Die Wahrung der Interessen des – zumeist ethnisch-homogen verstandenen (s. o.) – Volkes könne nur durch Formen direkter Demokratie erfolgen. Die Forderung nach der Einführung bzw. Ausweitung von plebiszitären Elementen im Staatsorganisationsrecht des Bundes oder eines Landes allein stellt noch kein Verächtlichmachen des Parlamentarismus dar, sondern es muss die Abschaffung und mehr oder weniger vollständige Ersetzung des parlamentarisch-repräsentativen Systems gefordert werden, bei der nicht sichergestellt ist, dass dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet wird.36BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 546. Auch das Verächtlichmachen des Mehrparteiensystems durch Äußerungen wie „Systemparteien“ bzw. „Kartellparteien“ diffamiert wesentliche Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung.37BVerwG, Gerichtsbescheid v. 06.08.1997 – 1 A 13/92 – juris Rn. 51.
b) „Reichsbürger“-Szene
In Thüringen ist die Bewegung der sog. „Reichsburger“ im Jahr 2022 stark gewachsen.38Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 49. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff für zumeist vereinzelt oder in kleinen Gruppen agierende Menschen, die staatliche Institutionen, behördliche Repräsentanten sowie deren Maßnahmen grundsätzlich ablehnen – bis hin zur vollständigen Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und der Zurückweisung der bestehenden Rechtsordnung.39Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47. „Reichsburger“ richten sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, deren Bestand sie oft prinzipiell leugnen40Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47., und sind in diesem Sinne verfassungsfeindlich. Gleichwohl sind nicht alle Ideologien der „Reichsburger“ rechtsextrem.41Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47.
Eine typische Verschwörungstheorie in der „Reichsburger“- Szene ist die des „finanzmächtigen internationalen Judentums“42Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 48., die als unverblümter Antisemitismus gegen das Menschenwürdeprinzip verstoßt und insofern mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist (s. o.). Innerhalb der „Reichsburger“-Szene gibt es revolutionäre Absichten, wie die Verhaftung des Verschwörerkreises um Heinrich XIII. Prinz Reuß vom 07.12.2022 belegt. Dieser Kreis hatte die Absicht, die demokratisch legitimierte Bundesregierung durch einen „Rat“ zu ersetzen, dem Prinz Reuß vorsitzen sollte.43Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 50. Diese Bestrebungen richteten sich gegen das Demokratieprinzip und folglich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
[…]
Fazit
Der öffentliche Auftrag bietet für rechtsextreme Verfassungsfeinde ein Einfallstor, um Zugang zu sensibler staatlicher Infrastruktur und zu vulnerablen Gruppen zu erhalten. Zugleich steht aber dem öffentlichen Auftraggeber mit entsprechenden Ausführungsbedingungen ein Werkzeug zur Verfügung, um die Wirkmöglichkeit von Verfassungsfeinden zu beschranken. Die Anwendung stellt sich, insbesondere mit Blick auf die Verbindung zum Auftragsgegenstand, als durchaus schwierig dar. Wohl auch deshalb sind aus der Praxis noch keine Falle bekannt, in denen entsprechende Bedingungen zur Anwendung gekommen waren. Denkbar – und für Rechtssicherheit und Anwenderfreundlichkeit förderlich – waren durch den Landesgesetzgeber festgelegte, verbindliche Ausführungsbedingungen. Diese konnten den Zugriff von Verfassungsfeinden auf öffentliche Auftrage wirksam begrenzen und zugleich die Rechtssicherheit für Bieter und Auftraggeber erhöhen.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Thüringer Verwaltungsblätter 8/2024, S. 177.
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- 1Bensmann/von Daniels/Dowideit/Peters/Keller, Geheimplan gegen Deutschland, correctiv.org v. 10.01.2024, https://correctiv.org/aktuelles/neuerechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen.
- 2BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 535.
- 3A. a. O.
- 4A. a. O., Rn. 529.
- 5St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – juris Rn. 33 = BVerfGE 6, 32; BVerfG, Urt. v. 03.03.2004 – 1 BvR 2378/98 – juris Rn. 119 = BVerfGE 109, 279; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed., Stand: 15.01.2024, Art. 1 Rn. 1; Herdegen, in: Durig/Herzog/Scholz, GG, 102. EL., August 2023, Art. 1 Rn. 4 m. w. N.
- 6BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541.
- 7Vgl. Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed., Stand: 15.01.2024, Art. 1 Rn. 3.
- 8Vgl. die berühmte „Zwergenweitwurf “-Entscheidung des VG Neustadt, NVwZ 1993, 98, 99.
- 9Diese Rechtsgleichheit ist nicht beschränkt auf das deutsche Verständnis der Menschenwurde, sondern ist international anerkannt, vgl. Universal Declaration of Human Rights (UDHR): „All human beings are born free and equal in dignity and rights. “; ebenso beginnt die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit den Worten: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal“.
- 10BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541.
- 11Wapler, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 1 Rn. 64 m. w. N.
- 12BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541.
- 13Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 16 ff.; das BVerfG spricht von einer „ethnisch definierten ‚Volksgemeinschaft‘“ und von einem „ethnischen Volksbegriff “, vgl. BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 324 ff., 338; rechtsextreme Bewegungen sprechen selbst ebenfalls vom „ethnisch-kulturellen“ Volk, vgl. VG Köln, (nicht rechtskräftiges) Urt. v. 08.03.2022 – 13 K 326/21.
- 14Der Begriff „autochthon“ stammt aus der Ethnologie und bedeutet einheimisch, indigen.
- 15So sagte bspw. der Bundesvorsitzende der Partei „Die Heimat“ (ehem. NPD) in einer Rede am 12.02.2020: „‘Deutscher ist der, der deutsche Eltern hat‘. Das heißt, man kann nicht ‚Deutscher‘ werden, indem irgendeine Behörde eine Plastikkarte ausstellt, auf der dann ‚deutsch‘ steht. Man kann deutscher Staatsburger werden. Das ist möglich. Aber man kann eben nicht durch irgendein wundersames Verfahren über Nacht oder über eine Behörde seine Abstammung andern.“, Zitat nachgewiesen in BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 333.
- 16Die Ansätze hierzu bilden ein Spektrum des Grades der Rechtlosigkeit von sog. „Passdeutschen“.
- 17Vgl. BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 349.
- 18Backes, in: Jesse/Mannewitz, Extremismusforschung – Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 2018, S. 116 f.
- 19Backes, in: Jesse/Mannewitz, Extremismusforschung, S. 123 m. w. N.
- 20Dazu Wapler, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 1 Rn. 24.
- 21Ausführlich Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 71 f. m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 350, 365.
- 22BVerfG, Urt. v. 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13 – juris Rn. 32 m. w. N. = BVerfGE 141, 186; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 – juris Rn. 38 = BVerfGE 147, 1.
- 23BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005 – 1 BvL 3/03 – juris Rn. 71 = BVerfGE 115, 1.
- 24BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 – juris Rn. 39 = BVerfGE 147, 1.
- 25Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 63.
- 26BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 542.
- 27Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 65.
- 28Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 73.
- 29Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 761.
- 30Sog. „Leitbild des parlamentarischen Regierungssystems“, vgl. Herzog, in: Durig/Herzog/Scholz, GG, 102. EL, August 2023, Art. 63 Rn. 2.
- 31BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 547.
- 32A. a. O.
- 33A. a. O.
- 34BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 396.
- 35Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 768 ff. mit z. T. unappetitlichen Äußerungen aus dem Kreis der NPD; mit weiteren Äußerungen BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 384 ff.
- 36BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 546.
- 37BVerwG, Gerichtsbescheid v. 06.08.1997 – 1 A 13/92 – juris Rn. 51.
- 38Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 49.
- 39Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47.
- 40Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47.
- 41Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 47.
- 42Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 48.
- 43Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 50.