Die Novelle des NKlimaG
Vom dritten Klimaschutzland Nr. 1
Die Novelle des NKlimaG
Vom dritten Klimaschutzland Nr. 1
Niedersachsen strebt, wie zumindest auch zwei weitere Länder,1Gleiches Ziel in NRW: https://www.land.nrw/pressemitteilung/ministerremmel-nrw-hat-weiteren-meilenstein-auf-dem-weg-zum-klimaschutzland-nummer, Stand 09.04.2024; und Baden-Württemberg: https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-wollen-baden-wurttemberg-zum-klimaschutzland-nummer-eins-machen-7859584.html, Stand 09.04.2024. schon lange danach, das Klimaschutzland Nr. 1 zu werden.2Vgl. etwa: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/land-niedersachsen-investiert-uber-1-milliarde-euro-inenergie-und-klimaschutz-194875.html, Stand 09.04.2024. Den bloßen Zahlen nach liegt die niedersächsische Reduktionsquote zwischen 1990 und 2020 mit 26,3 % jedoch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (41,5 %).3Vgl. mit Verweis auf den Strukturwandel in den östlichen Ländern nach der Wiedervereinigung: Bericht über die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Niedersachsen 01/2024, S. 3, abrufbar unter: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/klima/klimaschutz_in_niedersachsen/klimaschutzin-niedersachsen-200413.html, Stand 09.04.2024. Wesentliches Instrument der Landesregierung für die Erreichung einer vorbildlichen Klimaschutzrolle soll das niedersächsische Klimaschutzgesetz (NKlimaG) sein, welches in seiner ursprünglichen Fassung 2020 in Kraft trat.4Nds. GVBl. Nr. 45/2020 v. 15.12.2020, S. 464 ff.; vgl. zum damaligen Entstehungsprozess: Groß, NdsVBl. 2022, 1. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen,5Nds. Koalitionsvertrag 2022 – 2027, S. 9, abrufbar unter: https://www.spdnds.de/wp-content/uploads/sites/77/2022/12/SPD_NDS_LTW_Koalitionsvertrag_2022_2027_Web.pdf, Stand 09.04.2024. erfolgte im Dezember 2023 der Beschluss über die Novellierung des Gesetzes.6Nds. GVBl. Nr. 25/2023 v. 19.12.2023, S. 289 ff.
Im Folgenden werden die enthaltenen Änderungen inhaltlich dargestellt und kritisch gewürdigt (I). Ein besonderes Augenmerk wird dann auf die kommunalen Klimaschutzverpflichtungen gelegt, welche regelmäßig eine besondere Herausforderung für die Gesetzgebung der Länder darstellen (II). Zuletzt soll ein Abgleich mit der Rechtsprechung des BVerfG zu dem weiterhin nicht verfolgten Budgetansatz erfolgen (III).
I. Änderungen
- Minderungsziele
Die wohl prominenteste Änderung des NKlimaG ist die zeitlich ambitioniertere Reduktion von Treibhausgasemissionen, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NKlimaG. Das Ziel der Treibhausgasneutralität soll nunmehr nicht erst 2045, sondern bereits 2040 erreicht werden. Damit möchte Niedersachsen fünf Jahre vor dem Bund treibhausgasneutral sein, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 KSG. Die Landesverwaltung möchte dies schon 2035 erreichen, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NKlimaG. Sie verursacht ca. 0,45 % der landesweiten Emissionen.77 Ausgehend von einem Ausstoß von 452 t CO2-Äqu. gegenüber insgesamt 100,24 Mio. t CO2-Äqu. jeweils im Jahr 1990, vgl. Strategie 2021 – Klimaneutrale Landesverwaltung Niedersachsen, S. 18, abrufbar unter: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/klima/klimafreundliche_landesverwaltung/klimafreundliche-landesverwaltung-210980.html, Stand 09.04.2024. Zweck dieser Differenzierung ist daher insbesondere das Erfüllen der Vorbildfunktion aus § 3 Abs. 2 Satz 2 NKlimaG.8Vgl. https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/novelle-klimagesetz-227891.html, Stand 09.04.2024.
Ob die zugeschriebene Prominenz der zeitlichen Reduktionsziele gerechtfertigt ist, kann mit Blick auf ihre Verbindlichkeit, welche oftmals gering ist, bezweifelt werden.9Ausführlicher: Beye, Die Klimaschutzgesetze der Länder, S. 161 ff.; Schnittker, Die Klimaschutzgesetze der Bundesländer, S. 172 ff.; vgl. auch für aktuelleren Überblick: Kohlrausch, Ziele und Instrumente der deutschen Klimaschutzrahmengesetzgebung, S. 286. Während das Klimaschutzgesetz des Bundes in § 3 Abs. 1 KSG regelt, dass die Treibhausgase entsprechend den Zielen reduziert werden, weichen einige Klimaschutzgesetze der Länder auf Sollvorschriften aus.10§ 3 I 1 EWG Bln; Art. 2 I, II BayKlimaG; § 3 KSG NRW; § 4 LKSG RlP; § 3 EWKG SH; vgl. auch Kohlrausch, ZUR 2020, 262, 263 f. Als eine Art Mittelweg wird die niedersächsische Formulierung zu verstehen sein, indem sie die niedersächsischen Klimaziele beschreibt.11Kohlrausch (Fn. 9), S. 286 scheint von einem höheren Bindungsgrad auszugehen, wobei dies lediglich in einer kurzen tabellarischen Nennung deutlich wird; Zielvorgaben auch in: § 1 II BremKEG bzgl. Primärenergieverbrauch; § 4 I HmbKliSchG. Den Minderungszielen fehlt es jedenfalls an einem Mechanismus, welcher zu einem vollziehbaren Einfluss auf Verwaltungsentscheidungen führt. Selbst wenn die Ziele zum Ende des jeweiligen Zeitraums noch nicht eingehalten sind, begründen sie weiterhin keine absolute Vorgabe, etwa im Sinne eines Verbotes von weiteren Treibhausgasemissionen.12Schnittker (Fn. 9), S. 173 f.; dies war auch so gewollt, indem mehrfach klargestellt wurde, dass die Klimaziele keinen absoluten Vorrang begründen: Nds. LT-Drs. 19/1598, 20 f.; Groß, NdsVBl. 2022, 1, 6 kritisiert ebenfalls die mangelnde Vollziehbarkeit.
- Berücksichtigungsgebot
Relevant ist daher, inwiefern die Minderungsziele in Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen sind. § 3 Abs. 2 Satz 1 NKlimaG erklärt, dass die Ziele unter Berücksichtigung verschiedener, insbesondere wirtschaftlicher Interessen erfüllt wer den sollen. Die unveränderte Vorschrift betont somit die bereits festgestellte Unverbindlichkeit der Reduktionsziele.
a) Materiell
Ein konkretes Berücksichtigungsgebot, welches nicht nur die Beachtung entgegenstehender Belange, sondern der Klimaziele selbst sicherstellt, enthielt das NKlimaG bisher in § 3 Abs. 2 Satz 2 a. F.13Nds. GVBl. Nr. 21/2022 v. 05.07.2022, S. 388. eher beiläufig. Geregelt war, dass die Landesverwaltung die Klimaschutzziele in allen Angelegenheiten des Landes als Querschnittsziele berücksichtigen muss. Nunmehr ist dies wesentlich ausführlicher in § 3 Abs. 3 NKlimaG geregelt. § 3 Abs. 3 Satz 1 NKlimaG erklärt Vorhaben, welche den Klimazielen dienen, zum überragenden Interesse des Landes, welches nach Halbs. 2 bei Schutzgüterabwägungen zu berücksichtigen ist. Die Regelung beschränkt sich somit auf dem Klimaschutz dienende Maßnahmen. § 3 Abs. 3 Satz 2 NKlimaG regelt für diese Vorhaben zusätzlich einen verwaltungsinternen Vorrang.14Vgl. Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 20.
Bei den übrigen Verwaltungsentscheidungen, also auch solchen, in welchen die Klimaziele nicht für, sondern gegen das Vorhaben sprechen, müssen die Ziele des § 3 Abs. 1 NKlimaG lediglich berücksichtigt werden, § 3 Abs. 3 Satz 3 NKlimaG. Der Satz stellt letztlich eine Nachbildung des Berücksichtigungsgebots der alten Fassung dar.
Das Verhältnis von § 3 Abs. 3 Satz 1 und § 3 Abs. 3 Satz 3 NKlimaG gibt somit eine klare Gewichtung vor: Es wird zwischen der Verhinderung von klimaschädlichen Maßnahmen und der Durchführung von klimaschützenden Vorhaben differenziert. Während Satz 1 die Klimaziele für klimaschützende Vorhaben zu einem überragenden Interesse erklärt, spricht der dritte Satz lediglich von einer Berücksichtigung. Im Umkehrschluss soll den Klimazielen in einer Schutzgüterabwägung von klimaschädlichen Maßnahmen nicht das überragende öffentliche Interesse aus § 3 Abs. 3 Satz 1 NKlimaG zugutekommen. Die Klimaziele sollen dadurch vorrangig klimaschützende Vorhaben fördern und nachrangige klimaschädliche Maßnahmen verhindern.
b) Formell
Neben dieser materiellen Regelung zur Gewichtung innerhalb einer Abwägungsentscheidung enthält das Berücksichtigungsgebot nun auch verfahrensrechtliche Anforderungen. So müssen die Treibhausgaseinsparungen und -emissionen ermittelt werden, § 3 Abs. 3 Satz 4 NKlimaG. Ausgeschlossen sein soll diese Ermittlungspflicht, sofern die Erfüllung mit einem zu großen Aufwand verbunden wäre, § 3 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 NKlimaG. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, dass Bagatellfälle von einer Ermittlung der Treibhausgasemissionen ausgenommen sein sollen.15Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12; ursprünglich sollte dazu der jetzige § 3 Abs. 3 Satz 4 auf Angelegenheiten mit wesentlicher Bedeutung beschränkt werden, vgl. Nds. LT-Drs. 19/1598; letztlich entspricht dies der Rspr. Des BVerwG zum Berücksichtigungsgebot aus § 13 I KSG, BVerwG, NVwZ 2022, 1549, 1158 Rn. 81 mit Verweis auf § 4 Abs. 5 Nr. 2 AVV Klima.
Das Berücksichtigungsgebot ist somit zweiteilig relevant: Zum einen stellt es verfahrensrechtliche Anforderungen an landesrechtliche Zulassungs- und Genehmigungsentscheidungen, welche eine Ermittlung der Treibhausgasemissionen erfordern, und zum anderen soll durch das Berücksichtigungsgebot ein materieller Einfluss auf Abwägungsentscheidungen sichergestellt werden. Einen zwingenden Einfluss der Reduktionsvorgaben erfordert das Berücksichtigungsgebot jedoch weiterhin nicht.
- Klimacheck der Gesetze und Verordnungen
Im ursprünglichen Gesetzesentwurf war in § 3 Abs. 3 Satz 1 NKlimaG die Berücksichtigung der Klimaziele insbesondere bei dem Erlass von Gesetzen und Verordnungen vorgeschrieben.16Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 2. Aus systematischen Gründen enthält diese Vorgabe nun der § 8 Abs. 1 NKlimaG.17Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12. Der sog. Klimacheck18Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 13. soll zweistufig durchgeführt werden: Zuerst sollen die Auswirkungen auf die Klimaziele durch die geplante Regelung ermittelt und abgewogen werden, wonach im zweiten Schritt diese Berechnungsschritte veröffentlicht werden sollen.19So jedenfalls verstanden in: Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12.
Damit entspricht der Klimacheck im wesentlichem dem Berücksichtigungsgebot aus § 13 KSG nach dem Verständnis des BVerwG.20BVerwG, Urt. v. 04.05.2022, AZ 9 A 7/21, NVwZ 2022, 1549, 1557 Rn. 71; vgl. Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 23; ausführlich zur bundesrechtlichen Berücksichtigungspflicht: Heß/Peters/Schöneberger/Verheyen, NVwZ 2023, 113. Hinzu kommt hier die Pflicht der Bezifferung der Treibhausgaseinsparungen und -emissionen, § 8 Abs. 1 Satz 3 NKlimaG. Trotz dieser recht konkreten formellen Anforderungen an Gesetze und Verordnungen bezeichnet der Gesetzentwurf die Regelung mehrfach ausdrücklich als allgemein gehalten,21Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 13, 20. vermutlich um die tatsächliche Umsetzung offen gestalten zu können.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Niedersächsische Verwaltungsblätter 8/2024, S. 231.
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- 1Gleiches Ziel in NRW: https://www.land.nrw/pressemitteilung/ministerremmel-nrw-hat-weiteren-meilenstein-auf-dem-weg-zum-klimaschutzland-nummer, Stand 09.04.2024; und Baden-Württemberg: https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-wollen-baden-wurttemberg-zum-klimaschutzland-nummer-eins-machen-7859584.html, Stand 09.04.2024.
- 2Vgl. etwa: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/land-niedersachsen-investiert-uber-1-milliarde-euro-inenergie-und-klimaschutz-194875.html, Stand 09.04.2024.
- 3Vgl. mit Verweis auf den Strukturwandel in den östlichen Ländern nach der Wiedervereinigung: Bericht über die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Niedersachsen 01/2024, S. 3, abrufbar unter: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/klima/klimaschutz_in_niedersachsen/klimaschutzin-niedersachsen-200413.html, Stand 09.04.2024.
- 4Nds. GVBl. Nr. 45/2020 v. 15.12.2020, S. 464 ff.; vgl. zum damaligen Entstehungsprozess: Groß, NdsVBl. 2022, 1.
- 5Nds. Koalitionsvertrag 2022 – 2027, S. 9, abrufbar unter: https://www.spdnds.de/wp-content/uploads/sites/77/2022/12/SPD_NDS_LTW_Koalitionsvertrag_2022_2027_Web.pdf, Stand 09.04.2024.
- 6Nds. GVBl. Nr. 25/2023 v. 19.12.2023, S. 289 ff.
- 77 Ausgehend von einem Ausstoß von 452 t CO2-Äqu. gegenüber insgesamt 100,24 Mio. t CO2-Äqu. jeweils im Jahr 1990, vgl. Strategie 2021 – Klimaneutrale Landesverwaltung Niedersachsen, S. 18, abrufbar unter: https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/klima/klimafreundliche_landesverwaltung/klimafreundliche-landesverwaltung-210980.html, Stand 09.04.2024.
- 8Vgl. https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/novelle-klimagesetz-227891.html, Stand 09.04.2024.
- 9Ausführlicher: Beye, Die Klimaschutzgesetze der Länder, S. 161 ff.; Schnittker, Die Klimaschutzgesetze der Bundesländer, S. 172 ff.; vgl. auch für aktuelleren Überblick: Kohlrausch, Ziele und Instrumente der deutschen Klimaschutzrahmengesetzgebung, S. 286.
- 10§ 3 I 1 EWG Bln; Art. 2 I, II BayKlimaG; § 3 KSG NRW; § 4 LKSG RlP; § 3 EWKG SH; vgl. auch Kohlrausch, ZUR 2020, 262, 263 f.
- 11Kohlrausch (Fn. 9), S. 286 scheint von einem höheren Bindungsgrad auszugehen, wobei dies lediglich in einer kurzen tabellarischen Nennung deutlich wird; Zielvorgaben auch in: § 1 II BremKEG bzgl. Primärenergieverbrauch; § 4 I HmbKliSchG.
- 12Schnittker (Fn. 9), S. 173 f.; dies war auch so gewollt, indem mehrfach klargestellt wurde, dass die Klimaziele keinen absoluten Vorrang begründen: Nds. LT-Drs. 19/1598, 20 f.; Groß, NdsVBl. 2022, 1, 6 kritisiert ebenfalls die mangelnde Vollziehbarkeit.
- 13Nds. GVBl. Nr. 21/2022 v. 05.07.2022, S. 388.
- 14Vgl. Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 20.
- 15Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12; ursprünglich sollte dazu der jetzige § 3 Abs. 3 Satz 4 auf Angelegenheiten mit wesentlicher Bedeutung beschränkt werden, vgl. Nds. LT-Drs. 19/1598; letztlich entspricht dies der Rspr. Des BVerwG zum Berücksichtigungsgebot aus § 13 I KSG, BVerwG, NVwZ 2022, 1549, 1158 Rn. 81 mit Verweis auf § 4 Abs. 5 Nr. 2 AVV Klima.
- 16Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 2.
- 17Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12.
- 18Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 13.
- 19So jedenfalls verstanden in: Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 12.
- 20BVerwG, Urt. v. 04.05.2022, AZ 9 A 7/21, NVwZ 2022, 1549, 1557 Rn. 71; vgl. Nds. LT-Drs. 19/3094, S. 23; ausführlich zur bundesrechtlichen Berücksichtigungspflicht: Heß/Peters/Schöneberger/Verheyen, NVwZ 2023, 113.
- 21Nds. LT-Drs. 19/1598, S. 13, 20.