15.10.2016

Nachhaltigkeit: Eine neue Ära beginnt

Soziale Aspekte haben für Unternehmen zunehmend strategische Priorität

Nachhaltigkeit: Eine neue Ära beginnt

Soziale Aspekte haben für Unternehmen zunehmend strategische Priorität

Der Nachhaltigkeitsbegriff bekommt eine soziale Komponente. | © ribkhan - Fotolia
Der Nachhaltigkeitsbegriff bekommt eine soziale Komponente. | © ribkhan - Fotolia

Nachhaltiges Supply Chain Management mit dem Fokus auf sozialen Aspekten gewinnt an Bedeutung: Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle „Supply Chain Monitor” der Management- und Technologieberatung BearingPoint, zu dem 215 europäische und 51 US-amerikanische Unternehmen befragt wurden. Demnach gewinnen soziale Aspekte der Unternehmensverantwortung im Vergleich zu den umweltfreundlichen und ökonomischen Aspekten stärker an Bedeutung. Für 70 Prozent der europäischen Unternehmen hat soziale Verantwortung im Supply Chain Management sogar strategische Priorität. Für weitere 12 Prozent wird das Thema in den nächsten ein bis fünf Jahren an Bedeutung gewinnen. Lediglich 11 Prozent geben an, dass soziale Aspekte ihrer Lieferkette keine Rolle spielen.

Den Grundstein legte das Kyoto-Abkommen

Der Grundstein für grüne / nachhaltige Supply Chains wurde durch das Kyoto-Abkommen gesetzt. Die erste Ära war geprägt durch die Euphorie des Kyoto-Abkommens – jeder wollte etwas tun, doch das „was” und „wie” war vielen Unternehmen unklar. Dementsprechend klagten viele Unternehmen in der Anfangsphase über fehlende Standards und Informationsdefizite. Ab 2009 hatten viele Branchen erste eigene Leitfäden und Empfehlungen platziert, wodurch nun auch erste Maßnahmen und Programme in den Unternehmen verankert und umgesetzt wurden. Viele dieser Maßnahmen waren Win-Win-Situationen, d. h. es wurden z. B. mittels Fahrertrainings durch Kraftstoffeinsparungen sowohl der CO2-Ausstoß gesenkt als auch Kosten eingespart.


Diese einfach zu erreichenden Früchte waren jedoch nach einiger Zeit geerntet; zusätzlich bewirkten die Wirtschaftskrise und eine Kette von gescheiterten Klimakonferenzen eine deutliche Abschwächung bzw. Sättigung der grünen Initiativen. Seit 2015 sehen wir jedoch eine deutliche Wiederbelebung der Nachhaltigkeitsbestrebungen.

COP21 und der Abgasskandal in der Automobilindustrie markieren den Wendepunkt

Der Abgasskandal in der Automobilbranche bringt 2015 das Thema CO2 wieder zurück auf die Agenda. Den eigentlichen Durchbruch aber bewirkte die erfolgreiche Klimakonferenz in Paris – die fast zehnjährige Hängepartie hatte ein Ende. Selbst hartnäckige Verweigerer wie die USA und China unterstützen mittlerweile die Beschlüsse von Paris.

Über die Hälfte der befragten Unternehmen (in den USA und Europa) stufen im Jahr 2015 eine grüne Lieferkette als strategisch wichtig ein. Insbesondere die USA hat hier das Tempo erhöht, was darauf zurückzuführen ist, dass in den Vereinigten Staaten die Aktivitäten rund um das Thema Nachhaltigkeit bisher signifikant hinter den Bemühungen im europäischen Raum zurückgeblieben sind. Ein Beispiel hierfür ist, dass amerikanische Unternehmen (21 %) ihre europäischen Pendants (6 %) innerhalb der nächsten ein bis drei Jahre bezüglich der Priorität einer grünen Agenda überholen werden. In der Zwischenzeit hat sich bspw. der US-amerikanische Einzelhandelskonzern Walmart, der vormals auf Preisführerschaft fokussiert war, zur Nachhaltigkeit hin gewandelt. Gleiches gilt in Deutschland: Ob Aldi oder Lidl – Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Agenda. Bis vor einigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass ein Discounthändler auf grüne Produkte setzt und seinen Lieferanten Verhaltenskodizes und von seinen Lieferanten Verhaltenskodizes und Nachhaltigkeits-Scorecards einfordert.

De-Invest in fossile Aktien – die Angst vor der Kohlenstoffblase

Mehr und mehr Investoren ziehen sich aus Unternehmen zurück, die fossile Brennstoffe fördern. So hat der norwegische Staatsfonds „Sovereign Wealth Fund”, einer der größten globalen Fonds, die Investitionen in fossile Brennstoffe gestoppt. Immer mehr europäische Banken schließen sich dieser De-Investitions-Bewegung an, denn mehr und mehr überwiegt die Meinung, dass kohlenstoffintensive Energien kein akzeptables Risiko-Rendite-Profil mehr bieten. Darüber hinaus werden die Forderungen nach einer stärkeren Besteuerung von Emissionen und Rohstoffverbrauch lauter. Die Ökonomen des „Club of Rome” gehen mit dieser Forderung noch ein Stück weiter, in dem sie die Verteilung der zusätzlichen Steuereinnahmen auf die Bevölkerung vorschlagen. Mit dieser Maßnahme würde dem gesamtheitlichen Nachhaltigkeitsansatz Genüge getan und die Umwelt mit sozialen Aspekten verknüpft werden.

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Die Entwicklungen in der Wertschöpfungskette zeigen: Nachhaltigkeit ist mehr als grün.

Der Scope erweitert sich – auch horizontal

Längst sind die Zeiten vorbei, dass grüne bzw. nachhaltige Bestrebungen an Werkstoren enden. Die öffentliche Debatte nach Rana Plaza und der Erfolg von Fair-Trade-Ansätzen fordern eine ganzheitliche Verantwortung für die Wertschöpfungskette. Auf dem Vormarsch sind insbesondere Audits und Scorecards. Ein Drittel aller europäischen Unternehmen geben darüber hinaus an, ihr Lieferantenportfolio als Teil ihres Engagements für ökologische Nachhaltigkeit verändert zu haben.

Nachhaltigkeit ist mehr als grün

Maßgeblich für die Entwicklung in der neuen Ära ist auch, dass diese Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsprogramme um soziale Aspekte/ Kennzahlen erweitert haben, um neue und strengere Regularien in den Bereichen Arbeitsbedingungen und Löhne zu antizipieren und abzufedern. Auch der Gesetzgeber zieht nach. Mit der EU-Richtlinie 2014/95 gelten ab 2017 erweiterte CSR-Berichtslegungspflichten. Die Studie belegt weiterhin, dass Nachhaltigkeit an Einfluss gewinnt. Immer mehr Unternehmen beteiligen die CSR-Abteilung (Corporate Social Responsibility) aktiv bei strategischen Entscheidungen und rücken somit die Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus ihres Handelns.

Chancen und Herausforderungen der neuen Ära

Zu keinem Zeitpunkt in der jüngeren Vergangenheit war die Notwendigkeit, das neue ökologische und soziale Umfeld zu managen, größer als heute. Spannt man den Bogen weiter, so könnte eine ganzheitlich betriebene Nachhaltigkeit sogar Probleme wie Wirtschaftsflüchtlinge oder die Radikalisierung von armen und perspektivlosen Bevölkerungsgruppen adressieren. Ein Risiko leitet sich aus der Kohlenstoffblase ab. Was passiert, wenn Investoren massiv aus Unternehmen de-investieren, die ihren Unternehmensgewinn aus fossilen Energieträgern ziehen? Droht uns daraus evtl. eine erneute Wirtschaftskrise? Die neue Ära steht an ihrem Beginn und noch sind die Chancen bzw. Risiken nicht vollumfänglich abschätzbar.

 

Matthias Loebich

globaler Leiter Production Industries, Management- und Technologieberatung Bearing Point, München
 

Matthias Wohlfahrt

Senior Manager, Leiter Kompetenzzentrum grüne/nachhaltige Logistik, Management- und Technologieberatung BearingPoint, Berlin
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