10.10.2016

Gebotener Eingriff oder Zensur?

Gegen „Hate Speech”: Schwieriger Umgang mit einem schwammigen Begriff

Gebotener Eingriff oder Zensur?

Gegen „Hate Speech”: Schwieriger Umgang mit einem schwammigen Begriff

Ein respektvoller Umgang lässt sich (leider) nicht vorschreiben. | © promesaartstudio - Fotolia
Ein respektvoller Umgang lässt sich (leider) nicht vorschreiben. | © promesaartstudio - Fotolia

Seit einigen Monaten existiert mit „Hate Speech” ein neuer Begriff in Deutschland, der die Gesellschaft spaltet. Gemeint sind Hassreden insbesondere in sozialen Netzwerken. Das Einhalten von Umgangsformen und das Anmahnen einer Kommunikation, die Gesetze nicht verletzt, ist unbestritten ein Anliegen. Gerade im Internet zeigt sich, begünstigt durch Distanz und wahlweise auch Anonymität, eine sinkende Hemmschwelle in der Verbreitung von Beleidigungen bis hin zu Mordaufrufen. Gleichzeitig begründet eine Etikettierung von Äußerungen als Hassreden gerade auf Facebook die Löschung auch nicht strafrechtlich relevanter Inhalte, die als Zensur kritisiert wird.

Strafbares Verhalten im Internet

Das Internet und insbesondere soziale Netzwerke und Plattformen wie Facebook, aber auch Kommentarfunktionen unter Onlineartikel sind anfällig für strafrechtlich relevantes Verhalten, wenn Menschen sich insbesondere durch Anonymität geschützt fühlen. Beispielsweise durch Beleidigung gem. § 185 StGB. Dabei geht es um den Angriff auf die persönliche Ehre des Beleidigten. Solche können durch direkte Anrede erfolgen oder indem man eine Person mit Namensnennung öffentlich im Netz beleidigt. Dem Gesetzeswortlaut nach muss dabei eine Person oder zumindest eine abgrenzbare Personengruppe beleidigt werden. Des Weiteren ist die Üble Nachrede und Verleumdung strafbar, die die Tatsachenverbreitung zur Verächtlichmachung einer Person zum Inhalt hat. Gegenüber Personen des öffentlichen Lebens, wie beispielsweise Politikern, gilt ein höherer Strafrahmen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe.

Vor allem die Volksverhetzung gem. § 130 StGB ist ein aktuelles Problem, wenn es um rassistische Aussagen gegen Flüchtlinge geht und diese geeignet sind, zu Hass und Gewalt aufzustacheln. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Kavaliersdelikt; es drohen Geldstrafen oder Freiheitstrafen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren.


Führt eine Aufforderung im Internet zu einer rechtswidrigen Tat, ist dies nach § 111 StGB strafbar. Auch wenn die Tat nicht erfolgt, sie jedoch zielgerichtet und konkret genug war, kann die Aufforderung unter Strafe gestellt werden. Dem Grundsatz nach genügt der Aufruf. Wer Anleitungen für bestimmte Straftaten wie Totschlag, Mord, schwere Körperverletzung, Raub oder Landfriedensbruch online stellt (beispielsweise Anleitungen zum Bombenbau und dergleichen), kann zudem nach § 130a StGB bestraft werden.

Somit ist das Strafgesetz eindeutig, wenn im Internet etwaige Beleidigungen, Drohungen, Schmähungen, Aufrufe oder Anleitungen kommuniziert und verbreitet werden. Dies ist mit der Begrifflichkeit des Hate Speech nicht gegeben.

Schwammiger Begriff ohne Rechtsgrundlage

Der Begriff Hass-Rede taucht im deutschen Recht bislang so nicht auf. Dennoch bekam das Thema Hate Speech trotz dieser mangelnden Rechtsgrundlage mit Beginn des Jahres 2016 zunehmend politische Priorität. Ein Statement des Bundesinnenministeriums, das u. a. via Twitter kommuniziert wurde, vertritt die Entbehrlichkeit einer Rechtsgrundlage: „Wir sprechen uns gegen Hate Speech aus, egal ob strafbar oder nicht. Jeder darf seine Meinung äußern, aber sachlich und ohne Angriffe.”

Unter Federführung des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) wurde 2015 ein Arbeitskreis eingerichtet, in dem diverse Organisationen in Zusammenarbeit mit Facebook gemeinsam „Vorschläge für den nachhaltigen und effektiven Umgang mit Hasskriminalität im Internet” erarbeiten. Was im Internet unter „Hasskriminalität” fällt, ist ebenfalls nicht definiert. Jedoch sollen als Hasskommentare identifizierte Statements auf Facebook gelöscht werden. Für das eigentliche Sperren und Löschen hat Facebook das Unternehmen Arvato, ein Subunternehmen der Bertelsmann Gruppe, engagiert. Besonders exponiert innerhalb dieses Arbeitskreises, sticht das Wirken der Amadeu-Antonio-Stiftung hervor, die durch ihren Kampf gegen Rechtsextremismus und der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit bekannt ist. Jeden Tag wird von diesen Mitarbeitern und via Facebook entschieden, welche Beiträge gelöscht und welche Nutzerprofile gesperrt werden.

In der Selbstverpflichtung hat sich Facebook folgendermaßen erklärt: „Facebook hat sich verpflichtet, Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und möglicherweise zu löschen, wenn sie deutschem Recht widersprechen”. Verboten sind danach unter anderem: Gewalttätige und explizite Inhalte, kriminelle Aktivitäten, gefährliche Organisationen, Angriffe auf Personen des öffentlichen Lebens und Hassbotschaften, die Facebook gemeldet werden sollen. Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung ruft dazu auf, ebenso nicht justiziable Aussagen in sozialen Netzwerken zu melden und zur Anzeige zu bringen. Doch diese Praxis stieß unlängst auf Kritik. Beispielsweise wurde eine junge jesidische Bloggerin und Jura-Studentin gesperrt, nachdem sie die Beleidigungen, Drohungen und sogar einen mehr oder weniger impliziten Mordaufruf gegen ihre Person auf Facebook veröffentlichte. Die Personenprofile, die sie bedrohten und beleidigten, wurden indes von ihren Followern ebenfalls gemeldet, jedoch sah Facebook in diesen Fällen regelmäßig keine Verletzungen der Nutzungsstandards und sperrte daher weder die Aggressoren, noch löschte das Unternehmen deren Hasskommentare.

Umstrittene Praxis mit umstrittenen Partnern

Es stellt sich zudem die Frage, womit die Löschung von Inhalten und die Sperrung von Nutzerprofilen gerechtfertigt sind, wenn sie keine Straftat darstellen und nicht die Rechte anderer verletzen. Denn diese Praxis steht, wie es scheint, dem hohen und grundgesetzlich verbürgten Gut der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG>) entgegen. Doch nicht nur die Kritik an dieser Ausübung wird lauter, sondern auch an den Beteiligten der vom Bundesjustizminister eingesetzten Task Force, allen voran an der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung gibt an, „Für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur” zu streiten. Sie wird von Anetta Kahane geführt. Gerade Kahane ist umstritten: Sie hat in der DDR als „IM Victoria” von 1974 bis 1982 für die DDR-Staatssicherheit Privatpersonen ausspioniert. Fast 800 Seiten umfasst die IM-Akte „Victoria”, von denen die Birthler-Behörde etwa die Hälfte freigegeben hat.

Doch auch das Finanzgebaren der Stiftung, vor allem aber die Zuwendungen an Bundesmittel, stoßen gegenwärtig auf Kritik. So erhielt die Stiftung, laut der bislang veröffentlichten Jahresberichte 2008–2014, knapp 6.2 Millionen Euro an Zuschüssen. Etwa 130.000 Euro stammen dabei aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Da die Stiftung diese öffentlichen Fördermittel nicht einmal annähernd aufbrauchte, konnten erhebliche Rücklagen gebildet werden. Vereinzelt berichten Medien über missbräuchliche Verwendung für Finanzgeschäfte.

Und noch eine weitere Akteurin und berufenen Expertin der Stiftung sorgt mit getätigten Äußerungen für Befremden. Die gab im Jahr 2016 eine Broschüre zum Thema „Hate-Speech” heraus. Verantwortlich dafür war im Auftrag der Amadeu-Antonio-Stiftung die Autorin und ehemalige Politikerin der Piraten-Partei Julia Schramm. Doch gerade Schramm ist bekannt für persönliche Beleidigungen gegenüber Personen (z. B. soll sie Menschen persönlich mit Beleidigungen wie „verlogenes Arschloch”, „Fascho” oder „Wichser” via Twitter beschimpft haben). Von der Amadeu-Antonio-Stiftung heißt es in einer Stellungnahme zur Person Schramms, sie sei „als höchst kompetente Mitarbeiterin” geschätzt. Dass die von ihr verfassten Tweets mit Beleidigungen im Netz kursierten, sei eine „böswillige” Sammlung, um sie zu diskreditieren. Das Bundesjustizministerium lehnte eine Stellungnahme zu einzelnen Schlüsselpersonen im Rahmen ihrer Partnerschaften seines Arbeitskreises ab.

Im August 2016 veröffentlichte die Amadeu-Antonio-Stiftung eine neue Initiative im Netz, nämlich eine Informationsplattform zu den sog. „Neuen Rechten”, denen die Stiftung neben einschlägig rechtsextremen Gruppierungen auch die Parteien CDU und SPD zuordnete. Zudem sollten Personen dort anonym an einen öffentlichen „Internet-Pranger” gestellt werden. Nach heftigen Protesten und der Ankündigung rechtlicher Schritte wurde das Portal zunächst wieder geschlossen.

Fazit

Mittlerweile ist Facebook eine der wichtigsten Nachrichtenquellen und Austauschplattform für deutsche Internetnutzer. Generell bieten soziale Netzwerke die Möglichkeit, sich politisch zu äußern, und fördern somit eine subjektive Partizipation am gesellschaftlichen Diskurs, der selbst anonym möglich ist. Freilich ist auch innerhalb eines solchen ein respektvoller Umgang absolut wünschenswert. Die vorgenommenen Eingriffe des Löschens von Inhalten und das Sperren der Benutzerprofile werden allerdings dann problematisch, wenn weder Nutzer noch Kommentare gegen geltendes Recht verstoßen. Die Unbestimmtheit des dem zugrunde gelegten Begriffes der Hate Speech macht dies nicht besser. Der Eindruck des Anlegens von zweierlei Maß besitzt in diesem Zusammenhang Sprengstoff in einer fragilen gesellschaftlichen Atomsphäre. Die Sensibilität gegenüber extremistischen und menschenverachtenden Äußerungen im Netz muss für alle gleichermaßen gelten und transparenten Standards unterliegen.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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