15.10.2016

Bevorzugte Frauen-Beförderung gestoppt

Eine Regelung im Landesbeamtengesetz NRW sorgt für Aufregung

Bevorzugte Frauen-Beförderung gestoppt

Eine Regelung im Landesbeamtengesetz NRW sorgt für Aufregung

Aus der Balance: Grundsatz der Bestenauslese und Auswahl bei einer nur „im Wesentlichen“ gleichen Eignung. | © froxx - Fotolia
Aus der Balance: Grundsatz der Bestenauslese und Auswahl bei einer nur „im Wesentlichen“ gleichen Eignung. | © froxx - Fotolia

Es kommt häufiger vor, dass Verwaltungsgerichte die Beförderungen von Beamten untersagen. In den meisten Fällen bleiben diese Urteile und Beschlüsse von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Anders Anfang September – da sorgte das VG Düsseldorf für großes Aufsehen. In einem Eilverfahren stoppten die Richter die Beförderung mehrerer Polizeibeamtinnen (Beschl. v. 05. 09. 2016 – 2 L 2866/16). Worin liegt die Besonderheit dieses Beschlusses?

Auslöser für die rechtliche Auseinandersetzung ist ein neues Landesbeamtengesetz (LBG) in Nordrhein-Westfalen, das seit dem 01. 07. 2016 in Kraft ist. Eine Neuerung (§ 19 Abs. 6 LBG n.F.) betrifft die Beförderungsauswahlentscheidungen zwischen Landesbeamten, die gleichwertige Gesamtnoten in ihren aktuellen dienstlichen Beurteilungen aufweisen. In diesen Fällen sollen zukünftig regelmäßig Frauen bevorzugt befördert werden, soweit nicht ausnahmsweise in der Person eines männlichen Bewerbers liegende Gründe überwiegen. In der Begründung des Gesetzes (LT-Drs. 16/10380 v. 02. 12. 2015) stützt sich die Landesregierung für die Bevorzugung von Frauen bei Beförderungsauswahlentscheidungen auf den Regelungsauftrag im Grundgesetz (Artikel 3 Abs. 2 Satz 2), wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern und auf die Beseitigung tatsächlich bestehender Nachteile hinwirken soll.

Nun ist die Förderung von Frauen bereits seit vielen Jahren ein erklärtes Ziel der Politik. Gerade öffentliche Dienstherrn fühlen sich in besonderem Maße dazu verpflichtet, auf diesem Gebiet die Vorreiterrolle einzunehmen. In § 8 Abs. 1 des Bundesgleichstellungsgesetzes und mehreren Landesgleichstellungsgesetzen sind sogenannte leistungsbezogene Frauenquoten verankert. Danach dürfen Bewerberinnen zwar bei Auswahlentscheidungen bevorzugt werden, sofern Frauen unterrepräsentiert sind. Voraussetzung hierfür ist aber jeweils ein Leistungsgleichstand mit den männlichen Mitbewerbern. Außerdem wird eine Bevorzugung regelmäßig ausgeschlossen, wenn in der Person des männlichen Mitbewerbers ein Härtefall vorliegt – im Rahmen der Öffnungsklausel durfte nach der Rechtsprechung etwa ein um mehrere Jahre früheres Eintrittsalter des männlichen Bewerbers oder dessen um mehrere Jahre längere Verwendung in einem Beförderungsamt berücksichtigt werden (siehe etwa OVG Münster, Beschl. v. 11. 09. 2014 – 6 B 880/14, juris). Auch das Landesbeamtengesetz in Nordrhein-Westfalen (§ 20 Abs. 2 LBG a.F) sah eine solche Ausgestaltung der Frauenförderung vor.


Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestand davon unberührt eine Rechtspflicht der auswählenden Stelle zur Ausdifferenzierung des Leistungsvergleichs bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen: Vor sogenannten Hilfskriterien wie der Frauenförderung mussten die aktuellen dienstlichen Beurteilungen (durch Gewichtung von Einzelmerkmalen) ausgeschöpft und ausgeschärft werden; zudem sollten ältere dienstliche Beurteilungen im Hinblick auf aktuell verwertbare Leistungsaussagen betrachtet werden. Durch den immer detaillierteren Vergleich der Leistungs- und Eignungsbewertung in dienstlichen Beurteilungen wurde in vielen Auswahlsituationen doch ein besser geeigneter Mitbewerber gefunden und das Hilfskriterium der Frauenförderung kam regelmäßig nicht zum Tragen.

Der nordrhein-westfälischen Landesregierung genügte dies daher nicht zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gleichstellungsgebots. Sie stützte sich auf ein Gutachten des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier. Darin vermutet er in der differenzierten Anwendung von Eignungs- und Leistungskriterien „die Gefahr einer diskriminierenden Wirkung gegenüber Frauen” und stellt fest, dass die Ausdifferenzierung der Bewertungskriterien „die Frauenförderung mittels leistungsbezogener Quoten aushebelt” (vgl. Papier, DVBl. 2015, 125, 135). Auf der Suche nach „Innovationen” zur Überwindung der noch immer bestehenden Unterrepräsentanz von Frauen in Führungsfunktionen des öffentlichen Dienstes (gemessen am Geschlechterverhältnis im öffentlichen Dienst insgesamt und den jeweiligen Eingangsämtern der Laufbahngruppen) empfiehlt Papier eine gesetzliche Schranke der Ausdifferenzierung. Danach sollen Frauen bereits bei einer „im Wesentlichen” gleichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung bevorzugt werden. Dass die „im Wesentlichen gleiche” Eignung schon bei einem gleichwertigen Gesamturteil aktueller dienstlicher Beurteilungen vorliegen soll, wie es der Landesgesetzgeber in § 19 Abs. 6 LBG n.F. verankert hat, war aber der veröffentlichten Fassung des Gutachtens noch nicht zu entnehmen.

In dem aktuellen Fall hat die Polizeibehörde ihre Auswahlentscheidung genau nach den neuen gesetzlichen Vorgaben getroffen: Sie hat die Gesamtnoten der dienstlichen Beurteilungen miteinander verglichen und innerhalb der gleichen Gesamtnote die weiblichen Bewerber bevorzugt. Ob entgegen der Regelvermutung einer „im Wesentlichen” gleichen Eignung „gravierende Abweichungen” bei den Einzelbewertungen bestanden, hatte die Behörde nicht mehr geprüft. Das Verwaltungsgericht beließ es aber nicht bei einer bloßen Kritik an der Rechtsanwendung auf die konkrete Auswahlsituation. Vielmehr hält das Gericht die ganze Vorschrift im Landesbeamtengesetz wegen „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken” für nichtig. Der Gesetzgeber habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der in Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz verankerte Grundsatz der Bestenauslese in erster Linie dem öffentlichen Interesse an der Besetzung eines öffentlichen Amtes gerade mit dem leistungsstärksten Bewerber und damit der Sicherung der Qualität des öffentlichen Dienstes dient. Danach widerspricht es dem Leistungsgrundsatz, wenn nicht der Beste ausgewählt und befördert wird, sondern eine Kandidatin oder ein Kandidat, der eine nur „im Wesentlichen” gleiche Eignung aufweist. In der Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Auswahl der objektiv am besten geeigneten Bewerber und an der Überwindung bestehender Nachteile für Frauen sind jedenfalls verschiedene Ergebnisse denkbar: Die bereits erwähnten leistungsbezogenen Quotenregelungen sind von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte (vgl. BAGE 73, 269, 279) und der Verwaltungsgerichte (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 11. 09. 2014 – 6 B 880/14, juris) als verfassungskonform akzeptiert worden.

Für das VG Düsseldorf war aber etwas anderes ausschlaggebend: Maßgeblich stellte es auf § 9 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) ab. Danach sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf das Geschlecht vorzunehmen. Gerade für das Merkmal der Eignung sei die Regelung abschließend, stellt das Gericht fest. Einschränkende landesrechtliche Bestimmungen sollten dadurch gerade ausgeschlossen werden. Dem Land Nordrhein-Westfalen fehlte aus Sicht der Richter die Gesetzgebungskompetenz für eine landeseigene, von § 9 BeamtStG abweichende Definition des Eignungsbegriffs. Sollte der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom Oberverwaltungsgericht Münster als Beschwerdeinstanz bestätigt werden, müsste der Gesetzgeber wohl auf die Regelung im früheren Paragrafen 20 Abs. 6 a.F. zurückgehen.

Prozessrechtlich interessant ist die Entscheidung des VG Düsseldorf auch, weil das Verwaltungsgericht die Verfassungswidrigkeit der neuen Vorschrift im Landesbeamtengesetz – kraft eigener Entscheidungsbefugnis – angenommen hat. Es entspricht aber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass im fachgerichtlichen Eilverfahren Rechtsschutz auch dann zu gewähren ist, wenn das Verwaltungsgericht die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachtet und über die Frage der Verfassungswidrigkeit der Norm aber nicht selbst entscheiden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 06. 1992 – 1 BvR 1028/91, juris, Rn. 29). Dabei muss die Entscheidung im Interesse des effektiven Rechtsschutzes geboten erscheinen und darf die Hauptsacheentscheidung selbst nicht vorwegnehmen. Bei den Polizeibeamtinnen war dies genau der Fall. Das Verwaltungsgericht musste ihre Beförderung im Eilverfahren stoppen. Andernfalls wäre – mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – im Zeitpunkt der Beförderung der ausgewählten Bewerberin der Rechtsschutz der übergangenen Bewerber untergegangen. Ob die ausgewählten Bewerberinnen, deren Beförderung das Verwaltungsgericht zunächst zurückstellte, die Entscheidungen einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterziehen, bleibt abzuwarten. Bis zur verfassungsgerichtlichen Klärung wird man jedenfalls Verständnis für alle unterlegenen Bewerber aufbringen müssen, die Auswahlentscheidungen angreifen, in denen ihnen Beamtinnen mit gleicher Beurteilungsgesamtnote vorgezogen worden sind.

Hinweis der Redaktion: Prof. Dr. Klaus Herrmann berät bundesweit Dienstherrn und Beamte zu rechtlichen Fragen des Öffentlichen Dienstes. Er führt auch entsprechende Fortbildungsveranstaltungen durch.

Dr. Klaus Herrmann

Prof. Dr. Klaus Herrmann

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Partner der Sozietät Dombert Rechtsanwälte, Potsdam
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