15.10.2016

Die Welt aus den Fugen

Die sechs großen Gefahren für unsere Sicherheit

Die Welt aus den Fugen

Die sechs großen Gefahren für unsere Sicherheit

 | © Volodymyr Goinyk - shutterstock
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1. Gefahren durch Globalisierung

Die Globalisierung der modernen Industriegesellschaften führt zu einer gestiegenen Risikobereitschaft für Fusionen und Joint Ventures. Oftmals geht das ohne eine ausreichende „Due Dilligence”, also ohne eine mit „gebotener Sorgfalt” durchgeführte Risikoprüfung einher. „In den letzten 50 Jahren ist die Zahl der multinationalen Unternehmen von 7.000 auf fast 104.000 gestiegen. Bis 2020 wird es voraussichtlich 140.000 multinationale Unternehmen geben, was die Risikokomplexität weiter erhöht. Ein Risiko kann viele andere nach sich ziehen. Naturkatastrophen und Cyberangriffe zum Beispiel können zu Betriebsunterbrechungen führen, die nicht nur einem Unternehmen, sondern einer ganzen Branche oder Infrastruktur schaden …. Betriebsunterbrechungen (BU), Cyberrisiken, politische Unruhen, technologische Innovationen und Klimawandel sind die größten Risiken im Jahr 2015 und darüber hinaus.” Dies geht aus dem Allianz-Risk-Barometer-2015 hervor.

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Eine weitere sicherheitsrelevante Veränderung erfährt die Welt durch die Zunahme der umweltbedingten Katastrophen. Die globale Erwärmung, die gigantischen Umweltschäden und die stetig wachsende Weltbevölkerung haben zu einem rapiden Anstieg der Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen geführt. Verschärft werden diese Umweltprobleme durch soziale Probleme – wie das Bildungsgefälle und die wachsende Armut in den Entwicklungsländern.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit von diesen Risiken und damit auch die sicherheitsrelevanten Risiken für Unternehmen aller Größenordnungen werden weiter steigen wie auch der globale Regelungsbedarf.


2. Gefahren durch Migration als Folge von Kriegen, Hunger und Armut

Nie zuvor waren so viele Menschen auf der Flucht. Insgesamt beziffern die Vereinten Nationen die Zahl der Menschen, die sich auf der Flucht befinden und Sicherheit und neue Lebensperspektiven suchen, auf derzeit ca. 100 Millionen. Das internationale Rote Kreuz schätzt, dass die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf über 500 Millionen anwachsen wird. Die Gefahren von außen sind signifikant, weil Europas südliche Grenzen nicht wirksam geschützt werden können. Der wirtschaftlich reichste Völkerverbund der Erde ist inzwischen auch ein kriminal-geographischer Großraum mit gemeinsamen Problemen geworden, die zu einer intensiven gemeinsamen Bekämpfungsstrategie zwingen. Kriminelle, die aus dem Ausland in die europäische / deutsche Wirtschaft und Gesellschaft einwirken, haben gute Aussichten, für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Innerhalb Europas haben sich die Chancen für „Schläfer“ verbessert, nicht erkannt zu werden, zumal die personellen Möglichkeiten der Datenerfassung mit der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt halten.

Der Umbruch der Gesellschaften in Mittel-, Ost- und Südeuropa hat enorme Flüchtlingsbewegungen in die westlichen Länder ausgelöst, die dazu führten, dass einzelne Staaten ihre Grenzen schlossen, um der Einwanderungsflut Herr zu werden. Besonders deutlich wurde dieses bei der Flüchtlingswelle mit Beginn 2015 als Folge der Kriege in Syrien, im Irak und in Afghanistan.

War es bisher schon ein Problem für die Sicherheitsbehörden, mit der neuen grenzüberschreitenden Kriminalität fertig zu werden, so war es bei diesem Ansturm unmöglich, jeden Ankommenden zu erfassen, schon gar nicht sicherheitstechnisch. Als 2015 über 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland einreisten, war den deutschen Behörden die Identität von knapp dreihunderttausend Flüchtlingen nicht bekannt – so die Aussage des Leiters des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, zitiert im Tagesspiegel vom 01. 10. 2015. Die Situation führte bis in das Jahr 2016 zu einem beängstigenden Kontrollverlust und wird auch die Sicherheitslage über Jahre prägen. Inzwischen hat sich bestätigt, dass unter den Einreisenden nach Europa auch kriminelle Dschihadisten waren.

Die Sorge der Sicherheitsbehörden ist zudem groß, dass Flüchtlinge, die zu lange in Unsicherheit und ohne Arbeit in Flüchtlingsunterkünften leben, unter dem Einfluss von Salafisten oder Kriminellen gelangen und straffällig werden. Diese Gefahr der Manipulation besteht besonders bei Heranwachsenden.

Die Zahl der Umweltflüchtlinge liegt weit höher als die der politisch Asyl-Suchenden oder der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Naturkatastrophen stehen im Allianz-Risk-Barometer-2015 an 2. von 10 Stellen. Das Immigrationsproblem wird weltweit mit zunehmendem Wohlstandsgefälle und als Ausfluss von Hunger, Naturkatastrophen, politischen Unruhen, Konflikten und Bürgerkriegen von Süd nach Nord eher zunehmen. Die mangelnde Bereitschaft der reichen Staaten, in die unterentwickelten Länder zu investieren, kommt nun, wie der Nahe und Mittlere Osten zeigen, wie ein Bumerang zurück und wird langfristig unübersehbare kritische Folgen für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit haben.

3. Gefahren durch rechtspopulistische Veränderungen in der Gesellschaft

Der Wunsch nach größtmöglicher individueller Freiheit, der Drang zum Individuellen, der Egoismus des Einzelnen und die Sicherung des Besitzstandes haben die westlichen Gesellschaften über Jahrzehnte geprägt. Entwicklungen, die das Erreichte gefährden könnten – seien sie real oder das Ergebnis diffuser Ängste –, haben unmittelbare Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen.

Nationalismus und Angst vor Islamisierung und vor allem Fremden führen in verschiedenen europäischen Ländern zu einer wachsenden Fremdenfeindlichkeit und inzwischen auch zu einer veränderten Parteienlandschaft mit entsprechend hoher rechtspopulistischer Präsenz in nationalen Parlamenten sowie im Europaparlament. So waren 2015 in sieben EU-Ländern rechtspopulistische Parteien in den Regierungen beteiligt (https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtspopulismus, Stand 18. 03. 2016). In Deutschland erlangte die rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland” (AFD) im Frühjahr und im September 2016 zweistellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen.

Die Innere Sicherheit ist ferner durch soziale Konflikte gefährdet, die die Gesellschaft bereits heute in eine Zweiklassenschicht aufspalten. Es gibt schon jetzt zu viele Menschen, die zu wenig für ein gesichertes Leben haben, und immer mehr, die im Überfluss leben. Andererseits sind auch immer mehr Menschen auf staatliche soziale Leistungen angewiesen. Das Potential für soziale Konflikte wächst zudem durch den bevorstehenden demografischen Wandel. Die Lebenserwartung steigt, es gibt zu wenig junge und zu viele ältere Menschen. Die Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren wird um rund ein Drittel (33 %) von 16,7 Millionen im Jahr 2008 auf 22,3 Millionen Personen im Jahr 2030 ansteigen. Die Migration dürfte diese Entwicklung nur leicht abmildern.

4. Gefahren durch Terrorismus

Wer geglaubt hatte, die Sicherheitslage würde nach der Beendigung des Kalten Krieges besser werden, musste sich angesichts der Bedrohung durch islamistische Terrormilizen neu orientieren. Während die Terrororganisation Al Quaida unverändert präsent ist, aber nach der Tötung von Osama bin Laden (2011) weltweit an Einfluss verlor, entstand im Wesentlichen als Folge des amerikanischen Krieges 2003 (Bezeichnung „Operation Freedom”) und einer falschen Nachkriegsordnung für den Irak der sogenannte „Islamische Staat” (IS). Ehemalige sunnitische Kommandeure von Saddam Hussein bauten ein islamistisches Kalifat auf, das durch einen menschenverachtenden Terror und Expansionen die ganze arabische Region in Angst und Schrecken versetzt und mit Hilfe einer ausgeklügelten Propagandamaschine innerhalb von wenigen Jahren für einen ungebremsten Zustrom an willigen Kämpfern aus aller Welt sorgt. Der religiös geführte Krieg – Sunniten gegen Schiiten – und besonders der Krieg in Syrien haben zu einem Flächenbrand im Nahen Osten geführt, der zur Zerstörung von Städten mit Hundertausenden Toten und den Exodus der Bevölkerung Syriens führte.

Auch wenn durch das militärische Eingreifen westlicher Staaten diese Brandherde, insbesondere der „Islamische Staat” und der Bürgerkrieg in Syrien, einmal beendet werden sollten – es wird neue Problemländer mit fanatischen islamistischen Kämpfern geben. Dabei verlagern terroristische Organisationen sich zunehmend auf sogenannte „weiche Ziele”. Es geht ihnen darum, die höchstmögliche internationale Aufmerksamkeit durch die Ermordung möglichst vieler Touristen aus möglichst vielen Nationen zu erreichen und Angst zu verbreiten. Dies wird durch jeden weiteren Anschlag oder auch nur durch eine Terrorwarnung erreicht – wenngleich die reale Bedrohung für den Einzelnen mit der gefühlten Bedrohung in keiner Weise übereinstimmt.

Europa ist zum einen durch Kämpfer gefährdet, die für einen Anschlag vorbereitet in unsere Länder einreisen. Zum anderen durch Dchihadisten, die nie im „Islamischen Staat” waren, sondern den „Heiligen Krieg” auf eigene Faust ohne Anweisungen durchführen. Wir sprechen hier vom „führerlosen Dschihad”. Die zweite Variante dürfte die in Zukunft gefährlichste sein. Als Ziel sind alle Länder betroffen, die unmittelbar und mittelbar am Krieg gegen die islamistische Terrormiliz beteiligt sind.

Terroristische Anschläge betrafen, so schlimm die Auswirkungen auch waren, bisher lokal begrenzte Gebiete. Eine entscheidende Veränderung in der Qualität des Terrorismus würde eintreten, wenn Terroristen in der Lage wären, biologische, chemische und auch atomare Kampfmittel einzusetzen. Chlor- und Senfgas, offensichtlich aus dem Arsenal von Saddam Hussein, wurden bereits durch den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Mitteln und Kernmaterial auf dem Weltmarkt sowie des Zulaufes an hochqualifizierten Experten in die Terrorszene ist nicht auszuschließen, dass der Terror bei uns auch flächendeckend katastrophal zuschlägt.

5. Gefahren für „Kritische Infrastrukturen”

Nie zuvor waren Staaten so anfällig für Störungen ihrer lebenswichtigen Adern. Wenn man in Zukunft ein modernes Industrieland lähmen und auch abwehrlos machen will, dann muss das nicht mit traditioneller Waffengewalt geschehen. Cyberangriffe gegen die Wirtschaft und Staaten schlechthin werden wesentliche Mittel der modernen Kriegsführung sein.

Das Bundesinnenministerium hat in seinem Leitfaden für Unternehmen und Behörden „Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement” die sensiblen Ressourcen als Kritische Infrastrukturen (KRITIS) definiert. Diese sind Institutionen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Im Einzelnen:

  • Energie (Strom, Mineralöl, Gas)
  • Informationstechnik und Telekommunikation
  • Transport und Verkehr
  • Gesundheit
  • Wasser
  • Ernährung
  • Finanz- und Versicherungswesen
  • Staat und Verwaltung
  • Medien und Kultur

Das BMI hat unter den potentiellen Gefährdungen auch „vorsätzliche Handlungen mit terroristischem oder sonstigem kriminellen Hintergrund” aufgeführt und ein Risko- und Krisenmanagement zum Schutz von KRITIS entwickelt. Der Schutz lebenswichtiger Anlagen und Systeme findet zunehmend Eingang auch in die nationalen Sicherheitskonzepte von Staaten.

6. Gefahren durch mangelnde Zusammenarbeit in der EU

Die Terroranschläge der Jahre 2015 und 2016 haben auf erschreckende Weise offenbart, dass es keine zentrale Terrordatendatei gibt, die von allen 28 EU-Staaten bedient wird. Es gibt demzufolge offenbar keine Datenbank, in der zentral alle Namen von allen Auslandskämpfern, Gefährdern und potenziellen Terroristen gespeichert sind (www.bild.de/politik/inland/terrorismus/warum-hat-die-eu-keine-terror-datenbank-45054190.bild.html vom 23. 03. 2016).

Terroristen können sich also frei in Europa bewegen, ohne dass die Sicherheitsbehörden darüber ein vollständiges Bild haben. Die Bewegungsfreiheit im Schengenraum wird für deren Bürger zur Sicherheitsfalle, weil die Länder untereinander nicht das Vertrauen zur Datenweitergabe haben. Doch die mangelnde Koordination in der Terrorkämpfung ist nur ein Symptom für den brüchigen Zusammenhalt in der EU. Das nationalstaatliche Verhalten der Mitgliederstaaten in der Flüchtlingpolitik hat dieses offenbart.

Die Europäische Union, das reichste Völkerbündnis der Erde, befindet sich seit 2014 in der größten gesellschaftspolitischen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es steht zugleich vor der größten sicherheitspolitischen Herausforderung und angesichts nationalistischer Bestrebungen vor einer Zerreissprobe. Der Austritt einzelner Länder aus der EU ist wahrscheinlicher als je zuvor. Am Ende könnte es ein Europa mit einigen wenigen Kernstaaten und umliegender Partnerstaaten geben.

Der Rückfall in Nationalstaaten in unserer vernetzten Welt wäre nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitspolitisch ein Rückfall ins politische Mittelalter. Ziel muss es sein, nationale Souveränitätsansprüche aufzugeben und ein Europa anzustreben, in dem Wirtschaft, Außenpolitik, Verteidigung, Umwelt, etc. aus einer europäischen Hand erfolgt. Wenn die neue Kleinstaaterei aufhört, die Vereinigten Staaten von Europa einmal wie eine „Nation” regiert werden, dann könnten die Ressourcen gebündelt werden, die zur Bewältigung der sozialen, umweltspezifischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Gefahren für den europäischen Großraum erforderlich sind.

Der BREXIT bietet eine einmalige Chance, ein Kerneuropa zu gestalten, das diesen Anspruch erfüllen könnte. Man muss das nur wollen.

Hinweis der Redaktion: Der Autor (Oberst a.D.) ist Herausgeber des im Richard Boorberg Verlag erschienenen aktuellen Werks „Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Professionelle Prävention und Reaktion bei sicherheitsrelevanten Bedrohungen von innen und außen” sowie des aktuellen Deutschland-Thrillers „Drei Brüder

Jörg H. Trauboth

Jörg H. Trauboth

Oberst der Luftwaffe a.D., Lohmar
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