15.10.2016

Erst zu spät? – Bei Gericht zu früh!

VG Lüneburg: Ausschluss von Kommunalwahl muss hingenommen werden

Erst zu spät? – Bei Gericht zu früh!

VG Lüneburg: Ausschluss von Kommunalwahl muss hingenommen werden

Hell strahlt die Sonne der Gerechtigkeit in Lüneburg? | © Carl-Juergen Bautsch - Fotolia
Hell strahlt die Sonne der Gerechtigkeit in Lüneburg? | © Carl-Juergen Bautsch - Fotolia

Vor gar nicht allzu langer Zeit befasste sich das VG Lüneburg in seinem Beschluss vom 09. 10. 2015 – 5 B 98/15 – (ZMR 2015, 907 ff.) bereits mit einem Fall des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO zur Beschlagnahmeverfügung von Wohnraum für Flüchtlinge, der bundesweite Aufmerksamkeit erregte. Im Beschwerdeverfahren folgte nach kurzer Zwischenentscheidung (Beschluss des OVG Lüneburg vom 13. 10. 2015 – 11 ME 230/15 –, ZMR 2015, 992 f.) sodann nach nicht einmal zwei Monaten der die Vorinstanz bestätigende und das Eilverfahren abschließende Beschluss des OVG Lüneburg vom 1. 12. 2015 – 11 ME 230/15 – (ZMR 2016, 70 ff.).

Es war das VG Lüneburg, das den Grundstein zur Klärung wesentlicher Fragen aus dem Polizeirechtlegte, dazu frühzeitig Klüver, IMR 2016, 479 ff. mit Online-Stellung am 24. 11. 2015; dies., ZMR 2016, 1 ff.; dies., Der Wirtschaftsführer für junge Juristen 2016, 54 f.; dies., PUBLICUS 2016.6, 13 ff., dort jeweils m. w. N. und sich bewahrheitet habenden Prognosen zum Ausgang des Eilverfahrens (niedersächsischer Fachjargon: B-Verfahren) und zur vollständigen Beendigung des Klageverfahrens (niedersächsischer Fachjargon: A-Verfahren) durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten.

Gerade hatte das VG Lüneburg – hier erneut die 5. Kammer – abermals einen Fall im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden, nunmehr in der Variante der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO und mit Schwerpunkt im niedersächsischen Kommunalwahlrecht (dazu Steinmetz, Kommunalwahlrecht Niedersachsen, 4. Aufl. 2016, passim; Thiele/Schiefel, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 4. Aufl. 2016, passim).


Luzid formuliert das VG Lüneburg in seinem Beschluss vom 15. 08. 2016 – 5 B 120/16 – (DVBl. 2016, Heft 21, m. Anm. Klüver) das juristische Kernproblem dieses bereits vor der Kommunalwahl an das Gerichtherangetragenen Eilfalles in einem eigenen Leitsatz: „Gegen die Nichtzulassung einer Wahlliste zur Kommunalwahl ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft, da es aufgrund der Exklusivität der Wahlprüfung lediglich die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Wahl gibt.”

Eine Beschwerde zum OVG Niedersachsen wurde nicht erhoben; der Beschluss des VG Lüneburg ist am 02. 09. 2016 rechtskräftig geworden.

Tatsächliche Geschehnisse nebst Chronologie

Wegen der Besonderheit des Falles ist das Augenmerk zunächst auf die tatsächlichen Geschehnisse nebst ihrer genauen Chronologie zu lenken.

Als Kreisverband einer politischen Partei, die mit mehreren Abgeordneten im Stadtrat der Antragsgegnerin vertreten war, wollte der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zulassung ihrer Wahlliste zur Kommunalwahl am 11. 09. 2016 erreichen.

Die Mitgliederversammlung des Antragstellers hatte am 21. 05. 2016 über eine Wahlliste für die Kommunalwahl abgestimmt, wobei der erste Listenplatz einzeln gewählt und die Plätze 2 bis 9 in einem Wahlgang bestimmt worden waren. Allerdings wurde vor Durchführung der Wahl die ursprünglich vorgesehene Reihenfolge der Liste hinsichtlich der Plätze 2, 4 und 6 noch geändert und die so geänderte Liste von den Mitgliedern gewählt. Die geänderte Liste wurde sodann auf der Homepage des Antragstellers veröffentlicht.

Am 18. 07. 2016 reichte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin seinen Wahlvorschlag für die Gemeindewahl am 11. 09. 2016 ein, in dem für die Plätze 2, 4 und 6 jedoch die ursprünglich auf dem jeweiligen Platz vorgesehenen Kandidatinnen aufgeführt waren und nicht die von der Mitgliederversammlung beschlossene Reihenfolge.

Am 27. 07. 2016 trat der Gemeindewahlausschuss der Antragsgegnerin zusammen und beschloss u. a. die Zulassung des Wahlvorschlags des Antragstellers. Die öffentliche Bekanntmachung der zugelassenen Wahlvorschläge erfolgte am 30. 07. 2016.

Am 01. 08. 2016 informierte der Bürgermeister der Antragsgegnerin, der zugleich Mitglied beim Antragsteller war und auf Platz 1 der Wahlliste gewählt worden war, den Wahlleiter der Antragsgegnerin darüber, dass mit dem Wahlvorschlag eine falsche Liste eingereicht worden sei, bei der die Reihenfolge der Kandidaten teilweise von derjenigen Reihenfolge abweiche, die zuvor in geheimer Wahl von der Mitgliederversammlung gewählt worden war.

Auf einer zweiten Sitzung des Gemeindewahlausschusses der Antragsgegnerin am 03. 08. 2016 wurde beschlossen, in Abänderung des bereits gefassten Wahlausschuss-Beschlusses gemäß § 10 Abs. 5 NKWG den Wahlvorschlag des Antragstellers nachträglich zurückzuweisen. Die öffentliche Bekanntmachung dieses Beschlusse erfolgte am 04. 08. 2016.

Der Antragsteller hatte sodann in einem Schreiben vom 05. 08. 2016 eine erneute Sitzung des Gemeindewahlausschusses von der Antragsgegnerin gefordert, um über die Sache erneut zu beraten. Dieses Ansinnen wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 08. 08. 2016 zurück.

Am 09. 08. 2016 wandte sich der Antragsteller an das VG Lüneburg, um dort zu erreichen, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, im Wahlbereich Stadt „XX” die auf der Aufstellungsversammlung vom 21. 05. 2016 gewählte Liste zur Kommunalwahl am 11. 09. 2016 zuzulassen, hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, im Wahlbereich Stadt „XX” die Liste mit der laufenden Listennummer 1 zur Kommunalwahl am 11. 09. 2016 zuzulassen. Die Antragsgegnerin beantragte sinngemäß, den Antrag abzulehnen.

Beschluss des VG Lüneburg im Lichte des Niedersächsischen Kommunalwahlrechts

Das VG Lüneburg verhalf dem Antragsteller nicht zum Erfolg. Überaus behutsam, kunstgerecht und deklaratorisch zugleich erscheinen zunächst die Erläuterungen zu § 123 Abs. 1 VwGO, in denen das Gericht Sicherungs- und Regelungsanordnung darstellt und Ausführungen zur grundsätzlichen rechtlichen Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen macht.

Im Anschluss zeigt das VG Lüneburg auf, warum eine einstweilige Anordnung indes nicht in Betracht kam, da die Rechtsbehelfe der VwGO durch die in § 46 Abs. 2 NKWG normierte Exklusivität der Wahlprüfungverdrängt werden: Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nur mit einem Wahleinspruch angefochten werden. Der exklusiven Anfechtung im Wahlprüfungsverfahren unterliegen nicht nur der eigentliche Wahlakt, die Feststellung des Wahlergebnisses und der gewählten Bewerber, sondern z. B. auch die Entscheidung über die Zulassung von Wahlvorschlägen (Steinmetz, a. a. O., 269 f.; Thiele/Schiefel, a. a. O., § 46 Rn 12).

Erläutert wird weiter, dass Ausnahmen vom Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung nur bestehen, soweit andere Rechtsbehelfe ausdrücklich normiert sind (wie z. B. bei der Beschwerdemöglichkeit des § 29 Satz 1 NKWO). Unter Angabe einschlägiger Rechtsprechung geht das VG Lüneburg auf den Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 NKWG ein: Wegen der Vielzahl von Einzelentscheidungen der Wahlorgane und Wahlbehörden könne eine Wahl nur dann termingerecht durchgeführt werden, wenn die Rechtskontrolle der während des gesamten Wahlverfahrens getroffenen Entscheidungen begrenzt werde und einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibe (vgl. Thiele/Schiefel, a. a. O., § 46 Rn 10; Steinmetz, a. a. O., 270).

Daher stehe die Rechtsschutzkonzeption im Wahlverfahren auch einer in das einstweilige Anordnungsverfahren vorverlegten Wahlprüfung entgegen, zumal dadurch zugleich die Gefahr ausgeschlossen werde, dass die Wahlorgane auf der Grundlage gerichtlicher Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, die bei einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben, gesetzliche Verfahrensvorschriften nicht einhielten und es dadurch zu einer Ungültigkeit der Wahl käme.

Diese Ansicht stützten Regelungen der NKWO, die ebenfalls vom Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung ausgingen. Aus der Rechtsprechung anderer Bundesländer ließe sich gerade dann nichts anderes ableiten, wenn eine dem § 46 Abs. 2 NKWG entsprechende Regelung fehle, die den Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung gesetzlich festschreibe.

Angesichts der eindeutigen Rechtslage im NKWG sieht das VG Lüneburg keinerlei Anlass, für Ausnahmefälle die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes zuzulassen, soweit diese nicht ausdrücklich im geltenden Wahlrecht vorgesehen sei. Das Wahlprüfungsverfahren böte einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden effektiven Rechtsschutz (vgl. im Allgemeinen Thiele/Schiefel, a. a. O., § 46 Rn 10).

Fazit

Das Eilverfahren gab dem VG Lüneburg die Gelegenheit, das Niedersächsische Kommunalwahlrecht zu erläutern, insbesondere den in § 46 Abs. 2 NKWG normierten Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung, der gegenüber dem einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO vorrangig ist. Dass dies offensichtlich ideal gelungen ist, zeigt die überaus schnelle Rechtskraft der Entscheidung.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Wahleinspruch nach § 46 Abs. 4 NKWG keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 VwGO also nicht gilt: Die neu gewählte Vertretung ist daher sofort und unabhängig vom Wahlprüfungsverfahren handlungsfähig und auch die Feststellung der Ungültigkeit einer Wahl im Wahlprüfungsverfahren beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit der inzwischen von der Vertretung getroffenen Beschlüsse und sonstigen Maßnahmen (vgl. nur Thiele/Schiefel, a. a. O., § 46 Rn 27; Steinmetz, a. a. O., 275).

Im Übrigen bleibt der Erfolg des zwischenzeitlich nach der Kommunalwahl erhobenen Wahleinspruchs abzuwarten.

Dr. Meike Klüver

Dr. Meike Klüver

Rechtsanwältin, Hamburg
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