18.07.2019

Kommunale Unternehmen als Telekommunikationsanbieter

Zur Auslegung von Art. 87f Abs. 2 GG durch das Bundesverwaltungsgericht

Kommunale Unternehmen als Telekommunikationsanbieter

Zur Auslegung von Art. 87f Abs. 2 GG durch das Bundesverwaltungsgericht

Juristisches Handwerkszeug ist im demokratischen Rechtsstaat unentbehrlich.
Juristisches Handwerkszeug ist im demokratischen Rechtsstaat unentbehrlich.

Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat im September 2018 über eine Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur entschieden, die sich insbesondere mit der Art und dem Umfang von Zugangsverpflichtungen eines Telekommunikations-Netzbetreibers zum bundesweiten Festnetz der Deutschen Telekom AG befasste und auch die erstmalig formulierten Voraussetzungen für eine Verweigerung des Zugangs im Nahbereich für rechtmäßig erachtete (N&R 2019, 97 ff. mit Anmerkung von Bafteh und Becher). In einem der Verfahren (6 C 50.16) ging es dabei um die im Folgenden allein vertiefte Frage der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) eines kommunalen (öffentlichen) Unternehmens, deren Bejahung auch im ersten Leitsatz dem Urteil vorangestellt wurde: „Öffentliche oder von der öffentlichen Hand gemischt-wirtschaftliche Unternehmen können andere private Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen im Sinne des Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG sein, wenn die privatwirtschaftliche Entscheidungsautonomie und die Ausrichtung am Gewinnprinzip gewährleistet ist“.

Diese Feststellung mag als Ergebnis aus kommunalpolitischer und auch aus volkswirtschaftlicher bzw. wirtschaftspolitischer Sicht sehr wohl begrüßenswert sein, weil und wenn das Ergebnis dazu beiträgt, dass hierdurch ein Aus- oder Neubau von (Telekommunikations-)Netzen erweitert und/oder beschleunigt wird, zumal dies der Verbesserung einer Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen im Bundesgebiet diente. Es ist jedoch kritisch zu beleuchten, ob das Resultat methodisch stringent oder zumindest plausibel erzielt worden ist – oder ob hier nicht ein oberstes Bundesgericht die ihm generell durchaus obliegende Aufgabe einer Rechtsfortbildung überdehnt und sich Kompetenzen des (Verfassungs-)Gesetzgebers angemaßt hat, was Verfassungsgrundsätzen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zuwiderläuft.

Auslegung des Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG durch das BVerwG

Eine angeblich fehlende (und damit zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führende) Klagebefugnis eines Unternehmens, dessen Gesellschafter verschiedene Stadtwerke sind, die sich je zu 100 Prozent in kommunalem Eigentum befinden, wurde pikanterweise von der Beigeladenen (DTAG) gerügt, an der ihrerseits nach wie vor der Bund indirekt nicht nur einzelne Anteile hält. Dieser Ansatz geht nach Auffassung des 6. Senats fehl, denn der Begriff der Privatwirtschaftlichkeit in Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG verweise auf eine „am Gewinnprinzip orientierte Betätigung“, und daraus folgert das Gericht übergangslos mit einem Teil der GG-Kommentatoren, auch „öffentliche oder von der öffentlichen Hand beherrschte gemischt-wirtschaftliche Unternehmen“ könnten „andere private Anbieter“ im Sinne von Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG sein, „solange die privatwirtschaftliche Entscheidungsautonomie und die Ausrichtung am Gewinnprinzip gewährleistet sind“ (Rn. 29). Ob diese beiden einschränkenden Voraussetzungen überhaupt gegeben sein können, wird jedoch nicht erörtert. Stattdessen wird der Gegenansicht, „derzufolge es dem Staat unabhängig von der Organisationsform grundsätzlich verwehrt ist, Telekommunikationsdienstleistungen zu erbringen“, vorgehalten, sie überdehne das Privatwirtschaftlichkeitsgebot. Zudem werde die Öffentliche Hand durch die auch für von dieser beherrschte Unternehmen maßgebliche Grundrechtsbindung nicht daran gehindert, „in adäquater und weithin gleichberechtigter Weise wie Private die Handlungsinstrumente des Zivilrechts für ihre Aufgabenwahrnehmung zu nutzen und auch sonst am privaten Wirtschaftsverkehr teilzunehmen“. Und ebenfalls Formulierungen des BVerfG (in dessen Entscheidung zur Deutschen Bahn, 7.11.2017, 2 BvE 2/11) aufnehmend wird ergänzend hinzugefügt, da „die Wettbewerbsordnung des einfachen Rechts grundsätzlich für alle Unternehmen gleichermaßen und in gleicher Auslegung gelte, ergäben sich aus der fehlenden Grundrechtsberechtigung kaum wettbewerbliche Nachteile für staatlich beherrschte Unternehmen“ (Rn. 30). Der geneigte Leser fragt sich, was beide Erwägungen mit der relevanten Frage zu tun haben …


Das BVerwG unternimmt dann doch (in Rn. 31) den Versuch einer methodischen Untermauerung, allerdings unter einer fragwürdigen Perspektive, nämlich davon ausgehend, es müsse begründet werden, der Verfassungsgeber habe in Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG „für den Bereich der Telekommunikation eine vom allgemeinen Wirtschaftsverkehr abweichende Sonderregelung treffen wollen, die Unternehmen bei überwiegender Beteiligung der öffentlichen Hand vom Wettbewerb ausschließt“. Dies finde weder im Wortlaut des Verfassungstexts eine Stütze noch werde es durch die Gesetzesmaterialien belegt. Dem allein zitierten Entwurf des verfassungsändernden Gesetzes (BT-Drs. 12/7269) lasse sich nur entnehmen, der Verfassungsgeber habe „in grundsätzlicher Abkehr von dem System der Verwaltungsmonopole das Wettbewerbsprinzip einführen“ wollen und eine „möglichst weitgehende Angleichung an diejenigen Verhältnisse angestrebt, die im wettbewerblich geprägten Wirtschaftsverkehr allgemein vorherrschen“. Nicht erwähnt wird, dass sich die endgültige Fassung des Art. 87f GG im Laufe des Verfahrens noch erheblich geändert hat, sodass auch die hierzu vorliegende Erläuterung des zuständigen Ausschusses (BT-Drs. 12/8108) nicht berücksichtigt wird. Damit hängt allerdings das hernach hervorgehobene „Ziel der Marktöffnung“ gleichsam in der Luft, und das teleologische Argument, (auch) „der Marktzutritt finanzstarker Unternehmen der öffentlichen Hand“ könne „dazu beitragen, den durch die Marktmacht der aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen ehemaligen Monopolunternehmen beschränkten Wettbewerb zu beleben“, wird weder mit dem Wortlaut noch der Systematik der Verfassungsnovelle oder auch des GG insgesamt verknüpft. Wenn im Anschluss daran noch erwähnt wird, das BVerfG sei – freilich „in anderem Zusammenhang“ – ohne Weiteres davon ausgegangen, „dass keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen ein Engagement der Kommunen im Post- und Telekommunikationsmarkt bestehen“, so ist auch dies zumindest missverständlich, denn in jener Sache (7.1.1999, 2 BvR 929/97) ging es um Wegerechte nach §§ 50 ff. TKG 1996, heute §§ 68 ff. TKG, nicht um Betrieb von Netzen und/oder Erbringen von Dienstleistungen!

Schließlich vermochte das BVerwG keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass das (wohlgemerkt: kommunale) Unternehmen „sich bei der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen – etwa aufgrund von landeskommunalrechtlichen Vorgaben – nicht am Gewinnprinzip, sondern vorwiegend am Gemeinwohl orientiert“ (Rn. 32). Schon ein erster Blick in die Vorschriften über (dem Grunde nach durchaus von der Garantie kommunaler Selbstverwaltung legitimierte) kommunale „wirtschaftliche Betätigung“ hätte genügt, diese Ansicht in Zweifel zu ziehen, auch und gerade dort, wo Kommunalrecht spezifische Regelungen zu Aktivitäten im Bereich der Telekommunikation trifft (wie z.B. § 107 Abs. 1 GO NRW). Der Umstand, dass manche in Privatrechtsform betriebenen städtischen Unternehmen in der Praxis ihrem Träger finanziell unter die Arme greifen (können und sollen), wirft doch gerade die Frage auf, ob und wie weit das geltende Verfassungs- und Gesetzesrecht dies überhaupt erlaubt.

Hintergründe – Heiligt der Zweck die Mittel?

Der seit einigen Jahrzehnten – auch im Kontext von Entstehung und Wachstum des Internet – (volks-)wirtschaftlich und gesellschaftlich zentrale Sektor Telekommunikation wird im Rahmen diverser, erst kürzlich wieder novellierter EU-rechtlicher Vorgaben („Kodex elektronische Kommunikation“ 2018), die allerdings auch in ihrer sekundärrechtlichen Konkretisierung etliche mitgliedstaatliche Gestaltungsspielräume belassen, in Deutschland maßgeblich geprägt durch verfassungsrechtlich normierte Eckpunkte, insbesondere durch Art. 87f (und abrundend Art. 143b) GG. Die nur im Hinblick auf die Aufhebung ausschließlicher Rechte (Telefon-, Funkmonopol) strikte europäische Vorgabe, eine sektorspezifische Regulierung von Marktmachtmissbrauch einzuführen – weil eine Zerschlagung der früheren Staatsunternehmen („incumbents“) nie wirklich als Alternative erwogen wurde –, hat schon wegen Art. 345 AEUV keine unmittelbare rechtliche Bedeutung für bestehende oder neue öffentliche Unternehmen in EU-Mitgliedstaaten, selbst wenn für deren Tätigkeiten durchaus spezielle primärrechtliche Bestimmungen (vor allem Art. 106 Abs. 1 AEUV) zu beachten sind. Ähnlich, wenngleich im Detail anders als beim Bahn-Artikel (Art. 87e GG), folgt aus dem Gebot der Trennung von Hoheitsaufgaben und (regulierten) privatwirtschaftlichen Aktivitäten noch nichts Näheres für Unternehmen, die auf für Wettbewerb geöffneten Märkten agieren – soweit und solange nicht einzelne Mitgliedstaaten hierfür besondere, striktere Vorschriften erlassen, was das relevante, nicht vollharmonisierende EU-Recht zur elektronischen Kommunikation ermöglicht. Erst und nur solche nationalen Regelungen können dann in Konflikt mit Bestimmungen über die wirtschaftliche Betätigung speziell von Kommunen (und allgemeiner der Öffentlichen Hand) geraten; zunächst allerdings muss ihr Inhalt lege artis ermittelt werden, und erst danach stellt sich gegebenenfalls das Problem der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen divergierenden Vorschriften von gleichem (Verfassungs-)Rang.

So erweist sich der vom BVerwG beurteilte Fall als Paradebeispiel einer über konkrete Rechtsfragen der Telekommunikation hinaus insgesamt wirtschaftlich-infrastrukturell wesentlichen Problematik, denn wäre der Senat der Gegenansicht gefolgt, so wäre ein beträchtlicher Teil der derzeit auf Telekommunikationsmärkten tätigen Akteure bereits kraft Verfassungsrechts kein tauglicher Marktteilnehmer mehr, und die Erfüllung des Infrastrukturgewährleistungsauftrags des Bundes nach Art. 87f Abs. 1 GG würde gewiss nicht erleichtert, da andere Mittel (wie etwa Förderungen) in unterversorgten (meist ländlichen) Gebieten zumindest bislang wenig erfolgreich sind. Die durchaus verallgemeinerbare Argumentation des BVerwG hingegen greift (implizit) die Vorstellung auf, dass ein Einsatz öffentlicher Unternehmen gerade auf örtlicher und überörtlicher Ebene sicherlich einem Marktversagen abhelfen kann, wenn nicht gar ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Unternehmen in funktionierendem (fairen) Wettbewerb dem öffentlichen Wohl am besten zuträglich ist.

Gleichwohl heilt im Verfassungsstaat der gute Zweck nicht jedes Mittel, die Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht begrenzt deren Funktionen. Hat das BVerwG also keine tragfähige Begründung dafür gefunden, dass die aktuelle Marktsituation im deutschen Telekommunikationssektor verfassungsrechtlich unbedenklich ist, muss entweder eine andere, solidere Interpretation oder eine Lösung auf anderem Wege gefunden werden.

Verfassungsrecht der Telekommunikation nach der Postreform II

Im demokratischen Rechtsstaat sollte der Gesetzesinterpret den Wortlaut einer Vorschrift als Grundlage und als Grenze einer Auslegung zum Ausgangspunkt nehmen. Der 1994 in das GG eingefügte Art. 87f Abs. 2 besagt in Satz 1, „Dienstleistungen“ im Sinne des Abs. 1 – d.h. solche im Bereich des Postwesens oder der Telekommunikation, sprachlich direkt an die Kompetenznorm des Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG anknüpfend – würden als „privatwirtschaftliche Tätigkeiten“ erbracht, und als Akteure werden genannt „die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen“ und „andere private Anbieter“. Bundeseigene, d.h. unmittelbare Bundesverwaltung ist nach Art. 87f Abs. 2 Satz 2 GG anders als nach Art. 87 Abs. 1 GG in seiner Fassung vor der Postreform (II) nur in Bezug auf einschlägige „Hoheitsaufgaben“ vorgegeben (und wird durch die Anordnung mittelbarer Bundesverwaltung für einige spezielle Aufgaben in Bezug auf die drei „Nachfolgeunternehmen“ abgerundet, Art. 87f Abs. 3). Wenn Art. 87f anders als der in engem zeitlichen Zusammenhang geschaffene Art. 87e GG (zu Eisenbahnen) nicht explizit zwischen (Schienen-)Netz und Verkehrsangeboten auf diesem unterscheidet, so deutet dies darauf hin, dass der in Art. 87e nicht verwendete Begriff „Dienstleistung“ hier in einem weiten Sinne (und umfassender als etwa im WTO- oder EU-Recht) zu verstehen ist und jegliche Aktivität im Bereich der Telekommunikation erfasst, d.h. auch Bau, Erweiterung und Verbesserung von Telekommunikationsnetzen einbezieht. Selbst wenn dieses Verständnis aber nicht geteilt wird, so beinhaltet der Normtext doch zwei konkrete Festlegungen in Bezug auf taugliche Marktteilnehmer: Es muss sich bei ihnen um „private Anbieter“ handeln, wobei auch das relevante Nachfolgeunternehmen im Einklang mit Art. 143b Abs. 1 GG in ein „Unternehmen privater Rechtsform“, zunächst eine AG, umgewandelt worden ist, und überdies werden die Tätigkeiten als „privatwirtschaftlich“ gekennzeichnet. „Private“ Anbieter werden zwar nicht näher im Hinblick auf zulässige oder geeignete Rechtsformen konkretisiert, jedoch deutet die Formulierung deutlich auf privatrechtliche Organisation und Trägerschaft hin. Hinzu kommt, dass Dienstleistungen „privatwirtschaftlich“, nicht nur wirtschaftlich zu erbringen sind; letzteres – aber eben nur dieses – würde auch für staatliche Betätigung allgemein (vgl. Art. 114 GG) und speziell für öffentliche Unternehmen gelten. Damit folgt aus Art. 87f Abs. 2 GG zumindest ein starkes Argument dafür, dass hier allein kommerzielle gewinnorientierte Unternehmen adressiert (und zugelassen) werden. Dem entspricht überdies, dass zwar eine wirtschaftliche Betätigung der Öffentlichen Hand qua Haushalts- und vor allem auch Kommunalrecht ausdrücklich erlaubt wird, jedoch nur in differenziertem und beschränkten Umfang, ohne primäre Ausrichtung auf Gewinnerzielung und im vorgegebenen Rahmen einer Kombination von Haftungsbeschränkung und (maßgeblicher) Einflussnahmemöglichkeit der politischen Gremien zwecks Erfüllung öffentlicher Aufgaben.

In dem durch Einfügung von Art. 87f und 143b GG umgeformten sektoralen System zeigt zudem Art. 87f Abs. 1 GG, dass sich (im Einklang mit der Reform auf EU-Ebene) der Staat aus der Eigenerbringung zurückzieht und stattdessen eine (Infrastruktur-)Gewährleistungsverantwortung ausübt, die in Deutschland anlehnend an die Gesetzgebungskompetenz allein dem Bund obliegt. Ähnlich wie auch in Art. 87e (i.V.m. Art. 143a) GG wurde dabei keine völlige materielle Privatisierung unternommen, blieben vielmehr bisher staatliche Betriebe weiterhin dominante Marktteilnehmer; zumindest theoretisch hat aber deren Umwandlung in privatrechtliche (Aktien-)Gesellschaften verhindert, dass eine direkte Steuerung auch qua Beteiligung erfolgen kann. Die (nur im einfachen Recht – §§ 1, 2 TKG – , nicht in der Verfassung selbst ausgestaltete) Regulierung bezweckt Schaffung bzw. Aufrechterhaltung eines durch drei generelle Kriterien bemessenen (Mindest-)Dienstleistungsangebots durch (private) Marktteilnehmer („private Wettbewerber“): in der Fläche, in ausreichender Menge und angemessener Qualität sowie zu erschwinglichen Preisen (s. §§ 78 Abs. 2, 79 TKG) für Nachfrager bzw. Nutzer. Weder einzelne Bundesländer noch gar Kommunen sind also zur Korrektur etwaigen Marktversagens berufen, wenn und soweit der Bund diese nicht dazu ermächtigt oder damit betraut. Diese Kompetenzverteilung gilt nicht zuletzt auch für „weiche“ Maßnahmen wie insbesondere finanzielle Förderungen.

Das auch aus der Genese der Postreform (II) ersichtliche Ziel der GG-Änderung 1994 umfasst miteinander verknüpfte Komponenten: Schaffung und Sicherstellung von funktionierendem Wettbewerb zwischen bisherigen und neuen privaten Unternehmen (durch spezifische Regulierung) nach Aufhebung des früheren Verwaltungsmonopols des Bundes (Art. 87 Abs. 1 GG a.F., FAG), Umwandlung von zunächst nur organisatorisch-haushaltsmäßig autonomen Teilen einer Bundesverwaltung in drei privatrechtsförmige Unternehmen ohne sofortige Aufgabe der Trägerschaft und Kapitalbeteiligung des Bundes bei Fortführung der bisherigen Aktivitäten am Markt; Öffnung des Post- und Telekommunikationssektors für andere, private neue Akteure und weitgehende Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer einschl. des jeweiligen „incumbent“ (Nachfolgeunternehmen), bei zumindest temporärer Berücksichtigung von dessen aus der Vergangenheit herrührenden Vorteilen, aber auch Belastungen. Insofern muss eine Auslegung des Art. 87f (Abs. 2 Satz 1) GG berücksichtigen, dass Teil dieser Postreform (II) auch eine zahlreiche Einzelgesetze umfassende Neuordnung des Post- und Telekommunikationswesens durch den Bundesgesetzgeber bildete – ein Gesamtkonzept, das auch in den Gesetzesmaterialien verdeutlicht wird (s. BT-Drs. 12/8108, S. 6).

Auch im Bereich der Telekommunikation war die 1994 getroffene nationale Lösung nicht durchweg oder in allen Details durch EU-Recht vorgeprägt; gerade im Hinblick auf die Vorschriften über öffentliche Unternehmen (Art. 106 Abs. 1 AEUV) und den Vorbehalt zugunsten nationaler Eigentumsordnungen (Art. 345 AEUV) stieße ein Vollharmonisierung ohnehin an Grenzen. Deutschland konnte und durfte also durchaus eigene Vorgaben darüber festlegen, wer neu auf dem Telekommunikationsmarkt agiert, und hat sich bewusst für einen rein „privaten“ Kreis entschieden, nicht nur im Hinblick auf die Rechtsform, sondern auch auf die Gesellschafter/Träger von Anbieter.

Fazit: Das Richtige richtig tun

Das BVerwG hat also (sicher gut gemeint) Verfassungsauslegung nicht bloß praeter, sondern contra legem (bzw. constitutionem) betrieben. Die Änderung von für missglückt erachteten Regelungen ist jedoch nicht mehr einem obersten Gericht obliegende Rechtsfortbildung, sondern Rechtsetzung und im konkreten Fall sogar Sache allein des verfassungsändernden Gesetzgebers. Auch das aktuelle EU-Recht (d.h. insbesondere AEUV, aber auch der bis 2020 umzusetzende „Kodex“) wäre für eine als sinnvoll erachtete Nachjustierung kein unüberwindliches Hindernis, vielmehr wird dort auch kommunale Selbstverwaltung (und damit wirtschaftliche Betätigung) verbürgt (Art. 4 Abs. 2 EUV) und muss lediglich sichergestellt werden, dass keine Privilegierung öffentlicher Unternehmen erfolgt. Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land wäre eine solche Reform wichtig und zugleich einer der Sozialstaatlichkeit verpflichteten Informationsgesellschaft förderlich.

 

Dr. Ludwig Gramlich, Univ.-Prof. i.R.

früher Technische Universität Chemnitz,
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

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