02.08.2024

Kommunale Seniorenpolitik – Altwerden in der Stadt

Forderungen an Bund und Land

Kommunale Seniorenpolitik – Altwerden in der Stadt

Forderungen an Bund und Land

Der demografische Wandel erfasst ländliche Räume und Stadtregionen auf unterschiedliche Weise. | © Gerhard Seybert - Fotolia
Der demografische Wandel erfasst ländliche Räume und Stadtregionen auf unterschiedliche Weise. | © Gerhard Seybert - Fotolia

Der Bayerische Städtetag 2024 vom 26. bis 27. Juni 2024 in Kempten befasste sich mit dem Tagungsthema: Kommunale Seniorenpolitik – Altwerden in der Stadt. „Der demografische Wandel hat weitreichende Konsequenzen für unser Zusammenleben und betrifft alle Städte und Gemeinden. Die Arbeit an einer generationengerechten Stadt ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Gutes Altwerden braucht gute Orte“, umschreibt der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, der Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr die Herausforderungen für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker.

Ausgangslage

Die Zahlen und Prognosen zum demografischen Wandel und der Altersstruktur unserer Gesellschaft sind eindeutig. Künftig wird es mehr alte Menschen geben und der Teil der Gesellschaft, der alt ist, wird von Jahr zu Jahr größer. Hieraus ergeben sich Chancen und Herausforderungen für Kommunen, die als kleinste räumlich-politische Verwaltungseinheit eine besondere Bedeutung für den Lebensalltag ihrer Einwohner haben.

Aktuell leben im Freistaat Bayern rund 2,8 Millionen Menschen, die 65 Jahre oder älter sind. Bis zum Jahr 2041 werden es laut Bayerischem Landesamt für Statistik 753.000 mehr sein. Insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen wären dann 65 Jahre oder älter und würden mehr als ein Viertel der bayerischen Gesamtbevölkerung ausmachen.


Die weitreichenden Veränderungen in der Altersstruktur der Gesellschaft, die stark veränderten Familienstrukturen und die interkommunalen Wanderungen sorgen dafür, dass sich die Gestaltungsaufgaben der Kommunen ändern und unter veränderten Rahmenbedingungen wahrgenommen werden müssen. Auf Städte und Gemeinden fällt die Finanzierung für zentrale Herausforderungen und die Erarbeitung seniorenpolitischer Leitbilder und Ziele zurück, die der demografische Wandel mit sich bringt: Städte und Gemeinden sind Trägerinnen der öffentlichen Daseinsvorsorge, (mit)verantwortlich für die Quartiersentwicklung und den Wohnungsbau und letztlich auch für die Vorhaltung einer angemessenen Pflege- und Gesundheitsinfrastruktur. Sie brauchen daher neben einer auskömmlichen finanziellen Unterstützung durch Land und Bund auch verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen, gerade dann, wenn Aufgaben übernommen werden, die nicht verpflichtend sind.

Das Diskussionspapier, das unter folgendem Link verfügbar ist, soll kommunalen Vertreterinnen und Vertretern Impulse und Anregungen geben, wie Städte und Gemeinden gestaltet werden können, um sehr gute Voraussetzungen für ältere Menschen und das Altern sowie eine Solidarität zwischen den Generationen zu schaffen.

Wichtige Rolle der Kommunen

Das Leben der Menschen findet vor Ort, in den Städten und Gemeinden statt. Kommunen sind das Herzstück für das Zusammenleben aller Menschen und der lebendige Kern unserer Gesellschaft. Sie spielen ferner eine Schlüsselrolle für alle grundlegenden Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, wie Wohnen, Straßen, Kitas und Schulen, Krankenhäuser, ÖPNV, Versorgung mit Wasser, Bildung und Kultur. Schon jetzt bieten Städte und Gemeinden den Menschen Raum und Möglichkeiten, aktiv und in Würde alt zu werden.

Den Seniorinnen und Senioren muss in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion ein besonderer Stellenwert verschafft werden. Alterspolitik ist dabei eine Querschnittsaufgabe von vielen Akteuren. Neben verschiedenen kommunalen Beteiligten, den Städten, Gemeinden, Landkreisen und Bezirken sind auch der Freistaat Bayern und der Bund gefragt, wenn es um die zielgerichtete Unterstützung der alten Menschen und der Kommunen durch staatliche Ebenen geht.

„Städte und Gemeinden leisten einen zentralen Beitrag für eine gute Seniorenpolitik. Kommunen können die Herausforderungen jedoch nicht alleine bewältigen. Sie sind auf Unterstützung von Bund, Freistaat, Kirchen und Gesellschaft angewiesen. Denn letztlich profitiert die gesamte Gesellschaft von Maßnahmen, die für ältere Menschen getroffen werden“, so Pannermayr.

Gutes Altern braucht gute Orte

„Ältere Menschen bereichern unsere Städte und Gemeinden auf vielfältige Weise, sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und leisten mit ihrer Lebenserfahrung und ihrem Engagement einen unschätzbar wertvollen Beitrag für das soziale Gefüge. Unabhängig von ihrer Größe bieten bayerische Kommunen Seniorinnen und Senioren schon jetzt sehr gute Voraussetzungen, möglichst lange selbstbestimmt leben zu können. Zukünftig wird es aufgrund des demografischen Wandels noch mehr darum gehen, Quartiere und Wohnraum altersgerecht zu gestalten, soziale Integration durch das Ehrenamt und politische Teilhabe zu fördern und eine bestmögliche Versorgungsinfrastruktur zu gewährleisten“, sagte Pannermayr.

Zu guten Orten gehört ein altersgerechtes Wohnumfeld. Ein vertrautes Wohnumfeld mit Begegnungsorten ermöglicht soziale Teilhabe, beugt der Vereinsamung vor, kann Engagement im Alter und lebenslanges Lernen unterstützen. Wohnumfelder bieten soziale Netze, auf die im Bedarfsfall (leichter) zurückgegriffen werden kann. Es geht um altersgerechten Städtebau, Dritte Orte als Begegnungsräume und Hitzevorsorge. Mit der wichtigste Bestandteil des Quartiers ist die Wohnung, in der Seniorinnen und Senioren ihren Lebensmittelpunkt haben. Von dort aus sollen sie im Optimalfall alles erreichen können – ob Dritte Orte, den Supermarkt oder den Hausarzt.

Ein zentraler Punkt für würdevolles Altwerden ist die soziale Integration. Der Mensch lebt von Kontakten mit anderen Menschen. Gerade im Alter sind Interaktionen zu Familie und Mitmenschen von unschätzbarem Wert für das seelische Wohlbefinden. Soziale Teilhabe schützt vor Vereinsamung und stärkt das Selbstwert- und Selbstwirksamkeitsgefühl älterer Menschen. Es wird insbesondere darum gehen, Generationen zu verbinden, was durch Ehrenamt, politische Teilhabe oder Lebenslanges Lernen erfolgen kann.

Ein guter Ort bietet alten Menschen vielfältige Möglichkeiten, mobil zu sein. Denn Mobilität bringt Lebensqualität. Mobil sein zu können, ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen, um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Mobilität setzt eine Verkehrsinfrastruktur voraus, die den Bedürfnissen aller Menschen gerecht wird. Dadurch wird die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen gesichert. Ein zentraler Aspekt ist, Mobilität generationengerecht auszugestalten. Die zunehmende Zahl älterer Menschen und die Zahl der Menschen mit Behinderung verlangt ein differenziertes Angebot an Verkehrsinfrastruktur ohne Barrieren, das den Individualverkehr ebenso umfasst wie Angebote des öffentlichen Personennahverkehrs.

Eine für alle Menschen gut erreichbare Nahversorgung ist ein weiterer wichtiger Baustein für die

Attraktivität der Kommunen. Dazu gehören Angebote von Gütern des täglichen Bedarfs, vor allem Lebensmittel, die im Optimalfall zentral und fußläufig zu erreichen sind. Aber auch der einfache Zugang zu Dienstleistungen wie Post, Banken, Apotheken, Gastronomie, kulturelle Einrichtungen und medizinische Versorgung ist gerade für ältere Menschen von großer Bedeutung.

Ferner ist die medizinische und pflegerische Versorgung in den Kommunen ein wichtiger Aspekt für ältere Menschen und trägt einen großen Teil zur Lebensqualität bei. Denn auch, wenn heute und in Zukunft immer mehr alte Menschen gesund alt werden, steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken. Dann kommt es darauf an, dass unabhängig von Größe und Lage der Kommune die haus- und fachärztliche Versorgung sichergestellt ist, Krankenhäuser flächendeckend verfügbar sind und ausreichend ambulante und stationäre Pflegeplätze vor Ort sind.

In Zeiten der Digitalisierung zeigt die Erfahrung, dass die fortschreitende technische Entwicklung Vorteile bringt, gleichzeitig aber neue Fragen aufwirft und Herausforderungen schafft, die bislang unbekannt waren. Hier gilt es, digitale Lösungen zu finden, die das Alltagsleben aller Menschen verbessern.

Städte und Gemeinden werden sich künftig auch mehr mit Fragen der Migration und Diversität im Alter auseinandersetzen müssen. Denn die Zahl älterer Menschen mit Migrationshintergrund nimmt deutlich zu und die Vielfalt älterer Menschen ist so mannigfaltig und bunt wie unsere Gesellschaft. Hier wird es darauf ankommen, möglichst allen Menschen ein gutes Umfeld und Zuhause bieten zu können.

Forderungen an den Freistaat und Bund

Um die oben dargestellten Lebensbereiche und die hieraus resultierenden Herausforderungen bestmöglich bewältigen zu können, hat der Vorstand des Bayerischen Städtetags in seiner Resolution vom 26./27. Juni in Kempten Folgendes gefordert:

Der Freistaat Bayern wird aufgefordert, …

  1. die Kommunen bei der Umsetzung auf allen Planungs- und Entscheidungsebenen aktiv zu unterstützen. Die Landesplanung soll an dem Zentrale-Orte-System, dem Anbindegebot und den Einzelhandelszielen festhalten.
  2. die Städtebauförderung deutlich aufzustocken. Nur so können barrierefreie Räume, Dritte Orte und die Infrastruktur für eine bedarfsgerechte Versorgung geschaffen werden.
  3. dafür zu sorgen, dass die staatliche Wohnraumförderung alternative Wohnformen unterstützt. Genossenschaften, Baugemeinschaften und Mietgemeinschaften müssen gefördert werden.
  4. die Altenhilfe durch geeignete landesgesetzliche Vorgaben näher auszugestalten. Der Freistaat muss die kommunale Ebene in die Lage versetzen, ihren Verpflichtungen nach § 71 SGB XII Rechnung tragen zu können. Um eine Altenhilfestruktur zu gestalten, brauchen Kommunen eine hinreichende Finanzierung.
  5. für Einrichtungen wie Nachbarschafts- oder Quartierstreffs, die als „Kümmerer“ besonders wichtig für Menschen sind, nachhaltige Finanzierungswege zu finden.
  6. Förderrichtlinien des Freistaats mit auskömmlichen Mitteln auszustatten.

Der Bund wird aufgefordert, …

  1. die Finanzierung in der Langzeitpflege sicherzustellen und für eine Ertüchtigung der Pflegeversicherung zu sorgen. Es darf nicht sein, dass die Kosten für die Pflege die gesamten Ersparnisse und das Einkommen aufzehren.
  2. die Pflegeplanung nach dem SGB XI neu auszurichten. Bei der Zulassung von Einrichtungen ist die Entscheidung der Kommune verpflichtend zu berücksichtigen.

Bund und Land werden aufgefordert, …

  1. die Investitionen durch die erhöhte Gewährung von Regionalisierungsmitteln und den Mittelzuwachs bei der ÖPNV-Finanzierung nach dem BayÖPNVG deutlich zu erhöhen. Nur so kann der ÖPNV einen besseren und spürbaren Beitrag in Stadt und Land leisten.

Es bleibt zu hoffen und wünschen, dass diese Forderungen baldmöglichst aufgegriffen und umgesetzt werden, um die Kommunen noch besser in die Lage zu versetzen, einen zentralen Beitrag für eine gute, zukunftsfeste Seniorenpolitik leisten zu können.

 

Alexander Weigell

Referent beim Bayer. Städtetag
n/a