03.05.2018

Kein Verstoß gegen EU-Beihilferecht

Kommunen dürfen kommunalen Alten- und Pflegeheimen Defizitausgleich gewähren

Kein Verstoß gegen EU-Beihilferecht

Kommunen dürfen kommunalen Alten- und Pflegeheimen Defizitausgleich gewähren

Rund 8 Mio. Euro zahlte die Stadt Regensburg für die Finanzierung eines Ersatzneubaus | © Daisy Daisy - stock.adobe.com
Rund 8 Mio. Euro zahlte die Stadt Regensburg für die Finanzierung eines Ersatzneubaus | © Daisy Daisy - stock.adobe.com

Es ist im Hinblick auf das EU-Beihilferecht immer wieder strittig, ob Kommunen eigenen Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege einen Ausgleich für erwirtschaftete Defizite gewähren dürfen. Die EU-Kommission vertritt in dieser Hinsicht eine neue, weniger restriktive Linie. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat auf diese neue Ansicht der EU-Kommission reagiert und mit Urteil vom 21.11.2017 (3 U 134/17) den durch eine Stadt gewährten Defizitausgleich an städtische Alten- und Pflegeheime mit Blick auf die fehlende zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung EU-beihilferechtlich als zulässig erachtet. Es hat festgestellt, Zuwendungen einer Stadt an ein Alten-/Pflegeheim, das ein örtlich geprägtes Einzugsgebiet habe, Standardleistungen im Pflegebereich anbiete und dessen Bewohner nicht aus anderen Mitgliedstaaten, sondern nur aus der näheren Region stammen, stellten keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Es handele sich um rein lokale Fördermaßnahmen ohne Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel (Art. 107 Abs. 1 AEUV, Art. 108 Abs. 3 AEUV, § 3a UWG).

Verband klagt gegen Stadt

In dem entschiedenen Verfahren hatte ein Verband gegen eine kreisfreie Stadt eine wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage wegen des Defizitausgleichs ihrer zu 100 % eigenen Tochtergesellschaft angestrengt. Der Ausgleich bestand in den Jahren 2010–2015 aus Kapitaleinlagen in Höhe von knapp 4 Mio. € für den Betrieb der Alten-Pflegeheime sowie in Höhe von rd. 8 Mio. € für die Finanzierung eines Ersatzneubaus. Nach Auffassung des Klägers verstießen die Zuwendungen gegen das europarechtliche Beihilfeverbot. Mangels Notifizierung bei der EU-Kommission liege ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) vor. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen.

Das Gericht hat festgestellt, die zulässige Berufung des Klägers habe in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger sei gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) zwar klagebefugt, sein geltend gemachter Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 3a UWG sei aber weder wegen Verletzung des Durchführungsverbots nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV noch wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG begründet. Ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV scheitere daran, dass es sich bei den streitgegenständlichen Finanzhilfen wegen fehlender Binnenmarktrelevanz nicht um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handele. Für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes fehle es am Vorliegen vergleichbarer Sachverhalte.


Auch ein Verband ist klagebefugt

Zur Klagebefugnis hat das Gericht in dem Urteil festgestellt, nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG stünden die Ansprüche gemäß § 8 Abs. 1 UWG neben Mitbewerbern auch rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen zu, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehörten, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, soweit sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung im Stande seien, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührten. Das sei vorliegend der Fall. Das Gericht begründet diese Auffassung im Einzelnen.

Eine europarechtlich relevante Beihilfe liegt nicht vor

Hierzu hat das Gericht festgestellt, dass ein Unterlassungsanspruch des Klägers aus §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV mangels Vorliegens einer europarechtlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht gegeben sei. Zu Recht habe das Landgericht seiner Wertung das UWG in der ab 10.12.2015 geltenden Fassung zugrunde gelegt.

Gemäß § 3a UWG handele unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandele, die auch dazu bestimmt sei, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, wenn der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Der Tatbestand setze eine geschäftliche Handlung voraus. Das Landgericht habe in den streitgegenständlichen Zuwendungen auch geschäftliche Handlungen gesehen, die der Förderung des Absatzes von Dienstleistungen der im Pflegeheim dienen. Diesen Punkt begründete das Gericht eingehend.

Kein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV

Ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV liege aber nicht vor, da die gewährten Zuwendungen keine staatlichen Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten.

Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind unzulässige staatliche Beihilfen – vorbehaltlich anderer Bestimmungen – definiert als aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen. Nur wenn eine staatliche Maßnahme alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfülle, habe sie beihilferechtliche Relevanz.

Hier fehle es am Merkmal der Binnenmarktrelevanz. Bei den angegriffenen Zuwendungen handele es sich um rein lokale Fördermaßnahmen ohne Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union.

Das OLG nimmt sodann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. vom 24.03 2016 — I ZR 263/14 — Kreiskliniken Calw – Rn. 99, m. w.N., juris), in Bezug, die auch die von der Kommission ergangenen Entscheidungen einbeziehe. Bei der Prüfung, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AUEV oder eine den Handel nicht beeinträchtigende, lediglich lokal wirkende, Zuwendung vorliege, sei Folgendes zu berücksichtigen:

  • Eine staatliche Unterstützung könne auch dann Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union haben, wenn das begünstigte Unternehmen nicht unmittelbar am grenzüberschreitenden Handel teilnehme. Der örtliche oder regionale Charakter der durch das begünstigte Unternehmen erbrachten Dienstleistung oder die geringe Größe seines Tätigkeitsgebiets schlössen nicht von vornherein die Möglichkeit aus, dass es in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen durch die Maßnahme erschwert werde, ihre Dienste auf dem Markt dieses Staats zu erbringen. Die Möglichkeit, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt werde, dürfe allerdings nicht nur hypothetischer Natur sein und nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen.
  • In Anwendung dieser Grundsätze habe die Kommission angenommen, dass die Tätigkeit eines Beihilfeempfängers, der Güter oder Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats anbiete und wahrscheinlich keine Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anziehe und dessen Begünstigung allenfalls marginale Auswirkungen auf die Bedingungen für grenzüberschreitende Investitionen oder die grenzübergreifende Niederlassung haben werde, wegen ihrer rein lokalen Auswirkung nicht den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtige (vgl. Kommission, Beschlüsse vom 29.04. 2015 – SA.33149 Rn. 19, SA.37904 Rn. 15 und SA.38035 Rn. 12, jeweils m.w.N). Nach Ansicht der Kommission fehle es an einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels bei Zuwendungen an örtliche Krankenhäuser, die ausschließlich für die örtliche Bevölkerung bestimmt seien. An dieser Stelle führt das Gericht den Fall einer Reha-Fachklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im niedersächsischen Bad Nenndorf an.

Nach diesen vom Bundesgerichtshof und der Kommission entwickelten Maßgaben hätten die Zuwendungen der Beklagten an die Einrichtung keine Binnenmarktrelevanz.

In der Region sind auch andere Pflege- und Altenheime vorhanden, so dass der Markt nicht gestört ist.

Gegen eine beeinträchtigende Wirkung der Zuwendungen spricht nach Auffassung des Gerichts auch die Anzahl der Pflege- und Altenheime in der Region Regensburg. Nach den Feststellungen des Landgerichts hätten sich dort 2016 insgesamt 37 untereinander vergleichbare Pflegeheime befunden. Dies zeige, dass die dem Pflegeheim gewährten Zuwendungen einen Markteintritt oder ein Bestehen am Markt von Unternehmen mit vergleichbarem Angebot nicht erschwere.

Da die angegriffenen Maßnahmen nicht geeignet seien, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, brauchten die anderen kumulativen Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, insbesondere die hier problematischen Tatbestandsmerkmale der Begünstigung und der Wettbewerbsverfälschung nicht mehr geprüft zu werden.

Fazit:

Aus kommunaler Sicht ist die neuerliche Entscheidung zu begrüßen. Das Vorliegen einer tatbestandlichen Beihilfe wird überzeugend verneint, weil die Beihilfe den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt. Nach dem OLG Stuttgart (Urt. v. 23.03.2017, 2 U 11/14) und dem Bundesgerichtshof (Entscheidung zur Krankenhausfinanzierung in der Rechtssache Kreiskliniken Calw) bestätigt ein weiteres Obergericht die neue Linie der EU-Kommission. Allerdings steht eine Entscheidung zu dieser neuerlichen Auslegung des AEUV durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch aus. Insoweit besteht noch eine rechtliche Unsicherheit. Dem EuGH liegt derzeit ein Fall zur Entscheidung vor (Santa Casa da Misericordia de Tomar, Portugal, SA. 38920 Rs. T 813/16). Um endgültige Klarheit zu erreichen, bleibt diese Entscheidung abzuwarten.

 

 

Heinrich Albers

Beigeordneter beim Niedersächsischen Landkreistag a. D., Sarstedt
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