24.05.2018

Im gesellschaftlichen Diskurs

Kriminalität von Zuwanderern und die Wahrnehmung von Kriminalität

Im gesellschaftlichen Diskurs

Kriminalität von Zuwanderern und die Wahrnehmung von Kriminalität

Straftaten und insbesondere Gewalttaten durch Zuwanderer sind ein Politikum. | © Marco2811 - Fotolia
Straftaten und insbesondere Gewalttaten durch Zuwanderer sind ein Politikum. | © Marco2811 - Fotolia

Straftaten und insbesondere Gewalttaten durch Zuwanderer sind ein Politikum. Nach jüngster Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) rechnet die Polizei mittlerweile jede achte Gewalttat in dem Bundesland einem Flüchtling zu. Entsprechend lesen sich Pressemeldungen, die von Gewalt im öffentlichen Raum berichten und durch die Täterbeschreibung oder auch Nennung der Herkunft und des Aufenthaltsstatus in der Öffentlichkeit einen Anstieg suggerieren. Einzelne Tötungsdelikte wie in Kandel oder Prozesse gegen asylsuchende Beschuldigte verstärken diese Wahrnehmung. Es wird zunehmend eine Stimmung in der Gesellschaft spürbar, die von Angst und Verunsicherung geprägt ist und die in Wut umzuschlagen droht.

Kriminalität im Kontext Zuwanderung

Das Bundeskriminalamt (BKA) gibt quartalsweise einen Lagebericht „Kriminalität im Kontext Zuwanderung“ heraus, der aktuelle stammt vom 16. Januar 2018 und umfasst den Zeitraum vom 1.1. – 30.9.2017. Als Zuwanderer werden in dieser Statistik Asylbewerber, Asylberechtigte, Geduldete, Kontingentflüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber gezählt. Anerkannte Flüchtlinge, die in Deutschland schon Asyl nach dem Grundgesetz oder Flüchtlingsschutz gemäß den Genfer Konventionen erhalten, werden nicht berücksichtigt.

Seit Januar 2015 wurden insgesamt etwa 1.310.000 Asylsuchende registriert (2015: 890.000, 2016: 280.000 und 2017 (bis 30.9.): 140.000). Im Berichtszeitraum des Jahres 2017 wurden insgesamt 203.900 Fälle im Zusammenhang mit versuchten und vollendeten Straftaten registriert, bei denen mindestens ein Zuwanderer als Tatverdächtiger erfasst wurde. Die monatlichen Fallzahlen für diesen Zeitraum lagen somit im Durchschnitt bei 22.700 Fällen pro Monat, mit einem bisherigen Höchststand von 25.300 Fällen im Monat März 2017. Den größten Anteil mit errechnet ca. 59.130 Fällen (29 %) stellen Vermögens- und Fälschungsdelikte dar (davon fallen über 50 % Fälle in den Bereich der Beförderungserschleichung). 24 % der erfassten Delikte sind sog. Rohheitsdelikte; bei den ca. 48.940 erfassten Fällen handelt es sich meistens um  Körperverletzungsdelikte. Diebstahl stellt mit 22 % der erfassten Fälle (etwa 44.860)  den drittgrößten Deliktsbereich dar; in der Mehrheit handelte es sich dabei um Fälle von Ladendiebstahl. Rauschgiftdelikte machen neun Prozent der erfassten Delikte aus (ca. 18.350 Fälle). Sexualdelikte stellen mit rund 3.470 registrierten Fällen 1,7 % der erfassten Straftaten dar, in denen ein Zuwanderer als Täter ermittelt wurde, was im Schnitt ca. 385 Fälle pro Monat und 12-13 Fälle pro Tag bedeutet. Den geringsten Anteil stellen Straftaten gegen das Leben mit 0,16 Prozent der erfassten Fälle im Berichtszeitraum dar, was errechnet 326 Fälle bedeutet.


Diese Erfassung ist jedoch nur bedingt aussagekräftig. Zum einen fehlen zu dem Berichtszeitraum von neun Monaten noch die Gesamtzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), um den aktuellen Anteil der Delinquenz durch Zugewanderte ermessen und in Relation zu anderen Gruppen von Tatverdächtigen setzen zu können. Dies wird mit Veröffentlichung der Gesamtjahreszahlen 2017 und der Veröffentlichung der PKS 2017 (zu erwarten im April oder Mai 2018) darstellbar werden. Jedoch erfahren sämtliche Abbildungen ihre Grenze in dem Aspekt, dass es sich bei ermittelten Tatverdächtigen zum einen nicht um tatsächlich festgestellte bzw. verurteilte Täter handelt, sondern lediglich um solche, denen die Tat aufgrund eines Tatverdachts zugerechnet wird. Andererseits sind keine Fälle erfasst, in denen kein Tatverdächtiger namentlich im entsprechenden Berichtszeitraum ermittelt werden konnte, was aber nicht bedeutet, dass die Tat von einer Person begangen wurde, die dem Personenkreis, der unter dem Begriff Zuwanderer subsumiert wird, zuzuordnen ist. Mit anderen Worten: Die Darstellungen zur Kriminalität im Kontext Zuwanderung stellen kein Abbild der Realität dar, sondern sind als tatnächste Statistik zu begreifen.

Kriminalität im öffentlichen Raum

Neben den Zahlen durch das BKA und die darauf basierenden Untersuchungen des KFN für Niedersachsen existieren weitere Faktoren, die das Kriminalitätsaufkommen messbar, in jedem Fall jedoch fühlbar machen können. Insbesondere Pressemeldungen können die Wahrnehmung von Kriminalität beeinflussen. Für eine Auswertung kämen die Pressemeldungen der Polizei in Betracht, die auf Schlagworte und Merkmalsbeschreibungen von Tatverdächtigen hin ausgewertet werden könnten. Eine solche Auswertung könnte im Kontext zu den durch das BKA ermittelten Daten untersucht werden, um mehr über mögliche Tätergruppen in Erfahrung zu bringen. Doch auch völlig ohne jegliche Auswertungen beeinflussen Medienberichte das Sicherheitsempfinden.

Schlagzeilen von gewalttätigen Übergriffen, Überfällen, Massenschlägereien und besonders Angriffe mit Stichwaffen an öffentlichen Orten führen zu einer gefühlten Gegenwärtigkeit von Kriminalität und steigern damit die individuelle Kriminalitätsfurcht. Insbesondere in sozialen Netzwerken wird deutlich, dass diese Kriminalitätsfurcht immer häufiger zum Thema auch im eigenen, virtuellen Freundeskreis wird. Dieser Eindruck wird zusätzlich verstärkt, wenn das Interesse an solchen Beiträgen (durch Anklicken oder „Liken“ festgestellt) mittels Algorithmen immer wieder in die persönliche Wahrnehmung gerät.

Und auch die Polizei und deren gewerkschaftliche Vertretungen sprechen von Kriminalitätsphänomenen, die sie verstärkt durch Menschen mit Migrationshintergrund erleben. So seien beispielsweise nach Angaben der Deutschen Polizei Gewerkschaft (DPolG) Zusammenschlüsse nach Ethnien oder Clans zu beobachten, die im öffentlichen Raum aufeinander losgingen. Die Gefahr für die eingesetzten Beamten und deren körperliche Unversehrtheit, aber auch die Angst Unbeteiligter, in einen solchen und regelmäßig mit Bewaffnung geführten Kampf zu geraten, steige an. Dies führe auch dazu, dass Orte gemieden werden würden.

Ein weiteres Phänomen, das in der Wahrnehmung deutlich zunimmt, stellen Messerattacken dar. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert nun eine spezielle „Messer-Statistik“, da diese Angriffe für Polizisten immer häufiger zu einer Bedrohung werden. Inwiefern es sich hierbei um ein Delikt handelt, das vor allem von Zuwanderern begangen wird oder in einem Zusammenhang mit kulturellen Spezifika steht, ist nicht klar. In der Wahrnehmung der Menschen, die Nachrichten aus unterschiedlichen Quellen beziehen und sich via Internet und damit ortsunabhängig austauschen, vermischen sich all diese Faktoren zu einer Gesamtgegenwärtigkeit von Kriminalität bzw. der Bedrohung im öffentlichen Raum, die im Zusammenhang mit Zuwanderung (völlig unabhängig von der Arbeitsdefinition des BKA für Berichtszwecke) steht.

Fazit

Dass Kriminalität von einer Gruppe der Zuwanderer häufiger begangen wird als von anderen Bevölkerungsgruppen, steht im Raum und bedarf der Erklärung. Als ein relevanter Faktor werden Geschlecht und Altersstruktur der unter den Zuwanderern registrierten Tatverdächtigen bewertet: Denn der größte Teil seien junge Männer unter 35 Jahren, die generell und völlig unabhängig von ihrer Herkunft für einen Großteil verübter Kriminalität zuständig wären. Die Korrelation von Herkunft mit Deliktspezifika sowie situative Aspekte von Gewalt und Kriminalität werden dabei weitestgehend außer Acht gelassen.

Während sich Kriminologen nun um die Zahlen und deren Interpretationsspielraum und eine mögliche Veränderung in der Anzeigebereitschaft einerseits und der subjektiven Wahrnehmung durch Medienbeeinflussung andererseits streiten, ist Kriminalität an sich zunächst Fakt und verunsichert Menschen. Dies kann auf täglichen Meldungen basieren oder aber auch durch besondere einzelne Taten beeinflusst werden, die besondere Aufmerksamkeit erhalten (wie beispielsweise das Tötungsdelikt gegen die 15-jährige Mia in Kandel, die ermordete Maria L. in Freiburg oder die Vergewaltigung in der Bonner Siegaue).

Das Misstrauen in der Bevölkerung, dass der Staat und seine Exekutive nicht mehr in der Lage seien, die Menschen zu schützen, scheint anzuwachsen. Angst und empfundene Hilflosigkeit führen nicht selten zu Wut. Am 28. Januar fand in Kandel eine Demonstration statt, die genau dies zum Ausdruck bringen sollte. Obwohl als Veranstalter neben einer Frauenorganisation auch Personen mit Bezug zur Alternative für Deutschland (AfD) dazu aufriefen, nahmen etwa 1.000 Menschen daran teil. Die Sicherheitslage in Deutschland wird zunehmend als fragil wahrgenommen, Antworten aus der Politik scheinen immer weniger auszureichen, um das persönliche wie kollektive Sicherheitsgefühl zu stärken. Diese Lage sollte allgemein ernst genommen werden und sich nicht in der Diffamierung von Angstgefühlen erschöpfen, denn dies vermag selbigen nicht nachhaltig entgegenzuwirken.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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