Kein grundrechtlich fundierter „Ehrenschutz des Staates“
Zur Tragweite des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung
Kein grundrechtlich fundierter „Ehrenschutz des Staates“
Zur Tragweite des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) reiht sich ein in eine Abfolge wichtiger Grundsatzentscheidungen der letzten Zeit.1Z. B. BVerfG, Urt. v. 15.11.2023 – 2 BvF 1/22 – „Nichtigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021“. Die nachhaltige Resonanz im fachwissenschaftlichen, politischen wie auch gesellschaftlichen Raum zeigt, dass den Ausführungen des BVerfG zur Tragweite des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung schon jetzt ein (mindestens) ebenso hoher Stellenwert beigemessen wird, wie es etwa im Jahr 1999 hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Fall war.2BVerfG, Urt. v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96 – „Caroline von Monaco – Bildberichterstattung“.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Im August 2023, gut zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, veröffentlichte das Nachrichtenportal „Nius“ einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Darin ging es um Entwicklungshilfe, welche die Bundesregierung an das nun – so Nius – „von der Terrorgruppe regierte Land“ zahle: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwicklungshilfe im Land bereitgestellt.“ hieß es im Artikel. Der Journalist J. R. bewarb diesen Artikel kurz danach auf X (ehemals Twitter) von seinem persönlichen Account aus. Neben einem Link zum Artikel schrieb er: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Wenige Tage danach ließ die Bundesregierung – hier vertreten durch das von Svenja Schulze (SPD) geleitete Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – ihn per anwaltlichem Schriftsatz abmahnen, da es sich bei seinem Post auf X um eine falsche Tatsachenbehauptung handele. Er hat hiergegen im Ausgangsverfahren keinen Widerspruch eingelegt.
Nach Ablauf der gesetzten Frist beantragte das Ministerium eine einstweilige Verfügung gegen den Journalisten, die Äußerung zu unterlassen. Der Antrag wurde zunächst durch das Landgericht (LG)3LG Berlin, Beschl. v. 04.10.2023 – 27 O 410/23. zurückgewiesen, hatte dann jedoch vor dem Kammergericht (KG)4KG, Beschl. v. 14.11.2023 – 10 W 184/23. Erfolg; das KG untersagte ihm, die Äußerung aus seinem Post im August 2023 weiter zu verbreiten oder zu veröffentlichen, da es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handele, die dazu geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland bzw. des Bundesministeriums und deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Der Journalist erhob gegen den KG-Beschluss Verfassungsbeschwerde, und rügte eine Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die 1. Kammer des Ersten Senats befand einstimmig, dass der Beschluss des KG erkennbar „den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung“ verfehle und den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletze. Die Verfassungsbe-schwerde sei i. S. v. §93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG „offensichtlich begründet“.5Das BVerfG hob daraufhin den Beschluss des KG auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das KG zurück. Mittlerweile hat das Bundesministerium erklärt, es „respektiere die Entscheidung“ des BVerfG und werde „die Sache nicht mehr weiterverfolgen“.
Zivilrechtsschutz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts
Juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen herabsetzende Äußerungen lediglich in eingeschränktem Umfang eröffnet, denn dem Staat kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Während in Fällen, in denen sich die Meinungsfreiheit des Äußernden und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen gegenüberstehen, die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung regelmäßig eine ordnungsgemäße Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits voraussetzt6Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79., hat der Staat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats.7BVerfG, Beschl. v. 15.09.2008 – 1 BvR 1565/05 – und v. 28.11.2009 – 1 BvR 917/09.
Zwar dürfen grundsätzlich – wie sich ausweislich § 194 Abs. 3 Satz 2 StGB etwa in der Schutznorm des § 185 StGB niederschlägt – auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen.8So BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen.9BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 – 2 BvE 1/16: „Ein ,Recht auf Gegenschlag‘ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht nicht.“ Tritt der Zweck, die öffentliche Anerkennung zu gewährleisten, die erforderlich ist, damit staatliche Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können, in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, erlangt der Einfluss von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG daher gesteigerte Bedeutung.10Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 28.04.1970 – 1 BvR 690/65. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.11Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09 – und v. 04.04.2024 – 1 BvR 820/24.
Den gesamten Beitrag lesen Sie in der FstBW Heft 01/2025.
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- 1Z. B. BVerfG, Urt. v. 15.11.2023 – 2 BvF 1/22 – „Nichtigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021“.
- 2BVerfG, Urt. v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96 – „Caroline von Monaco – Bildberichterstattung“.
- 3LG Berlin, Beschl. v. 04.10.2023 – 27 O 410/23.
- 4KG, Beschl. v. 14.11.2023 – 10 W 184/23.
- 5Das BVerfG hob daraufhin den Beschluss des KG auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das KG zurück. Mittlerweile hat das Bundesministerium erklärt, es „respektiere die Entscheidung“ des BVerfG und werde „die Sache nicht mehr weiterverfolgen“.
- 6Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79.
- 7BVerfG, Beschl. v. 15.09.2008 – 1 BvR 1565/05 – und v. 28.11.2009 – 1 BvR 917/09.
- 8So BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91.
- 9BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 – 2 BvE 1/16: „Ein ,Recht auf Gegenschlag‘ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht nicht.“
- 10Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 28.04.1970 – 1 BvR 690/65.
- 11Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09 – und v. 04.04.2024 – 1 BvR 820/24.