03.07.2025

Die Beteiligung der Gemeinde im bauaufsichtlichen Verfahren

Eine Betrachtung des § 36 BauGB

Die Beteiligung der Gemeinde im bauaufsichtlichen Verfahren

Eine Betrachtung des § 36 BauGB

Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

§ 36 BauGB räumt den Gemeinden das Recht ein, an bauaufsichtlichen Verfahren für Vorhaben, die ihre Planungshoheit berühren, beteiligt zu werden, indem die Zulässigkeit von bestimmten Bauvorhaben an das Vorliegen des gemeindlichen Einvernehmens geknüpft wird. Dies dient der Gewährleistung der Planungshoheit der Gemeinde. Rechtsfragen um das gemeindliche Einvernehmen sind immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, was ein Beleg nicht nur für die hohe Praxisrelevanz derartiger Fragen ist, sondern auch die Konfliktanfälligkeit der gemeindlichen Beteiligung am Baugenehmigungsverfahren zeigt.

I. Einleitung

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Diese Mitwirkungsbefugnis dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit als besondere Ausprägung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, Art. 28 Abs. 2 GG.1 Zweck des § 36 BauGB ist es also, den Gemeinden bei der Genehmigung von Bauvorhaben – da durch jedes Bauvorhaben in gewissem Umfang die Planungshoheit berührt wird – die Mitwirkung auch in den Fällen zu sichern, in denen kein Bebauungsplan vorliegt oder von einem vorhandenen Bebauungsplan abgewichen werden soll.2 Als sachnahe und fachkundige Behörde soll die Gemeinde an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen mitentscheidend beteiligt werden.3

Verfahrensrechtlich wird dieses Beteiligungsrecht der Gemeinde dadurch sichergestellt, dass diese im – landesrechtlich im Bauordnungsrecht geregelten – Baugenehmigungsverfahren eingebunden ist.


Wenn § 36 BauGB der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit dient, steht die Vorschrift damit aber auch gleichzeitig aber auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Baufreiheit des Bürgers und dem Anliegen der Verfahrensbeschleunigung.4 Daraus resultiert eine Reihe von Rechtsfragen in dem Dreier-Verhältnis zwischen Gemeinde, staatlichen Baugenehmigungsbehörden und Bauinteressenten, etwa die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Einvernehmen versagt werden darf, die Frage nach einer Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens bei (rechtswidriger) Verweigerung oder die Frage nach den Möglichkeiten der Gemeinde, gegen eine Ersetzung des Einvernehmens vorzugehen. Nicht zuletzt wirft eine rechtswidrige Versagung des Einvernehmens Haftungsfragen auf. Bevor auf diese und weitere Fragen eingegangen wird, soll zunächst ein Blick auf die Einbindung der Gemeinde in das Baugenehmigungsverfahren und auf den Anwendungsbereich des § 36 BauGB geworfen werden.

II. Verfahrensmäßige Einbindung der Gemeinde

Die verfahrensrechtliche Einbindung der Gemeinde in das Baugenehmigungsverfahren stellt sich in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich dar, da die Frage, bei welcher Stelle ein Bauantrag einzureichen ist, in den Landesbauordnungen nicht einheitlich geregelt ist. Eine Einreichung bei der (unteren) Bauaufsichtsbehörde sieht z. B. die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vor (§ 70 Abs. 1 BauO NW). Um die Einbindung der Gemeinde zu gewährleisten, bestimmt dann § 71 Abs. 1 Satz 5 BauO NW, dass die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag der Gemeinde zuzuleiten hat. Ähnliche Bestimmungen enthalten etwa die Bauordnung für Berlin (§§ 68, 69 BauO Bln), die Brandenburgische Bauordnung (§§ 68, 69 Bbg BO) oder die Hessische Bauordnung (§§ 69, 70 HBO). In der Praxis wird mit der Zuleitung des Bauantrags das Ersuchen um die Erteilung des Einvernehmens verbunden, was die Zweimonatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB in Gang setzt. In Bayern ist der Bauantrag hingegen bei der Gemeinde einzureichen, Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Weiter ist in Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BayBO bestimmt, dass die Gemeinde den Bauantrag, sofern sie nicht selbst zur Entscheidung zuständig ist, mit ihrer Stellungnahme unverzüglich bei der Bauaufsichtsbehörde vorlegt.

Die Landesbauordnung Baden-Württemberg5 bestimmt, dass ein Bauantrag „bei der Baurechtsbehörde” einzureichen ist (§ 53 Abs. 1 Satz 1 LBO BW). Grundsätzlich sind die unteren Baurechtsbehörden sachlich zuständig (Art. 48 Abs. 1 LBO BW). Untere Baurechtsbehörden sind gem. § 46 Abs. 1 Nr. 3 LBO die unteren Verwaltungsbehörden und unter bestimmten Voraussetzungen auch Gemeinden (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 LBO BW i. V. m. § 46 Abs. 4 LBO BW). Ist die Gemeinde nicht selbst Baurechtsbehörde, wird sie – so § 53 Abs. 3 LBO BW – zum Bauantrag gehört. Auf diese Weise wird ihre Einbindung in das Baugenehmigungsverfahren sichergestellt.

III. Anwendungsbereich des § 36 BauGB

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Gemeinde einzubinden bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB; es geht also um die Fälle, in denen sie ihre Planungshoheit bisher nicht oder nur unvollständig ausgeübt hat (§§ 33 bis 35 BauGB) bzw. das Vorhaben den (Regel-)Festsetzungen eines bestehenden Bebauungsplans widerspricht (§ 31 BauGB).6

Nicht einvernehmenspflichtig sind – konsequent – Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB) oder eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 BauGB), die diesem Bebauungsplan entsprechen, also ohne Ausnahme oder Befreiung (§ 31 BauGB) zugelassen werden können. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass für diese Fälle die Gemeinde bereits im qualifizierten Bebauungsplan abschließend über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit dieser Vorhaben entschieden hat, sodass dann ihre Planungshoheit nicht nochmals und erneut gefordert ist. Davon unberührt bleibt aber ein sich aus § 36 Abs. 1 Satz 3 BauGB ergebendes und nach Landesrecht zu regelndes Informationsrecht der Gemeinde, das in Baden-Württemberg durch § 53 Abs. 3 LBO BW gewahrt ist.

Das gemeindliche Einvernehmen ist erforderlich bei „bauaufsichtlichen Verfahren”. Dazu gehört neben dem regulären Baugenehmigungsverfahren das Zustimmungsverfahren bei Bauten öffentlicher Bauherren (§ 70 LBO BW) oder das Bauvorbescheidsverfahren (§ 57 LBO BW), sofern der beantragte Vorbescheid eine bauplanungsrechtliche Frage zum Gegenstand hat.7 Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB bedarf es des Einvernehmens auch dann, wenn die Zulassung in einem anderen als einem bauaufsichtlichen Verfahren erfolgt, bspw. dann, wenn in einem immissionsschutzrechtlichen Verfahren – das nach § 13 BImSchG die Baugenehmigung einschließt (Konzentrationswirkung) – über die Zulassung einer baulichen Anlage entschieden wird.8

Nicht erforderlich ist das Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB bei Vorhaben, die der Bergaufsicht unterliegen; diese Ausnahme beschränkt sich auf Vorhaben, über deren bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in der bergrechtlichen Betriebsplanzulassung entschieden wird.9 Ausnahmen ergeben sich auch in den Fällen der sog. privilegierten Fachplanungen nach § 38 BauGB, weil diese Norm die Anwendbarkeit der §§ 29 bis 37 BauGB – und damit auch des § 36 BauGB – ausschließt. Ferner entfällt – im strengen Sinne – die Einvernehmenspflicht bei den von § 37 Abs. 1 BauGB erfassten besonderen Bauvorhaben des Bundes und der Länder, weil hier das – obwohl erforderlich – fehlende gemeindliche Einvernehmen nur zur Verlagerung der Zuständigkeit für die Genehmigungsentscheidung auf die höhere Verwaltungsbehörde führt.10 Entsprechendes gilt für die bis 31.12.2027 befristete Sonderregelung in § 246 Abs. 14 BauGB, die an § 37 BauGB angelehnt ist und spezielle Bestimmungen für Flüchtlingsunterkünfte enthält. Auch hier findet eine Zuständigkeitsverlagerung auf die höhere Verwaltungsbehörde statt und die Gemeinde ist lediglich anzuhören. Dies führt zu keiner allgemeinen Einschränkung oder gar Beseitigung der kommunalen Planungshoheit. Die Vorschrift ermöglicht lediglich für einzelne Vorhaben, und damit in einem räumlich streng abgegrenzten Gebiet, die Planungshoheit der jeweils betroffenen Gemeinde zu überwinden.11

IV. Rechtsnatur und Rechtswirkungen des gemeindlichen Einvernehmens

1. Verwaltungsinternum mit Bindungswirkung

Die Erteilung bzw. Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens ist ein reines Verwaltungsinternum12 und stellt damit mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt dar13. Die Ausgestaltung als Verwaltungsinternum hat den Zweck, im Interesse auch des Bauantragstellers die baurechtliche Prüfung des Vorhabens in einem einzigen Verfahren zusammenzufassen. Bei dieser Konzentration will das Gesetz durch den Einvernehmungsvorbehalt eine echte Mitentscheidungskompetenz der – nur verwaltungsintern – mitwirkenden Gemeinde sichern.14

Einvernehmen ist die stärkste Form der Mitwirkung und fordert – anders als „Anhörung” oder „Benehmen” – die Herstellung einer Willensübereinstimmung zwischen der Gemeinde und der Bauaufsichtsbehörde.15 Damit bedeutet Einvernehmen nichts anderes als Zustimmung. Die Genehmigungsbehörde darf daher nicht gegen den Willen der zur Mitwirkung berufenen Behörde die Genehmigung erteilen:16 Die Gemeinde hat bei rechtzeitiger Versagung des Einvernehmens im Genehmigungsverfahren generell einen Anspruch darauf, dass die Untere Bauaufsichtsbehörde keine nach den Anforderungen der §§ 29 ff. BauGB nicht genehmigungsfähigen Bauvorhaben zulässt.17

Die rechtliche Einordnung des Einvernehmens als Verwaltungsinternum hindert nicht die Annahme einer Bindung der Baugenehmigungsbehörde an die Versagung des Einvernehmens. Vielmehr sichert der Einvernehmensvorbehalt der – wenn auch nur verwaltungsintern – mitwirkenden Gemeinde eine echte Mitentscheidungskompetenz.18 Verweigert daher die Gemeinde ihr Einvernehmen, darf die Genehmigungsbehörde die Baugenehmigung nicht erteilen.19 Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinde das Einvernehmen zu Unrecht versagt hat.20 In einem solchen Fall besteht aber die Möglichkeit, das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen zu ersetzen (näher dazu unten VIII.).

Allerdings zwingt das von der Gemeinde erteilte Einvernehmen die Baugenehmigungsbehörde nicht zu einer positiven Entscheidung über den Bauantrag. Sie kann daher die Baugenehmigung trotz des von der Gemeinde erteilten Einvernehmens versagen, wenn sie selbst das Vorhaben für unzulässig hält.21

2. Bindungswirkung gegenüber der Gemeinde selbst

Die Gemeinde kann ihr einmal erteiltes oder nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB fingiertes Einvernehmen nicht mehr „zurücknehmen” oder „widerrufen”, da dies den Sinn der Vorschrift, innerhalb der Zweimonatsfrist klare Verhältnisse über die Einvernehmenserteilung der Gemeinde zu schaffen, leerlaufen lassen würde.22 Teilweise wird aber die Ansicht vertreten, dass jedenfalls bis zum Ablauf der Zweimonatsfrist ein Widerruf des zunächst erklärten Einvernehmens zulässig ist.23 Die Gemeinde wird durch die Erteilung ihres Einvernehmens zu einem Bauvorhaben allerdings nicht gehindert, eine dem Vorhaben widersprechende Bauleitplanung zu betreiben und sie durch eine Veränderungssperre zu sichern.24

Ist die Gemeinde selbst Baugenehmigungsbehörde, so gibt es kein „Einvernehmen mit sich selbst”. Abweichend von früherer Rechtsprechung hat das BVerwG 2004 entschieden, dass in solchen Fällen die Gemeinde die Ablehnung eines Bauantrags nicht mit der Versagung ihres Einvernehmens begründen darf.25 Dadurch wird der Gemeinde aber nicht die Befugnis abgeschnitten, sich (gegenüber der Widerspruchsbehörde) auf den Schutz der materiell-rechtlichen Planungshoheit zu berufen, sodass etwa die Voraussetzungen des § 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin auch dann in vollem Umfang nachzuprüfen sind, wenn die Gemeinde mit der Baugenehmigungsbehörde identisch ist.26

V. Versagungsgründe

1. Bauplanungsrechtliche Gründe

Die Erklärung der Gemeinde zur Versagung des gemeindlichen Einvernehmens muss eindeutig und zweifelsfrei erfolgen.27 Dabei darf die Gemeinde nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB das Einvernehmen nur aus solchen Gründen versagen, die sich aus den §§ 31, 33 bis 35 BauGB ergeben, also dann, wenn das Vorhaben bereits aufgrund dieser Zulässigkeitsvorschriften bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig ist. Die Vorschrift macht deutlich, dass es insoweit nicht darauf ankommt, ob die Gemeinde durch die jeweiligen bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeitsgründe zugleich in eigenen, rechtlich geschützten Interessen (nachteilig) berührt ist.28 Insbesondere ist es der Gemeinde verwehrt, ihr Einvernehmen deshalb zu versagen, weil das Vorhaben ihren Planungsvorstellungen nicht entspricht29 oder weil sie bspw. generell gegen die Errichtung von Windkraftanlagen in ihrem Gemeindegebiet ist30.

Im Hinblick auf die Genehmigungsvoraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB kann die Gemeinde aber in Bezug auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal die Erteilung des Einvernehmens verweigern.31 Daher kann die Gemeinde z. B. bei einem Außenbereichsvorhaben ihr Einvernehmen aus jedem Grund verweigern, aus dem sich gem. § 35 BauGB die Unzulässigkeit des Vorhabens ergibt.32 So kann sie etwa geltend machen, dass das Vorhaben nicht privilegiert sei, öffentlichen Belangen im Sinne des § 35 BauGB widerspreche oder seine Erschließung nicht gesichert sei. Insbesondere das Recht, das Einvernehmen zu verweigern, wenn das Vorhaben solchen öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 BauGB widerspricht, die überörtlichen Ebenen angehören und nicht speziell dem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind, wie bspw. die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, des Immissionsschutzes oder die Ziele der Raumordnung, stellt eine weitergehende, nur durch § 36 BauGB begründete verfahrensrechtliche Position dar.33 Zu den Versagungsgründen gehören außerdem etwa auch die Belange der Funktionsfähigkeit von Radaranlagen (§ 35 Abs. 3 Nr. 8 BauGB).34

Demgegenüber kann das Einvernehmen nicht aus Gründen verweigert werden, die sich aus dem Bauordnungsrecht ergeben, mithin auch nicht aus gestalterischen Erwägungen. Auch denkmalschutzrechtliche Gründe können eine Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nicht rechtfertigen.35

Die Verweigerung muss nicht begründet werden. Mit Gründen, die die Gemeinde nicht aufgeführt hat, ist sie in einem späteren Rechtsbehelfsverfahren nicht ausgeschlossen.36

2. Einvernehmen und gemeindliches Planungsermessen

Wenngleich die Regelung des § 36 Abs. 1 BauGB dem Schutz der gemeindlichen Planungshoheit dient, steht der Gemeinde dennoch bei der Entscheidung über das Einvernehmen nicht stets Planungsermessen oder planerische Gestaltungsfreiheit zu. Ob dies der Fall ist, die Gemeinde also bei ihrer Entscheidung über das Einvernehmen in einem gewissen Umfang frei ist, hängt davon ab, ob die jeweils anzuwendende bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsvorschrift ihr eine solche Freiheit eröffnet. Das ist bspw. bei Ausnahmen und Befreiungen (§ 31 BauGB) anzunehmen37, nicht aber bei den rechtlich gebundenen Zulässigkeitstatbeständen, etwa bei der Frage, ob ein Bauvorhaben sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB „einfügt” oder ob ein Vorhaben im Außenbereich öffentliche Belange „beeinträchtigt” (§ 35 Abs. 2 BauGB) oder ihm solche Belange „entgegenstehen”38.

VI. Gemeindeinterne Zuständigkeit

Welchem Organ der Gemeinde die Erteilung des Einvernehmens obliegt, richtet sich nach dem jeweiligen Kommunalrecht.39 Da § 36 BauGB dem Schutz der Planungshoheit dient, ist grundsätzlich dasjenige Organ zuständig, dem die Aufstellung von Bebauungsplänen obliegt, in der Regel also der Gemeinderat (vgl. § 24 Abs. 1 GemO).40 Der Gemeinderat kann diese Aufgabe jedoch auf einen Ausschuss (vgl. § 39 Abs. 1 GemO) oder den Bürgermeister übertragen. Fraglich ist, ob die Erteilung des Einvernehmens ein Geschäft der laufenden Verwaltung (§ 44 Abs. 2 Satz 1 GemO) sein kann.41 Sofern man dies bejaht, wird es dabei auf die Bedeutung des Mitwirkungsakts, d. h. die Auswirkungen der Baumaßnahme, und die Größe der Gemeinde ankommen. Danach dürfte die Erteilung des Einvernehmens in größeren Gemeinden in Fällen ohne besondere Bedeutung ein Geschäft der laufenden Verwaltung sein, soweit der Gemeinde dabei kein Ermessen eingeräumt ist.42

VII. Die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB

Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen als erteilt, wenn es nicht binnen zweier Monate nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde dieser gegenüber verweigert wird. Die Frist ist nach § 31 Abs. 1 VwVfG i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB zu berechnen und beginnt mit dem Eingang des Ersuchens bei der Gemeinde bzw. in den Fällen des zweiten Halbsatzes mit dem Eingang des Bauantrags bei der Gemeinde. Das Ersuchen der Baurechtsbehörde ist damit entbehrlich, wenn die Gemeinde den Bauantrag bereits kennt, weil er bei ihr gestellt worden ist.43

In Verfahren zur Genehmigung von baulichen Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, ist die Frist gemäß dem seit 24.10.2015 geltenden § 246 Abs. 15 BauGB auf einen Monat verkürzt44, wobei diese Sonderbestimmung nur bis 31.12.2027 gilt.

Für die Rechtzeitigkeit der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der gemeindlichen Entscheidung bei der Genehmigungsbehörde an45, wofür im Zweifel die Gemeinde die Beweislast trifft; bei Fristversäumung ist die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung (§ 32 VwVfG) nicht gegeben46. Bei Fristversäumung ist die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung (§ 32 VwVfG) nicht gegeben. Dies folgt zum einen daraus, dass § 32 VwVfG nicht für Fristen im verwaltungsinternen Verkehr zwischen verschiedenen Behörden gilt, und zum anderen aus dem im Interesse des Bauherrn und der Allgemeinheit verfolgten Beschleunigungszweck des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB.47 Wegen dieser Zweckbestimmung kann die Versagungsfrist auch nicht verlängert werden. Ebenso kann das fingierte Einvernehmen nicht zurückgenommen bzw. widerrufen werden.48

Die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB hindert die Gemeinde allerdings nicht, sich im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Genehmigung auf Umstände zu berufen, die erst nach Eintritt der Fiktion und vor Erteilung der Genehmigung entstanden sind und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens betreffen.49

Der Lauf der Frist setzt grundsätzlich voraus, dass der Gemeinde ein Baugesuch vorliegt, das mindestens so vollständig ist, dass die Gemeinde die Versagungsgründe nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB prüfen kann. Das BVerwG hat dies im Leitsatz 1 seines Urteils vom 16.09.2004 wie folgt ausgedrückt: „Aus Sinn und Zweck des Einvernehmenserfordernisses in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich, dass der Gesetzgeber der Gemeinde eine Entscheidung über ihr Einvernehmen auf der Grundlage in planungsrechtlicher Hinsicht vollständiger Antragsunterlagen (Bauvorlagen) ermöglichen will.”50 Die bloße Übermittlung der Kopie einer E-Mail mit einem Bauantrag bzw. einer Bauvoranfrage an die Gemeinde steht der förmlichen Einreichung bei dieser als „Gemeinde” im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 LBO BW wie auch im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BauGB nicht gleich. Dies folgt bereits aus dem Begriffsverständnis der in den beiden Vorschriften verwendeten Begriffs des „Einreichens”. Hierunter ist nach dem allgemeinen Verständnis das Übergeben eines Gegenstands an die dafür zuständige Instanz zur Prüfung oder Bearbeitung zu verstehen.51

[…]

IX. Rechtsschutzfragen

1. Rechtsschutz des Bauherrn

Da die Erteilung bzw. Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens ein reines Verwaltungsinternum ist, kann der durch die Versagung der Baugenehmigung aufgrund fehlenden Einvernehmens beschwerte Bauantragsteller nicht isoliert gegen das verweigerte Einvernehmen vorgehen, sondern erst gegen die Versagung der Baugenehmigung. In einem solchen Prozess, in dem inzident über die Rechtmäßigkeit der Versagung des Einvernehmens zu befinden ist, ist die Gemeinde notwendig beizuladen, § 65 Abs. 2 VwGO.66 Das Verwaltungsgericht ist, anders als die Baurechtsbehörde, nicht an die Versagung des Einvernehmens gebunden.67

2. Rechtsschutz der Gemeinde
a) Anfechtung einer ohne Einvernehmen erteilten Baugenehmigung

Ist der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB eröffnet, sichert die Vorschrift der Gemeinde ein Mitwirkungsrecht, das die Baugenehmigungsbehörde zu achten hat und dessen Wahrung im Klagewege erzwingbar ist. Die Norm zielt darauf ab, Verfahrensvorkehrungen zu schaffen, durch die eine Beeinträchtigung gemeindlicher Rechtspositionen von vornherein verhindert wird.68

Bereits die Missachtung des gesetzlich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen führt daher zur Aufhebung der Baugenehmigung; einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Rechtslage bedarf es nicht.69 Die Gemeinde kann daher eine Baugenehmigung, die ohne ihr – von der zuständigen Behörde nicht ersetztes – Einvernehmen erteilt worden ist, anfechten, weil die von § 36 BauGB eingeräumte Mitwirkungsbefugnis zum Schutz ihrer eigenen Rechte dient. Die Baugenehmigung muss in einem solchen Fall allein wegen des Verfahrensfehlers aufgehoben werden, ohne dass es darauf ankommt, ob der Bauherr einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung besitzt und die Gemeinde deshalb das Einvernehmen hätte erteilen müssen.70 Die Gemeinde hat generell einen Anspruch gegen die genehmigende Bauaufsichtsbehörde, dass diese keine nach den Anforderungen der §§ 29 ff. BauGB nicht genehmigungsfähigen Bauvorhaben zulässt, und kann diesen Anspruch bei rechtzeitiger Versagung eines Einvernehmens auch geltend machen.71

b) Anfechtung einer einvernehmensersetzenden Genehmigung

Die einvernehmensersetzende (Bau-)Genehmigung ist gegenüber der Gemeinde ein anfechtbarer belastender Verwaltungsakt.72 Ist das Einvernehmen rechtswidrig ersetzt worden, so fehlt es, und die Genehmigung ist auch hier allein wegen des fehlenden gemeindlichen Einvernehmens aufzuheben.73 Dabei kommt es für die Wirksamkeit der Verweigerung des Einvernehmens nicht darauf an, ob und ggf. mit welchen Argumenten sie begründet wurde.74

Im Übrigen können z. B. die auch dem Schutz der betroffenen Gemeinde dienenden Zulassungsvoraussetzungen des § 35 BauGB deren Klagebefugnis begründen; da zu diesen Voraussetzungen auch der öffentliche Belang der schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB) zählt, kann sich eine Gemeinde im Rahmen des § 36 BauGB auch auf eine fehlerhafte Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 UmwRG) berufen.75

c) Kein Suspensiveffekt, § 212 a BauGB

Rechtsmittel einer Gemeinde gegen eine Baugenehmigung, die ohne Einvernehmen bzw. unter Ersetzung des Einvernehmens erteilt wurde, haben gem. § 212 a BauGB keine aufschiebende Wirkung, denn „Dritter” im Sinne dieser Vorschrift ist auch eine Standortgemeinde.76 Für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in solchen Fällen nur Raum, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung mit Blick auf die Rechtsposition der Gemeinde ergibt.77

d) Isolierte Anfechtung der Ersetzungsentscheidung?

Eine Klage der Gemeinde gegen die Ersetzungsentscheidung als solche scheitert an § 44 a VwGO, da diese Entscheidung im Verhältnis zu dem eigentlichen Rechtsschutzziel der Gemeinde, die Verwirklichung des Vorhabens zu verhindern, als eine bloße Verfahrenshandlung zu qualifizieren ist, die nur im Zusammenhang mit der eigentlichen Sachentscheidung überprüft werden kann. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Entscheidung als gesonderter Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde oder in einem Akt zusammen mit der Baugenehmigung getroffen wird.78 Anderer Ansicht nach kann bzw. muss die Gemeinde sowohl gegen die Ersetzungsentscheidung als auch gegen die Baugenehmigung klagen, um zu verhindern, dass eine dieser Entscheidungen bestandskräftig wird.79 Diese Auffassung hat jedoch nicht nur § 44 a VwGO gegen sich, sondern widerspricht auch dem auf Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens gerichteten Zweck des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, dem eine selbständige Anfechtbarkeit der Ersetzungsentscheidung zuwiderliefe.80

3. Rechtsschutz einer Nachbargemeinde

Das Gebot der interkommunalen Abstimmung (§ 2 Abs. 2 BauGB) erlaubt es einer Nachbargemeinde, sich nicht nur gegen eine mit ihr nicht abgestimmte Bauleitplanung zu wehren, sondern in bestimmten Einzelkonstellationen auch gegen Einzelgenehmigungen. Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn die Gemeinde, in der das Vorhaben verwirklicht werden soll, bei einem bestimmten Bauvorhaben unter Missachtung des § 2 Abs. 2 BauGB in städtebaulich zurechenbarer Weise die Weichen in Richtung Zulassungsentscheidung gestellt hat81, wozu auch gehören kann, dass sie dem Bauinteressenten durch Erteilung des Einvernehmens nach § 36 BauGB einen Zulassungsanspruch verschafft.82

[…]

XI. Zusammenfassung

Das in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene gemeindliche Einvernehmen dient der Absicherung der gemeindlichen Planungshoheit, indem den Gemeinden bei der Genehmigung von Bauvorhaben die Mitwirkung auch in den Fällen gesichert wird, in denen kein Bebauungsplan vorliegt oder von einem vorhandenen Bebauungsplan abgewichen werden soll. Als sachnahe und fachkundige Behörde soll die Gemeinde an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen mitentscheidend beteiligt werden. Einvernehmen ist die stärkste Form der Mitwirkung und fordert die Herstellung einer Willensübereinstimmung zwischen der Gemeinde und der Bauaufsichtsbehörde. Allerdings zwingt das von der Gemeinde erteilte Einvernehmen die Baugenehmigungsbehörde nicht zu einer positiven Entscheidung über den Bauantrag. Sie kann daher die Baugenehmigung trotz des von der Gemeinde erteilten Einvernehmens versagen, wenn sie selbst das Vorhaben für unzulässig hält. Die Erteilung bzw. Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens ist ein reines Verwaltungsinternum, stellt also mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt dar.

Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB darf die Gemeinde das Einvernehmen nur aus solchen Gründen versagen, die sich aus den §§ 31, 33 bis 35 BauGB ergeben, also dann, wenn das Vorhaben bereits aufgrund dieser Zulässigkeitsvorschriften bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig ist. Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen als erteilt, wenn es nicht binnen zweier Monate nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde dieser gegenüber verweigert wird. Der Lauf der Frist setzt grundsätzlich voraus, dass der Gemeinde ein Baugesuch vorliegt, das mindestens so vollständig ist, dass die Gemeinde die Versagungsgründe nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB prüfen kann. Die Gemeinde kann ihr einmal erteiltes oder nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB fingiertes Einvernehmen nicht mehr „zurücknehmen” oder „widerrufen”. Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann die nach Landesrecht zuständige Behörde ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen. Vorgaben zum Verfahren der Ersetzung enthält § 54 LBO BW.

Für die Haftung bei rechtswidrig verweigertem Einvernehmen gilt seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 16.09.201095, dass grundsätzlich ausschließlich der Träger der Bauaufsichtsbehörde das Haftungsrisiko trägt. An die Stelle der bisherigen Amtspflicht der Gemeinde gegenüber dem Bauherrn, rechtmäßig über ihr Einvernehmen zu entscheiden, ist die Amtspflicht der Bauaufsichtsbehörde zur Ersetzung des rechtswidrig versagten gemeindlichen Einvernehmens getreten.

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Dr. Alfred Scheidler

Regierungsdirektor, Stv. Landrat des Landkreises Tirschenreuth, Landratsamt Neustadt an der Waldnaab
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