Planen und Bauen in Hochwassergebieten
Eine Bestandsaufnahme der Rechtslage mit Ausblick auf das Hochwasserschutzgesetz III
Planen und Bauen in Hochwassergebieten
Eine Bestandsaufnahme der Rechtslage mit Ausblick auf das Hochwasserschutzgesetz III

Nicht erst durch die Hochwasserkatastrophe 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist die aufgrund des Klimawandels immer dringlicher werdende Notwendigkeit des vorbeugenden Hochwasserschutzes überdeutlich geworden. Das geltende Regelungssystem des Hochwasserschutzrechts im Wasserhaushaltsgesetz geht im Kern auf das Hochwasserschutzgesetz 2005 zurück, welches ebenfalls als Reaktion auf eine solche Katastrophe, nämlich die Elbeflut 2002, erlassen worden war. Insbesondere durch die Umsetzung der EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie1 im Rahmen der WHG-Novelle 2009 und das Hochwasserschutzgesetz II 2017 als Folge der Überschwemmungen an Donau und Elbe ist dieses gesetzliche Schutzkonzept in der Folgezeit ausgeweitet und vertieft worden.2 Inzwischen liegt ein Referentenentwurf der Bundesregierung für ein Hochwasserschutzgesetz III3 vor, welcher aus den bekannten Gründen in der 20. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wurde, aber zumindest einen Hinweis auf die künftige Rechtsentwicklung geben kann. Im folgenden Beitrag soll unter Beschränkung auf die besonders praxisrelevanten Regelungen zum Planen und Bauen in Hochwassergebieten4 ein Überblick über die geltende Rechtslage und aktuelle Fragestellungen gegeben werden. Dabei werden auch kurz die in dem Referentenentwurf des HWSG III dazu vorgeschlagenen Änderungen dargestellt.
I.Anforderungen des Hochwasserschutzrechts an die Bauleitplanung
Der vorbeugende Hochwasserschutz ist eine Querschnittsmaterie, welche alle gesetzlichen Regelungsbereiche betrifft, in denen ein verbindlicher Ausgleich unterschiedlicher Raumnutzungsansprüche vorgenommen wird. Dies geht über den zentralen Normenbestand des Wasserhaushaltsgesetzes deutlich hinaus und erfasst auch das sonstige allgemeine und besondere Umweltrecht, das Fachplanungsrecht, insbesondere aber das Raumordnungsrecht und das Bauplanungsrecht.5 Insbesondere die konkretisierende Bauleitplanung hat aufgrund ihrer Außenverbindlichkeit und ihrer Scharnierfunktion zwischen den Ebenen der Raumordnung und der Vorhabenzulassung hier besondere Bedeutung. Anforderungen des Hochwasserschutzes an die Bauleitplanung ergeben sich aus dem oben genannten Grund nicht nur aus dem Wasserhaushaltsgesetz.
1.Generelle Anforderungen
Die Bauleitplanung unterliegt zunächst Anforderungen des Hochwasserschutzrechts, welche unabhängig von dem Regelungssystem des Wasserhaushaltsgesetzes sind, das zwischen den verschiedenen Gebietskategorien der Hochwassergebiete differenziert.
a)Raumordnungsrecht/Klimaschutz- und Klimaanpassungsrecht
Hier ist zunächst das Raumordnungsrecht zu nennen, welches die nachfolgende Bauleitplanung durch Ziele und Grundsätze steuert.6 Der vorbeugende Hochwasserschutz ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 Satz 8 ROG ein allgemeiner Grundsatz der Raumordnung, der als Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung durch Festlegungen in Raumordnungsplänen zu konkretisieren ist. Diese Konkretisierung erfolgt durch die Landesplanung und durch Festlegungen in regionalen Raumordnungsplänen in Gestalt von Zielen und Grundsätzen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ROG, insbesondere durch die Festlegung von Vorranggebieten gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ROG. Dabei finden sich regelmäßig textliche Festlegungen, durch die eine Bebauung in Hochwasserschutzgebieten bzw. eine darauf gerichtete Bauleitplanung kategorisch ausgeschlossen wird, ohne dass Ausnahmeregelungen für solche Planungsverbote vorgesehen sind. Damit enthalten solche Raumordnungspläne auf Landes- oder regionaler Ebene letztlich strengere Restriktionen als das Wasserhaushaltsgesetz, welches insbesondere in § 78 Abs. 2 WHG die Möglichkeit einer Ausnahme von dem Planungsverbot des § 78 Abs. 1 WHG vorsieht.7 Insofern stellt sich die Frage nach der materiell-rechtlichen Wirksamkeit solcher Festlegungen. In einer älteren Entscheidung des OVG Lüneburg8 wurde (unter anderem) der Verstoß eines Bebauungsplans gegen die zielförmigen Festlegungen des damaligen Landes-Raumordnungsprogramms, nach denen raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen in Vorranggebieten Hochwasserschutz nur in Ausnahmefällen zulässig waren, gerügt, wenngleich die Festlegungen nicht mit denen des § 31 b Abs. 4 WHG a. F. übereinstimmten. Dies wirft im Hinblick auf den Vorrang des Wasserhaushaltsgesetzes als Bundesgesetz Bedenken auf, da die Vorgaben des § 78 WHG für die Bauleitplanung und die Erteilung von Baugenehmigungen im Hinblick auf landesrechtliche Regelungen abweichungsfest sind und Verschärfungen oder Abschwächungen nicht zulassen. Solche landesrechtlichen Vorschriften, zu denen auch Landes- oder regionale Raumordnungspläne gehören, sind wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung unwirksam.9 Abgesehen davon gilt aber für raumordnungsrechtliche Ziele zum Hochwasserschutz die strikte Anpassungspflicht der Bauleitplanung gemäß § 1 Abs. 4 BauGB und die Notwendigkeit, raumordnungsrechtliche Grundsätze zum Hochwasserschutz mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die planerische Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einzustellen.
Auf der Ebene der Bundesraumordnung ergeben sich allgemeine Vorgaben zur stärkeren und bundesweit harmonisierten Berücksichtigung des vorbeugenden Hochwasserschutzes – auch und gerade bei der kommunalen Bauleitplanung – durch den länderübergreifenden Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz (BRPH).10 Der BRPH ist ein Raumordnungsplan im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 17 Abs. 2 ROG. Adressaten sind alle Träger öffentlicher Planungen, d. h. auch Gemeinden. Der BRPH enthält – zumindest nominell – Ziele und Grundsätze der Raumordnung: Zum einen Ziele mit verbindlichen Prüfungspflichten, mithin der zwingenden Vorgabe, dass eine Prüfung, z. B. der konkreten Hochwasserrisiken, zu erfolgen hat, während das „Ob” und das „Wie” einer nachfolgenden Planung offenbleibt;11 des weiteren Ziele mit verbindlichen Festlegungs- oder Freihalteaufträgen, bei denen lediglich das „Wie” der nachfolgenden Planung freibleibt;12 schließlich Grundsätze mit bestimmten Abwägungsbelangen.13 Der Mehrwert des BRPH für den vorbeugenden Hochwasserschutzes gegenüber den differenzierten und unmittelbar verbindlichen rechtlichen Vorgaben der §§ 72 ff. WHG bleibt allerdings zumindest unklar.14
Eine bundesrechtliche Anforderung an die kommunale Bauleitplanung, welche jedenfalls auch den vorbeugenden Hochwasserschutz zum Gegenstand hat, ergibt sich schließlich aus § 8 KAnG.15 Danach sind die Folgen von Überflutung oder Überschwemmung bei Starkregen, Sturzfluten oder Hochwasser als Handlungsfeld der Klimaanpassung bei allen Planungen der Träger öffentlicher Aufgaben, namentlich der Kommunen, zu berücksichtigen. Jedenfalls im Hinblick auf die Belange des Hochwasserschutzes dürfte dieses breit angelegte und querschnittartige Berücksichtigungsgebot allerdings hinter den speziellen Planungsleitlinien in § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB und selbst § 1 a Abs. 5 BauGB zurückbleiben.16 Größere Relevanz würde eine Verankerung von Vorsorgepflichten im Hinblick auf Starkregenereignisse in den §§ 72 ff. WHG entfalten, wie dies in dem aktuellen Referentenentwurf eines Hochwasserschutzgesetzes III mit § 79 a WHG-E (Starkregenrisikogebiete und Starkregenvorsorgekonzepte) vorgesehen ist.17
b)Bauplanungsrecht
Generelle Anforderungen an die Berücksichtigung des vorbeugenden Hochwasserschutzes in der Bauleitplanung ergeben sich unterhalb der Ebene der Raumordnung auch unmittelbar aus dem Baugesetzbuch und dem Wasserhaushaltsgesetz.
Der vorbeugende Hochwasserschutz ist gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB eine Planungsleitlinie, d. h. ein bei der Bauleitplanung ausdrücklich zu berücksichtigender Belang, ohne dass diesem im Rahmen der Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB prinzipiell ein höheres Gewicht zugewiesen wird. Im Unterschied dazu begründet § 77 Abs. 1 WHG im Hinblick auf die Pflicht zur Erhaltung von – auch faktischen – Überschwemmungsgebieten als Retentionsflächen ein Optimierungsgebot, d. h., es handelt sich dabei um einen Abwägungsbelang von besonderem Gewicht mit einem relativen Vorrang.18 In jedem Fall verlangt die sachgerechte Berücksichtigung des vorbeugenden Hochwasserschutzes in der bauleitplanerischen Abwägung eine sorgfältige Ermittlung und Bewertung der durch die Planung ausgelösten oder auf das Plangebiet einwirkenden Hochwassergefahren und eine entsprechende Berücksichtigung im Umweltbericht gemäß § 2 Abs. 4 BauGB. Eine Orientierung an den fachlichen Einschätzungen der dazu einzubeziehenden Wasserbehörden ist dabei nicht zu beanstanden, vielmehr sogar angezeigt.19
Die bei der Ermittlung und Bewertung eines planbedingten Hochwasserrisikos gewonnenen Erkenntnisse bedürfen regelmäßig einer Umsetzung in dem jeweiligen Bauleitplan. So können im Flächennutzungsplan Flächen, welche im Interesse des Hochwasserschutzes von Bebauung freizuhalten sind, gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauGB dargestellt werden. Hochwassergebiete20 sollen gemäß § 5 Abs. 4 a BauGB nachrichtlich übernommen sowie noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete und Risikogebiete vermerkt werden. In Bebauungsplänen können gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16 b) BauGB u. a. Flächen für Hochwasserschutzanlagen, gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16 c) BauGB Gebiete, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte Maßnahmen des passiven Hochwasserschutzes getroffen werden müssen, sowie gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16 d) BauGB Flächen, die auf einem Baugrundstück zu Niederschlagswasserversickerung freizuhalten sind, um Hochwasserschäden vorzubeugen, festgesetzt werden. Damit steht dem Plangeber ein breites Spektrum differenzierter Festsetzungsmöglichkeiten zum Hochwasserschutz zur Verfügung, mit denen in der Regel eine sachgerechte Konfliktbewältigung erreicht werden kann. Dies schließt allerdings eine Konfliktverlagerung in das nachgelagerte Baugenehmigungsverfahren nicht aus.21 Schließlich sollen auch im Bebauungsplan gemäß § 9 Abs. 6 a BauGB Hochwassergebiete22 nachrichtlich übernommen sowie nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete und Risikogebiete vermerkt werden.
2.Besondere Anforderungen des Wasserhaushaltsgesetzes
Auf der nächsten Konkretisierungsebene nach den generellen Anforderungen und Regelungen für die Bauleitplanung sind die detaillierten Vorschriften über die Zulässigkeit und die Grenzen der Bauleitplanung in den §§ 78 ff. WHG angesiedelt. In diesen Vorschriften entfaltet sich ein differenziertes Regelungssystem aus Verbots- und Ausnahmetatbeständen, welches sich an den Gebietskategorien der Überschwemmungsgebiete, der Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten und der Hochwasserentstehungsgebiete ausrichtet. Die Voraussetzungen für die Festsetzung oder sonstige Ausweisung dieser unterschiedlichen Hochwassergebiete in den §§ 76, 78 b und 78 d WHG sind nicht Gegenstand dieses Beitrags.
a)Bauleitplanung in Überschwemmungsgebieten
Die in der Planungspraxis sicherlich relevanteste Regelung ist das Planungsverbot in festgesetzten Überschwemmungsgebieten gemäß § 78 Abs. 1 WHG mit der restriktiven Ausnahmemöglichkeit in § 78 Abs. 2 WHG.
aa)Planungsverbot, § 78 Abs. 1 WHG
Das Grundsatzverbot in § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG stellt ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt dar. Es bedeutet eine gravierende Einschränkung der Baufreiheit der Grundstückseigentümer als Ausprägung der Eigentumsgarantie sowie der kommunalen Planungshoheit, da es der bauleitplanerischen Abwägung entzogen ist. Dennoch sind diese Einschränkungen angesichts der überragenden Bedeutung des vorbeugenden Hochwasserschutzes, des räumlich und gegenständlich eng gefassten Anwendungsbereichs der Vorschrift und der Ausnahmemöglichkeit in Abs. 2 letztlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.23
Der räumliche Anwendungsbereich des Planungsverbotes wird durch die beiden zentralen Tatbestandsmerkmale des gemäß § 76 Abs. 2 WHG festgesetzten Überschwemmungsgebietes einerseits und des baurechtlichen Außenbereichs im Sinne des § 30 BauGB andererseits gebildet. Gemäß § 106 Abs. 3 WHG werden auch solche Überschwemmungsgebiete erfasst, deren Festsetzung vor dem 01.03.2010 erfolgte. Ebenso gilt das Planungsverbot gemäß § 78 Abs. 8 WHG in vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten gemäß § 76 Abs. 3 WHG. Maßgeblich ist allein der Status der formellen Festsetzung, sodass sich das Planungsverbot auch auf solche Flächen erstreckt, die – etwa durch Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – materiell die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 WHG nicht (mehr) erfüllen.24 Überschwemmungsgebiete, welche lediglich aufgrund der Festsetzungsfiktion gemäß § 65 Abs. 1 WG BW als förmlich festgesetzt gelten, bedürfen im Wege verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift einer parzellenscharfen Karte des räumlichen Geltungsbereichs, auf die durch öffentliche Bekanntmachung hingewiesen worden ist.25 Die Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs auf den baurechtlichen Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB wurde in Konsequenz der Rechtsprechung26 durch das Hochwasserschutzgesetz II (2017) im Interesse der Klarstellung eingefügt. Schon nach vorheriger Rechtslage galt das Planungsverbot nicht bei der Überplanung von Innenbereichsflächen im Sinne der §§ 30 und 34 BauGB.27 in diesen Fällen ist aber § 78 Abs. 3 WHG zu beachten.
Der gegenständliche Anwendungsbereich des § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG bezieht sich auf die Ausweisung „neuer Baugebiete”. Dies setzt die Schaffung von Planungsrecht für eine erstmalige zusammenhängende Bebauung im bisherigen Außenbereich voraus. Die bloße Überplanung faktischer Baugebiete (bebauter Innenbereichslagen) oder bloße Umplanungen etc. bleiben zulässig. Andererseits werden aber Außenbereichsflächen mit bestandsgeschützter – erst recht mit aufgegebener – Bebauung von § 78 Abs. 1 WHG erfasst.28 Baugebiete im Sinne der Vorschrift sind nicht auf solche im Sinne des § 1 Abs. 2 BauNVO beschränkt. Vielmehr werden auch vorhabenbezogene Bebauungspläne nach § 12 BauGB erfasst. Noch nicht abschließend geklärt ist dabei allerdings die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der Bebauungsplan nur ein einzelnes Bauvorhaben zum Gegenstand hat, also keine im Zusammenhang stehende Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB.29 Dieselbe Problematik stellt sich bei Sondergebieten gemäß § 11 BauNVO, welche (insbesondere bei sogenannten projektbezogenen Bebauungsplänen) ebenfalls nur ein singuläres Bauvorhaben zum Gegenstand haben. Von § 78 Abs. 1 WHG erfasst werden Flächennutzungspläne, Bebauungspläne und Satzungen nach dem Baugesetzbuch (§§ 34 Abs. 4, 35 Abs. 6 BauGB). Davon sind aber Klarstellungssatzungen gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB auszunehmen, weil diese nicht konstitutiv neues Baurecht im bisherigen Außenbereich schaffen, sondern vielmehr deklaratorisch den baurechtlichen Innenbereich festlegen.30
An dieser Stelle ist wieder auf den Referentenentwurf der Bundesregierung für ein Hochwasserschutzgesetz III hinzuweisen. Dieser weitet durch Änderungen des § 78 Abs. 1 Satz 1 und 2 WHG das Planungsverbot für neue Baugebiete im Außenbereich entgegen der geltenden Rechtslage ausdrücklich auf die „Um- und Überplanung bereits bebauter Gebiete” aus und erfasst damit auch bebaute Gebiete im Sinne der §§ 30 und 34 BauGB. Dieser Vorschlag hat in der Verbändeanhörung deutliche Kritik erfahren, da danach künftig auch rein deklaratorische Überplanungen bestehender Baugebiete oder Umplanungen ohne Relevanz für die Belange des vorbeugenden Hochwasserschutzes – z. B. Änderungen der zulässigen Art der baulichen Nutzung eines bestehenden Baugebiets oder Erweiterungen der zulässigen Bauhöhe, Geschossflächenzahl etc. ohne Auswirkungen auf die Lage oder die Größe bebaubare Flächen – nur unter den restriktiven Ausnahmevoraussetzungen des § 78 Abs. 2 WHG zulässig sein würden. Der Vorschlag würde auch die Bemühungen des Gesetzgebers im Städtebaurecht, vorhandene Potenziale der Innenentwicklung und der Nachverdichtung zugunsten des Freiraumschutzes besser nutzbar zu machen, konterkarieren, ohne dass dies einen substanziellen Gewinn für den vorbeugenden Hochwasserschutzes bedeuten würde.31
Nicht von dem Planungsverbot betroffen sind aufgrund der Legalausnahmen in § 78 Abs. 1 Satz 2 WHG Planungen, die ausschließlich der Verbesserung des Hochwasserschutzes dienen oder Häfen oder Werften betreffen. Die Reichweite der Regelung ist insbesondere bei Hafenplanungen nicht eindeutig. Nach dem Regelungszweck der Vorschrift dürften etwa hafenaffine Gewerbe- oder Industriegebiete nicht unter die Legalausnahme fallen. Schließlich soll in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Maßnahmen des Gewässerausbaus, welche ausdrücklich darauf gerichtet sind, durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse Flächen aus dem förmlichen Hochwasserschutz entlassen zu können und dadurch die Rechtsfolgen des § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG zu verhindern oder zu überwinden, ein zulässiges Planungsziel verfolgen.32
bb)Ausnahmsweise Zulassung, § 78 Abs. 2 WHG
Wenn danach eine städtebauliche Planung indes von § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG erfasst wird, ist die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Zulassung im Einzelfall gemäß § 78 Abs. 2 WHG zu prüfen. Die dortigen neun Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen,33 wenngleich sie sich inhaltlich teilweise überschneiden.34 In der Planungspraxis stellt bereits die Voraussetzung des § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG (Alternativlosigkeit der Siedlungsentwicklung im Überschwemmungsgebiet) die größte Hürde dar. Hier wird im Verfahren der Ausnahmeerteilung zwingend eine Alternativenprüfung durchzuführen sein, bei der wirtschaftliche oder städtebauliche Belange ebenso außer Betracht zu bleiben35 haben wie spezifische Projektanforderungen, welche Gegenstand der Bauleitplanung sind.36 In die Alternativenprüfung ist das gesamte Gemeindegebiet einzubeziehen, nicht lediglich ein bestimmter (räumlich abgrenzbarer) Ortsteil.37 Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG muss das neue Baugebiet unmittelbar an ein bestehendes angrenzen (Arrondierungsgrundsatz). Dadurch sollen Streusiedlungen als „Inseln im Überschwemmungsgebiet” vermieden werden. Maßgeblich ist allein die tatsächlich vorhandene Bebauung. Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WHG dürfen durch die Planung eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit oder erhebliche Sachschäden nicht zu erwarten sein. § 78 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 WHG verlangt den Ausschluss einer nachteiligen Beeinflussung des Hochwasserabflusses und der Höhe des Wasserstands. Zu betrachten ist dabei der Abfluss der Hochwasserwelle und des seitlichen Hochwassers. Der Wasserstand darf sich insgesamt nicht erhöhen. Dies verlangt eine fachlich begründete Prognoseentscheidung. Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 WHG darf durch die Planung die Hochwasserrückhaltung nicht beeinträchtigt werden, und ein planbedingter Retentionsverlust muss umfang-, funktions- und zeitgleich ausgeglichen werden. Es geht also um eine funktionelle Gleichwertigkeit hinsichtlich des betroffenen Gewässerabschnitts am Maßstab des HQ 100.38 Damit wird der Grundforderung des § 77 Abs. 1 WHG Rechnung getragen. Ein für die kommunale Planungspraxis sinnvolles Instrument ist insoweit die Bildung eines Hochwasserschutzregisters oder die Beteiligung daran, für das § 65 Abs. 3 Satz 2 und 3 WG BW eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Verfügung stellt. § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 WHG verlangt, dass bestehende Anlagen oder Maßnahmen des Hochwasserschutzes durch die Planung nicht beeinträchtigt werden. Mit der Ausnahmevoraussetzung des § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 WHG, nach der keine nachteiligen Auswirkungen auf Ober- und Unterlieger zu erwarten sein dürfen, also keine Risikoverlagerung stattfinden darf, vermittelt die Regelung unmittelbaren Drittschutz, der auch für Kommunen gilt.39 § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 WHG gibt vor, dass die Belange der Hochwasservorsorge zu beachten sind, d. h. Präventivmaßnahmen zur Minimierung von Hochwassergefahren und möglichen Hochwasserschäden vorzusehen sind. Insoweit ist ebenso wie bei der letzten Voraussetzung, der Forderung nach einer hochwasserangepassten Bauweise unter Berücksichtigung des Bemessungshochwassers gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 WHG40, auf das Festsetzungsinstrumentarium des § 9 Abs. 1 Nr. 16 c) BauGB zurückzugreifen.
Die Entscheidung über einen Ausnahmeantrag gemäß § 78 Abs. 2 WHG liegt im Ermessen der zuständigen Wasserbehörde und ergeht in Gestalt eines Verwaltungsakts. Wenn alle Ausnahmevoraussetzungen vorliegen, kann sich die planende Gemeinde allerdings auf ein intendiertes Ermessen zu ihren Gunsten berufen.41 Eine rechtswirksame Ausnahmegenehmigung entfaltet Tatbestandswirkung, die einer eventuellen inzidenten Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit in einem Normenkontrollverfahren regelmäßig entgegensteht.42 Planreife im Sinne des § 33 BauGB wird man erst dann annehmen können, wenn eine Ausnahmegenehmigung vorliegt oder jedenfalls die Erfüllung der Ausnahmevoraussetzungen behördlich geprüft und bestätigt worden ist.
cc)Besondere Anforderungen an die Abwägung, § 78 Abs. 3 WHG
Durch das Hochwasserschutzgesetz II (2017) wurde mit § 78 Abs. 3 WHG eine Regelung eingefügt, die im Sinne einer Abwägungsdirektive die Planungsleitlinie des § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB für die Aufstellung von Bebauungsplänen konkretisiert, die nicht dem Planungsverbot des § 78 Abs. 1 WHG unterliegen. Sie ist damit insbesondere für die (Über-)Planung von Innenbereichsflächen gemäß §§ 30, 34 BauGB relevant. Die Vorschrift gilt für die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bauleitplänen sowie entsprechend für die Aufstellung von Satzungen nach § 34 Abs. 4 und § 35 Abs. 6 BauGB. Die Abwägungsbelange des vorbeugenden Hochwasserschutzes werden – nicht abschließend – dahingehend konkretisiert, dass durch die Planung nachteilige Auswirkungen auf Ober- und Unterlieger sowie eine Beeinträchtigung des bestehenden Hochwasserschutzes vermieden werden sollen und dass für eine hochwasserangepasste Bauausführung Sorge getragen werden soll. Inhaltlich entsprechen diese Konkretisierungen den entsprechenden Anforderungen in § 78 Abs. 2 Satz 1 WHG. Die Hervorhebung in § 78 Abs. 3 WHG als Abwägungsdirektive hat zur Folge, dass eine Planung für eine Innenbereichsfläche in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet, die den Hochwasserschutz unter den vorgenannten Gesichtspunkten ignoriert, regelmäßig an einem durchgreifenden Abwägungsmangel leiden dürfte.
§ 78 Abs. 3 WHG ist ebenfalls Gegenstand eines Änderungsvorschlags in dem Referentenentwurf des Hochwasserschutzgesetzes III. Danach sollen die genannten Belange des Hochwasserschutzes bei der Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bauleitplänen zukünftig zu beachten und nicht mehr nur zu berücksichtigen sein. Ausweislich der Begründung des Referentenentwurfs soll dadurch ausdrücklich eine Abwägung untersagt werden. Die zwingende Beachtung der Belange des Hochwasserschutzes stelle zwar einen Eingriff in die kommunale Planungshoheit dar, welche aber aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Auch dieser Vorschlag hat deutliche Kritik erfahren, insbesondere im Hinblick auf die damit verbundene unausweichliche Pflicht zur Vermeidung jeglicher nachteiligen Auswirkung einer Planung auf Ober- oder Unterlieger, die zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen kann. Vorzugswürdig ist demgegenüber die Umwandlung der Planungsdirektive in ein Optimierungsgebot analog § 77 Abs. 1 WHG.43
b)Bauleitplanung in Risikogebieten
Mit dem durch das Hochwasserschutzgesetz II (2017) eingefügten § 78 b WHG verfolgt der Gesetzgeber die Intention, materielle Anforderungen des vorbeugenden Hochwasserschutzes für die Bauleitplanung (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) und die Errichtung baulicher Anlagen (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) auch außerhalb der am Maßstab des Bemessungshochwassers HQ 100 abgegrenzten oder bei dem Versagen vorhandener Hochwasserschutzeinrichtungen überschwemmten Bereiche zu normieren.44 Der räumliche Anwendungsbereich der Vorschrift betrifft Risikogebiete im Sinne des § 73 WHG, d. h. Gebiete mit signifikantem Hochwasserrisiko, welche nicht gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG als Überschwemmungsgebiete festgesetzt oder vorläufig gesichert sind, bei denen also die statistische Überflutungswahrscheinlichkeit unter HQ 100 liegt.45 Erfasst werden Bauleitpläne zur Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich gemäß § 35 BauGB, die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bauleitplänen für den baurechtlichen Innenbereich gemäß §§ 30, 34 BauGB und entsprechend auch Satzungen nach § 34 Abs. 4, 35 Abs. 6 BauGB. Rechtsfolge des § 78 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WHG sind wiederum besondere Anforderungen an die planerische Abwägung. Ebenso wie in § 78 Abs. 3 WHG wird der Planungsleitsatz des § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB konkretisiert und verstärkt. Es handelt sich insoweit nicht lediglich um eine deklaratorische Regelung46. Insbesondere reicht ein bloßes Zurkenntnisnehmen des Hochwasserrisikos im Rahmen der planerischen Abwägung nicht aus.47 Die in der Vorschrift genannten Belange des Schutzes von Leben und Gesundheit und die Vermeidung erheblicher Sachschäden stellen dabei lediglich Mindestbelange für die Abwägung dar. Auch hier ist zur sachgerechten Konfliktbewältigung ggf. ein Rückgriff auf das Festsetzungsinstrument des § 9 Abs. 1 Nr. 16 c) BauGB notwendig.
c)Bauleitplanung in Hochwasserentstehungsgebieten
Schließlich ergeben sich Anforderungen an die Bauleitplanung gemäß dem durch das Hochwasserschutzgesetz II (2017) eingeführten § 78 d Abs. 6 WHG auch für Hochwasserentstehungsgebiete. Dabei handelt es sich gemäß § 78 d Abs. 1 WHG um Gebiete, in denen bei Starkniederschlägen oder bei Schneeschmelze in kurzer Zeit starke oberirdische Abflüsse entstehen können, die zu einer Hochwassergefahr an oberirdischen Gewässern und damit zu einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen können. Sie werden gemäß § 78 d Abs. 2 WHG nach Landesrecht festgesetzt. Ziel der Regelung ist eine gezieltere Bekämpfung von Hochwasserereignissen am Ort ihres Entstehens.48
Erfasst werden wiederum Bauleitpläne zur Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich gemäß § 35 BauGB. Auch hier werden als Rechtsfolge besondere Anforderungen an die Abwägung gestellt, durch die der Planungsleitsatz des § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB konkretisiert wird. Die nicht abschließend normierten Abwägungsbelange beziehen sich auf die Vermeidung der Beeinträchtigung des Wasserversickerungs- oder Wasserrückhaltevermögens des Bodens und auf den Ausgleich einer Beeinträchtigung durch Maßnahmen wie dem Anlegen von Wald oder der Schaffung von Rückhalteräumen.
II.Anforderungen des Hochwasserschutzrechts an die Vorhabenzulassung
Auch unterhalb der Ebene der Bauleitplanung, nämlich für die unmittelbare Zulassung konkreter Bauvorhaben, beinhaltet das Wasserhaushaltsgesetz ein nach den unterschiedlichen Kategorien der Hochwassergebiete differenziertes Regelungssystem.
1.Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten
Einzelne Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten unterliegen wasserrechtlichen Restriktionen. Das Regelungssystem des § 78 Abs. 4 und 5 WHG entspricht dabei dem des § 78 Abs. 1 und 2 WHG.
a)Bauverbot, § 78 Abs. 4 WHG
In § 78 Abs. 4 WHG ist ein grundsätzliches Verbot der Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen geregelt. Dieses Bauverbot stellt – analog zu dem Planungsverbot in § 78 Abs. 1 WHG – ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt und eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 GG dar.49 Der räumliche Anwendungsbereich bezieht sich wie in § 78 Abs. 1 WHG auf – auch nach früherem Recht – festgesetzte oder vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete, geht allerdings insofern über das Planungsverbot hinaus, als nicht nur der baurechtliche Außenbereich gemäß § 35 BauGB, sondern auch Gebiete nach den §§ 30, 33 und 34 BauGB erfasst werden. Gegenständlich werden sowohl die erstmalige Errichtung oder Wiedererrichtung als auch die spätere Erweiterung einer baulichen Anlage dem Bauverbot unterworfen. Unerheblich ist dabei, ob die Baumaßnahme – nach Maßgabe der jeweiligen Landesbauordnung – genehmigungsbedürftig ist oder nicht. Ausgenommen werden kraft Gesetzes lediglich Maßnahmen des Gewässerausbaus, Deich- und Dammbauten, Maßnahmen der Gewässer- und Deichunterhaltung sowie Maßnahmen zum Zwecke des Hochwasserschutzes oder des Messwesens. Bei Maßnahmen des Gewässerausbaus einschließlich des Baus von Deichen und Dämmen und entsprechenden Unterhaltungsmaßnahmen ergeben sich Anforderungen des Hochwasserschutzes dann allerdings aus den §§ 68 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 WHG.
b)Ausnahmsweise Zulassung, § 78 Abs. 5 WHG
Entsprechend der Regelungssystematik in § 78 Abs. 1 und 2 WHG besteht gemäß § 78 Abs. 5 WHG auch für das grundsätzliche Bauverbot die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Einzelfall. Dies gilt in zwei Alternativen: Zum einen kann das Bauvorhaben genehmigt werden, wenn es kumulativ die in § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 WHG normierten vier Voraussetzungen erfüllt. Diese entsprechen inhaltlich den jeweils nahezu gleich formulierten Anforderungen in § 78 Abs. 2 Satz 1 WHG.50 Zum anderen, also alternativ dazu, kann eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG erteilt werden, wenn die nachteiligen Auswirkungen auf den Hochwasserschutz durch Nebenbestimmungen gemäß § 36 Abs. 2 VwVfG ausgeglichen werden können. Dieser Ausgleich muss sich auf die vier Ausnahmevoraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 WHG beziehen. Auf der Zulassungsebene gilt hinsichtlich der Voraussetzung des Retentionsausgleichs gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 a) WHG, dass dieser nicht erforderlich ist, wenn er bereits im Rahmen der Bauleitplanung sichergestellt wurde. Wiederum erlangt hier das Instrument des Hochwasserschutzregisters Bedeutung. Unmittelbaren Drittschutz vermittelt dabei § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG, nach dem bei der Prüfung eines Ausnahmeantrages auch die Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen sind.
Analog zu § 78 Abs. 2 WHG eröffnet auch § 78 Abs. 5 WHG ein intendiertes Ermessen, d. h., eine Genehmigungsversagung ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn alle Ausnahmevoraussetzungen erfüllt sind. Das Verfahrensrecht für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ergibt sich aus den Landesgesetzen, in denen sowohl das Modell der Verfahrenskonzentration, d. h. der Integration in das baurechtliche Genehmigungsverfahren, als auch das Modell einer selbstständigen wasserrechtlichen Genehmigung zu finden sind.51 In Baden-Württemberg ist gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 WG BW die Gemeinde zuständig. Bei Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen gilt gemäß § 78 Abs. 5 Satz 3 WHG i. V. m. § 11 Abs. 4 und 5 WHG eine Verfahrensbeschleunigung.
In Ergänzung zu dem Regelungssystem der individuellen Zulassung von Bauvorhaben sieht § 78 Abs. 6 WHG auch die Möglichkeit einer allgemeinen Zulassung von Bauvorhaben in der Rechtsverordnung zur Festsetzung des Überschwemmungsgebiets (§ 76 Abs. 2 Satz 1 WHG) vor. Hier bestehen zwei Alternativen: Zum einen kann die allgemeine Zulässigkeit von Bauvorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen (nicht BauGB-Satzungen), für die gemäß § 78 Abs. 2 WHG eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, festgesetzt werden. Zum anderen kann die allgemeine Zulassung für solche baulichen Anlagen zugelassen werden, die nach ihrer Bauart die Voraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 WHG (siehe oben) sicherstellen. Diese Variante entspricht einer Bauartzulassung entsprechend der Musterbauordnung bzw. den Landesbauordnungen.52
c)Wiedererrichtung einer durch Hochwasser zerstörten baulichen Anlage?
Ein besonderes Problem hinsichtlich der Zulässigkeit von Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten stellt sich in der Folge der zurückliegenden Hochwasserkatastrophen: Es geht um die Wiedererrichtung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten, bei denen sich das immanente Risiko ihrer Situierung in dramatischer Weise realisiert hat, weil sie durch eine Überflutung vollständig zerstört oder so stark beschädigt wurden, dass letztlich nur noch ein Abriss und Neubau in Betracht kommt. Die Erfahrung zeigt, dass bei den Betroffenen ein ganz überwiegender Wunsch nach Wiedererrichtung ihrer Gebäude besteht – ungeachtet der ganz offensichtlichen Überflutungsgefahr. Nicht selten stellen diese Immobilien den einzigen oder wichtigsten Vermögensbestandteil dar. Regelmäßig stehen auch keine baureifen Ersatzflächen (Tauschgrundstücke) außerhalb der hochwassergefährdeten Gebiete zur Verfügung.53 Die Kommunen haben faktisch kaum Möglichkeiten, sich dem Drängen nach der Zulassung einer Wiedererrichtung entgegenzustellen. Gesetzgeberische Maßnahmen wie das Bundes-Aufbauhilfegesetz 2021,54 durch den § 246 c BauGB eingeführt wurde, die darauf basierende Rechtsverordnung55 und vergleichbare Landesgesetze56 verstärken diesen Druck auf Kommunen und Genehmigungsbehörden.
Im Rahmen dieses Beitrags soll und kann keine Diskussion über eine langfristig sachgerechte Bewältigung des offensichtlichen Zielkonflikts ausgebreitet werden. Vielmehr soll der Fokus allein auf die geltende Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit der Wiedererrichtung einer durch Hochwasser zerstörten baulichen Anlage gerichtet sein.
In der juristischen Literatur werden insoweit unterschiedliche Position vertreten: Einerseits wird die Eigentumsgarantie hervorgehoben. Art. 14 GG gebiete die Einbeziehung von Bestandschutzbetrachtungen in die (notwendige) Prüfung der Genehmigungsfähigkeit eines Bauvorhabens gemäß § 78 Abs. 5 WHG – ggf. im Wege verfassungskonformer Auslegung. Dabei sei auch der zerstörte Altbestand zu berücksichtigen. In der Regel sei bei hochwasserangepasster Bauausführung eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.57 Nach anderer Ansicht wird darauf abgestellt, dass der baurechtliche Bestandsschutz bei der Zerstörung eines Gebäudes erlösche. Die Wiedererrichtung der baulichen Anlage unterliege dem Bauverbot des § 78 Abs. 4 WHG. Diese Vorschrift enthalte indes keine spezifische Bestandsschutzregelung. Aufgrund der Situationsgebundenheit des Grundeigentums, welche die Eigentumsgarantie relativiere, und dem hervorgehobenen Gemeinwohlbelang des Hochwasserschutzes, sei auch eine großzügigere Auslegung und Anwendung der wasserrechtlichen Vorschriften nicht geboten.58
Auch in der Rechtsprechung zeichnet sich bislang kein einheitliches Meinungsbild ab. Analog zu dem vorstehend beschriebenen Diskussionsstand wird teilweise vertreten, dass jedenfalls bei einer Wiedererrichtung in einem engen zeitlich-räumlichen Zusammenhang mit der Beseitigung des Altbestandes dieser im Hinblick auf Art. 14 GG bei der Prüfung des § 78 Abs. 5 WHG zu berücksichtigen sei.59 Auf der anderen Seite wird betont, dass der baurechtliche Bestandsschutz mit Zerstörung der baulichen Anlage erlösche und die Wiedererrichtung uneingeschränkt der baurechtlichen Genehmigungspflicht und dem wasserrechtlichen Grundsatzverbot des § 78 Abs. 4 WHG unterliege.60
Der Streitstand ist somit im Spannungsfeld zwischen dem individuellen Eigentumsschutz auf der einen und dem Hochwasserschutz als wichtigem Gemeinwohlinteresse auf der anderen Seite angesiedelt. Eine abschließende Klärung durch die Rechtsprechung oder den Gesetzgeber, etwa durch eine spezifische Bestandsschutzregelung in § 78 WHG oder die Einführung eines Übernahmeanspruchs für ein nicht mehr bebaubares Grundstück,61 steht aus. Der Referentenentwurf für ein Hochwasserschutzgesetz III sieht die Einfügung eines § 78 Abs. 5 a WHG vor, nach dem für Instandsetzungen nicht unerheblich beschädigter baulicher Anlagen nach den §§ 30, 33, 34 und 35 BauGB in festgesetzten Überschwemmungsgebieten § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 sowie Satz 2 WHG entsprechend gelten. Die Wiedererrichtung einer im Wesentlichen geschädigten oder zerstörten baulichen Anlage sei keine Instandsetzung, sondern eine Errichtung. Die gesetzliche Klarstellung, dass auch die Wiedererrichtung einer durch Hochwasser zerstörten oder im Wesentlichen geschädigten baulichen Anlage innerhalb eines festgesetzten Überschwemmungsgebietes dem Grundsatzverbot des § 78 Abs. 4 WHG unterliegt, ist zu begrüßen.62 Konsequent ist auch der Regelungsvorschlag, dass die Instandsetzung einer nicht zerstörten, sondern lediglich geschädigten – d. h. weiterhin bestandsgeschützten – baulichen Anlage nicht dem Grundsatzverbot des § 78 Abs. 4 WHG, sondern lediglich den materiellen Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 78 Abs. 5 WHG unterworfen ist.
2.Bauvorhaben in Risikogebieten
Für Bauvorhaben in Risikogebieten gemäß § 78 b Abs. 1 Satz 1 WHG (siehe oben), welche zugleich außerhalb der Gebiete nach § 78 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WHG liegen, mithin im baurechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB, normiert § 78 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WHG besondere Anforderungen an die Bauweise. Diese muss nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik63 dem Hochwasserrisiko angepasst sein, soweit dies nach Art und Funktion der baulichen Anlage möglich ist. Hier ist also eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich. Dabei sollen insbesondere auch die Lage des betroffenen Grundstücks und die mögliche Schadenshöhe im Falle einer Überschwemmung berücksichtigt werden.64 Gerichtlich noch nicht geklärt ist die Frage, ob bei Nichteinhaltung der Anforderungen des § 78 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WHG, die letztlich eine Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 5 Abs. 2 WHG darstellen,65 also primär der Schadensvorsorge im eigenen Interesse des Bauherrn dienen, die Versagung einer Baugenehmigung rechtmäßig wäre.
3.Bauvorhaben in Hochwasserentstehungsgebieten
Schließlich gelten gemäß § 78 d Abs. 4 und 5 WHG auch für Bauvorhaben in Hochwasserentstehungsgebieten (siehe oben) Anforderungen an die Zulässigkeit im Interesse des vorbeugenden Hochwasserschutzes. Erfasst werden die Errichtung und die wesentliche Änderung von baulichen Anlagen im Außenbereich gemäß § 35 BauGB einschließlich Nebenanlagen und sonstiger Flächen ab einer versiegelten Gesamtfläche von 1500 m², Straßenbaumaßnahmen, Waldumwandlungen sowie Grünlandumbruch. Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift die Notwendigkeit einer Genehmigung vor. Eine solche Genehmigung darf gemäß § 78 d Abs. 5 WHG nur erteilt werden, wenn entweder keine Beeinträchtigung des Wasserversickerungs- oder Wasserrückhaltevermögens des Bodens zu erwarten ist oder wenn der Ausgleich einer Beeinträchtigung durch Maßnahmen wie das Anlegen von Wald oder die Schaffung von Rückhalteräumen im Hochwasserentstehungsgebiet angemessen ausgeglichen wird. Auch hier findet sich also ein inhaltlicher Gleichklang mit den Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 78 Abs. 6 WHG hinsichtlich der Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich. Die Genehmigung gilt gemäß § 78 d Abs. 4 Satz 2 als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn die zuständige Behörde den Antrag nicht innerhalb von sechs Monaten nach Eingang vollständiger Antragsunterlagen ablehnt. Diese Frist ist verlängerbar.
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