15.09.2015

Intelligentes „kaltes” Nahwärmenetz

Bayerische Gemeinde realisiert Pionier-Projekt

Intelligentes „kaltes” Nahwärmenetz

Bayerische Gemeinde realisiert Pionier-Projekt

Das „kalte” Nahwärmenetz hat die Energiekosten bereits im ersten Betriebsjahr um rund 40credit%
Das „kalte” Nahwärmenetz hat die Energiekosten bereits im ersten Betriebsjahr um rund 40credit%

Während vielerorts in Deutschland über die gescheiterte Energie- und Klimawende lamentiert wird, nimmt eine kleine Gemeinde in Oberbayern die Energiewende lieber selbst in die Hand. Seit dem Frühherbst 2014 besitzt die 3000-Seelen-Gemeinde Dollnstein ihr eigenes „kaltes” Nahwärmenetz. 40 Haushalte sowie öffentliche Gebäude profitieren von diesem innovativen Heizsystem. Zielsetzung ist eine zukünftige Reduzierung des Energieaufwands um rund 70 % – bei gleichzeitiger CO2-Einsparung von ebenfalls fast 70 %. Im April 2015 feierte die Gemeinde ein erfolgreiches erstes Betriebsjahr und damit eine Entscheidung von Gemeinderat und Bürgern, die anfangs von manchem etwas skeptisch beäugt, heute niemand bereut.

Ausgangspunkt aller Überlegungen war die in der Gemeinde anstehende Sanierung der Wasserleitungen. Der bauliche Aufwand sollte zugleich die notwendige Erneuerung des Heizsystems in diversen öffentlichen Gebäuden mit einbeziehen. Außerdem war ein umweltfreundliches und Ressourcen schonendes Konzept gewünscht, das sich gleichermaßen auf die historischen Gebäude im Ortskern als auch auf moderne Einfamilienhäuser anwenden lässt.

Das Lösungskonzept war dann so einfach wie einleuchtend und doch neu: Denn das „kalte” Nahwärmenetz in Dollnstein sollte nicht wie herkömmliche Netze mit einer konstanten Vorlauftemperatur von 80 Grad arbeiten, sondern von Mai bis Mitte Oktober auf einem Niveau von 25 bis 30 Grad fahren. Dank dieser extrem niedrigen Vorlauftemperaturen in den „schönsten Monaten des Jahres” können die oft hohen Energieverluste klassischer Nahwärmenetze vermieden werden. Dafür erwärmen nun rund 100 m² Solarthermie-Kollektoren auf dem Dach der Dollnsteiner Heiz- und Steuerungszentrale des Nahwärmenetzes (mittelfristiger Ausbau auf 200m² geplant) das 10°C kalte Grundwasser aus dem Uferbereich der Altmühl, bevor es in zwei große Schichtspeicher fließt. Diese Schichtspeicher sind die Herzstücke der Energiezentrale des Nahwärmenetzes: ein zentraler 27.000-Liter-Schichtspeicher mit einer Temperatur von 80 Grad sowie ein 15.000-Liter- Niedertemperatur-Speicher mit 30 Grad. In diesem Temperaturbereich lassen sich selbst im Winter über die Solarthermie noch große Erträge erzielen.


Darüber hinaus sorgt eine 440 kW Wärmepumpe für die temperaturtechnische Aufbereitung des Grundwassers auf Heizungsniveau. Komplettiert wird die Heizzentrale durch ein Gas BHKW mit 250kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung für den Strombetrieb der Grundwasser-Wärmepumpe sowie einen Gas-Spitzenlastkessel mit 300 kW.

Hinzu kommen in der Peripherie für jeden angeschlossenen Haushalt noch jeweils eine „kleine” Wärmepumpe als Übergabestation zur bedarfsgerechten Erwärmung des Wassers sowie ein Speicher mit mindestens 300 Liter Fassungsvolumen. Für die „kleinen” Wärmepumpen stehen die gemeindeeigenen PV-Anlagen zur Verfügung. In dieser technischen Konfiguration erreicht das Dollnsteiner Nahwärmenetz seine höchste Effizienzstufe: Nach Berechnungen der an diesem Projekt involvierten Fachhochschulen wird damit das Netz zwischen dem 01. Mai und dem 15. Oktober mit einer solaren Energieabdeckung von ca. 80% betrieben.

Um eine Direktversorgung dezentral ohne Anbindung an ein übergeordnetes Netz zu ermöglichen, haben die Dollnsteiner gemeinsam mit den Wasserleitungen auch eine Stromtrasse und eine Kommunikationsleitung verlegt. Somit sind alle Komponenten des Wärmenetzes über diese Datenleitung miteinander verbunden und können sich – dank einer intelligent vernetzten Regelleittechnik – über die jeweilige Wärmebereitstellung und den konkreten Bedarf der Verbraucher stets informieren. Dadurch funktioniert der Strom- und Wärmeaustausch innerhalb der Gemeinde absolut reibungslos.

Effizienz auch im Winter: Da in Dollnstein viele ältere und z.T. sogar historische Gebäude an das Nahwärmenetz angeschlossen sind, ist in der kalten Jahreszeit die „Mai bis Oktober-Vorlauftemperatur” von 30 Grad zumeist nicht mehr ausreichend. Das würde für Neubauten mit Fußbodenheizung noch funktionieren, nicht aber bei der Einbindung von Gebäuden, die noch mit Heizkörpern ausgestattet sind. Deshalb wird in den Herbst- und Wintermonaten die Vorlauftemperatur auf 70 bis 80 Grad erhöht, der Rücklauf liegt bei 40-50 Grad. Reicht in den sonnenärmeren Monaten die über die Solarthermie-Anlage erzeugte Energie nicht aus, kommen die bereits erwähnte Grundwasserwärmepumpe sowie das Gas befeuerte Blockheizkraftwerk zum Einsatz. Neben der Wärme erzeugt das BHKW dabei auch den Strom für die Grundwasserwärmepumpe und – sofern ausreichend – noch für die Wärmepumpen an den Übergabestationen. Um Spitzenlasten zu puffern, ist zusätzlich ein Gaskessel eingebunden. Insgesamt muss bei diesem Konzept nur noch 51% an Primärenergie eingesetzt werden, um auf eine Wärmeleistung von 100% zu kommen. Diese äußerst energieeffiziente Variante wäre in einem bisher zumeist umgesetzten „warmen Netz” nicht möglich gewesen.

Dass es gerade in Dollnstein ein so innovatives System gibt, hat zweierlei Gründe. Zum einen hat die Gemeinde ein „Geschäftsmodell” gefunden, das einzig und allein die Interessen der Bürger und der Gemeinde vertritt. Denn in Dollnstein ist der Netzbetreiber nicht wie sonst üblich ein großer Energieversorger, sondern ein Kommunalunternehmen, das zu 100 Prozent der Gemeinde gehört. Damit betreibt die Gemeinde das 2 km lange Netz mit allen Komponenten sowie den Übergabestationen und steht auch für die Risiken gerade. Das verändert die Grundkonstellation fundamental, denn dieses Unternehmen hat ein großes Interesse, möglichst wenig Energie zu verbrauchen und diese soweit möglich, kostengünstig sowie umweltschonend zu erzeugen.

Zum anderen gibt es an diesem Standort durch das Unternehmen Ratiotherm, das mit den Oskar°-Schichtspeichern in der Heizindustrie schon vor vielen Jahren Pionierarbeit leistete, eine außerordentliche Technologiekompetenz. Ratiotherm lieferte für das innovative Netz das Gesamtkonzept, die Oskar°-Speicher, die Übergabestationen mit der eingebauten kleinen Wärmepumpe und die gesamte Regelungstechnik.

Insgesamt 1,7 Millionen Euro investierte die Gemeinde Dollnstein. Der wirtschaftliche Betrieb des Netzes ist bereits sichergestellt, da der dafür notwendige Mindestverbrauch von jährlich einer Million Kilowattstunden durch die hohe Anschlussquote übertroffen wird. Die eingebundenen Haushalte profitieren trotz der Kostenumlegung schon jetzt, da Anschaffungs- und Reparaturkosten für eine eigene Heizanlage entfallen. Die angeschlossenen Bürger haben nur eine einmalige Gebühr zu bezahlen, diese ist abhängig von der benötigten Heizleistung für das jeweilige Gebäude. In Dollnstein liegt diese im Schnitt zwischen 500 € und 800 €. Eine Investition, die zeitnah durch die Abnahme der Wärme refinanziert werden kann. Und alle Beteiligten sind nicht mehr dem unkalkulierbaren Risiko steigender Energiepreise ausgesetzt, denn Grundwasser und Sonnenstunden sind in Dollnstein ausreichend vorhanden.

Der erfolgreiche „Pilot” des „kalten Nahwärmenetzes” in Dollnstein hat einige Kommunen bereits zur „Nachahmung” motiviert. So befinden sich das Gewerbegebiet Bodenmais in Niederbayern sowie die Gemeinde Haßfurt in Unterfranken schon in der konkreten Umsetzung eines „kalten Nahwärmenetzes” nach dem Modell Dollnstein. Es zeigt sich also eindrucksvoll das hohe Potenzial des Projekts „Dollnstein” als grundsätzliche Blaupause für andere kleinere Kommunen, die ihren Bürgern eine zukunftsorientierte, klimafreundliche und finanzierbare Wärmeversorgung anbieten wollen.

Daten/ Fakten Referenzprojekt „Kaltes” Nahwärmenetz in Dollnstein

  • Investitionskosten: 1,7 Mio. Euro netto
  • 100 m² Kollektorfläche Solarthermie (Ausbau auf 200 m² geplant)
  • 1800 m Wärmerohre
  • 40 angeschlossene Gebäude (aktuell 20, Endausbau 47)
  • 40 kleine Wärmepumpen als Übergabestationen
    (Stromaufnahme bis 1,5 kW, Heizleistung bis 10 kW)
  • Eine Grundwasserwärmepumpe 440 kW im Uferbereich der Altmühl
  • Heizzentrale (20 x 11m großes Gebäude)
    (ganzheitliches Strom- und Wärmemanagement, gasbefeuertes Blockheizkraftwerk mit 250 kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung, 27.000 Liter-Zentralspeicher, 15.000 Liter -Niedertemperaturspeicher, Solarthermie, Gaskessel, Steuerungs – und Regelungstechnik)
 

Sascha Emig

Vertriebsleiter, ratiotherm Heizung + Solartechnik GmbH, Dollnstein
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