15.12.2014

Hilft der Gesetzgeber den Kommunen?

Unterbringung von Flüchtlingen aus bauplanungsrechtlicher Sicht

Hilft der Gesetzgeber den Kommunen?

Unterbringung von Flüchtlingen aus bauplanungsrechtlicher Sicht

Werkstatt im Gewerbegebiet – Kann Integration von Asylsuchenden in einem solchen Umfeld gelingen? | © ferretcloud - Fotolia
Werkstatt im Gewerbegebiet – Kann Integration von Asylsuchenden in einem solchen Umfeld gelingen? | © ferretcloud - Fotolia

Derzeit werden die Kommunen mit der Unterbringung von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, vor große Herausforderungen gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet, dass im Jahr 2014 über 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden. Allein im Oktober 2014 gingen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 21.000 Asylanträge ein. Für diese Menschen müssen während des Asylverfahrens ausreichende Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Aus diesem Grund suchen die für die Unterbringung zuständigen Kommunalbehörden händeringend nach freien und geeigneten Unterkünften. Probleme bereitet hierbei der Umstand, dass die Unterbringung von Flüchtlingen nicht in jedem bauplanungsrechtlichen Gebiet zulässig ist und Anträge auf Nutzungsänderung im Baugenehmigungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Bauplanungsrecht abgelehnt werden können. Helfen will nun der Baurechtsgesetzgeber durch das „Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen” (s. dazu unten).

Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach Gebietstyp

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die in den §§ 2 bis 11 genannten Gebietstypen der BauNVO für Bebauungsplangebiete und für den Innenbereich bedeutsam sind. In Bebauungsplänen entscheiden sich die Gemeinden für einen der in der BauNVO genannten Gebietstyp. Für den Innenbereich regelt § 34 Abs. 2 BauGB, dass sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach dem jeweiligen Gebietstyp richtet, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO genannten Typen entspricht.


Ist eine Asylbewerberunterkunft eine Wohnanlage oder eine Anlage für soziale Zwecke?

Für die Bestimmung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ist zunächst zu klären, welche Art der Nutzung bei einer Asylbewerberunterkunft gegeben ist. In Literatur und Rechtsprechung wird erörtert, ob es sich um Wohnanlagen, um Anlagen für soziale Zwecke oder um Beherbergungsbetriebe handeln könnte. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bisher offen gelassen und in einem Beschluss vom 04. 06. 1997 (Az. 4 C 2/96, NVwZ 1998, 173) ausgeführt, dass es dazu neige, Asylbewerberunterkünfte – wenn nicht schon als Wohnnutzung – zumindest als Einrichtungen für soziale Zwecke anzusehen. Weiter helfen in dieser Frage die Entscheidungen der verwaltungsgerichtlichen Obergerichte der Länder, die – abgesehen von einzelnen Entscheidungen aus der letzten großen Flüchtlingswelle Anfang der 90er Jahre – keine Wohnnutzung annehmen.

Hingewiesen sei dazu auf zwei jüngere Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Der Gerichtshof hat unter anderem unter Verweis auf die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen dargelegt, dass es sich bei Asylbewerberunterkünften um Anlagen für soziale Zwecke und damit nicht um Wohngebäude oder Beherbergungsbetriebe handelt (Urteil vom 13. 09. 2012, Az. 2 B 12.109, BayVBl 2013, 241 und Beschluss vom 29. 01. 2014, Az. 2 ZB 13.678, juris).

Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit bei Einordnung als Anlage für soziale Zwecke

Schließt man sich der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und auch der gängigen Auffassung zahlreicher anderer Obergerichte an, wonach es sich bei Asylbewerberunterkünften um Anlagen für soziale Zwecke handelt, so ergeben sich für die einzelnen Baugebiete die nachfolgend genannten Ergebnisse:

– Kleinsiedlungsgebiete und reine Wohngebiete

In Kleinsiedlungsgebieten (§ 2 BauNVO) und in reinen Wohngebieten (§ 3 BauNVO) können Anlagen für soziale Zwecke nur ausnahmsweise zugelassen werden. Dies bedeutet, dass in Bebauungsplänen für Kleinsiedlungsgebiete oder für reine Wohngebiete die Gemeinde entscheiden kann, ob Anlagen für soziale Zwecke, also Asylbewerberunterkünfte, nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden oder in dem Baugebiet allgemein zulässig sind (§ 1 Abs. 6 BauNVO).

Wird im Bebauungsplan nur der Gebietstyp festgesetzt, werden die Vorschriften der BauNVO zum Gebietstyp Bestandteil des Bebauungsplanes (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO). Dann muss, wie in den mit Kleinsiedlungsgebieten oder reinen Wohngebieten vergleichbaren Innenbereichslagen, im Einzelfall geklärt werden, ob eine Ausnahme bzw. eine Befreiung erteilt werden kann (§ 34 Abs. 2 Halbsatz 2 BauGB). Eine ausnahmsweise Zulassung ist möglich, wenn die Asylbewerberunterkunft dem Gebietscharakter entspricht. Wenn man berücksichtigt, dass Kleinsiedlungsgebiete und reine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen dienen und dieser Zweck auch bei einer Asylbewerberunterkunft mit einer wohnähnlichen Nutzung gegeben ist, dürften zumindest kleine Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber ausnahmsweise zulässig sein (so auch Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, Stand: 01. 04. 2014, Rn. 80 zu § 2 BauNVO).

– Allgemeine Wohngebiete, besondere Wohngebiete, Dorfgebiete, Mischgebiete und Kerngebiete

Im allgemeinen Wohngebiet sind Anlagen für soziale Zwecke grundsätzlich zulässig (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Auch in besonderen Wohngebieten (§ 4 a Abs. 2 Nr. 5 BauNVO), in Dorfgebieten (§ 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO), in Mischgebieten (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO) und in Kerngebieten (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) werden Asylbewerberunterkünfte als Anlagen für soziale Zwecke als allgemein zulässig erklärt.

Diese Grundannahme gilt im Innenbereich ohne Einschränkung, wenn die nähere Umgebung einem dieser Gebietstypen entspricht. Durch einen Bebauungsplan kann die Gemeinde allerdings die grundsätzlich in der BauNVO für zulässig erklärte Nutzung als Anlage für soziale Zwecke für unzulässig oder für ausnahmsweise unzulässig erklären, wenn die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt (§ 1 Abs. 5 BauNVO).

– Gewerbegebiete, Industriegebiete

Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO können Anlagen für soziale Zwecke in Gewerbegebieten nur ausnahmsweise zugelassen werden. Gleiches gilt in den Industriegebieten, in denen Anlagen für soziale Zwecke nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ebenfalls nur ausnahmsweise zulässig sind. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach entschieden, dass eine wohnähnliche Unterbringung in einem Gewerbegebiet auch nicht nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO im Rahmen einer Ausnahme genehmigungsfähig ist. Diese Auffassung haben jüngst der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 14. 03. 2013, Az. 8 S 2504/12, DVBl. 2013, 795) und das Oberverwaltungsgericht Hamburg (Beschluss vom 17. 06. 2013, Az. 2 Bs 151/13, NVwZ-RR 2013, 990) speziell für Asylbewerberunterkünfte bestätigt, weil die Nutzung dem Wohnen ähnlich ist und in Gewerbegebieten nicht gewohnt werden soll.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist ein Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg vom 12. 09. 2014 in den Bundesrat eingebracht worden, der vom Bundesrat einstimmig beschlossen wurde. Dieser Gesetzentwurf hätte den Ländern ermöglicht, bis zum 31. 12. 2019 durch Landesgesetz festzulegen, dass § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO mit der Maßgabe angewandt werden muss, dass auch Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Gewerbegebieten ausnahmsweise zugelassen werden können.

Der Bundestag ist diesem Vorschlag des Bundesrates jedoch nicht gefolgt. Der neue § 246 Abs. 10 BauGB regelt nun, dass bis zum 31. 12. 2019 in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden kann, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Diesbezüglich stellt sich die Frage, inwieweit § 246 Abs. 10 BauGB eine Änderung der bisherigen Gesetzeslage darstellt. Die Neuregelung des § 246 Abs. 10 BauGB macht mit Blick auf die gesetzgeberische Intention nur Sinn, wenn man Flüchtlingsunterkünfte als Anlagen für Wohnzwecke versteht, die im Gewerbegebiet überhaupt nicht zulässig wären. Eine Anlage für Wohnzwecke hat aber – entgegen der Annahme des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/2752, S. 12) – der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, der die Frage offen gelassen hat und auf die Befreiungsmöglichkeit hingewiesen hat, nicht angenommen.

Das Oberverwaltungsgericht Hamburg geht eindeutig von einer Anlage für soziale Zwecke aus. § 246 Abs. 10 BauGB enthält daher im Ergebnis keine Neuerungen zur bisherigen Rechtslage in Gewerbegebieten, wonach eine Anwendung von § 31 BauGB auch möglich war. In diesem Zusammenhang stellt sich daher die Frage, ob auch die Neufassung des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB notwendig war. Der Bedarf zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden wird nun ausdrücklich als Grund des Wohls der Allgemeinheit im Gesetz benannt, der eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ermöglicht.

Für Industriegebiete bleibt es bei der bisherigen Regelung des § 9 BauNVO, wonach Asylbewerberunterkünfte im Industriegebiet wohl auch nicht ausnahmsweise zulässig sind.

– Sondergebiete

In Sondergebieten, die der Erholung dienen (§ 10 BauNVO), sind Anlagen für soziale Zwecke nicht vorgesehen und daher nicht zulässig. Für sonstige Sondergebiete im Sinne des § 11 BauNVO hat schon das Bundesverwaltungsgericht in seiner o.g. Entscheidung vom 04. 06. 1997 dargelegt, dass Asylbewerberunterkünfte in Sondergebieten durch eine entsprechende Bebauungsplanausweisung möglich sind.

Weitere bauplanungsrechtliche Neuregelungen durch das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen

Im Rahmen der Abwägung müssen die Gemeinden künftig bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Belange von Flüchtlingen und deren Unterbringung berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 Nr. 13 BauGB).

Neben § 246 Abs. 10 BauNVO sieht der neue § 246 Abs. 8 BauGB nunmehr vor, dass vom Erfordernis des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) abgewichen werden kann, wenn im Innenbereich die Nutzungsänderung, die Erweiterung, Änderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Geschäfts-, Büro- oder Verwaltungsgebäude in bauliche Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, beantragt wurde. Dies stellt auch eine Erleichterung für die Genehmigung entsprechender Vorhaben im Innenbereich dar, wenn sich die Anlagen nicht in die nähere Umgebung einfügen würden. Ermöglicht wird nun, dass im Innenbereich Wohncontainer aufgestellt werden, die sich vorher nicht in die nähere Umgebung eingefügt hätten.

§ 246 Abs. 9 BauGB begünstigt auch Außenbereichsvorhaben, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen. Diesen Vorhaben darf nicht – wie bei anderen Vorhaben im Außenbereich üblich – entgegengehalten werden, dass sie den Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen (siehe hierzu § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB). Weitere Voraussetzung i. S. des § 246 Abs. 9 ist jedoch, dass das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit einem Bebauungsplangebiet oder einer Innenbereichslage innerhalb des Siedlungsbereichs liegen muss.

Mit dieser neuen Vorschrift wird nun der im Außenbereich begünstigte Kreis der sonstigen Vorhaben um Flüchtlingsunterkünfte erweitert. Nach dem Wortlaut zielt die Vorschrift insbesondere auf Flächen in Ortsteilen, die mangels Bebauungszusammenhang nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB bebaubar sind oder auf sog. Außenbereichsinseln im Innenbereich (BT-Drs. 18/2752, S. 11). Auf den genannten Außenbereichsflächen ist künftig z. B. die Aufstellung von Wohncontainern oder die Umnutzung von alten Außenbereichsgebäuden für die Unterbringung von Flüchtlingen möglich.

Im Rahmen der öffentlichen Anhörung durch den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit haben sich insbesondere die Wohlfahrtsverbände im Hinblick auf die Integration der Asylsuchenden kritisch zu dem Gesetzesentwurf geäußert. Moniert wurde vor allem, dass die Asylsuchenden nun in Gewerbegebieten und im Außenbereich untergebracht werden können, also in Gebieten, in denen eine Integration besonders schwer gemacht wird (BT–Drs. 18/3070, S. 6 f.).

Anmerkung: Das Gesetz ist im BGBl. vom 25.11.2014,
S. 1748 verkündet worden und tritt demzufolge am 26.11.2014 in Kraft.

 

Prof. Dr. Fritz Böckh

Meidert & Kollegen, Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Augsburg
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