11.03.2019

Hebesätze und das Spiel der Gewerbesteuervermeidung

Wie Kommunen ihre hohen Hebesätze halten können

Hebesätze und das Spiel der Gewerbesteuervermeidung

Wie Kommunen ihre hohen Hebesätze halten können

Worauf sollten Kämmerer achten? | © Eigens - stock.adobe.com
Worauf sollten Kämmerer achten? | © Eigens - stock.adobe.com

Seit der Körperschaftssteuer-Reform, die die Gewerbesteuer zur bestimmenden Unternehmenssteuer gemacht hat, sind mehr als zehn Jahre vergangen. Und noch immer steigt die Bedeutung des Hebesatzes für die Unternehmen als Gewerbesteuerschuldner.

Waren ausländische Einkünfte von der Gewerbesteuer bisher nicht belastet, so hat sie der Gesetzgeber 2016 (einer Intention der Finanzverwaltung folgend) unter Durchbrechung des Territorialitätsprinzips des § 2 Abs. 1 GewSt miterfasst, soweit sie als passive Einkünfte gelten [1]. Neuestens wird sogar über eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer nachgedacht (de lege ferenda), ähnlich der einkommensteuerlichen Regelung des § 35 EStG. Käme es zur Anrechnung entsprechend der ESt-Regelung, dann würde nur die Gewerbesteuer bis zu einem Hebesatz von 380 kompensiert und die darüberhinausgehende Gewerbesteuer eine Zusatzbelastung auslösen.

Gewerbesteuer-Tourismus

Grundsätzlich wird die Gewerbesteuer-Belastung durch die Höhe des Gewerbeertrages eines Unternehmens bestimmt. Aber da der Gewerbeertrag (nach Zu- und Abrechnungen) mit dem Gewerbesteuer-Hebesatz multipliziert wird, den die Gemeinde selbst festsetzt, wirkt er sich je nach Höhe ganz unterschiedlich aus. Der Mindesthebesatz beträgt heute 200 Punkte und kann auf über 500 Punkte steigen. Das hat Auswirkungen auf die Standortwahl von Unternehmen, die bestimmen müssen, wo ihr Ertrag anfallen soll. Und in den meisten Fällen wird der Standort mit einem niedrigeren Hebesatz vorgezogen, was in Deutschland zur Entstehung eines regelrechten Gewerbesteuer-Tourismus beigetragen hat. Seit die Gewerbesteuer nicht mehr auf die Steuerbemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer anrechenbar ist, hat sich diese Entwicklung noch verstärkt.


Standortzwänge

Große Kommunen mit starker Bevölkerung haben hohe Aufwendungen und deswegen auch die hohen Hebesätze. Die starke Bevölkerung ist aber auch der wesentliche Standortfaktor eines Unternehmens, soweit nicht regionale Aktivitäten und die Nähe zum Kunden eine Rolle spielen. Folglich sitzen in den großen Kommunen auch die personalintensiven Unternehmen. Das ist ein Hauptgrund, weshalb sich hier Banken, Versicherungen und andere Dienstleister mit hohem Personalbedarf finden, ebenso wie personalintensive Produktions- und Vertriebsunternehmen. Wenn diese flexibel sind, wechseln sie immer häufiger in Gemeinden mit günstigem Hebesatz, wie etwa die Ansiedlung von Vertriebsunternehmen des Internet-Handels außerhalb der Standorte mit hohem Hebesatz zeigt. Oder sie nutzen eine Lage außerhalb der Grenzen einer Großstadt und profitieren dennoch von deren Einwohnerzahlen (und dem geringen Hebesatz ihrer Sitzgemeinde wie zum Beispiel Waldorf oder Gerlingen).

Ausweichgestaltungen

Unternehmen mit einem hohen Bedarf an Mitarbeitern müssten eigentlich an Standorten mit hohem Hebesatz ihren wesentlichen Ertrag generieren und damit ihre wesentlichen Steuern bezahlen. Das aber gerade ist nicht zwingend. Denn grundsätzlich ist es dem Unternehmer überlassen, wo er seinen Ertrag anfallen lässt. Ist er in der Auswahl seines Standorts nicht flexibel, dann kann er andere Lösungen suchen. Vor fünfzig Jahren verlegten beispielsweise exportstarke Unternehmen ihren Vertrieb ins steuergünstige Ausland und förderten das Vertriebsunternehmen mit möglichst günstigen Preisen, weil der Gewinn dann bei der günstig besteuerten Vertriebsgesellschaft anfiel. Ähnlich machen es heute inländische Unternehmen. So produziert ein bekannter Arzneimittelhersteller mit viel Personal in einem Ort mit relativ hohem Hebesatz, während sein Gewinn bei der Muttergesellschaft in Norderfriedrichskoog anfällt, wo der Hebesatz gerade die Mindestquote von 200 Punkten erreicht. Der Produktionsstandort selbst hat also nur sehr geringe Steuereinnahmen.

Gestaltungsspielräume

Die Aufteilung der unternehmerischen Tätigkeit mit dem Ziel, die Erträge in einer Kommune mit niedrigem Hebesatz anfallen zu lassen, ist von der Struktur des jeweiligen Unternehmens abhängig. Hier gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansätze, die kombiniert werden können. Kleinere und mittlere Unternehmen sind häufig in einem Rechtsträger also einer Kapitalgesellschaft (SE, AG, GmbH) oder Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) tätig und teilen sich auf verschiedene Betriebsstätten an Standorten mit unterschiedlich hohen Hebesätzen auf. Größere Unternehmen und vor allem die großen Unternehmen sind häufig als Unternehmensgruppe, also in einer Kombination von Kapital- und/oder Personengesellschaften organisiert. Der Unterschied ist bedeutsam, weil unser Ertragssteuerrecht den einzelnen Rechtsträger und damit auch den Rechtsträgerwechsel und die Übertragung von WG oder Funktionen auf andere Rechtsträger besteuert, also die Kapital- oder Personengesellschaft. Den Ertrag der verschiedenen Betriebsstätten kann man nur durch Konzepte beeinflussen, die die Zurechnung der Arbeitnehmer im Verhältnis zu ihrem Tätigkeitsort verändern. Aber das ist eine eher mühsame Maßnahme. Einfacher ist es, zwischen mehreren Rechtsträgern die unternehmerische Tätigkeit der Gruppe aufzuteilen.

Steuersparstrukturen

Bei der Änderung einer Unternehmensstruktur mit dem Ziel der Ersparnis von Gewerbesteuer muss man unterscheiden. Zum einen geht es um die Zielstruktur, die die beabsichtigten Steuerfolgen auslösen soll. Sie muss also den Ertrag dort anfallen lassen, wo er günstig besteuert wird, und ihn dort vermeiden, wo hohe Steuern ausgelöst werden. Davon zu unterscheiden ist der Weg in diese Zielstruktur, der ebenfalls steuerlich funktionieren muss. Und hier werden bei der Umsetzung solcher Vorhaben die häufigsten Fehler gemacht, die es gilt, nachträglich aufzudecken, wenn man eine solche Gestaltung zugunsten der Kommune mit hohem Hebesatz angreifen will. Der Ortswechsel eines ganzen Unternehmens oder die Verlegung einzelner Funktionen oder Wirtschaftsgüter innerhalb der deutschen Steuergrenzen dagegen löst keine Steuerfolgen aus, denn im Geltungsbereichs des deutschen Steuerrechts gibt es keine Entstrickung, vielmehr führt der Rechtsträgerwechsel einer Funktion oder eines Wirtschaftsguts zur Gewinnrealisierung, wenn einem nicht spezifische Umwandlungssteuerregeln über dieses Problem hinweg helfen.

Sitzt beispielsweise ein Unternehmen mit Produktion und Vertrieb und einer großen Mitarbeiterzahl an einem Ort mit hohem Hebesatz, dann könnte die Ausgliederung des Vertriebs auf eine Gruppengesellschaft an einem Ort mit günstigem Hebesatz die gewünschte Steuerminimierung bringen. Geschieht dies aber durch Ausgliederung der Vertriebsaktivität auf eine andere Gruppengesellschaft, dann löst schon dieser Schritt erhebliche Steuern aus, denn der kapitalisierte Vertriebsgewinn wird hier der Ertragsbesteuerung unterworfen. Demgegenüber könnte man die Produktion steuerneutral auf eine Tochtergesellschaft ausgliedern und dann den Sitz der verbleibenden Vertriebsgesellschaft an einen günstigen Ort verlegen, ohne dass die Ausgliederung oder Sitzverlegung Steuern auslösen.

Noch einfacher ist die Ausgliederung wertvoller Wirtschaftsgüter oder Funktionen auf eine Gruppengesellschaft an einem Standort mit günstigem Hebesatz (sogenanntes Outsourcing). Das operative Unternehmen am Ort mit hohem Hebesatz reduziert so durch ein Nutzungsentgelt (Miete, Lizenzzahlung etc.) den eigenen Gewerbeertrag, während dieser am Standort der Outsourcing-Gesellschaft günstig besteuert wird.

Prüfungsfelder

Hier hat der Kämmerer des Standorts mit hohem Hebesatz anzusetzen. Er prüft, ob das relevante Unternehmen den branchentypischen Ertrag erwirtschaftet. Dieser lässt sich über Verbände etc. leicht erheben. Wird der branchentypische Ertrag deutlich nicht erreicht, dann ist die Struktur des Gesamtunternehmens zu ermitteln. Denn schon aus dieser lässt sich regelmäßig einfach ablesen, mit welchen Gestaltungsmaßnahmen die Gewerbesteuer vor Ort abgesenkt wird.

Da es hier um ein Thema mit beachtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen geht, verwenden die Unternehmen zum Teil erhebliche Ressourcen auf die Frage, wie sie sich hier möglichst vorteilhaft aufstellen. Dann ist die Ursachensuche nach dem Konzept für die Gewerbesteuerersparnis häufig schwieriger. Aber immer geht es um Konzepte, die aus dem internationalen Steuerrecht geläufig sind, weil die gleichen Instrumente auch grenzüberschreitend angewandt werden. Und immer ist in diesen Fällen auch bekannt, wo die Schwachstellen der einzelnen Konzepte liegen.

Selbsthilfe und Steuerkompetenz

Das für die Gewerbesteuerschuldner jeweils zuständige Finanzamt ist meist keine große Hilfe. Das zeigt schon die reduzierte Rolle, die die Gemeinden bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages durch das jeweils zuständige Finanzamt spielen. Wie eine Verfügung des bayerischen Landesamts für Steuern zeigt, sollen sie nicht einmal zu Rechtsbehelfsverfahren gegen Steuerbescheide hinzugezogen bzw. beigeladen werden.

Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass die Finanzämter im Interessenskonflikt zwischen mehreren Gemeinden, die an dem Gewerbesteuerertrag eines Unternehmens partizipieren, äußerste Zurückhaltung üben. Hier ist die Gemeinde auf Eigeninitiative angewiesen, vor allem wenn es um die Anwendung der Steuerregeln geht, welche die grenzüberschreitende Verlagerung von Steueraufkommen verhindern. Das setzt entsprechende Detailkenntnisse voraus, wie die internationale Steuerdiskussion Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) zeigt. Dabei geht es um die Verteilung des Steuerguts zwischen mehreren Gruppengesellschaften und damit zugunsten verschiedener Gemeinden. Diese Regeln, die beispielsweise in der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung deutlich angesprochen sind, muss man kennen und auf Inlandssachverhalte anwenden. Nur so lässt sich eine funktions- und risikogerechte Gewerbesteuer auch am Ort mit hohem Hebesatz durchsetzen.

 

[1] Vgl. § 7 Abs. 7-9 GewSt i.d.F. des BEPS I-Umsetzungsgesetz vom 23.12.2016 BGB L I 2016 3000

 

 

Prof. Dr. Wolfgang Blumers

Blumers & Partner Rechtsanwälte, Steuerberater

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