15.12.2015

Happy End bei Vorratsdatenspeicherung?

Weiterhin umstritten: Neues Gesetz mit alten Problemen

Happy End bei Vorratsdatenspeicherung?

Weiterhin umstritten: Neues Gesetz mit alten Problemen

O’zapft is… | © sonjanovak - Fotolia
O’zapft is… | © sonjanovak - Fotolia

Es war einmal eine EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) aus dem Jahr 2006. Diese Richtlinie sah eine anlasslose und umfangreiche Speicherung von bei Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes erzeugten oder verarbeiteten Daten vor. Daten die z. B. zur Identifizierung des Adressaten einer Nachricht oder zur Bestimmung von Datum, Uhrzeit, Dauer und Art einer Nachrichtenübermittlung dienen, sollten für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren gespeichert werden. Das Resultat der nationalen Umsetzung dieser Richtlinie (BGBl I 2007, S. 3198) war eine Vorratsdatenspeicherung, die mit öffentlich zugänglichen und mobilen Telefondiensten, E-Mail, Internetzugangsdiensten und der Internet-Telefonie ähnliche Bereiche wie die EU-Richtlinie betraf. Ebenso glich der Umfang der zu sammelnden Daten mit Rufnummern, Datum und Uhrzeit von Verbindungen, Anschluss- und Standortdaten der Teilnehmer, internationaler Kennungen mobiler Teilnehmer und IP-Adressen den Vorgaben der Richtlinie. Die Vorratsdatenspeicherung diente nach den nationalen Regelungen der Verfolgung von Straftaten, der Gefahrenabwehr oder der Erfüllung gesetzlicher Aufgaben einiger Geheimdienste und hatte eine Dauer von sechs Monaten.

Die Moral von der Geschichte…

Sowohl die in der EU-Richtlinie als auch die national geregelte Vorratsdatenspeicherung nahmen ein jähes Ende. Zunächst wurden die entsprechenden Normen des TKG und der StPO vom BVerfG wegen eines unverhältnismäßigen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig erklärt (1 BvR 256/08 u.a). Dabei schloss das BVerfG eine Vorratsdatenspeicherung nicht aus, sondern machte Vorgaben, die bei einer Neuregelung zu beachten sind. Dazu zählen vor allem normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes. Damit soll dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs bisher unbekannten Ausmaßes, das aus der weitreichenden Aussagekraft der gesammelten Daten folgt, angemessen Rechnung getragen werden. Zudem müssen der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. In einer späteren Entscheidung erklärte der EuGH die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung wegen des unverhältnismäßigen Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten nach Art. 7 und Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für ungültig (C-293/12). Die Bekämpfung schwerer Kriminalität sei zwar von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Sie rechtfertige aber für sich genommen keine derart umfassende Speicherungsmaßnahme. Zudem rügte der EuGH die Erstreckung der in der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung vorgesehenen Datenspeicherung auf alle Personen, elektronischen Kommunikationsmittel sowie sämtliche Verkehrsdaten, ohne eine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten. Die Vorratsdatenspeicherung müsse sich auf das absolut Notwendige beschränken. Die EU erklärte nach der Entscheidung des EuGH keinen neuen Anlauf zur Regelung der Vorratsdatenspeicherung zu nehmen.

„Neue Vorratsdatenspeicherung” – bekannte Probleme

Statt das Märchenbuch zur Vorratsdatenspeicherung auch auf nationaler Ebene zu schließen, wurde ein neues Kapitel mit unbekanntem Ende begonnen. Am 16. 10. 2015 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, welches Änderungen des TKG, der StPO und des StGB zur Folge hat (BT-Drs. 18/5088, BT-Drs. 18/6391). Der Gesetzgeber setzte einige Vorgaben des BVerfG und des EuGH um. Beispielsweise enthält das Gesetz Ausnahmen für Daten von Berufsgeheimnisträgern und umfasst keine E-Mails oder die aufgerufenen Internetseiten. Darüber hinaus sind Regelungen zur Datensicherheit, Transparenz und zum Rechtsschutz vorgesehen und es wird wie bei der ersten nationalen Regelung nicht der Inhalt der Kommunikation erfasst. Bezüglich der Speicherfrist wird nach § 113 b Abs. 1 TKG zwischen Standortdaten, die für vier Wochen gespeichert werden, und anderen Daten, die für zehn Wochen gespeichert werden, unterschieden.


Demgegenüber treten bei der „neuen” Vorratsdatenspeicherung auch bekannte Probleme auf. Nach wie vor werden Daten überwiegend zusammenhangslos und anlasslos in einem Umfang gespeichert, der keinesfalls auf das Notwendige beschränkt wird. Die Ausnahmen von der grundsätzlichen Speicherpflicht sind so gering, dass ein Großteil der Bevölkerung weiterhin die Speicherung der sie betreffenden Daten befürchten muss. Statt des wegen des intensiven Grundrechtseingriffs grundsätzlich erforderlichen Ausnahmecharakters der Vorratsdatenspeicherung, ist diese generell vorgegeben und mit nur ein paar Ausnahmen hinsichtlich der betroffenen Personen und des Umfangs der Daten versehen. Zusätzlich sind die erfassten Daten weiterhin sehr umfangreich und es erfolgt keine Differenzierung anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten. Mit diesem Ziel ist zwar indirekt die Verwendung der Daten, nicht aber die Erhebung und Speicherung der Daten verbunden.

Keine klaren und präzisen Normen

Ebenfalls zu hinterfragen ist die Klarheit und Präzision der Normen zur Datenverwendung. § 113 c Abs. 1 Nr. 1 TKG verlangt zur Verwendung der gespeicherten Daten eine rechtliche Grundlage zur Erhebung der Daten durch die Strafverfolgungsbehörden. Dieser Verweis macht die Verwendung jedoch nicht präziser oder klarer. Dem BVerfG zufolge kann der Gesetzgeber Kataloge von Straftaten schaffen und muss sicherstellen, dass die Daten nur verwendet werden dürfen, wenn die verfolgte Straftat auch im Einzelfall schwer wiegt. Die in der Erhebungsgrundlage des § 100 g Abs. 2 S. 2 StPO aufgezählten Straftaten sind nicht zwingend schwer, weil sie das Gesetz derart bezeichnet. Die Qualifizierung einer Straftat als schwer muss sich aus der Strafnorm, insbesondere dem Strafrahmen, ergeben. Zweifelhaft erscheint in diesem Zusammenhang der im Katalog nach § 100 g Abs. 2 S. 2 StPO aufgezählte § 89 a StGB. Danach sind die Ausreise aus dem Bundesgebiet „in böser Absicht” nach Abs. 2a und klassische Vorbereitungshandlungen schwere Straftaten. Die Klassifizierung schwerer Straftaten würde danach sehr weit reichen und könnte der Bedeutung schwerer Straftaten widersprechen.

Der Straftatbestand der Datenhehlerei gem. § 202d StGB

Gleichzeitig mit der „neuen” Vorratsdatenspeicherung wurde der Straftatbestand der Datenhehlerei gem. § 202 d Abs. 1 StGB geschaffen. Danach macht sich derjenige strafbar, der Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem Dritten verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Nach § 202 d Abs. 3 StGB sind davon Handlungen ausgenommen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen, wobei ausdrücklich Amtsträger genannt werden. In diesem Zusammenhang stellen sich u. a. die Fragen, ob Journalisten unter diese Ausnahme fallen und welche beruflichen Pflichten Journalisten zukommen. Des Weiteren spricht die Gesetzesbegründung von „journalistischen Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung”. Diese Einschränkung ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesetz.

Zukunft bleibt offen

Die Vorratsdatenspeicherung bleibt national wie international umstritten. Nicht zuletzt bieten aktuelle Geschehnisse, wie die Anschläge in Paris am 14. 11. 2015, Zündstoff bei der Frage nach der Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Terror und zur Verfolgung schwerer Straftaten. Daneben stellt sich die Frage, wieviel Raum für eine Vorratsdatenspeicherung angesichts der verfassungs- und europarechtlichen Maxime bleibt. Die „neue” Vorratsdatenspeicherung scheint diese Vorgaben zu überschreiten. Mit Blick auf die bereits angekündigten Klagen vor dem BVerfG wird am Ende wahrscheinlich ein Gericht darüber entscheiden, ob das jetzige Kapitel der Vorratsdatenspeicherung mit Happy End geschlossen wird.

Hinweis der Redaktion: Einen ausführlichen Beitrag der Autorin zu diesem Thema finden Sie in der Zeitschrift Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis (apf), Ausgabe 1.2016.

 

Ass. iur. Ann-Kristin Kästner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität in Hamburg
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