15.12.2015

Die „Ufos” wollten nicht starten

Nach dem Streik ist vor dem Streik – der nächste kommt bestimmt

Die „Ufos” wollten nicht starten

Nach dem Streik ist vor dem Streik – der nächste kommt bestimmt

Die „Ufos” wollten nicht starten. | © Michael Rosskothen - Fotolia
Die „Ufos” wollten nicht starten. | © Michael Rosskothen - Fotolia

Stress für die Fluggäste. Nach dem Streik der Piloten dauerte es nur wenige Wochen. Dann legte die Gewerkschaft für das Kabinenpersonal, die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo), für die Dauer einer Woche die Arbeit nieder, der bisher längste Ausstand am Stück, den die Fluggesellschaft zu verkraften hatte. Pro Streiktag entstehen der Gesellschaft mit dem Kranich im Firmen-Logo Verluste in Höhe eines zweistelligen Millionen-Betrags. Allein in den ersten beiden Streiktagen fielen 800 Flüge aus. 95.000 Reisende waren betroffen.

Den letzten der insgesamt 13 Streiks der Piloten – bei dem am 9. September rund 1000 der 1520 geplanten Füge ausfielen – konnte die Lufthansa in der zweiten Instanz des Eilverfahrens auf dem Rechtsweg stoppen (vgl. Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil v. 09. 09. 2015 – 9 SaGa 1082/15). Das war eine große Überraschung. Denn der Richter des LAG Hessen untersagte der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) die kollektive Verweigerung der individualrechtlich geschuldeten Arbeit und verlangte, dass die Piloten ihre Arbeitsverträge erfüllen.

Zur Begründung führte das LAG aus, die Gewerkschaft habe Forderungen über die Ziele der Unternehmensführung gestellt, die nicht Gegenstand von Tarifverträgen sein können. Die Gewerkschaft der Piloten hat das nicht akzeptiert. Sie hat Verfassungsbeschwerde vor dem Hessischen Verfassungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, ist aber trotzdem an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, nachdem die Lufthansa zugesichert hat, rechtlich daraus keine Ansprüche abzuleiten. Forderungen, die der Arbeitgeber nicht selbst erfüllen kann, weil sie nicht in seinen eigenen Kompetenzbereich fallen, waren schon immer unzulässig (vgl. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006, § 5 Rn. 41 ff.)


Der Sieg war „hauchdünn”

Das LAG Hessen ging darüber aber weit hinaus und billigte der Arbeitgeberin einen autonomen Ermessensspielraum zu, Pläne über die Zukunft des Unternehmens frei vom Einfluss der Gewerkschaften zu verfolgen. Betriebsverlagerungen können daher nicht zum Gegenstand von Streiks gemacht werden, obwohl die Arbeitgeberin eine darauf gerichtete Streikforderung erfüllen könnte. Der Sieg der Fluggesellschaft vor dem LAG Hessen war also „hauchdünn”.

Beim Streik des Kabinenpersonals versuchte die Lufthansa erneut ihr Glück im Eilverfahren. Diesmal mit weniger Erfolg. Die Arbeitgeberseite trug vor, die Streikforderung sei zu unbestimmt, um sie erfüllen zu können. Als Eingangsinstanz gab das Arbeitsgericht Düsseldorf dem Antrag der Arbeitgeberin statt und untersagte den Streik. In zweiter Instanz ließ das Gericht erkennen, die Tarifforderung der Gewerkschaft diene lediglich dem Zweck, die Tarifverhandlungen voranzubringen und sei dafür hinreichend bestimmt. Die Fluggesellschaft zog daraufhin ihren Eilantrag zurück.

Bettina Volkens, die Personal-Chefin der Lufthansa, betonte: „Die Ufo-Forderungen würden das System noch einmal um 25 Prozent verteuern.” Man könnte es also im arbeitsrechtlichen Eilverfahren vortragen, die Gewerkschaft dürfe keine unerfüllbare Forderung stellen. Extra posse nemo obligatur – Man kann niemand zu etwas verpflichten, was er gar nicht erfüllen kann. Im Grundsatz ist das richtig. Doch der Teufel steckt in den Details. Und das Gericht wird sich an die Volksweisheit halten, die schon bei dem Streit um die Autonomie der Unternehmensführung den Ausschlag gab. Es wird erneut mit dem Tenor urteilen, es werde nie so heiß gegessen, wie gekocht.

Es wird nie so heiß gegessen, wie gekocht

Das alles zeigt, dass die Arbeitgeber auf den klassischen Rechtsweg vielleicht einen Sieg erringen können, vielleicht aber auch nicht. Und das legt es nahe, einen anderen Weg einzuschlagen, den „Trampelpfad der herrschenden Meinung”, wie sie in den juristischen Lehrbüchern zum Arbeitskampfrecht beschrieben wird, also zu verlassen.

Das Arbeitskampfrecht ist Richterrecht. Es entsteht nicht im Parlament sondern im Gerichtssaal. Wer etwas ändern will, muss das vor Gericht erstreiten und es von vorne herein darauf anlegen, den Fall vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu tragen. Das setzt nicht nur eine kräftige Portion an Selbstvertrauen voraus. Man darf auch nicht „einlenken”, weil man das „Tischtuch nicht zerschneiden” will, das den Verhandlungstisch bedeckt. Man braucht also Entschlossenheit und einen langen Atem. Und den haben die meisten Arbeitgeber nicht. Sie bleiben auf halben Rechtsweg stehen, weil ihnen der Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach.

Wer immer den dornigen Marsch durch alle Instanzen auf sich nimmt, sollte mit der Begründung in das Eilverfahren gehen, es fehle die Zustimmung zum Streik in der gesamten Belegschaft. Sie trage das Risiko der betriebsbedingten Kündigung. Sie müsse die Folgen eines unter Druck entstandenen Tarifvertrags „ausbaden”, den man freiwillig niemals abgeschlossen hätte. Quod omnes tangit ab omnibus approbari debet – Was alle betrifft muss von allen gebilligt werden. Und wenn die Mehrheit der Belegschaft den Streik nicht will, dann kann er ihr nicht von einer Minderheit aufgezwungen werden.

Minderheiten ist der Streik untersagt

Eine so neuartige Argumentation kann das Gericht nicht auf die leichte Schulter nehmen. In den arbeitsrechtlichen Lehrbüchern findet man auf die Frage nach der Urabstimmung in der streikbetroffenen Belegschaft keine Entscheidungshilfe. Es gibt nur ganz wenige Vertreter des Schrifttums, die verlangen, dass die dienstrechtlich geschuldete Arbeitsleistung nur dann rechtsfolgenfrei verweigert werden darf, wenn die streikbetroffene Belegschaft dem zuvor mehrheitlich zugestimmt hat. Mehrheit entscheidet, Minderheiten ist der Streik untersagt.

Für die basisdemokratische Legitimation des Streiks reicht die Urabstimmung in den Reihen der Gewerkschaftsmitglieder nicht aus. Es streikt ja nicht die Gewerkschaft. Es streikt die Belegschaft. Gewerkschaften mögen Tarifverträge abschließen. Arbeitsverträge, deren Erfüllung sie kollektiv verweigern könnten, haben sie nicht. Gewerkschaften können daher selbst nicht Träger des Streikrechts sein.

Aber zurück zum Rechtsweg. Setzt sich ein Arbeitgeber im Eilverfahren mit dem Argument durch, dass die Urabstimmung in der streikbetroffenen Belegschaft fehlt, ist die Schlacht gewonnen. Setzt er sich nicht durch, muss er mit der gleichen Argumentation in die zweite Instanz gehen. Spätestens hier sollte der Antrag gestellt werden, das Gericht möge nach Art. 100 Grundgesetz einen sog. Vorlagenbeschluss fassen und von sich aus das Verfassungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung anrufen. Gibt das Gericht dem Eilantrag statt, ist die Frage nach der Zulässigkeit, das Verfahren vor die Schranken des Verfassungsgerichts zu tragen, erledigt. Denn Richter dürfen das. Die Verfassung gibt ihnen das Recht dazu.

Juristisch gibt es allerdings ein Problem, das aber das Gericht überwinden muss. Denn es gibt kein kodifiziertes Arbeitskampf-Recht, dessen Verfassungswidrigkeit ein Richter anzweifeln könnte. Das Streikrecht ist gesetzesvertretendes Richterrecht. Auch ein Präzedenzfall, also ein Urteil zur Urabstimmung in der gesamten Belegschaft fehlt. Es geht also um einen Zustand der Gesetzlosigkeit, der durch das Verfassungsgericht behoben werden muss. Art. 100 GG muss verfahrensrechtlich sehr weit ausgelegt werden, wenn eine Vorlage an das Verfassungsgericht Erfolg haben soll.

Doch vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Denn die richterliche Vorlage muss hieb- und stichfest begründet werden. Das Schrifttum dazu ist dünn. Aber es ist vorhanden, wenn man weiß, wo man suchen muss. Bei Wikipedia wird man fündig. Die Buchveröffentlichung: „Mehrheit entscheidet / Ohne Urabstimmung kein Streik”, 2008, befasst sich in großer Ausführlichkeit mit dem Thema.

Hilfreicher Rechtsvergleich

Hilfreich ist auch der Rechtsvergleich. Vorreiter der Demokratisierung des Streikrechts sind die Vereinigten Staaten von Amerika. In der Zeit des New Deal 1933 – 38 kam in den USA die Frage auf, ob und inwieweit Gewerkschaften Tarifverhandlungen führen und zum Streik aufrufen dürfen, wenn die Mehrheit der streikbetroffenen Belegschaft nicht von der Gewerkschaft vertreten werden will. Der Gesetzgeber zog daraus die Konsequenz und ordnete an, dass auf Verlangen der Arbeitgeber über diese Frage abgestimmt werden könne, nicht aber müsse. Die komplizierten, gleichwohl hochinteressanten Einzelheiten werden in die Habilitationsschrift von Kurt H. Biedenkopf („Unternehmer und Gewerkschaften im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika”, 1961) beleuchtet. Seither sind Jahrzehnte vergangen. Und das Arbeitsrecht ist auch in den USA in Bewegung, blieb in seinen Grundzügen jedoch unverändert.

Das englische Arbeitskampf-Recht entstand in der Zeit als Margaret Thatcher Premierministerin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien war. Es war das Verdienst ihres Arbeitsministers, Norman Tebbit, die Streikwut der Briten durch ein Streikrecht befriedet zu haben, das von der nachfolgenden Labour-Regierung unter Tony Blair nicht mehr angetastet wurde. Bei der Gesetzgebungsarbeit hielten sich die Briten an den Grundsatz: Gut abgeschaut ist besser als schlecht erfunden. Sie nahmen sich das Streikrecht der USA zum Vorbild, das sie modernisierten und auf die eigenen Bedürfnisse zuschnitten. Heute ist das Gesetz nicht mehr das verhasste Gesetz von Margaret Thatcher, sondern das Gesetz ihrer Majestät der Königin und wird als solches auch von den Gewerkschaften akzeptiert – hohe Schule der Gesetzgebung also, die man mit Respekt und Hochachtung bewundern muss.

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist Mitherausgeber des Buches: „Mehrheit entscheidet / Ohne Urabstimmung kein Streik”, 2008.

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