15.12.2015

BMF-Schreiben mit Gesetzesrang?

Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von dynamischen Verweisungen

BMF-Schreiben mit Gesetzesrang?

Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von dynamischen Verweisungen

Die Kunst der Verweisungstechnik will beherrscht sein.
Die Kunst der Verweisungstechnik will beherrscht sein.

Das Steueränderungsgesetz 2015 verleiht einer Gruppe bereits erlassener und auch noch nicht erlassener Verwaltungsvorschriften des BMF quasi Gesetzesrang. Dies geschieht in § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG durch Artikel 3 Nummer 7 des Steueränderungsgesetzes (BGBl. I 2015 S. 1834, 1836) im Wege einer sogenannten dynamischen Verweisung. Die angewandte Methode wirft verfassungsrechtliche Fragen auf.

Die Verweisung in § 44 EStG

Es geht in § 44 EStG um die „Entrichtung der Kapitalertragsteuer”, wobei Abs. 1 Satz 3 die sogenannte Quellensteuer regelt, nämlich dass die Schuldner von Kapitalerträgen bzw. die einen Wertpapier-Verkaufsauftrag ausführenden Stellen (also im Normalfall Banken) den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers vorzunehmen haben. Entsprechend der aktuellen Änderungsanweisung in Art. 3 Nummer 7 werden in den Satz 3 ein paar Wörter eingefügt, sodass er künftig lautet:

„(…) haben der Schuldner der Kapitalerträge (… bzw.) die für den Verkäufer der Wertpapiere der Verkaufsauftrag ausführende Stelle (…) und die die Kapitalerträge auszahlende Stelle den Steuerabzug unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen.”


Verfassungsrechtliche Grenzen

Zu diesem Thema kann man beispielsweise nachlesen im Sammelwerk „Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung”, das 1976 von Jürgen Rödig herausgegeben wurde. Der dortige Beitrag von Ulrich Karpen „Die Verweisungstechnik im System horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung” formuliert hierzu dezidiert auf Seite 221: „Die dynamische Verweisung eines Gesetzes auf eine Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift ist unter dem Prinzip rechtsstaatlicher Gewaltenteilung eine apokryphe Ermächtigung der Verwaltung zum Erlass von Rechtsvorschriften und wegen Umgehung des Artikels 80 Abs. 1 GG verfassungswidrig.”

Grundlegend ist die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, dass eine dynamische Verweisung in einem Gesetz nicht a priori verfassungswidrig ist, sondern dass es auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt (BVerfGE 47, 285). Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, dass die Kompetenzordnung gewahrt bleibt und dass das Ziel der Verweisung zuverlässig bestimmbar bleibt.

Eine kompetenzübertragende dynamische Verweisung kann auch laut BVerfG-Beschluss vom 26. Januar 2007 (Az. 2 BvR 2408/06) problematisch sein, wenn dem Gesetzgeber ein Einfluss auf die zukünftige Fortentwicklung bestimmter Regelungen verwehrt sein könnte, sodass Rechtsetzung außerhalb des Einflussbereichs des legitimierten Rechtsetzungsorgans stattfindet (vgl. BVerwG 7 C 21.08 vom 29. 10. 2009). Die Verlagerung der Rechtsetzung auf einen anderen Gesetzgeber ist selbst bei einer dynamischen Verweisung im Grundsatz in Ordnung, nicht aber auf die Judikative oder Exekutive. Denn die Gewaltentrennung und die fein ziselierten Regelungen über die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Exekutive per Ermächtigung gemäß Artikel 80 GG lassen nur wenig Spielraum für Öffnungsklauseln oder andere Arten der Delegation legislativer Kompetenzen.

Banken als Finanzämter?

Wenn nun ab 1. 1. 2016 im EStG selbst steht, dass die Banken den Quellensteuerabzug der Kapitalertragsteuer unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung vorzunehmen haben, dann verleiht diese Verweisung den geltenden und künftigen Einkommensteuer-Richtlinien und -Hinweisen, die das BMF mindestens jährlich im BStBl. publiziert, faktisch Gesetzeskraft; bis dato hatten sie nur die Finanzverwaltung als innerdienstliche Weisung gebunden. Jetzt müssen sich Banken – eventuell zulasten ihrer Kunden – daran halten.

Angenommen, die Auffassungen der BFH-Rechtsprechung einerseits und der Finanzverwaltung andererseits zu einem Thema der Kapitalertragsteuer gehen auseinander, und weiter angenommen, zu dem Thema existiere innerhalb der Einkommensteuerrichtlinien des BMF ein sogenannter Nichtanwendungserlass, also eine Vorschrift, die besagt, einer missliebigen BFH-Entscheidung komme keine über den Einzelfall hinaus beachtliche Wirkung zu, dann ist es den Banken fortan verwehrt, der Ansicht des BFH zu folgen und sie müssen dem BMF folgen?

Offenbar ist dies gewollt und auch so vom Parlament abgesegnet worden. Hierin könnte aber eine Verletzung der Gewaltentrennung liegen. Denn die Banken sind nur dann in die Finanzverwaltung eingebunden, wenn man sie aufgrund des § 44 EStG als mit Hoheitsmacht Beliehene ansieht. Bedeutet dies in der Konsequenz, dass ein Bankkunde, der mit dem konkreten Einbehalten einer Summe an Quellensteuer nicht einverstanden ist, künftig bei seiner Bank einen Einspruch nach §§ 44 FinGO, 347 AO einlegen kann und muss? Es scheint nicht ausgeschlossen, nachdem die neue Rechtslage nun ein BMF-Schreiben aus dem Jahr 2013 zur Gesetzeskraft hat erstarken lassen, welches besagte:

„Aufgrund der Systematik der Abgeltungsteuer bleibt es dabei, dass die Kreditinstitute als Organe der Steuererhebung die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich des Kapitalertragsteuereinbehalts anzuwenden haben (vgl. BT-Drs. 17/3549 Seite 6). Nur so kann verhindert werden, dass der Umfang der Steuererhebung davon abhängig ist, bei welchem Institut der Steuerpflichtige sein Kapital anlegt.” (BMF-Schreiben vom 12. September 2013, Az.: IV C 1 – S 2252/07/0002 :010; Nichtanwendungserlass zu BFH Urt. vom 12. 12. 2012, I R 27/12)

Fazit

Es ist damit zu rechnen, dass es in der Folge der aktuellen Änderung von § 44 EStG noch zu verfassungsrechtlichen Grundsatzdiskussionen kommen wird – oder mindestens zu schicken Klausuren in Seminaren zum Steuer- und zum Verfassungsrecht. Ausreichend finanzielle Interessen sind jedenfalls betroffen.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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