15.12.2015

Flüchtlingsunterkünfte

Neues Bauplanungsrecht seit 24. 10. 2015

Flüchtlingsunterkünfte

Neues Bauplanungsrecht seit 24. 10. 2015

Erweiterte Befreiungsmöglichkeiten für die Genehmigung mobiler Flüchtlingsunterkünfte. | © hydebrink - Fotolia
Erweiterte Befreiungsmöglichkeiten für die Genehmigung mobiler Flüchtlingsunterkünfte. | © hydebrink - Fotolia

Eine der großen Herausforderungen durch den akuten Zustrom von Flüchtlingen ist die Schaffung ausreichender Unterkünfte für diese Menschen. Konkret stellt sich hierbei häufig und aus verschiedenen Blickwinkeln die Frage, ob und an welchen Stellen solche Unterkünfte errichtet werden dürfen, wo sie also planungsrechtlich zulässig sind. Bereits bislang galten befristet bis zum 31. 12. 2019 bauplanungsrechtlich wesentliche Erleichterungen für die Genehmigung solcher Vorhaben (vgl. Böckh, in: PUBLICUS 2014.12 S. 12). Nunmehr ist am 24. 10. 2015 das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. 10. 2015 (BGBl I S. 1722) in Kraft getreten. Es bringt eine enorme Ausweitung dieser Zulässigkeiten bis hin zur Möglichkeit – verkürzt und plakativ ausgedrückt –, das BauGB durch die Bezirksregierungen vorübergehend außer Kraft zu setzen.

Rechtsstand bis zum 23. 10. 2015 (diese Regelungen bleiben weitgehend bestehen)

Unterkünfte für Flüchtlinge sind planungsrechtlich „Anlagen für soziale Zwecke”. Diese sind in Kleinsiedlungsgebieten (WS) und Reinen Wohngebieten (WR) ausnahmsweise (Ermessensentscheidung) und in Allgemeinen Wohngebieten (WA), Besonderen Wohngebieten (WB), Mischgebieten (MI), Dorfgebieten (MD) und Kerngebieten (MK) allgemein (also mit Rechtsanspruch) zulässig. Hieran hatte der Gesetzgeber auch bislang festgehalten. Unerheblich ist dabei, ob der jeweilige Gebietscharakter durch einen Bebauungsplan festgesetzt ist oder ob er sich im unbeplanten Innenbereich aus der Eigenart der näheren Umgebung gem. § 34 Abs. 2 BauGB unter Anwendung der Gebietstypen der BauNVO entsprechend qualifizieren lässt.

Der Bundesgesetzgeber hat bereits bislang durch § 246 Abs. 8 bis 10 BauGB aufgrund des hohen Bedarfs an Unterkünften deren Zulässigkeiten im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BauGB, im Außenbereich gem. § 35 BauGB und in durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebieten (GE) befristet bis zum 31. 12. 2019 deutlich erleichtert.


  • Im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB können gem. § 246 Abs. 9 BauGB alle zulässigerweise errichteten Geschäfts-, Büro- oder Verwaltungsgebäude unter sehr erleichterten Bedingungen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden umgenutzt werden. Das Erfordernis des Einfügens gilt hierfür nicht, das gilt auch für Erweiterungen, Änderungen und Erneuerungen. Sie müssen lediglich städtebaulich vertretbar sein, die nachbarlichen Interessen sind zu würdigen. Zu dieser Würdigung nachbarlicher Interessen hat das OVG Hamburg am 12. 01. 2015 entschieden (2 BS 247/14), dass Nachbarn angesichts der nationalen und drängenden Aufgabe bei der Flüchtlingsunterbringung ein Mehr an Beeinträchtigungen zuzumuten ist.
  • Außerdem sind Vorhaben zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden im Außenbereich gem. § 35 BauGB zulässig, sofern sie in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit bereits besiedelten Flächen, also im Siedlungsanschluss liegen (§ 246 Abs. 9 BauGB).
  • Ebenfalls schon bislang können Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende auch in durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebieten (GE) durch eine Befreiung vom Bebauungsplan gem. § 246 Abs. 10 BauGB genehmigt werden, wenn Anlagen für soziale Zwecke nach den Festsetzungen des Bebauungsplans ausnahmsweise oder allgemein zulässig sind. Diese gesetzliche Regelung wurde notwendig, da man wegen der wohnähnlichen Nutzung der Unterkünfte davon ausgeht, dass sie in Gewerbegebieten grundsätzlich nicht zulässig sind. Ob in den Fällen, in denen der Bebauungsplan Anlagen für soziale Zwecke nicht ausnahmsweise zulässt und daher diese Befreiung nach § 246 Abs. 10 nicht ermöglicht, dennoch eine „normale” Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB möglich ist, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. Der BayVGH hat dies verneint (Az. 1 ZB 14.2373), das OVG NRW hingegen bejaht (Az. 7 B 1343/14).

Die Rechtslage ab dem 24. 10. 2015

Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz bringt neben zahllosen weiteren Maßnahmen im Asylverfahrens-, Aufenthalts- und Sozialrecht vor allem auch für das asyl- und flüchtlingsbezogene Bauplanungsrecht durch die Anfügung weiterer sieben Absätze zu § 246 BauGB massive Veränderungen:

  • Die Umnutzungsmöglichkeit in Gebieten nach § 34 BauGB bezieht sich nun nicht mehr nur auf Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, sondern auf alle baulichen Anlagen (§ 246 Abs. 8 BauGB nF).
  • Soweit in Bebauungsplangebieten oder Gebieten nach § 34 Abs. 2 BauGB, die sich nach den §§ 2 bis 7 BauNVO beurteilen (dies betrifft vor allem Kleinsiedlungsgebiete/WS und Reine Wohngebiete/WR), Anlagen für soziale Zwecke ausnahmsweise zulässig sind, sollen diese Ausnahmen für Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünfte „in der Regel” erteilt werden. Eine solche Ermessendirektive führt nahe an einen Rechtsanspruch auf Gewährung der Ausnahme heran (§ 246 Abs. 11 BauGB nF). Für Gewerbegebiete verbleibt es wegen des wohnähnlichen Charakters der Unterkünfte bei der oben beschriebenen bisherigen Regelung des § 246 Abs. 10 BauGB (so die Gesetzesbegründung).
  • Mobile Unterkünfte (im Regelfall Zelte oder Container) können bis zum 31. 12. 2019 generell durch eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befristet für 3 Jahre genehmigt werden, wenn die Befreiung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (§ 246 Abs. 12 BauGB nF). Hierbei bleibt – anders als in § 1 Abs. 2 BauGB – außer Betracht, ob durch die Befreiung die Grundzüge der Planung berührt werden. Diese Befreiungsmöglichkeit für Behelfsunterkünfte gilt ganz generell für alle Baugebiete und deren Flächen, auch z. B. für festgesetzte Gemeinbedarfsflächen (Parkplätze) und Wohngebiete, aber auch für Misch- und Gewerbegebiete (so die Gesetzesbegründung).

Außerdem gilt diese Regelung völlig gleichlautend für eine auf 3 Jahre befristete Nutzungsänderung (aller) zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbegebieten (GE), Industriegebieten (GI) und Sondergebieten (SO) gem. §§ 8 bis 11 BauNVO, um diese als Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Asylbegehrende und Flüchtlinge zu nutzen. Bei dieser auf 3 Jahre beschränkten Zulassung in Gewerbegebieten wird anders als in § 246 Abs. 10 auch nicht danach gefragt, ob Anlagen für soziale Zwecke als ausnahmsweise zulässig festgesetzt sind. Der Unterschied zu § 246 Abs. 10 BauGB liegt in der zeitlichen Beschränkung auf 3 Jahre. Unerheblich ist auch, ob es sich um konkrete Festsetzungen eines Bebauungsplans oder um faktische Baugebiete nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. der BauNVO handelt.

Bei der Zulassung der auf 3 Jahre befristeten Unterkünfte nach dem neuen § 246 Abs. 12 BauGB – seien es mobile Unterkünfte oder Nutzungsänderungen in GE, GI oder SO – liegt die Grenze der Zulässigkeit bei der Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse, wobei bei mobilen Unterkünften nach der Gesetzesbegründung nicht auf den Gebietstypus, sondern auf die tatsächlichen Umweltverhältnisse abgestellt werden soll. Das Gesetz sagt weiter, dass bei der Entscheidung die nachbarlichen Interessen „zu würdigen” sind. Die Begründung verweist hierzu auf die bereits zitierte Entscheidung des OVG Hamburg vom 12. 01. 2015 (2 BS 247/14), wonach Nachbarn angesichts der nationalen und drängenden Aufgabe bei der Flüchtlingsunterbringung ein Mehr an Beeinträchtigungen zuzumuten ist.

  • Im Außenbereich gem. § 35 BauGB können alle zulässigerweise errichteten baulichen Anlagen sehr erleichtert in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende umgenutzt und dabei im erforderlichen Umfang auch erneuert und erweitert werden. Außerdem können mobile derartige Unterkünfte dort befristet auf 3 Jahre genehmigt werden (§ 246 Abs. 13 BauGB nF). Der Bauherr muss dabei eine Verpflichtungserklärung abgeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen („Rückbaugebot”); die Baugenehmigungsbehörde hat dies durch eine nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise sicherzustellen, es sei denn, Bauherr ist ein Land oder eine Gemeinde.

Sollten die geschilderten Erleichterungen des Bauplanungsrechts in den neuen Absätzen 8 bis 13 des BauGB nicht zur rechtzeitigen Bereitstellung dringend benötigter Unterkünfte in der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, führen, kann bis zum 31. 12. 2019 generell von den Vorschriften des BauGB, der BauNVO und den auf dem BauGB beruhenden Vorschriften abgewichen werden. Dies gilt auch, wenn Träger des Vorhabens ein Dritter (Landkreis, Privatperson) ist, das oben bei § 246 Abs. 13 BauGB nF zum Rückbaugebot Ausgeführte ist hier ebenfalls vorgeschrieben. Zuständig ist die jeweilige Bezirksregierung, die die betroffene Gemeinde anhören muss, sofern diese nicht selbst Vorhabenträger oder Auftraggeber des Vorhabenträgers ist (§ 246 Abs. 14 BauGB n.F.). Diese Anhörung ersetzt das kommunale Einvernehmen, übrigens auch in den Fällen der Ausnahme von einer Veränderungssperre gem. § 14 Abs. 2 BauGB. Die Ausgestaltung des näheren Verfahrens ist den Bundesländern überlassen; keinesfalls darf nach der Gesetzesbegründung auf Flächen zugegriffen werden, über die der Vorhabenträger nicht verfügen kann.

Die Gesetzesbegründung sieht den erheblichen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Planungshoheit) und verlangt daher, dass der Eingriff angesichts der aufgrund der besonderen örtlichen Situation sich ergebenden Erforderlichkeit „plausibel” sein muss.

  • Die Frist des § 36 BauGB zur Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens wird für alle Vorhaben, die der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dienen, auf einen Monat verkürzt (§ 246 Abs. 15 BauGB n.F.), die Einvernehmensfiktion tritt also bereits nach einem Monat ein.
  • Bei den Vorhaben nach § 246 Abs. 9 und 13 BauGB n.F. (das sind die bisherigen und die neuen Regelungen für den Außenbereich gem. § 35 BauGB) gilt § 18 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG entsprechend, der besagt, dass die Genehmigungsbehörde davon ausgehen kann, dass Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht berührt sind, wenn sich die hierfür zuständige Behörde (Untere Naturschutzbehörde) nicht binnen eines Monats äußert (§ 46 Abs. 16 BauGB n.F.).
  • Letztlich wird klargestellt, dass sich die in den Abs. 8 bis 16 der Neufassung des § 246 BauGB enthaltene Befristung bis zum 31. 12. 2019 nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Genehmigungszeitpunkt bezieht (§ 246 Abs. 17 BauGB n.F.).

Ausblick

Aufgrund der geschilderten bisherigen und ab 24. 10. 2015 geänderten Rechtslage ist damit zu rechnen, dass Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende an vielen Stellen unserer Siedlungsstruktur entstehen werden. Dies ist ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers.

Es werden sich zahlreiche planungs-, bauordnungs- und umweltrechtliche Fragestellungen, Probleme und Themen ergeben, aber u. a. auch Fragen des Mietrecht und des privaten Baurechts werden sich stellen.

 

Dr. Nikolaus Birkl

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Mediator, Partner der Kanzlei Meidert Kollegen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, München
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