13.04.2016

Eine „Win-Win-Win”-Situation

Neue Mobilität als Schlüssel für urbane Wohnbauvorhaben

Eine „Win-Win-Win”-Situation

Neue Mobilität als Schlüssel für urbane Wohnbauvorhaben

Die Attraktivität unserer Innenstädte wird durch die derzeitigen Regelungen zu Stellplätzen konterkariert. | © tai111 - Fotolia
Die Attraktivität unserer Innenstädte wird durch die derzeitigen Regelungen zu Stellplätzen konterkariert. | © tai111 - Fotolia

Viele Ballungszentren sehen sich heute einer großen Nachfrage an urbanem Wohnraum gegenüber, die sie nur schwer befriedigen können. Nicht selten ist die verkehrliche Erschließung bzw. sind die mit einer neuen verkehrlichen Erschließung verbundenen Kosten ein limitierender Faktor. Deren Bedarf wird heute noch selbst in urbanen Wohnlagen nach einem eher antiquierten Stellplatzschlüssel errechnet. Aber selbst wenn die rechnerischen Verkehre in dem Ballungszentrum noch verträglich sind, verteuern die teilweise unnötigen Stellplatzanlagen (oder Stellplatzablösen) die Projektentwicklung und damit letztlich den Wohnraum beträchtlich. Mit diesem Beitrag soll vorgestellt werden, wie durch eine Entkoppelung der Stellplätze vom Wohnraum und durch alternative Mobilitätsangebote mehr Wohnraum bei gleichzeitig verringerten (rechnerischen und tatsächlichen) Verkehren entstehen kann.

Ausgangslage

Fünfundzwanzig! Fünfundzwanzig Quadratmeter, d.h. die Fläche eines Wohnzimmers, wird nach den Landesbauordnungen als nachzuweisende Mindestausstattung für Stellplätze, pro zu errichtender Wohneinheit, für notwendig erachtet. Das ist schon in Neubauvorhaben urbaner Verdichtungsräume kaum noch oberirdisch darstellbar und verteuert die Gebäudekosten von der Errichtung bis zum Betrieb erheblich. Nahezu unmöglich ist der geforderte Nachweis aber bei den städtebaulich besonders wünschenswerten Nachverdichtungen, insbesondere in den nachgefragten Ballungszentren. Absurd schließlich wird diese Herangehensweise jedoch, wenn man die Ursache für den merk- und spürbaren Druck auf die Innenstädte analysiert: der oft zitierte Trend zum „urbanen Lebensstil“ der sich wiederum dadurch auszeichnet, dass die Menschen in die Stadt ziehen um ohne PKW Ihre alltägliche Ziele zu erreichen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haben bereits einige Städte und Kommunen mit einer neuen Bewertung des Stellplatzschlüssels begonnen.

Die aktuellen rechtlichen Instrumente zur Förderung von urbanem Wohnungsbau beschränken sich demgegenüber vor allem auf Programmsätze. Ergänzend zu den Zielen und Grundsätzen der Bauleitplanung in § 1 Abs. 5 BauGB und den hier kontinuierlich gestärkten Zielen des Umwelt- und Klimaschutzes durch Maßnahmen der Innenentwicklung, ist vor allem die Planungsleitlinie in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB zu nennen. Hiernach sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung zu berücksichtigen.


Die konkreten Regelungen zum Stellplatzrecht finden sich wiederum in den einzelnen Landesbauordnungen der Länder sowie, diese konkretisierend, in den Stellplatzsatzungen der jeweiligen Kommune. Zwar bieten die einschlägigen Paragraphen der jeweiligen Landesbauordnung einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Oft haben die Kommunen diesen Gestaltungsspielraum aber nicht ausgeschöpft und es wird an einem antiquierten Ortsrecht festgehalten. Es wird ein Mobilitätsprofil zementiert, das nicht mehr den Lebenswirklichkeiten der städtischen Wohnbevölkerung entspricht. Hierdurch werden innerstädtische Wohnbauvorhaben unnötig limitiert bzw. jedenfalls unnötig verteuert. Denn es sind Stellplätze zu errichten oder abzulösen, die überhaupt nie benötigt werden. Außerdem werden Potentiale aus der Hand gegeben um – ganz i. S. d. § 1 Abs. 5 BauGB – den Klimaschutz und die Klimaanpassung bei der Stadtentwicklung zu fördern.

Ziel

Um diese unnötigen Kostentreiber zu reduzieren sollte ein Weg gefunden werden, der von einem anderen Grundgedanken zur städtischen Mobilität seiner Einwohner ausgeht: In den Zentren ist ein eigener PKW für den Alltag der Bewohner nicht notwendig. Ein nahezu perfekt ausgebautes System von ÖPNV, Rad- und Fußwegen ermöglicht die Alltags-Mobilität der Bewohner in komfortabler Weise. Dieses Mobilitätssystem sollte als eigenes Immobilienprodukt gesondert errichtet und vermietet werden. Dadurch würde die eigentlich benötigte Wohnung nicht um die genannten ca. 25 m2 verteuert, die zunehmend weniger genutzt, aber immer noch baurechtlich gefordert werden. Der einzelne Stellplatz wird als eigenes Immobilienprodukt eine eigene Preisentwicklung erfahren.

Bisher scheiterten solche Ansätze aus verschiedenen Gründen. Die Angst vor wildem Parken im Wohnumfeld, der Hinweis auf ein individuelles Recht auf Mobilität oder schlicht die eingeschränkte „Vermietungs- und Vermarktungsfähigkeit“ die Projektentwickler und Bestandshalter sehen. Tatsächlich wird eine unbegleitete Entkopplung des Stellplatznachweises von der Anzahl der Wohneinheiten nicht funktionieren. Es bleibt sicher die Notwendigkeit für eine Nachweispflicht von Stellplätzen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, oder die Sinnhaftigkeit von Stellplätzen für gemeinschaftlich nutzbare Fahrzeuge (z. B. Carsharing oder Carpooling, ggf. sogar als elektromobiles Angebot). Insgesamt bedeutet es aber auch, dass ein kombiniertes Paket an Maßnahmen umzusetzen ist – über Änderungen in der Stellplatzsatzung, über die Implementierung eines begleitenden Mobilitätsmanagements in städtebaulichen Verträgen bis zur Weitergabe der Verpflichtungen in den Kaufverträgen. Ziel dieser Maßnahmen ist ein flexibles Stellplatzangebot das den gängigen Marktregularien unterliegt und insgesamt Teil eines attraktiven, urbanen Mobilitätsangebots ist. Und am Ende entsteht dann ein attraktives, nachgefragtes urbanes Wohnumfeld.

Umsetzung

Hierzu haben die Kommunen alle Handlungsmöglichkeiten selbst in der Hand. Sie können die beschriebenen Probleme des aktuellen Baurechts selbst durch die Schaffung neuen Ortsrechts lösen. Kraft ihrer kommunalen Planungs- und Selbstverwaltungshoheit bestimmt letztlich alleine die jeweilige Gemeinde darüber, wohin sie sich künftig entwickeln möchte und welche planerischen Anreize sie dabei setzt. Dabei genießt die Gemeinde gerade bei der Umsetzung von Modellprojekten relativ große planerische Freiheiten. So setzt die städtebauliche Erforderlichkeit eines Bebauungsplans, mit dem ein Modellprojekt des autofreien Wohnens ermöglicht und sichergestellt werden soll, nicht zwingend eine gutachterliche Prognose voraus, ob künftige Bewohner auf Dauer kein (eigenes) Auto halten werden. Vielmehr genügt es, wenn die Gemeinde städtebaulichen Missständen begegnen kann, falls das Modellprojekt fehlschlägt (vgl. OVG Münster, Urteil v. 11.01.2002, Az. 7a D 6/00.NE). Maßnahmen zur Bewältigung eines Nutzungskonflikts, der bei zielentsprechender Nutzung des Modellprojekts (keine bzw. erheblich weniger eigene Autos) nicht auftritt, müssen nicht abgewogen werden.

Außerdem kann die Gemeinde in städtebaulichen Verträgen mit den Eigentümern weitergehende Regelungen, etwa zu einem speziellen Mobilitätskonzept, vereinbaren. Wie bereits dargestellt ist eine, auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichtete städtebauliche Entwicklung ein zulässiges und wünschenswertes Ziel der Bauleitplanung (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB). Zur Umsetzung dieser planerischen Absicht dürfen mithin gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB von der Gemeinde städtebauliche Verträge zur Sicherung und Verwirklichung dieses städtebaulichen Zwecks abgeschlossen werden.

Schließlich gewinnen die Kommunen mehr Gestaltungsspielraum und eine größere Handhabe bei der Gestaltung künftiger Verkehre durch neue Mobilitätsangebote. So kann beispielsweise ein immobilienbezogenes Car-Pooling einen erheblichen Effekt bei der Reduzierung künftiger Verkehre haben ohne zusätzliche Stellplätze erforderlich zu machen. Denn bei diesem Modell stehen die Fahrzeuge ausschließlich den Bewohnern einer konkreten Immobilie zur Nutzung zur Verfügung. Die dergestalt zweckgebundenen Fahrzeuge können mithin auch auf „notwendigen Stellplätzen“ einer Immobilie untergebracht werden ohne gegen die Zweckbindung dieses Stellplatzes zu verstoßen.

Fazit

Dieser Beitrag will mehr sein, als ein Plädoyer für eine hochwertige, verkehrsreduzierte Innenstadtentwicklung. Er will den Konnex verdeutlichen, wonach die Attraktivität und Qualität unserer Innenstädte durch eine Regelung zu Stellplätzen konterkariert wird, die genau diese urbane Qualität – quasi per Gesetz – einschränkt. Vor allem aber will dieser Beitrag aufzeigen, dass alle Akteure von einer konsequenten Verkehrsreduzierung nach dem vorgestellten Muster profitieren würden: Die Gemeinde schafft mehr Wohnraum bei gleichzeitig verringerten Verkehren und die Immobilienwirtschaft erhält ein attraktiveres, werthaltiges Baurecht. Und zuvorderst profitieren natürlich die Bewohner, denn sie beziehen ein gesünderes Wohnumfeld mit reduzierter Verkehrsbelastung ohne ihrerseits Mobilitätseinbußen zu erleiden. Bleibt nur zu hoffen, dass viele Gemeinden diese „Win-Win-Win“ Lage erkennen, Initiative ergreifen und auf eine moderne Stadtentwicklung umschwenken.

 

Oliver H. Leicht

Solar Parker Ltd., Frankfurt a.M.
 

Christian Alexander Mayer

Rechtsanwalt, Noerr LLP, München,
Lehrbeauftragter für Umweltrecht & Regulierung (Universität Stuttgart)
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