10.07.2013

Dokumentenmanagement in der Krise?

Schriftgutablagesystematik als "konkreszentes" System

Dokumentenmanagement in der Krise?

Schriftgutablagesystematik als "konkreszentes" System

Der Aktenplan – mehr Übersicht und Struktur in der Papierablage. | © seeyou | c. steps - Fotolia
Der Aktenplan – mehr Übersicht und Struktur in der Papierablage. | © seeyou | c. steps - Fotolia

Aktenpläne sind nach wie vor ein arbeitserleichterndes, sinnvolles und für die Rechtssicherung unverzichtbares Hilfsmittel beim Umgang mit Schriftstücken in der Kommunalverwaltung. Nach heutigem Stand gibt es kein anderes System zur Organisation der Schriftgutverwaltung, das sie rechtskonform ablösen kann. Derzeit befinden sich jedoch alle kommunalen Aktenpläne in einer gewissen Krise. Diese trifft sowohl den „Kommunalen Aktenplan“ („Boorberg-Aktenplan“), der 1965 erstmals erschien und in mehreren Auflagen, zuletzt 2006, Fortsetzung fand, wie auch den 1973 erstellten und zuletzt 2003 erweiterten Aktenplan der Kommunalen Geschäftsstelle für Verwaltungsmanagement („KGSt-Aktenplan“).

Die Krise hängt einerseits mit dem Alter der Aktenpläne und dem Aufgabenzuwachs in der öffentlichen Verwaltung zusammen, andererseits aber auch mit den spezifischen Erfordernissen von Dokumentenmanagementsystemen (DMS) und Elektronischen Akten. Die Modernisierung der kommunalen Aktenpläne ist ein Gebot der Stunde und findet statt.

So bereitet derzeit eine Arbeitsgruppe von Landkreistag und Gemeindetag Baden-Württemberg eine Aktualisierung vor. Auch die KGSt beschäftigt sich mit einer Neuauflage. Um auf den Level der Zeit zu kommen, braucht der Kommunale Aktenplan nicht nur eine aufgabenthematische Redaktion, sondern auch aktualisierte Grundeinstellungen. Letztere sollen in einer Serie von Artikeln zur Diskussion gestellt werden. Dieser erste befasst sich mit dem Verhältnis zwischen landesweit einheitlichen Strukturen einerseits und andererseits örtlichen flexiblen Anwendungsmöglichkeiten.


Weiterentwicklung der Aktenpläne

Das im Folgenden entworfene „konkreszente“ System für die Weiterentwicklung der kommunalen Aktenpläne stellt dabei eine wenig spektakuläre und auch nicht grundlegend neue Weiterentwicklung der kommunalen Aktenpläne dar. Es soll aber die Prinzipien zur Weiterentwicklung – auch begrifflich und organisatorisch – klären und die Fortentwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Mit konkreszent ist gemeint, dass künftig zwei Ablagesystematiken aufeinander zuwachsen sollen: Die abstrakte Ablagesystematik des Aktenplans und ein empirisch entwickelter konkreter Themenkatalog. Entscheidend ist die Perspektive: Es geht einerseits um die klassische Top-Down-Organisation, wie sie in der Welt der Aktenplanerweiterungen üblich ist. Allerdings wird der Top-Down-Aktenplan bewusst nur bis zu einer bestimmten Gliederungstiefe geführt. Unter ihn wird dann ein empirisch vor Ort zu entwickelndes Zusammenfassungssystem Bottom-Up entwickelt.

Festhalten an 10 Hauptgruppen

Der Aktenplan bleibt also einerseits mit all seinen überkommenen Stärken erhalten und muss deshalb zur Überwindung seiner Schwächen unter Beibehaltung seiner Grundstruktur überarbeitet werden. Er untergliedert weiterhin die Aufgaben einer Verwaltung in zehn Hauptgruppen (von 0 bis 9), von denen wiederum jede zehn Gruppen enthält und so weiter. Aktenstellen sind die Gliederungspositionen unterster Ebene. Die Aktenstellen selbst sind noch keine Akten, ihnen werden jedoch eine oder mehrere Akten zugeordnet. Werden einer Aktenstelle sehr viele Akten zugeordnet, dann empfiehlt sich deren Binnengliederung mit Hilfe eines Themenkatalogs. Dazu später mehr.

Zunächst bleibt der Aktenplan also konventionell. Sein Kerngerüst bilden Begriffshierarchien. Die Begriffe an sich benennen die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Das Problem von Begriffen ist deren individuelle Unschärfe. Wo der eine von „Gartenhäuschen“ spricht, nimmt der andere den Begriff „Schrebergartenhäuschen“ in den Mund. Selbst eine Katalogisierung der Begriffe löst das Problem nicht, weil derjenige, der nach „Gartenhäuschen“ sucht vielleicht gar nicht auf die Idee kommt, unter „Sch“ nachzuschauen und deshalb seinen Begriff zum Katalog hinzufügt, wodurch einerseits Unvollständigkeit, andererseits womöglich Redundanzen entstehen.

Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass alle Versuche zur Organisation von Aktenzusammenhängen mit Hilfe von Begriffen, die in Schriftstücken oder Aktentiteln enthalten sind, scheitern – auch im Zeitalter elektronischer Suchmaschinen. Die Krux einer solchen Herangehensweise ist, dass bei einer „organisierenden Suche“ erst durch den Suchvorgang selbst Schriftstücke oder Akten zusammengefasst, definiert und organisiert würden. Weil im Inhalt und in Titeln verwendete Begriffe aber immer auch individuell geprägt sind und individuell vergeben werden, garantieren Trefferlisten von Suchmaschinen keine Vollständigkeit der gefundenen Dokumente oder Akten.

Hierarchische Struktur

Letztlich hilft nur die hierarchische Einordnung der Begriffe in Aufgabenzusammenhänge, wie sie eben ein Aktenplan bietet. Im Kern bestehen Aktenpläne aus einer gegliederten Übersicht über die Aufgaben einer Behörde. Bei ihrer Erstellung werden zunächst alle Aufgaben einer Behörde begrifflich erfasst und diese Aufgaben dann in sinnvolle Gruppen gegliedert. Durch diese Vorgehensweise ergibt sich eine Stoffgliederung der behördlichen Aufgaben in hierarchischer Struktur. Wo auf der Aufgabenanalyse im ersten Schritt noch mehrere Hundert Aufgaben gleichberechtigt und unübersichtlich nebeneinander stehen, bleibt in einem zweiten Schritt eine begrenzte Zahl von Zusammenfassungen erster Ordnung. Auch diese werden wieder nach Oberbegriffen sortiert usw. Nach Erstellung des Aktenplans steht ein System abstrakter und hierarchisch gegliederter Begriffe zur Verfügung.

Von zentraler Bedeutung ist die ermittelte hierarchische Struktur. Diese lässt sich bildhaft für die kommunalen Aktenpläne als Abfolge von Räumen darstellen: Jemand soll ein Schriftstück zu einer Akte tragen. Dazu betritt er einen Raum, in dem es zehn weiterführende Türen gibt. Auf jeder Tür steht ein Begriff für eine Aufgabengruppe. Er liest die Aufschriften auf allen zehn Türen und wählt die Aufgabe aus, die am besten zum Inhalt des Schriftstücks passt. Im Raum hinter der ausgewählten Tür gibt es wieder zehn Türen mit Begriffsschildern vor ihm. Diese Begriffe stellen Vertiefungen des Begriffs auf jeder bisher durchschrittenen Tür dar. Mit jeder Tür überwindet der Bote eine weitere Hierarchiestufe. Im sechsten derartigen Raum – so weit reicht der bisherige Kommunale Aktenplan in vielen Fällen – findet er schließlich ein Regal, in dem mehrere Akten liegen. Er durchsucht sie und entscheidet sich für eine von ihnen zur Ablage seines Schriftstücks.

Nummerierung

Eine wesentliche Erleichterung für die Nutzung von Aktenplänen bieten Ziffernsysteme. Der Kommunale Aktenplan verwendet ein numerisches System, das die in der Aufgabenanalyse anhand von Begriffen ermittelten hierarchischen Beziehungen abbildet. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Durchnummerierung der zehn Türen jedes Raums, auf die im vorher verwendeten Bild derjenige zutritt, der das Schriftstück zum Regal tragen soll. Alle zum Durchschreiten möglichen Türen tragen eine Ziffer von „0“ bis „9“. Der Bote bekommt gleich zu Anfang einen Zettel mit auf den Weg, auf dem steht, welche Türnummern er nacheinander durchschreiten soll. Beispielsweise: Gehe zuerst durch „0“ dann durch „4“, anschließend wieder durch „4“ und so weiter. Die damit verbundene Arbeitserleichterung kann man sich leicht ausmalen: Bei den sechs Hierarchiestufen des klassischen Kommunalen Aktenplans muss man beim Durchschreiten der sechs Räume nicht mehr in jedem Raum anhalten, um erst alle zehn Möglichkeiten ins Auge zu fassen. Vielmehr gibt eine Ziffer für jeden Raum klar und eindeutig an, die wievielte Tür man auf dem Weg zum Ablageort nehmen muss. Das beschleunigt und erleichtert die Orientierung ungemein.

Themenkatalog am unteren Ende

Dieser hierarchisch aufgesetzten Ablagesystematik wächst im konkreszenten System eine empirische Ordnung von unten her entgegen, der „Themenkatalog“. Es handelt sich dabei nicht mehr um eine Abfolge möglichst abstrakter und allgemeingültiger Begriffe wie beim Aktenplan, sondern um eine Zusammenstellung konkreter Begriffe, die zum Beispiel bestimmte Objekte, Ereignisse oder Projekte sein können. In dem Regal, in dem alle Akten zu einer Aktenstelle stehen, würde man beispielsweise alle Akten, die sich auf ein bestimmtes Projekt beziehen, in einem Regalbrett zusammen stellen, die zu einem anderen Projekt in einem zweiten Regalbrett.

Im Dokumentenmanagementsystem des Landratsamts Tübingen, das sowohl Papierakten wie auch elektronische Akten erschließt und zusammen fasst, wurden für den Themenkatalog zwei Gliederungsstufen eingeführt, „Thema“ und „Oberthema“. Um im Bild zu bleiben: In dem Raum einer Aktenstelle stehen mehrere Regale, diese stellen die Oberthemen dar. Die nach Projektzusammenhängen in ein Regalbrett einsortierten Akten stellen das Thema dar.

Entwicklung vor Ort

Auf den ersten Blick ähnelt das konkreszente System zur Schriftgutverwaltung klassischen Ansätzen zur Weiterentwicklung des Aktenplans. Da beim klassischen Aktenplan pro Aktenstelle aus Gründen der Übersichtlichkeit nur eine begrenzte Anzahl von Akten gebildet werden soll, war hier schon früh eine weitergehende Untergliederung erforderlich. Bisherige Ansätze folgten in ihrer Perspektive jedoch tendenziell der hierarchischen Weiterentwicklung des Aktenplans von oben nach unten. Sie sahen weitere Hierarchieebenen durch Unterteilung vor und vervielfachten durch Nutzung einer siebten oder achten oder neunten Gliederungsebene die Zahl der Ablageorte. Zu diesem Zweck wurden Aufgaben weiter abstrakt untergliedert. Dies war innerhalb des einheitlichen Aktenplans der Behörde von einer Stelle durchzuführen.

Im konkreszenten System müssen Erweiterungen des Aktenplans weiterhin von einer einzigen verantwortlichen Stelle für die gesamte Behörde einheitlich und im Einklang mit landesweiten Entwicklungen vorgenommen werden. Die Organisationshoheit über den Themenkatalog kann jedoch dezentralisiert werden. Diesen Bereich der Schriftgutverwaltung können die jeweiligen Organisationseinheiten – hierbei ist vornehmlich an Fachämter oder Fachabteilungen zu denken – für ihren Bereich individuell gestalten.

Der Themenkatalog ist also ein Instrument, mit dem eine untere Organisationseinheit ihre zu einer Aktenstelle gebildeten Akten „individuell“ gliedern kann. Die vergebenen Themen und Oberthemen werden beim Einsatz von Aktenmanagementsystemen in eigene Metadatenfelder eingetragen. Sie müssen auf Anwenderebene katalogartig dokumentiert werden. Elektronische Managementsysteme können entsprechende Kataloge aus Metadatenfeldern automatisiert zusammenstellen. Die Erfahrung zeigt, dass auch den Begriffen des Themenkatalogs jeweils Ziffern voran gestellt werden sollten. Nutzt man diese Ziffern für eine bewusste Strukturierung, dann garantieren sie bei Listendarstellungen in einem Aktenmanagementsystem hohe Übersichtlichkeit.

Ablageorte vervielfacht

Da Themenkataloge für die Binnenstrukturierung jeder Aktenstelle eingesetzt werden können, erweitern sie die Spannweite des Aktenplans beträchtlich. Diese vielen Untergliederungsmöglichkeiten werden vor Ort geschaffen und verwaltet, wodurch sich die Weiterpflege des Kommunalen Aktenplans, die auch nach einer grundlegenden Überarbeitung kontinuierlich erfolgen muss, auf strukturelle Erfordernisse konzentrieren kann.

Gleichzeitig eröffnet das konkreszente System theoretisch die Möglichkeit, die Schnittstelle zwischen Aktenplan und Themenkatalog aufgrund der Erfordernisse einer Behörde anzupassen. Insbesondere kleinere Kommunen können dann den Kommunalen Aktenplan beispielsweise nur bis zur 4. oder 5.Gliederungsebene ausschöpfen und dieser Gliederungsebene Themenkataloge zuordnen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe mit dem Artikel “ Aktenplan und Produktplan“ fortgesetzt.

 

Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

Projektleiter des Kommunalen Aktenplans 21 Baden-Württemberg
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