15.05.2013

Die Stadt mit Energieeffizienz (SEE)

Beispiel Stuttgart: Zukunft durch Umgestaltung der Energieversorgung

Die Stadt mit Energieeffizienz (SEE)

Beispiel Stuttgart: Zukunft durch Umgestaltung der Energieversorgung

Die Photovoltaikanlage auf der Rathauspassage in Stuttgart.
Die Photovoltaikanlage auf der Rathauspassage in Stuttgart.

Voraussetzung für eine zukunftsfähige Gesellschaft ist neben ökonomischem Wohlstand und sozialer Wohlfahrt auch eine intakte Umwelt. Hierzu ist es erforderlich, die Emissionen an Schadstoffen – insbesondere klimarelevanter Schadstoffe – deutlich zu reduzieren und den Ressourcenverbrauch effizienter zu gestalten. Ziel ist dabei, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen. Hierzu muss der Energieverbrauch auf ein Minimum begrenzt und der verbleibende Energiebedarf mit dem lokalen Energieangebot gedeckt werden. Diese Umgestaltung der Energieversorgung ist eine zentrale Aufgabe, die es zu lösen gilt, damit Städte zukunftsfähig bleiben.

Stuttgart hat in diesem Bereich in der Vergangenheit bereits Maßnahmen erfolgreich umgesetzt. Dazu gehört seit über 35 Jahren ein Energiemanagement für die stadteigenen Liegenschaften, das mit einem zentralen Controlling, energetischen Vorgaben, einem stadtinternen Contracting-Modell, 49 Anlagen mit erneuerbaren Energien, 100 % Ökostrombezug und insbesondere mit vorbildhaften energetischen Demonstrationsvorhaben den Energie- und Wasserverbrauch signifikant reduziert hat. Mit vertraglich abgesicherten Energievorgaben bei privaten Bauvorhaben, einem Förderprogramm im Energiebereich und einem Energieberatungszentrum für Privatpersonen im Wohnbau wurden bereits richtungsweisende Ansätze in der Stadt geschaffen. Mit dem Projekt Stadt mit Energieeffizienz (SEE Stuttgart) sollen diese Ansätze ausgebaut, vorangetrieben und in eine Strategie für die ganze Stadt münden.

Ehrgeizige Ziele bis 2020

Stuttgart hat sich für die Energiewende ehrgeizige Ziele gesetzt: 2020 soll die Gesamtstadt 20 % weniger Energie verbrauchen als im Jahr 1990. Dazu sind zusätzlich drei Milliarden Kilowattstunden einzusparen. Dies entspricht in etwa der Energie, die in der Landeshauptstadt jährlich zum Heizen oder für den Betrieb aller Kraftfahrzeuge aufgewendet wird. Zudem sollen erneuerbare Energien zukünftig 20 % des Energiebedarfs decken.


Das Forschungsprojekt SEE unterstützt die Umsetzung der energetischen Ziele und entwickelt das Energiekonzept Stuttgart mit einer Perspektive bis zum Jahr 2050. Betroffen sind alle energieverbrauchenden Bereiche der Landeshauptstadt. Dazu zählen Haushalte, Verkehr, Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistung sowie städtische Liegenschaften.

Mit dem Projekt SEE hat die Landeshauptstadt den Wettbewerb „Energieeffiziente Stadt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gemeinsam mit den Städten Delitzsch, Essen, Magdeburg und Wolfhagen gewonnen. Die energetischen Konzepte der Städte konnten sich somit gegen insgesamt 72 Bewerbungen durchsetzen. Mit dem Start in 2011 werden die Projekte bis zum Jahr 2016 umgesetzt. Dabei arbeitet die Stadt Stuttgart eng mit den Projektpartnern Energie Baden-Württemberg AG, Fraunhofer-Institut für Bauphysik und Universität Stuttgart zusammen.

Der zeitliche Ablauf von SEE wird durch die sechs Teilziele des Projekts bestimmt:

  • Entwicklung eines makroskopischen Bilanzmodells
  • Entwicklung eines mikroskopischen Strategiemodells
  • Identifizieren von Optimierungspotenzialen
  • Erstellung eines Energiekonzepts bis zum Jahr 2050
  • Umsetzung der identifizierten Maßnahmen
  • Evaluierung der Maßnahmen und Erfolgskontrolle

Als Basis des Projekts werden alle Energieströme innerhalb der Stadt erfasst, um die Ansatzpunkte für eine Effizienzsteigerung zu identifizieren. Daraus können dann konkrete Maßnahmen für die einzelnen Sektoren (Haushalte; Industrie; Verkehr; Gewerbe, Handel und Dienstleistung) abgeleitet werden. Zudem können im Projekt umgesetzte Maßnahmen durch die Bilanzierung bewertet und Erkenntnisse für kommende Maßnahmen gewonnen werden. Durch diesen zyklischen Prozess wird die Energieeffizienz der Stadt nachhaltig gesteigert. Das Bilanzmodell wird durch ein mikroskopisches Strategiemodell ergänzt, welches die Entscheidungsprozesse in den Bereichen Haushalt, Dienstleistung und Verkehr nachbildet. Das Strategiemodell ermöglicht damit, Auswirkungen politischer Entscheidungen und technischer Neuerungen zu simulieren.

Neben den daraus entwickelten kurz- und mittelfristigen Maßnahmen wird in SEE außerdem ein Energiekonzept für Stuttgart erarbeitet, das die Erkenntnisse aus dem Projekt aufgreift und in ein Maßnahmenprogramm bis 2050 übersetzt. Ziel ist es, die Abhängigkeit von konventionellen Energieträgern deutlich zu reduzieren und den Energiebedarf an das lokale Energieangebot anzupassen.

Die Energiebilanz 2010

Die umfassende Bilanzierung der Energieströme für die Stadt Stuttgart macht es möglich, den Energiefluss von der Herkunft der Primärenergieträger über die Umwandlungsprozesse innerhalb der Stadtgrenzen bis hin zum Endenergieverbrauch in den jeweiligen Sektoren der Stadt zu verfolgen. Durch die Erhebung der Energiebilanz im 2-Jahres-Rhythmus wird zudem die zeitnahe Erfassung des Energieverbrauchs gewährleistet.

Im Jahr 2010 betrug der Endenergieverbrauch der Sektoren in Stuttgart etwa 13.500 GWh. Unter Berücksichtigung des Energieaufwands und der Verluste zur Bereitstellung dieser Endenergie erhält man den gesamten Primärenergieeinsatz im Stadtgebiet, der in einer Höhe von 20.100 GWh liegt.

Der Verbrauch nach der Umwandlung und Verteilung zeigt, dass die privaten Haushalte und die Industrie jeweils mit rund einem Drittel des Endenergieverbrauchs die größten Verbrauchssektoren in Stuttgart darstellen. Der Anteil des Sektors Verkehr, bei dem die Fahrzeugkilometer auf der Autobahn A8 und die Fernreisen der Stuttgarter Bürger nicht berücksichtigt werden, liegt bei 20 %. Weitere 16 % entfallen auf den Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistung. Ein Viertel davon wird wiederum durch die städtischen Liegenschaften repräsentiert, die somit nur mit 4 % zum gesamten Endenergieverbrauch beitragen.

Im Hinblick auf die Entwicklung des Endenergieverbrauchs ist in Stuttgart bis zum Jahr 2010 eine Verbrauchsreduktion um etwa 10 % im Vergleich zu 1990 zu erkennen. Folglich ist zum Erreichen des 20-%-Ziels in 2020 eine weitere Energieeinsparung in derselben Größenordnung notwendig.

Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung

Damit das Ziel 20 % Energieeinsparung bis zum Jahr 2020 in Stuttgart erreicht werden kann, sind Einsparmaßnahmen für alle Verbrauchssektoren zu erarbeiten und umzusetzen. Neben den Ergebnissen der Energiebilanz wurde eine Vielzahl weiterer Kriterien (z. B. Wirksamkeit und Akzeptanz) in die Maßnahmenkonzeption einbezogen. Ergebnis dieses Arbeitsschritts ist ein Maßnahmenkatalog mit 63 Maßnahmen, dessen Umsetzung zu einer jährlichen Primärenergieeinsparung von 3.000 GWh führt – also genau der Energie die zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele notwendig ist.

Ein Teil dieser Maßnahmen wurde bereits erfolgreich umgesetzt. So wurden an den Heizkraftwerksstandorten in Stuttgart-Münster und Stuttgart-Gaisburg durch die EnBW Kraftwerke AG neue Gegendruckturbinen in Betrieb genommen. Dies führt zu einer erhöhten Effizienz bei der Erzeugung von Strom und Fernwärme und zu einer Reduktion der jährlichen CO2-Emissionen um rund 30.000 Tonnen.

Gleichfalls wird auch bei den stadteigenen Gebäuden hoher Wert auf die nachhaltige und erneuerbare Energieerzeugung gelegt. Seit Juni 2012 befindet sich ein neues Blockheizkraftwerk im Klärwerk Mühlhausen in Betrieb, welches Klärgas zur Energiegewinnung nutzt. Damit können etwa 12 GWh Primärenergie pro Jahr eingespart werden.

Weiterhin wurden die Mittel des erfolgreichen Finanzierungsmodells „Stadtinternes Contracting“ auf jetzt insgesamt 8,8 Millionen Euro aufgestockt. Innerhalb des Contractings werden Maßnahmen zur Energie- und Wassereinsparung in städtischen Ämtern und Eigenbetrieben vorfinanziert, welche dann mit Hilfe der eingesparten Kosten zurückgezahlt werden. Nach Amortisation der Investition verfügen diese frei über die eingesparten Kosten. Mit dem stadtinternen Contracting wird der Endenergieverbrauch gesamt um mehr als 16.000 MWh Wärme und 4.000 MWh Strom pro Jahr verringert. Die Summe aller Projekte führt außerdem zu einer CO2-Reduktion von knapp 9.000 Tonnen pro Jahr.

Die Erfahrungen aus dem Contracting-Modell für städtische Ämter und Eigenbetriebe sollen zur Entwicklung eines Finanzierungsmodells für energetische Sanierungen von privaten Wohngebäuden genutzt werden, um die Sanierungsrate in Stuttgart zu steigern (Ziel: 3 %). Diesem Zweck dient auch die Energieberatung von 700 Stuttgarter Haushalten in 2013. Auf Basis einer Befragung zu Wohnsituation und Verbraucherverhalten erhalten teilnehmende Haushalte eine individuelle Beratung über geeignete Energiesparmaßnahmen.

Auch im Stuttgarter Verkehr ist Nachhaltigkeit nun greifbar. Durch den Einsatz von fünf Hybridbussen bei der SBB AG werden Emissionen und Energieverbrauch im Stadtgebiet reduziert (siehe Abb.).

Damit die Stuttgarter Energiewende gelingen kann, ist die gesamte Stadtgesellschaft aufgerufen, an den Einsparaktivitäten mitzuwirken. 2012 starteten die Runden Tische „Energieeffizienz“ für die Bereiche Unternehmen, Handel, Wohnsektor und Einwohner. Die Teilnehmer eines Runden Tisches tauschen sich zweimal pro Jahr aus, um geeignete Energieeinsparmaßnahmen aufzudecken und Wege für deren Umsetzung zu diskutieren.

 

Dr. Jürgen Görres

Abteilungsleiter Energiewirtschaft, Umweltamt der Stadt Stuttgart
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