26.03.2025

Der Sockel zu niedrig, der feste Deckel fehlt

Sicherheit als Schulden-Turbo

Der Sockel zu niedrig, der feste Deckel fehlt

Sicherheit als Schulden-Turbo

Die Schuldenbremse will gemeistert sein. | © M. Schuppich - Fotolia
Die Schuldenbremse will gemeistert sein. | © M. Schuppich - Fotolia

Auch wenn niemand etwas gegen mehr finanzielle Spielräume zur Reparatur teilweise jahrzehntelanger Versäumnisse haben sollte, sind die politischen und/oder handwerklichen Gestaltungsdefizite bei den Sicherheitsausgaben mehr als ein Schönheitsfehler.

Wenn Ökonomie (auch) die Wissenschaft von den richtigen Anreizen ist, hat man das bei der neuen Schuldenregel für die Verteidigungsausgaben leider (vorsätzlich oder fahrlässig) kaum beachtet. Voller (nicht unberechtigtem) Stolz vermeldete die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bei den Infrastruktur-Investitionen von bis zu 500 Mrd. € (Art. 143h Abs. 2 GG) die Zusätzlichkeit (lt. Gesetzesbegründung erst bei Beträgen oberhalb von 10 % des Gesamtvolumens des Kernhaushalts) in den Schwarz-Grünen-Erstentwurf hineinverhandelt zu haben. Ein – in der Konsequenz gegenläufiger – „Verhandlungserfolg“ ist bei den Verteidigungsausgaben zumindest dahingehend gelungen, als bei den zulässigen Verwendungen der kreditfinanzierten Verteidigungsausgaben ein nunmehr erweiterter Sicherheitsbegriff zugrunde gelegt wurde. Deshalb zählen nicht mehr nur Ausgaben für die Bundeswehr selbst (Einzelplan 14) zu den privilegierten Verwendungszwecken, sondern auch solche für den Zivil- und Bevölkerungsschutz (Einzelplan 06 – Bundesinnenministerium), für informationstechnische Systeme (vulgo Cyber-Abwehr, Einzelplan 04 – Bundeskanzleramt) sowie die Unterstützung völkerrechtswidrig angegriffener Staaten (Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung).

Im Folgenden werden diese unter dem Begriff Verteidigungsausgaben plus subsumiert. Erweiterter Sicherheitsbegriff heißt hier jedoch auch erweitertes Verschuldungspotenzial. Nach Abzug einer Sockelquote von lediglich 1 % des nominalen BIP (die offensichtlich politisch gesetzt ist und in der Gesetzesbegründung nirgendwo inhaltlich begründet wird) scheint einer überwiegenden Kreditfinanzierung dieser staatlichen Kern- und Daueraufgaben nichts im Wege zu stehen (Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG n.F.). Nach den BIP-Werten von 2024 wäre damit nur ein Betrag von ca. 43 Mrd. € mit „regulären“ (also nicht kreditfinanzierten) Einnahmen zu decken. Dies liegt sogar unter dem (vollkommen unzureichenden) Mittelansatz für die Bundeswehr im Kernhaushalt 2024 von ca. 52 Mrd. €. Wieso hier nicht zumindest die vielzitierte Soll-Grenze der NATO von 2 %, die mittlerweile eher eine Untergrenze für die Verteidigungsausgaben bildet, zugrunde gelegt wurde, erschließt sich nicht. Selbst der Kompromissvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von 1,5 % wurde (ebenfalls ohne Begründung) nicht aufgegriffen. In Zahlen heißt das: Wenn man in den nächsten Jahren von einem erforderlichen Verteidigungsanteil von 3 % des BIP ausgeht, dürften jährlich ca. 86 Mrd. € nur für diesen Zweck kreditfinanziert werden, was weit über der Gesamtverschuldung der Jahre nach Corona liegt und den Begriff der Schuldenbremse endgültig obsolet werden lässt. Die etwas kryptische Formulierung des Art. 115 Abs. 2 Satz 4 lautet: „Von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten ist der Betrag abzuziehen, um den die Verteidigungsausgaben 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen.“ Bevor ein Bundesgesetz das Nähere regelt (Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG), könnte die Formulierung als „Kappungsgrenze“ dahingehend interpretiert werden, dass die reguläre Nettoneuverschuldung (mit den Elementen Basisverschuldung von 0,35 % des BIP, konjunkturelle Komponente, finanzielle Transaktionen) ohne die Ausnahme für die Sicherheitsausgaben oberhalb der 1 %-Grenze doch eine Art Limit für die Überschreitung bildet. Selbst wenn das so wäre, würde das immer noch einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag on top bedeuten (in der mittelfristigen Finanzplanung waren für 2025 ursprünglich 51,3 Mrd. € geplant). Zudem würde eine solche Handhabung einen weiteren Anreiz schaffen, die reguläre Neuverschuldung ohne die Ausnahmeregelung so zu erhöhen, dass die zu subtrahierenden kreditfinanzierten Sicherheitsausgaben mit einem möglichst hohen Anteil „abzugsfähig“ sind, damit diese nicht unter die Null-Linie der Gesamtverschuldung sinken. Das bedeutet für die Verteidigungsausgaben plus eine unbefristete Verschuldungsmöglichkeit, die vor allem in zweierlei Hinsicht Anlass zur Besorgnis gibt:


– Es gibt keinerlei Spardruck zur Deckelung der traditionell ebenso verschwendungsaffinen wie hypertrophen Wehrbürokratie (siehe dazu auch deren überproportionalen Anteil in den jährlichen Bemerkungen des Bundesrechnungshofs), die zudem einer meist oligopolistischen und damit erfahrungsgemäß preistreibenden Rüstungsindustrie gegenübersteht.

– Die Kombination aus (zu) niedrigem Sockel und fehlender Obergrenze ist ein idealer Verschiebebahnhof für die Erfüllung von Ausgabeträumen der mutmaßlichen Groß-Koalitionäre. Je weniger reguläre Eigendeckung (insbesondere durch Steuereinnahmen) der Sicherheitssektor braucht, umso mehr Spielraum bleibt im Kernhaushalt für Klientelpolitik und Reformverzögerung gemäß dem Sondierungspapier (ermäßigte Gastro-Mehrwertsteuer, Erweiterung der Mütter-Rente etc.).

Selbst wenn man die schuldenmäßige Entfesselung grundsätzlich als Schritt in die richtige Richtung befürwortet, ist ein solches Regelungsdefizit mehr als ein Schönheitsfehler.

Vielmehr wird dadurch der Druck auf die längst überfällige Anpassung unserer Sozialsysteme gemindert. Zudem droht Deutschland als traditioneller „Zuchtmeister“ des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts endgültig unglaubwürdig zu werden. Der italienische Finanzminister Giorgetti formuliert es so: „Die Deutschen haben beschlossen, dass sie machen können, was sie wollen.“ Natürlich hat Italien mit einer Staatsschuldenquote von ca. 135 % des BIP kaum Luft mehr nach oben, um eine – überdies bei der Bevölkerung unbeliebte – Aufrüstung zu finanzieren. Der Druck von dort und aus anderen höher verschuldeten EU-Staaten wird absehbar wachsen, das europaweite Aufrüstungsprogramm ReARM EU analog zum bestehenden NextGeneration EU-Fonds (Wiederaufbau nach Corona) mit gemeinsamen EU-Schulden zu finanzieren. Von Letzteren hat Italien mit insgesamt 200 Mrd. € (Zuschüsse und Kredite) am meisten profitiert.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Dynamik nicht zu einer zusätzlichen sekundären EU-Verschuldungsspirale führt, die an den Anleihemärkten für Staatspapiere teuer bezahlt werden müsste und die oft beschworene intergenerative Gerechtigkeit zusätzlich gefährden würde.

 

Michael Heinrich

Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim
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