Anpassungen des baden-württembergischen Beurteilungswesens 2024
Eine erforderliche Entschlackung
Anpassungen des baden-württembergischen Beurteilungswesens 2024
Eine erforderliche Entschlackung

Nach einer grundlegenden Reform des Beurteilungswesens im Jahr 2014 werden passend zur aktuellen Beurteilungsrunde im Jahr 2024 merkliche Neuausrichtungen vorgenommen. Der Aufsatz beleuchtet die Anpassungen des Landesbeamtengesetzes (LBG), der Beurteilungsverordnung (BeurtVO) und der Beurteilungsrichtlinien (BRL) und bewertet deren Praxisauswirkungen.
A. Einleitung
Bereits Bismarck bemerkte: „Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten läßt sich immer noch regieren, bei schlechten Beamten aber helfen uns die besten Gesetze nichts.”1 Aus dieser Erkenntnis verankert unser Grundgesetz in Art. 33 Abs. 2 die „objektive Wertentscheidung, die das Interesse der Allgemeinheit zum Ausdruck bringt, möglichst qualifizierte Bewerber in die öffentlichen Ämter zu berufen”.2 Das hierauf fußende Leistungsprinzip gilt nicht nur für den Zugang, sondern auch für den Aufstieg im Beamtentum, vgl. § 9 BeamtStG. Die erforderliche Bestenauslese gründet regelmäßig auf dienstlichen Beurteilungen als „maßgebliche[r] Entscheidungsgrundlage zur Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung”3. Dies regelt für Baden-Württemberg § 51 Abs. 1 Satz 1 LBG.
Auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Satz 3 LBG wird die BeurtVO4 erlassen, die insbesondere die Beurteilungszeiträume, -maßstäbe und -gliederung regelt; die BeurtVO gilt in ihrem allgemeinen Teil des § 1 für alle Beamte5 in Baden-Württemberg, also auch für Kommunalbeamte. Hingegen konkretisiert die BRL6 als Verwaltungsvorschrift die Beurteilungsdurchführung für die Landesbeamten7 in Inhalt und Verfahren samt der zu verwendenden Formulare.
Mit der BeurtVO8 und den BRL9 wurde jüngst der Rahmen des Beurteilungsvollzugs in Baden-Württemberg neu gefasst. Nach jahrelangen Abstimmungen verspricht das Ergebnis merkliche Erleichterungen und mehr Rechtssicherheit, gerade für die Beurteilungserstellung in Massenverfahren. Dieser Beitrag beleuchtet die wesentlichen Änderungen samt der Auswirkung für die Praxis.
B. Rechtsprechungsrahmen
Bereits nach der letzten Überarbeitung des Beurteilungsrahmens 2014 wurde die Evaluation der Beurteilungspraxis in Aussicht gestellt. Neben dem damit verbundenen Ansinnen der weiteren Verwaltungsvereinfachung machte die jüngere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere des BVerwG, die Anpassung der alten Regelungslage erforderlich.
Die Leipziger Richter fordern seit mehreren Jahren einen strengen Vorbehalt des Gesetzes im Beamtenrecht. 2021 betonte das BVerwG besonders die Bedeutung des Wesentlichkeitsprinzips im Recht der dienstlichen Beurteilung: Erfolgt die Bestenauslese anhand dienstlicher Beurteilungen, müssen die wesentlichen Vorgaben für deren Erstellung vom Gesetzgeber selbst bestimmt werden; diese Verantwortung kann nicht auf die Exekutive delegiert werden.10 Mit Blick auf § 51 Abs. 1 LBG wären danach zumindest das Beurteilungssystem sowie die Maßgabe des Vergleichs vom Landesgesetzgeber zu skizzieren, um so dem gleichmäßigen Vergleichsrahmen seiner Beamten die Leitplanken zu geben. Denn „dienstliche Beurteilungen erhalten ihre wesentliche Aussagekraft erst aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in den dienstlichen Beurteilungen anderer Beamter. Daraus folgt, dass die Beurteilungsmaßstäbe gleich sein und gleich angewendet werden müssen”.11
Bis Mitte 2024 hieß es in § 51 Abs. 1 LBG jedoch nur: „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamtinnen und Beamten sind in regelmäßigen Zeitabständen zu beurteilen.” Hieraus ließ sich die gesetzgeberische Grundsatzentscheidung für ein System aus Regelbeurteilungen legitimieren; die Entscheidung der Auslese nach dem Gesamturteil der Beurteilung, § 4 Abs. 1 Satz 2 BeurtVO i. V. m. Ziff. 7 BRL, war jedoch nicht herauszulesen.12 Daher hat der Landtag im Juni 2024 eine entsprechende Konkretisierung beschlossen.13 Auch die nachfolgende Umsetzung in BeurtVO und BRL wird getragen vom Bestreben der größeren Vereinheitlichung sowie der Fokussierung auf Gesamturteil und Regelbeurteilung.
Diese Ausrichtung passt zu einer weiteren Leitentscheidung des BVerwG: Bereits 2019 entschied das Gericht, dass ein Beurteilungssystem, das wie das baden-württembergische System für Verwaltungsbeamte auf einem Drei-Jahres-Rhythmus14 von Regelbeurteilungen beruht, nicht zu beanstanden ist.15 Ferner betonten die Richter zur Frage, ob wegen einer Veränderung im Tätigkeitsbereich des Beamten eine Anlassbeurteilung zu erstellen ist, es sei „darauf zu achten, dass dadurch die Organisationsgrundentscheidung des Dienstherrn für ein Regelbeurteilungssystem nicht entwertet wird”.16 Danach kann im bewährten dreijährigen Beurteilungsmodus weitestgehend auf Anlassbeurteilungen verzichtet werden, denen zu Recht „aus der punktuellen Anlassbezogenheit von – wegen der anstehenden Auswahlentscheidung angefertigten – Anlassbeurteilungen damit verbundene ‚Gefährdungen’ und eine ‚gewisse Skepsis’” anhaftet, dass sie „zur Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 II GG nicht genügenden, Personalentscheidungen benutzt werden könnten”.17
Zudem beschäftigten sich die Obergerichte in den letzten Jahren mit dem Einfluss einer eigenständigen sog. Befähigungsbeurteilung, die als Teilmaßstab des Art. 33 Abs. 2 GG insbesondere das Potenzial des bewerteten Beamten spiegelt. Die gerichtliche Bewertung bemerkt, dass „Befähigungsmerkmale […] sich aber einer generellen und bezugsunabhängigen Gesamtbewertung oder gar Notenvergabe [entziehen]. Nach welchen Maßstäben und zu welchem Zweck die Eigenschaften des Beamten, die weder in der auf dem Dienstposten gezeigten Leistung Ausdruck gefunden haben noch als Eignungsmerkmale für die Anforderungen des angestrebten Amtes zu berücksichtigen sind, in einer umfassenden persönlichen Befähigungsgesamtnote zusammengefasst werden sollten oder könnten, ist nicht ersichtlich. Eine derartige Gesamtsaldierung widerspricht vielmehr dem Sinn der Befähigungsanalyse, mit der individuelle Stärken und Schwächen des Beamten herausdifferenziert werden sollen, um eine fundierte Erkenntnisgrundlage für die künftige Verwendung des Beamten zu schaffen”.18 Die Kritik betont die Widersprüchlichkeit einer einheitlichen, eigenständigen Befähigungsnote; dies hindert jedoch nicht die Einbeziehung von einzelnen Befähigungsmerkmalen in eine noten-/punktebasierte Gesamtnotenfindung, mit einem Schwerpunkt auf Leistungsmerkmalen. Diese Beurteilungsmerkmale sind vielmehr von Art. 33 Abs. 2 GG vorgegeben.
Viele der Neuerungen des Beurteilungswesens sind mithin durch die Rechtsprechung determiniert. Bei der konkreten Umsetzung verbleiben dem Gesetzgeber und der Verwaltung jedoch relevante Gestaltungsspielräume19; diese Ausfüllung wird nachfolgend betrachtet.
C. Die Neuerungen des Beurteilungswesens 2024
I. Kern der Anpassung: Zusammenführung von Leistungs- und Befähigungsbeurteilung
1. Status quo ante
Vor der Neufassung des Beurteilungssystems im Jahr 2014 standen die Leistungsbeurteilung mitsamt dem aus ihr gebildeten Leistungsgesamturteil und die Befähigungsbeurteilung unverbunden nebeneinander. Dabei führten das Fehlen von Richtwerten und das Nebeneinander von weitgehend gleichlautenden Leistungsbeurteilungen und danebenstehenden Befähigungsbeurteilungen in der Landesverwaltung häufig zu einem auch in anderen Beurteilungssystemen konstatierten Effekt: Bei der aufgrund fehlender Richtwerte zu beobachtenden Konzentration der weitaus meisten Beamten, nicht selten bis zu 90 %, in den beiden höchsten Bewertungsstufen eines fünfstufigen Bewertungssystems, lief die Funktion der dienstlichen Beurteilung, zu einem differenzierten Leistungs- und Befähigungsbild einer Beamtenpopulation zu gelangen, weitgehend leer. Diese Differenzierungsdefizite offenbarten sich aus dem Blickwinkel der Rechtsprechung insbesondere bei „pathologischen” Auswahlentscheidungen, die auf dienstliche Beurteilungen gestützt wurden. Auswahlentscheidungen wurden regelmäßig nicht auf dem Feld der Leistungsbeurteilung, sondern mithilfe einer schwierigen Differenzierung der Befähigungsbeurteilungen („auf der Suche nach dem 18. Kreuz”) und − sofern auch dies nicht weiterhalf − anhand von Hilfskriterien entschieden.
2. Zielsetzungen der Reform 2014 und ihre Folgewirkungen
Neben der Festlegung von Richtwerten zumindest für den Spitzenbereich erfolgte mit dem neuen Beurteilungssystem 2014 erstmals eine Zusammenfassung des nach Nr. 5.5 BRL (alte Fassung) gebildeten zusammenfassenden Ergebnisses der Leistungsbeurteilung und der – weiterhin ohne Gesamtbefähigung abschließenden − Befähigungsbeurteilung zu einem Gesamturteil, für das ebenso wie für das zusammenfassende Ergebnis der Leistungsbewertung die 15-Punkte-Skala Anwendung findet.
Die Einführung der Richtwerte und das damit verbundene größere Maß an Differenzierung haben ihr vorrangiges Ziel erreicht, Auswahlentscheidungen auf deren Grundlage und damit anhand des unmittelbaren Leistungsvergleichs und der Gesamturteile dienstlicher Beurteilungen treffen zu können, ohne in großem Umfang auf Hilfskriterien zurückgreifen zu müssen.
Allerdings erwies sich die Befähigungsbeurteilung in der bestehenden Form – so der Eindruck aus der Praxis – als in der Regel irrelevantes Anhängsel der Beurteilung, welches keinen Beitrag zur Durchsetzung des Leistungsprinzips bei Auswahlentscheidungen leisten konnte. Es erscheint daher systemwidrig, dass die Befähigungsbeurteilung, wie sie in Nr. 6 der BRL und in dem Beurteilungsvordruck (jeweils in der alten Fassung) vorgesehen war, zwar 18 (in einigen Ressorts gar 19) verschiedene Befähigungsmerkmale aufweist, in der praktischen Konsequenz aber weitgehend ohne tatsächliche Relevanz für Auswahlentscheidungen blieb. Zudem war zu beobachten, dass sich zwischenzeitlich flächendeckend Methoden entwickelt hatten, wie eine sachgerechte Abstimmung der Leistungs- und der Befähigungsbeurteilung schon bei Erstellung der Beurteilungen erreicht werden konnte.
Die Verwendung zweier unterschiedlicher Skalen, die Zusammenführung der Leistungsmerkmale zu einem Leistungsgesamturteil und die weitere Zusammenführung mit der Befähigungsbeurteilung unter Berücksichtigung von Richtwerten ist schwierig und insbesondere in sich kaum konsistent zu bewältigen. Zudem führte das bislang auf Vorschriftenebene nicht geregelte Verhältnis beider Bestandteile des Gesamturteils dazu, dass je nach Gewichtung der Leistungs- und der Befähigungsbeurteilung bei gleichen Ausgangswerten Unterschiede im Gesamtergebnis von mehr als einem Punkt möglich waren: ein Umstand, den die Rechtsprechung äußert kritisch bewertete.20
Verursacht wurden diese Effekte und Folgeprobleme durch den Umstand, dass der Verordnungs- und Richtliniengeber bei der damaligen Neufassung des Beurteilungssystems und dessen Ausrichtung an einem Beurteilungsmaßstab, der durch Richtwerte und damit durch das Gebot der regelmäßigen Klärung der Wettbewerbssituation geprägt ist, zwar die notwendige Bildung eines Gesamturteils anhand einer Beurteilungsskala festgelegt, die unveränderte Beibehaltung der bisherigen Befähigungsbeurteilung als eigenständigen Bestandteil aber nicht konsequent zu Ende geführt hatte.
Anders als in der früheren Systematik, in der allein die Leistungsbeurteilung und deren Gesamturteil jedenfalls theoretisch einen relativen Aussagegehalt hatte, und die Befähigungsbeurteilung als eine vom jeweiligen Statusamt unabhängige allgemeine Einschätzung des zukünftigen Potenzials der Beamtin oder des Beamten ausgestaltet war, führte die Einbeziehung der Befähigungsbeurteilung in das Gesamturteil dazu, dass auch die Befähigungsbeurteilung immer nur im Vergleich mit den im Wettbewerb stehenden Beamten erfolgen konnte. Dementsprechend musste sie im Falle einer Beförderung ebenfalls abgesenkt werden.
Den gesamten Beitrag lesen Sie in den VBlBW Heft 11/2024.