15.06.2012

Demographischer Wandel und die Folgen

Das Beispiel der Hansestadt Stendal

Demographischer Wandel und die Folgen

Das Beispiel der Hansestadt Stendal

Der Einwohnerrückgang in Stendal hat auch gravierende Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. | © pholidito - Fotolia
Der Einwohnerrückgang in Stendal hat auch gravierende Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. | © pholidito - Fotolia

Die Bevölkerung der Hansestadt Stendal ist von ca. 51.000 Einwohnern im Jahr 1989 auf heute 36.500 in der Kernstadt zurückgegangen. Sie wird in Stendal und der Altmark bis zum Jahr 2025 um weitere zwanzig Prozent sinken. Die Gründe liegen nicht nur in der natürlichen demographischen Entwicklung. Diese wurde in den Jahren 1989 bis 1995 durch einen Wegzug von rund 5.000 Einwohnern überlagert, der auf den Wegfall von Arbeitsplätzen zurückgeht. Daher lassen sich die Folgen des demographischen Wandels anhand des Beispiels von Stendal besonders anschaulich darstellen, weil die Bevölkerungsentwicklung und -struktur bereits heute derjenigen entspricht, die in anderen Kommunen erst in den kommenden zehn Jahren eintreten könnte.

Der Wohnungsmarkt

Der Einwohnerrückgang hatte zunächst gravierende Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Anfang 2005 standen rund 7.000 Wohnungen – insbesondere in den DDR-Plattenbauten – leer. Das entsprach rund 27 % des Gesamtbestandes. Daraus resultierten Leerstandskosten für Unterhaltung, Grundsteuer, Finanzierung und Mietausfall in Millionenhöhe, was 2003 bei der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft zu existenziellen wirtschaftlichen Problemen führte, die aber durch ein Sanierungskonzept abgewendet wurden. Bis heute wurden 4.847 Plattenbauwohnungen abgerissen. Die Verminderung der Leerstandskosten und die bewilligte Altschuldenhilfe führten zu einer Stabilisierung der Wohnungsunternehmen. Im Jahr 2010 lag der Leerstand bei 16,78 %.

Der großflächige Abriss, dem u.a. der Stadtteil Stendal Süd zum Opfer fiel, in dem einst 5.000 Einwohner lebten, war nur aufgrund der sehr homogenen Eigentümerstruktur möglich. Wo eine diversifizierte Eigentümerstruktur vorhanden ist, wird der Abriss einer größeren Zahl von Wohngebäuden bzw. ganzer Stadtteile ohne flankierende staatliche Programme oder neue rechtliche Rahmenbedingungen nicht möglich sein.


Aufgrund des weiter zu erwartenden Bevölkerungsrückganges ist davon auszugehen, dass in den nächsten zehn Jahren weitere 1.500 Wohnungen leer stehen werden. Das permanente Überangebot an Wohnungen hat zur Folge, dass die Wohnungskaltmieten im Stadtgebiet seit Jahren nahezu konstant geblieben sind. Demgegenüber weisen die Grundstückspreise und Mieten in Randbereichen oder ländlichen Gebieten eine fallende Tendenz auf. Eine weitere Folge ist eine hohe Mieterfluktuation, die einen zusätzlichen Instandhaltungsaufwand verursacht. Zu beobachten ist auch, dass große Wohnungen wegen der geänderten Bevölkerungsstruktur kaum noch nachgefragt werden und obere Etagen in Plattenbauten ohne den Einbau von Fahrstühlen schwer zu vermieten sind. Die Nachfrage tendiert zu kleinen Ein- bis Dreizimmerwohnungen, wobei der steigende Bedarf an altengerechten Wohnungen schwer befriedigt werden kann.

Der Neubau von Eigenheimen hat in den letzten Jahren stark nachgelassen. Neben Insolvenzen in der Bauwirtschaft hat dies Auswirkungen auf die Bauleitplanung und die Stadtentwicklung, die sich nunmehr primär auf die Stärkung des Stadtkerns fokussiert. Die Ziele liegen in der Revitalisierung von innerstädtischen Brachflächen, die zu DDR-Zeiten entstanden sind, der Schließung von Baulücken und der gezielten Sanierung historischer Bausubstanz. Glücklicherweise verfügt Stendal über einen gut erhaltenen historischen Stadtkern und alte Bausubstanz. Gleichzeitig werden Bauleitpläne an den Randbereichen ganz oder teilweise aufgehoben. Diese wurden Anfang der 90er Jahre aufgestellt, um der damals bestehenden enormen Nachfrage nach Eigenheimen Rechnung zu tragen. Im Stadtzentrum konnten zwei große Altenheime angesiedelt werden, was zu einer signifikanten Verbesserung der Betreuung der älteren Bevölkerung führen wird.

Weitere Auswirkungen

Der Bevölkerungsrückgang führte zu einer drastischen Verringerung der Trinkwasserentnahme. Neben der vorzeitigen Abschreibung von Trinkwasseranlagen war auch partiell eine Reduzierung der Durchmesser von Trinkwasserleitungen erforderlich, um eine Verkeimung des Wassers zu vermeiden. Man würde erwarten, dass die Verminderung des Trinkwasserverbrauchs sich auch bei der Abwasserentsorgung niederschlägt. Hier besteht aber in Stendal die Besonderheit, dass der demographisch verursachte Abwasserrückgang vollständig durch zusätzliche Abwassermengen des ansässigen Milchwerks kompensiert wurde. Dadurch sind bei der Abwassermenge und der Schmutzfracht keine Rückgänge zu verzeichnen. Ohne diesen Sondereffekt hätte sich das Schmutzwasseraufkommen um ein Drittel verringert, was entsprechende Anpassungen beim Abwasserpreis verursacht hätte. Der demographische Wandel hat also erhebliche Auswirkungen auf die kommunale Infrastruktur.

Besonders dramatisch sind die Folgen des demographischen Wandels im Bereich des Brandschutzes. Von den neunundzwanzig in Stendal existierenden Ortsfeuerwehren sind nur vier ganztätig einsatzbereit. Das zwingt die Strukturen der Feuerwehr künftig neu zu ordnen. Neben der Fusion von Ortsfeuerwehren wird auch der Ausbau von Schwerpunktfeuerwehren erforderlich sein.

Im Bereich der Schulentwicklung sind die Folgen noch dramatischer. Die Anzahl der Grundschüler wird von derzeit 1.340 auf 1.067 im Jahr 2025 fallen. Das hat mindestens die Schließung einer der acht bestehenden Grundschulen im Stadtgebiet zur Folge. Noch gravierender sind die Auswirkungen in der benachbarten Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck. Dort besteht die Gefahr, dass von den sieben vorhandenen Grundschulen in den kommenden fünf Jahren vier Schulen geschlossen werden müssen. Ähnlich ist die Lage bei den Kindertagesstätten. Hier wird sich die Nachfrage bei den Plätzen von derzeit 1.750 auf 950 im Jahr 2025 vermindern, was die Schließung der Hälfte der Kindereinrichtungen in Stendal zur Folge haben könnte.

Trotz der absehbaren rückläufigen Bevölkerung hält der Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel ungebrochen an. Obwohl rund 10.300 qm Einzelhandelsfläche in Stendal leer stehen (12,5 %), laufen Anfragen für den Neubau von weiteren vier Einzelhandelsmärkten mit einer Verkaufsfläche von bis zu 700 qm. Die Unternehmen versuchen, ihre Standorte zu optimieren. Dies führt nicht immer zu einer Verbesserung der Versorgung für die Bevölkerung, da die neuen Märkte in der Regel optimal nur mit dem Auto zu erreichen sind. Die Hansestadt Stendal versucht, die Ansiedlungen durch einen Bebauungsplan zu steuern.

Neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements

Der demographische Wandel führt aber auch zu neuen Formen des bürgerschaftlichen Engagements. In Stendal hat sich vor sechs Jahren ein Selbsthilfeverein zur ambulanten Betreuung von Demenzkranken gegründet. Ursprünglich hielt der Verein, die „Bürgerinitiative Stendal e.V.“, rund zwanzig ambulante Plätze vor. Mittlerweile versorgt die von ehrenamtlich, neben- und hauptamtlich Tätigen betriebene Einrichtung rund achtzig Patienten. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht.

Fazit

Die wichtigste Erkenntnis ist: Der demographische Wandel kommt. Die tatsächliche Entwicklung der Bevölkerung in Stendal entspricht den demographischen Voraussagen. Die in Stendal gemachten Erfahrungen können durchaus beispielhaft in anderen Kommunen herangezogen werden. Allerdings werden diese nur bedingt übertragbar sein, da der demographische Wandel bundesweit ganz unterschiedliche Auswirkungen haben wird. Während Ballungsräume ihre Bevölkerung durch Zuzug zu Lasten von ländlichen Regionen relativ stabil halten können, werden Letztere besonders betroffen sein. Kommunale Entscheidungsträger sind gut beraten, sich rechtzeitig mit den lokalen Prognosen und Verhältnissen auseinanderzusetzen und diese in ihrer Kommune zu berücksichtigen.

 

Axel Kleefeldt

Vertreter des Oberbürgermeisters der Hansestadt Stendal
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