15.06.2012

EM 2012: Rechtsexport nach Osteuropa

Interview mit Polizeidirektor Günther Kreit, Polizeipräsidium München

EM 2012: Rechtsexport nach Osteuropa

Interview mit Polizeidirektor Günther Kreit, Polizeipräsidium München

© fotolia | farbkombinat
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Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine ist gerade im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Im Vorfeld weilte Polizeidirektor Günther Kreit vom Polizeipräsidium München mehrere Tage in der Ukraine und hielt dort u.a. an der Lemberger Staatlichen Universität des Innern einen Vortrag zum Umgang der Polizei mit Fußballfans und Fanclubs. Günther Kreit ist seit Bestehen der Allianz-Arena (München) polizeilicher Einsatzleiter bei dort stattfindenden Fußballspielen.

PUBLICUS: Her Kreit, Sie haben kürzlich – salopp gesagt – Rechtexport nach Osteuropa im Bereich öffentliche Sicherheit und Ordnung betrieben. Was hat beim EM-Ausrichterland Ukraine das Interesse an Informationen durch einen bayerischen Polizeibeamten geweckt?

Kreit: Zunächst verfügt die Polizei in Deutschland und speziell in Bayern über einige Erfahrungswerte mit der Organisation von Großveranstaltungen, insbesondere auch im Bereich des (Fußball-)Sports. Denken Sie z.B. an die Fußball-WM 2006 in Deutschland und an das Endspiel der Champions League zwischen dem FC Bayern und Chelsea London kürzlich in München.


PUBLICUS: Beim Relegationsspiel um einen Platz in der 1.Bundesliga zwischen Düsseldorf und Berlin Mitte Mai in Düsseldorf hatte man nicht den Eindruck, dass die Sicherheitskräfte die Lage im Griff hatten. Es wurde von Zuschauern ein bengalisches Feuerwerk veranstaltet und kurz vor Spielende das Spielfeld gestürmt, so dass das Spiel unterbrochen werden musste. Hat dort das Sicherheitskonzept nicht gepasst bzw. wurde es nicht richtig umgesetzt?

Kreit: Nachdem ich nicht vor Ort war, möchte ich mir kein Urteil über Details der Vorkommnisse erlauben. Die Gesamtumstände deuten jedoch darauf hin, dass nicht alles so funktioniert hat, wie die Verantwortlichen es sich vorgestellt haben. Ich gehe davon aus, dass die Ursachen genauestens analysiert und entsprechende Konsequenzen seitens des Veranstalters und der Sicherheitskräfte gezogen werden. Ich erwarte aber auch Lernbereitschaft und Einsicht bei den Fußballfans, dass sie mit solchen Aktionen dem Fußballsport nur schaden.

PUBLICUS: Sehen sie prinzipielle Unterschiede in der Arbeit der Polizei- und Ordnungsbehörden zwischen Deutschland und der Ukraine?

Kreit: Die unterschiedlichen Strukturen darzustellen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Meine persönlichen Eindrücke vor Ort waren durchaus vielschichtig. Einerseits sind Obrigkeitsdenken und die Mentalität von Befehl und Gehorsam noch weit verbreitet. Andererseits bemühen sich Verantwortliche durchaus, sich der westlichen Gedankenwelt anzunähern, Spielräume zu erkennen und zu nutzen. Die Fähigkeit zum differenzierten und selbstständigen Handeln auf allen Ebenen und das Verständnis, für die Bürger da zu sein, müssen sich aber erst noch entwickeln.

PUBLICUS: Welche offiziellen polizeilichen Kontakte und welche Zusammenarbeit gab und gibt es vor und während der EM-Spiele 2012?

Kreit: Der frühzeitige Informationsaustausch mit den NFIP (National Football Information Points) richtet sich nach einer Entschließung des Europäischen Rates, niedergelegt in einem aktualisierten Handbuch. Darin sind Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit sowie Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension enthalten.

Die Aufgabe der NFIP wird in Deutschland von der ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) in Nordrhein Westfalen wahrgenommen. Die ZIS organisiert auch die auf Anforderung des jeweiligen Landes aufgestellte Polizeidelegation. Bei den ausführenden Polizeibeamten besteht neben dem Einsatz von in Zivil agierenden SKB (Szenekundigen Beamten) auch die Möglichkeit, uniformierte Beamte des Gastlandes anzufordern. Die Stärke und Zusammensetzung der Delegation richtet sich nach den jeweiligen Bedürfnissen und wird im Vorfeld zwischen den jeweiligen Ländern abgestimmt.

PUBLICUS: Deutsche Polizeibeamte sind während der EM in der Ukraine und in Polen im Einsatz. Welche Auswirkungen hat das auf die dortige Polizeiarbeit?

Kreit: Die deutschen SKB sind in der Lage, vor Ort aufzuklären, welche Problemfans sich in der jeweiligen Region aufhalten. Sie können der örtlichen Einsatzleitung Empfehlungen zum taktischen Vorgehen und zur Einsatzabwicklung geben. Darüber hinaus wirkt die Anwesenheit der SKB bei den Problemfans präventiv, da sie dadurch aus der Anonymität geholt werden. Für die normalen Fußballfans sind die deutschen Polizeibeamten Ansprechpartner und Vermittler bei den unterschiedlichsten Problemstellungen.

PUBLICUS: Welche rechtlichen Maßnahmen der Polizei kommen bei (Fußball-)Großveranstaltungen in Betracht?

Kreit: Der Polizei steht eine ganze Palette von Maßnahmen zur Verfügung, die ein differenziertes Vorgehen erlauben. Eine Gefährderansprache zum Beispiel soll den Gefährdern die Spielregeln vor Ort verdeutlichen und entsprechende Konsequenzen aufzeigen. Als Rechtsgrundlage dient das jeweilige Polizeiaufgabengesetz. Eine konkrete Gefahr muss noch nicht vorliegen. Ein Platzverweis oder ein polizeiliches Ortsverbot sind ebenfalls auf das Polizeirecht gegründet. Hier bedarf es aber bereits einer konkreten Gefahrenlage. Sie ist gegeben, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall eine Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Eine Gewahrsamnahme kann angeordnet werden, wenn dies unerlässlich ist, um eine Platzverweisung durchzusetzen. Leistet ein Proband also dem Platzverweis nicht Folge, kann er in Gewahrsam genommen werden. Weiterhin ist ein Gewahrsam möglich, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Die Gewahrsamnahme stützt sich wiederum auf Polizeirecht. Da es sich hier um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt, ist eine unverzügliche richterliche Entscheidung herbeizuführen. Festnahmen erfolgen nach den Regeln der Strafprozessordnung. Hier liegen Straftaten zu Grunde. Bei Spielen in der Allianz Arena ist regelmäßig ein Staatsanwalt des zuständigen Referats im Stadion, der über das weitere Vorgehen entscheidet. Falls die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, können in der Stadionwache die Festgenommenen erkennungsdienstlich behandelt und bis zur Vorführung beim zuständigen Richter in vorhandenen Haftzellen untergebracht werden.

PUBLICUS: Mal eine ganz konkret-praktische Frage: Wie gehen sie vor, wenn aus einer Menge heraus Gegenstände geschleudert werden?

Kreit: Sehr frühzeitig versuchen wir, die Situation durch Videoaufzeichnung zu dokumentieren und Einsatzkräfte vor Ort zu bringen. Gleichzeitig ist ein schnelles und differenziertes Vorgehen gegen die Werfer und deeskalierendes Vorgehen bei Personen im Umfeld vorgesehen. Nach entsprechenden Festnahmeaktionen werden die Täter umgehend vom Tatort entfernt. Ziel ist es, möglichst bald vor Ort wieder Normalität einkehren zu lassen.

PUBLICUS: Kann man sagen, dass die „Eingreif-Hürden“ der Polizei in Deutschland höher sind als in der Ukraine, ggf. in welchen Bereichen?

Kreit: In dieser Absolutheit kann ich das nicht bestätigen. In München setzen wir die Einsatzschwelle gegen Gewalttäter sehr niedrig an. Allerdings versuchen wir immer, genau zu unterscheiden und die unbeteiligten Besucher möglichst wenig zu beeinträchtigen. Ob der ukrainischen Polizei dieser Spagat gelingt, wird sich bei der EM erweisen.

PUBLICUS: Hatten Sie den Eindruck, dass in der Ukraine die Bereitschaft da ist, noch stärker deutsches Recht zu rezipieren, namentlich deutsches Sicherheits- und Ordnungsrecht?

Kreit: Seit mittlerweile 20 Jahren besehen intensive Kontakte bayerischer Behörden und Institutionen in die Ukraine. Ich denke, die Ukraine versucht auf dem Weg nach Europa sich an bayerischen Vorbildern zu orientieren. So organisiert z.B. die Hanns-Seidel-Stiftung seit vielen Jahren Seminare u.a. zu den Bereichen Menschenhandel und Rauschgiftkriminalität. Das Interesse an deutschen Vorbildern ist groß.

PUBLICUS: Hat sich Ihr Besuch in der Ukraine gelohnt? Was erwarten Sie sich aus polizeilicher Sicht von der EM?

Kreit: Ich konnte mich mit verschiedenen Stellen austauschen. Viele Fragen der Gastgeber zeigten mir, dass die bayerische Einsatzphilosophie und unsere rechtlichen Grundlagen auf ein positives Echo stießen. Die Ukrainer werden versuchen, sich bei der EM als an westlichen rechtsstaatlichen Standards orientierter Gastgeber zu präsentieren.

PUBLICUS: Zum Schluss noch eine Frage an Sie als Fußballinteressierter: Was tippen Sie für das Endspiel der EM 2012?

Kreit: Ich könnte mir vorstellen, dass die deutsche Nationalmannschaft das Endspiel erreicht. Dort wird sie meiner Vermutung nach auf Spanien treffen. Auch wenn die Spanier wohl leichter Favorit wären, hoffe ich natürlich auf einen deutschen Sieg.

PUBLICUS: Herr Kreit, wir danken Ihnen für das Gespräch und hoffen mit Ihnen.

 
 

Günther Kreit

Ltd. Polizeidirektor
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