15.06.2012

Planungssicherheit für Kommunen

Zum Beschluss des BVerfG vom 15.09.2011 – 1 BvR 2232/10

Planungssicherheit für Kommunen

Zum Beschluss des BVerfG vom 15.09.2011 – 1 BvR 2232/10

Sensibles Thema: Inanspruchnahme eines Privatgrundstücks als öffentliche Fläche und Scheitern der Planung. | © mahey - Fotolia
Sensibles Thema: Inanspruchnahme eines Privatgrundstücks als öffentliche Fläche und Scheitern der Planung. | © mahey - Fotolia

Für viele Kommunen ist die öffentliche Inanspruchnahme von Privatgrundstücken im Rahmen ihrer Bauleitplanung nicht zuletzt wegen damit verbundener Beeinträchtigungen von Eigentümerrechten ein sensibles Thema. Neben der von den Betroffenen oft im Rahmen von abstrakten Normenkontrollverfahren oder Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Baugenehmigung inzident geltend gemachten Unwirksamkeit des Bebauungsplans stellt sich in diesem Zusammenhang oft auch die Frage der angemessenen Entschädigung des Betroffenen. Nicht selten pochen Grundstückseigentümer vehement auf nicht unerhebliche Entschädigungsleistungen, wodurch die Umsetzung wichtiger Bauvorhaben gefährdet oder wesentlich verzögert wird.

Mitunter führen Unsicherheiten in der rechtlichen Bewertung einer angemessenen Entschädigung bereits im Vorfeld der Realisierung eines Bauvorhabens dazu, dass von bestimmten attraktiven Planungsvarianten Abstand genommen und auf andere ausgewichen wird.

Werden dagegen unter Inanspruchnahme privater Grundstücke geplante Bauvorhaben nicht umgesetzt und Grundstückseigentümer damit in ihren Nutzungsmöglichkeiten faktisch allein aufgrund der Festsetzungen im fortbestehenden Bebauungsplan blockiert, stellt sich die Frage, ob Grundstückseigentümer hierfür eine Entschädigung verlangen können. Mit einer solchen Situation hatte sich das Bundesverfassungsgericht am 15.09.2011 – 1 BvR 2232/10 – im Rahmen eines Nichtannahmebeschlusses befasst.


Zum Sachverhalt

Im Jahr 1987 trat ein Bebauungsplan in Kraft, der auf einem Grundstück der Beschwerdeführer Gemeinbedarfsflächen festsetzte. Ein dagegen gerichtetes Normenkontrollverfahren blieb ohne Erfolg. Eine anschließende Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Bis zum Jahr 2007 unternahm die Stadt nichts zur Umsetzung des Bebauungsplans und der Bedarf für die öffentliche Nutzung war entfallen. Wegen der vereitelten Möglichkeit der Bebauung stritten die Beschwerdeführer in der Folge um eine Geldentschädigung. Im Jahr 2010 wurde diese letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber dem von einer Bauleitplanung betroffenen Grundstückseigentümer zum Ausgleich einer unzumutbaren Eigentumsbeschränkung in § 43 BauGB lediglich einen Anspruch auf Übernahme des Grundstücks durch die Kommune gegen entsprechende Entschädigung des Grundstückswertes zuerkannt habe und eine Entschädigung ohne gleichzeitige Grundstücksübertragung an die Kommune ausscheide.

Hiergegen erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde. Sie machten im Wesentlichen geltend, der Ausschluss einer Entschädigung ohne Übertragung des Grundstücks zwinge den Betroffenen, entweder sein Grundstück zu übertragen oder eine „ewige“ Veränderungssperre entschädigungslos hinzunehmen. Darin liege eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte aus Art. 14 GG, der auch das „Behaltendürfen“ des Eigentums garantiere.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die maßgeblichen Fragen zum Eigentumsschutz und zur Entschädigung im Rahmen von Art. 14 GG geklärt seien. Der Gesetzgeber habe eine klare Regelung getroffen, die den von den Beschwerdeführern verlangten Ausgleich ausschließe. Für eine widersprechende verfassungskonforme Auslegung sei kein Raum. Außerdem habe der Gesetzgeber die begehrte Nutzungsentschädigung bis zur Umsetzung der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen gerade vermeiden wollen.

Diese Gesetzeslage verstoße nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Dies würde eine unverhältnismäßige Beschränkung des Grundeigentums voraussetzen, die nicht beseitigt und die auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Entschädigungen ausgeglichen werden könne. Dies muss nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Wege des Primärrechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten festgestellt werden, was nach Meinung der Verfassungsrichter aufgrund der lang andauernden, unterlassenen Umsetzung des Bebauungsplans sowie des entfallenen Gemeinbedarfs nicht aussichtslos ist. Eine andere als die im Gesetz bereits vorgesehene Entschädigungsleistung, so stellte das Bundesverfassungsgericht klar, lasse sich dadurch jedoch auch dann nicht erzielen, wenn dieses verwaltungsgerichtliche Vorgehen erfolgreich sei.

Die Bewertung

Das Bundesverfassungsgericht schafft Rechtssicherheit für Kommunen im Hinblick auf deren Inanspruchnahme durch Grundstückseigentümer, die durch dem Gemeinwohl dienende Festsetzungen in Bebauungsplänen in ihren Eigentumsrechten beschränkt werden. Die Verfassungsrichter haben klargestellt, dass von der Kommune in diesen Fällen eine Entschädigung des Grundstückswertes allein gegen die gesetzlich vorgesehene Übernahme des betroffenen Grundstücks verlangt werden kann. Eine andere Entschädigung steht dem Grundstückseigentümer nicht zu. Sie ist weder gesetzlich vorgesehen noch ergibt sich ein solcher Anspruch aus Art. 14 GG. Dabei bleibt es auch, wenn es der betroffene Grundstückseigentümer versäumt hat, den Übernahmeanspruch innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist geltend zu machen. Das entschädigungsrechtliche Risiko ist für Kommunen damit begrenzt, wenn sie auf Privatgrundstücken Gemeinbedarfsflächen festsetzen und zwar auch, wenn sich herausstellt, dass die Festsetzungen unzulässig waren. Der betroffene Grundstückseigentümer kann sich entweder im Wege des Primärrechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten gegen die sein Eigentum beschränkenden Festsetzungen wehren oder seinen gesetzlichen Übernahmeanspruch geltend machen. Letzteres muss er innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist tun, um sein Recht auf Entschädigung nicht zu verlieren.

Die Beurteilung von Entschädigungspflichten bzw. -ansprüchen aufgrund staatlicher Eingriffe in das von Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht bereitet in der Praxis nicht zuletzt wegen der insoweit bestehenden, zahlreichen gesetzlichen, teils auch richterrechtlichen Rechtsinstitute immer wieder Schwierigkeiten. Vor dem Hintergrund, dass Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt werden, zu denen auch Bebauungspläne gezählt werden, waren entschädigungsrechtliche Fragen vorliegend anhand der dazu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zu beurteilen. Einmal mehr hatte das Bundesverfassungsgericht daher auch mit dem vorliegenden Fall Gelegenheit, diese vom jeweiligen Gesetzgeber bei seiner Normgebung, insbesondere von Kommunen als Satzungsgeber bei ihrer Abwägungsentscheidung im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen, zu beachtenden Grundsätze nochmals hervorzuheben. Dabei handelt es sich um folgende:

  1. Der Gesetzgeber muss die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls im Einklang mit allen anderen Verfassungsnormen, insbesondere den Verhältnismäßigkeits- und Gleichbehandlungsgrundsatz, in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen.
  2. Der Gesetzgeber muss die Reichweite seiner Gestaltungsfreiheit beachten, die in Abhängigkeit von der Eigenart und Funktion der jeweils betroffenen Eigentumsposition unterschiedlich sein kann. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist umso größer, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist.
  3. Soweit diese Anforderungen erfüllt sind, sind Eigentumsbeschränkungen vom Eigentümer als Ausfluss der sich aus Art. 14 Abs. 2 GG ergebenden Sozialpflichtigkeit des Eigentums grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Sind sie nicht erfüllt, ist die betreffende Regelung verfassungswidrig und unwirksam. Darauf gestützte Maßnahmen können vom Eigentümer im Wege des Primärrechtsschutzes abgewehrt werden, ohne dass es eines Entschädigungsanspruches bedarf.
  4. In bestimmten Fallgruppen kann der Gesetzgeber jedoch für Regelungen, die zwar die vorgenannten Anforderungen im Wesentlichen erfüllen, die aber Eigentümer unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig beeinträchtigen, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit herbeiführen, indem er die Unverhältnismäßigkeit bzw. Ungleichbehandlung durch Ausgleichsregelungen vermeidet und dem schutzwürdigen Vertrauen der Eigentümer angemessen Rechnung trägt.
  5. Diese Möglichkeit bleibt jedoch auf Ausnahme- bzw. Härtefälle beschränkt. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit unverhältnismäßiger Eigentumsbeschränkungen kann nicht generell durch derartige Ausgleichsregelungen hergestellt werden. In erster Linie muss der Gesetzgeber z. B. durch Übergangsregelungen, Ausnahme- und Befreiungsvorschriften oder administrative und technische Vorkehrungen unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigungen real vermeiden. Nur wenn dies nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, kann die Verfassungsmäßigkeit ausnahmsweise durch einen finanziellen Ausgleich oder Einräumung eines Anspruches auf Übernahme des Eigentums durch die öffentliche Hand zum Verkehrswert hergestellt werden.

Von diesen Grundsätzen ausgehend wird vom Bundesverfassungsgericht in der vorliegenden Entscheidung die Abgrenzung primärer Rechtsschutzmöglichkeiten von Schadensersatzfragen im Rahmen des grundrechtlichen Eigentumsschutzes nochmals verdeutlicht und der Beschwerdeführer auf den Primärrechtsschutz verwiesen. Zugleich war danach klarzustellen, dass im vorliegenden Fall selbst bei einer auf diesem Wege festgestellten unverhältnismäßigen Eigentumsbeeinträchtigung keine andere als in den §§ 39 ff. BauGB vorgesehene Entschädigung für eine langfristig vereitelte Baumöglichkeit bei Nichtumsetzung eines Bebauungsplanes in Betracht kommt.

Angesichts der im Wege des Primärrechtsschutzes erreichbaren Feststellung einer verfassungswidrigen Eigentumsverletzung besteht dafür weder ein Bedarf noch eine nach den für Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums geltenden Grundsätzen erforderliche gesetzliche Grundlage.

Für die Praxis ist auch von Bedeutung, dass Kommunen das wirtschaftliche Risiko bei der Überplanung von Privatgrundstücken kalkulieren können, indem sie die im Planungsschadensrecht vorgesehenen Ausgleichsleistungen, insbesondere den Verkehrswert des betroffenen Grundstücks, ermitteln. Als maßgeblicher Bewertungszeitpunkt kann dabei grundsätzlich der Zeitpunkt zugrunde gelegt werden, zu dem der Entschädigungsberechtigte nach Eintritt der Entschädigungsvoraussetzungen in der Lage war, einen Antrag auf Festsetzung der Entschädigung in Geld zu stellen oder zu dem er ein angemessenes Entschädigungsangebot des Entschädigungspflichtigen abgelehnt hat. Denn das Planungsschadensrecht schließt die Berücksichtigung späterer Werterhöhungen aus.

Im Einzelfall sollte im Hinblick auf den maßgeblichen Bewertungsstichtag jedoch stets eine sorgfältige Planung der Verfahrensschritte unter Berücksichtigung der maßgeblichen Entschädigungsgrundsätze des Baugesetzbuches erfolgen, damit sich die Entschädigungspflicht nicht auch auf kurzfristige, vom Werterhöhungsausschluss nicht erfasste Werterhöhungen erstreckt.

 

Dr. Markus Nagel

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
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