15.06.2012

Vor der Hacke ist es duster

Zur Kostenexplosion bei öffentlichen (Groß-)Bauprojekten

Vor der Hacke ist es duster

Zur Kostenexplosion bei öffentlichen (Groß-)Bauprojekten

Kostensteigerungen sind bei öffentlichen Bauprojekten oft unvermeidlich. | © lassedesignen - Fotolia
Kostensteigerungen sind bei öffentlichen Bauprojekten oft unvermeidlich. | © lassedesignen - Fotolia

Nicht selten steht die öffentliche Hand in der Kritik, wenn es bei öffentlichen (Groß-)Bauprojekten zu erheblichen Kostensteigerungen kommt, die dem Steuerzahler nur schwer vermittelt werden können. (Zu) schnell bei der Hand ist die öffentliche Meinung dann jedoch meist mit dem immer gleichen Erklärungsmuster, dass trotz hoch defizitärer Haushaltslage in deutschen Amtsstuben und auch der Politik jedes Gespür für Maßhalten und verantwortliches Wirtschaften völlig abhandengekommen sei. So richtig dies im Einzelfall sein kann, zeigt indessen ein Blick auf die gesetzlichen Regelungen, dass diese pauschale Kritik den Kern der Problematik nicht trifft.

Vergaberechtlicher Aspekt: Kein Systemfehler bei der Auftragsvergabe

Die kritische Berichterstattung zu dem Projekt „Stuttgart 21“ oder auch anderen Großbauvorhaben führt bisweilen zu der Schlussfolgerung: „Das Dauerdebakel um öffentliche Bauprojekte hat System“ (symptomatisch: FAZ vom 11.10.2010). Dieser undifferenzierende Ansatz ist natürlich nicht richtig. Die VOB/A, nach der zwingend die Ausschreibung öffentlicher Bauvorhaben erfolgt, zwingt zur eindeutigen und erschöpfenden Auftragsausschreibung; alle die Preisermittlung beeinflussenden Umstände sind festzustellen, die wesentlichen Verhältnisse der Baustelle sind zu beschreiben. Ein Übermaß an Unkalkulierbarkeit der Kostenentwicklung ist schlechterdings nicht mit den Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe, die auf die wirtschaftliche Beschaffung der benötigten Bauleistungen abzielen, vereinbar. Da die Vergaberegelungen der VOB/A insbesondere heute nicht nur bloß intern wirkendes Haushaltsrecht darstellen, sondern die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben bereits Anfang der 1990er Jahre subjektive Rechte der Bieter begründete, darf davon ausgegangen werden, dass der „Gesetzesbefolgungsanspruch über den Schwellenwerten“ und die Konkurrenz der Bieter untereinander die Einhaltung der Vergaberegeln ganz maßgeblich fördern. Im Übrigen bleibt es bei dem verfassungsrechtlich normierten Rechtsstaatsprinzip, wonach die Verwaltung auch unter den Schwellenwerten die Vergaberegeln einzuhalten hat. Ein „Dauerdebakel um öffentliche Bauprojekte“ oder ein diesbezüglicher „Systemfehler“ ist angesichts der detaillierten und auf nationaler wie europarechtlicher Ebene normierten Regelungen nicht erkennbar. Die übliche Pauschalkritik erscheint unter diesem Aspekt einigermaßen unbegründet.

Bauvertraglicher Aspekt: „Auswüchse“ der Ausschreibungsmethode systemimmanent aber beherrschbar

Dass die von der VOB/A vorgesehene Ausschreibungsmethode unbeabsichtigt „Auswüchse“ neuer Art hervorgebracht hat, ist bekannt; der Vertrag wird auf „Lücken“ und „Fehler“ (wohl treffender: Ungenauigkeiten) hin untersucht und es wird baubetrieblich ermittelt, wie die Preise auf die einzelnen Teilleistungen in der Weise verteilt werden können, dass erst der Angebotspreis für die Zwecke der Wertung möglichst niedrig und der Abrechnungspreis am Ende möglichst hoch ausfällt (Althaus/Heindl, Der öffentliche Bauauftrag, ibr-online, Stand 08.11.2010, Einleitung, Rn. 26). Da die Vertragsparteien aber ganz grundsätzlich widerstreitende Interessen verfolgen, sind ebenso diese beschriebenen – auf Nachträge angelegten – „Auswüchse“ schlicht dem unternehmerischen Verhalten der Bieter geschuldet; insofern auch in anderen Bereichen ein alltäglicher Vorgang. Andere Kostensteigerungen sind wiederum schlicht dem dynamischen Planungsprozess geschuldet, der von der Grundlagenermittlung bis hin zur letztendlichen Ausführung die konkreten Leistungsziele erst „in der Zeit“ hervorbringt. Denn der Planungsablauf ist durch Weiterentwicklung, Optimierung und Dialog gekennzeichnet (vgl. Berger/Fuchs, Einführung in die HOAI, 2011, Rn. 41). Nicht selten sieht sich der Auftraggeber gegen Projektende aus diesen Gründen mit einer Schlussrechnungssumme konfrontiert, die deutlich – ebenfalls nicht selten um 20 bis 50% – über der zunächst kalkulierten Auftragssumme liegt (Rodde/Strassen, ZfBR 2005, 634).


Entscheidender Gesichtspunkt ist allein, ob diese Kostensteigerungen einer kritischen Überprüfung zugeführt werden und ob sie tatsächlich in den Risikobereich des öffentlichen Auftraggebers oder doch anderer Baubeteiligter wie z.B. Bauträger, General-, Haupt-, Vor- oder Nachunternehmer, Architekt, Sonderfachmann (etwa Tragwerksplaner, Ingenieur für technische Ausrüstung, Baugrundberater), Baustoffverkäufer, Projektsteuerer oder Projektüberwacher fallen.

Juristisches Projektmanagement als Instrumenteffektiver Kostenkontrolle

Die juristische Beratung und Kostenüberwachung ist daher nicht bloß zweckmäßig, vielmehr darf die Frage gestellt werden, ob nicht sogar die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung zwingend dafür sprechen, mögliche Kostenersparnispotentiale umfassend auszuschöpfen. Denn der Kosten-Nutzen-Aufwand ist hier beachtlich. Unberechtigte Kostenausreißer können vermieden werden und der Kosten-Nutzen-Faktor für juristisches Projektmanagement ist nach einer Untersuchung von Witteler mit 1:5 zu bewerten (Witteler, Die Kosten-Nutzen-Relation von Claim-Management-Aufwendungen, Bauwirtschaft 1996, Heft 11, S. 24ff; Heft 12, S. 1ff.). Die zu benennenden Beispiele aus der Praxis sind vielfältig:

Eine Kostenüberschreitung aus der Sphäre des Architekten kann etwa einen wichtigen Grund zur Kündigung des Planervertrages darstellen (OLG München IBR 2007, 381). Geleistete Abschlagszahlungen an den Planer stehen diesem dann grundsätzlich nur in dem Maße zu, wie die erbrachte (Planungs-)Leistung mangelfrei ist, und selbst bei mangelfreier Teilleistung kann im Falle einer Unzumutbarkeit der Verwertung auch ein Teilhonorar dem Planer verwehrt sein (BGH NJW 1999, 3554). Den Architekten trifft auch ohne Kostenvorgabe des Bauherrn die Pflicht, den wirtschaftlichen Rahmen abzustecken und Zielvorstellungen abzustimmen (BGH IBR 1991, 231). Mit Blick auf Nachträge der ausführenden Werkunternehmer ist darauf zu achten, dass hinsichtlich etwaiger Nachtragsansprüche dem Grunde nach die erforderlichen Voraussetzungen erst einmal vorliegen müssen. Ein nicht tadelloses Projektmanagement der Auftragnehmerseite hat hier erhebliche Beweislastfolgen zu Lasten des ausführenden Werkunternehmers. Ganz allgemein gilt, dass es mitunter beachtliche Probleme bereiten kann, wenn der ausführende Werkunternehmer sämtliche Kausalitäten, technischen Erfordernisse, Verschiebungen der Bauzeit etc. schlüssig darlegen muss.

Insofern bedeuten die beschriebenen „Auswüchse“ für den öffentlichen Auftraggeber kein unliebsames Übel, sondern versetzen diesen vielmehr in eine komfortable Position: Der Auftragnehmer muss detaillierte Nachweise liefern, will er die Kostensteigerung (gerichtlich) durchsetzen. Die in der Baupraxis oft faktischen Probleme vermitteln dann dem Auftraggeber eine ausgezeichnete Verhandlungsposition. Auch was die Nachtragsvergütung der Höhe nach betrifft, ist ebenfalls der schlüssige Vortrag geschuldet, dass eine analoge Kostenfortschreibung vorgenommen wurde. Nicht selten wird diese mühsame baubetriebliche Anspruchsbegründung in der gerichtlichen Auseinandersetzung geflissentlich übergangen, was indessen nichts daran ändert, dass auch hier der ausführende Werkunternehmer zur dezidierten Darlegung der Kostenentwicklung angehalten werden kann und nicht ohne Not aus der für ihn schwierigen Darlegungs- und Beweislage befreit werden muss.

Fazit

Hervorzuheben ist daher abschließend, dass Kostensteigerungen auch bei öffentlichen (Groß-)Bauprojekten grundsätzlich üblich sind und damit auch in der Tat eine erst später erkennbare Erhöhung des Investitionsvolumens einhergehen kann. Diese Folgen sind aber beherrschbar. Sicherzustellen ist, dass tatsächlich nur unvermeidbare Kostenmehrungen die öffentlichen Haushalte belasten. Die Kritik an der Vergabe und Realisierung öffentlicher Bauprojekte kann nicht verfangen und nur dann berechtigterweise erfolgen, wenn unnötig Haushaltsmittel aufgewandt werden, die nicht durch begründete Werklohnansprüche gerechtfertigt sind. Letzteres ist jedoch kein Fehler im System, sondern eine vermeidbare Achtlosigkeit im Einzelfall.

Dr. Georg Klein

Dr. Georg Klein

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Becker & Klein Rechtsanwälte, Limburg an der Lahn
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