04.07.2024

Braun: „Die Gemeinde muss sich attraktiver präsentieren!“

Interview mit Bürgermeister a.D. Elmar Braun, Maselheim

Braun: „Die Gemeinde muss sich attraktiver präsentieren!“

Interview mit Bürgermeister a.D. Elmar Braun, Maselheim

„Hass und Hetze im Internet erlebte ich kaum. “ © Thomas Reimer – stock.adobe.com
„Hass und Hetze im Internet erlebte ich kaum. “ © Thomas Reimer – stock.adobe.com

Das Interview führte Prof. Paul Witt, früherer Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl und Herausgeber des Titels „Karrierechance Bürgermeisteramt – Leitfaden für die erfolgreiche Kandidatur und Amtsführung“, in der 3. Auflage erschienen beim Richard Boorberg Verlag, Stuttgart.

Witt: Sie wurden 1991 als erster Grünenpolitiker zum Bürgermeister von Maselheim gewählt – und das im konservativen Oberschwaben. Was war Ihr Erfolgsrezept?

Braun: In der Tat sprach am Anfang alles gegen mich: Ich bin vom Dorf, war beruflich nicht aus der Verwaltung, war Betriebsrat und Nebenerwerbslandwirt. Ich hatte ein Kind, aber keine Ehefrau. So jemand wird nicht gewählt. Meine Gegenkandidaten brachten da deutlich mehr Vorzeigecharakteristika mit.


Warum ich es trotzdem schaffte, hat verschiedene Gründe. Dass ich spontaner und entspannter als meine Kontrahenten auf Veränderungen reagieren konnte, war mit Sicherheit richtungsweisend. Außerdem hatte ich das Glück, einen erfahrenen Wahlkampfberater an meiner Seite zu wissen.

Ein sehr entscheidender Faktor aber war mein Vorgehen im Wahlkampf: Ich setzte voll auf die persönliche Karte. Ohne komplexes Programm war mir wichtig, die Fragen der Bürgerinnen und Bürger beantworten zu können. Denn diese möchten wissen, ob sie gehört werden, wem sie vertrauen und mit wem sie auch über ihre Nöte und Sorgen sprechen können.

Also ging ich von Tür zu Tür und lernte die Menschen kennen, machte mich aber auch transparent. Die Leute merkten so: Mit dem Elmar Braun kann man „schwätza“, da kommen neue Ideen. Die Erfahrung zeigt, dass nach einer langen Amtszeit eines Bürgermeisters ein anderer Typ gewünscht wird. Ich glaube, dass ich diese Alternative geboten habe.

Mit Rückenwind in Berge von Arbeit

Witt: Haben Sie es als Belastung empfunden, zum ersten „grünen“ Bürgermeister in Baden-Württemberg gewählt worden zu sein? Hatten Sie den Eindruck, dass sich die Medien darauf konzentrierten und Ihre persönliche Agenda und Ihr Engagement für Maselheim kaum wahrgenommen wurden?

Braun: Am Anfang habe ich mich einfach gefreut und war, wie viele in der Kommune, froh über die positive Resonanz. Nach der Wahl hat man eben „Rückenwind“. Dennoch war von Anfang an klar, dass viel Arbeit auf mich zukommt und ich in erster Linie Bürgermeister von Maselheim bin. Gleichzeitig bin ich aber Mitglied der Grünen. Dazwischen musste ich mich bewegen, wobei das Wichtigste immer war, meine Arbeit so gut zu machen, dass die Bürgerinnen und Bürger zufrieden sind und mich wieder wählen. Das Medieninteresse an meiner Wahl und meiner Arbeit hat mir dabei natürlich geholfen. Die Menschen freuen sich, wenn ihre Gemeinde in den Medien positiv dargestellt wird.

Witt: Sie haben jahrzehntelang die Geschicke der Gemeinde Maselheim entscheidend mitgeprägt. Was waren die wichtigsten Projekte in dieser Zeit?

Braun: In den 32 Jahren haben wir alle kommunalen Gebäude saniert, Kindergärten erweitert, Schulen zusammengelegt, in die Wasserversorgung investiert, die Feuerwehren modernisiert und vieles mehr. Am Ende dieser Zeit steht für mich jedoch an erster Stelle, den Frieden in der Gemeinde erhalten zu haben. Nicht Projekte schnell durchgepeitscht, nicht dringende und auch nachvollziehbare Maßnahmen brachial und mit knapper Mehrheit beschlossen, sondern so gehandelt zu haben, dass es eine große Mehrheit verstand und mittrug. Das ist Friedenssicherung. Lieber langsamer gehen und etwas schaffen, das akzeptiert wird.

Am zweitwichtigsten war für mich, die Menschen zusammenzubringen. Die Ortsteile unserer Gemeinde haben in der Vergangenheit überwiegend für sich gedacht, was ich als Gemeinderat auch verstehe. Als Bürgermeister jedoch merkte ich, dass die Dorfgemeinschaft zusammengeführt werden muss.

Der dritte wichtige Punkt waren die Finanzen: Verfügbares Geld kann man nur einmal ausgeben. So war stets meine Devise mit unseren Gemeindemitteln auszukommen, was für die Bürgerinnen und Bürger allerdings manchmal schwer nachvollziehbar war. Die Feuerwehr zum Beispiel war nicht sehr glücklich darüber, dass wir gebrauchte Fahrzeuge kauften, weil wir uns keine neuen leisten konnten.

Zuletzt legte ich Wert darauf, Kultur, Kunst und Kommunikation in unser Dorf zu bringen. Das neue Rathaus wurde einladend und offen konzipiert und gebaut. Heute kann es mit Leben gefüllt werden, z. B. mit Ausstellungen oder Lesungen lokaler Künstler.

Erfahrungen aus der Kommune in die Partei einbringen

Witt: Gab es während Ihrer Amtszeit – bewusst oder unbewusst – Vereinnahmungsversuche vonseiten Ihrer Partei? Wie haben Sie darauf reagiert?

Braun: Zwar war ich ein grüner Bürgermeister, aber die Partei hat mich nie vereinnahmt. An erster Stelle stand immer die Gemeinde, von deren Perspektive aus ich meine kommunalen Erfahrungen in die Überlegungen der Partei einbrachte.

Aals Bürgermeister, der einer Partei angehöret ist man nicht von der Partei abhängig. In dem Amt gewinnt man Erfahrungen, die kein anderer bieten kann. Diesen „Schatz“ müssen wir Bürgermeister in die Parteien einbringen! Parteien leben oft in ihrer eigenen Blase – zumal auf Bundes- und teilweise auch auf Landesebene.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann z. B. nimmt die Erfahrungen der kommunalen Ebene sehr ernst und ist im ständigen Austausch mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den kommunalen Spitzenverbänden. Wir Grünen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind regelmäßig mit ihm, der Fraktionsspitze und Vertretern aus dem Landesvorstand zum Gespräch in Stuttgart. Dort werden wir gehört!

Witt: Warum wollten Sie nicht noch eine fünfte Amtszeit draufsatteln? Die Höchstaltersgrenze bei Bürgermeistern in Baden-Württemberg ist  aufgehoben worden.

Braun: Es ist besser zu gehen, wenn der Zenit erreicht oder noch nicht zu weit überschritten ist. Als Bürgermeister muss man sich immer wieder neu erfinden, immer wieder neue Projekte anstoßen, die Menschen mitnehmen und motivieren. Dazu muss man mit allen in Kontakt bleiben und ich nahm wahr, dass ich mit meinen 67 Jahren die Verbindung zur jungen Generation etwas verloren hatte. Zuletzt merkte ich, dass mich die Arbeit auch ausgelaugt hatte.

Der Bürgermeister der Zukunft – wie sieht er oder sie aus?

Witt: Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beklagen, dass ihr Beruf in den letzten Jahren anspruchsvoller und schwieriger geworden ist. Wie haben Sie das erlebt?

Braun: Die Verrohung der Gesellschaft erlebt man auch als Bürgermeister, wenn auch in der kleinen Gemeinde eher am Rande. Dort kennt jeder jeden und die Hemmschwelle z.B. für eine Beleidigung ist ungleich höher als in einem eher anonymen Umfeld.

Hass und Hetze im Internet erlebte ich kaum. Unsere Gemeinde nutzte die sozialen Medien, um vor allem die jungen Leute auch mit Informationen zu versorgen und das hat funktioniert.

Ein erschwerender Faktor unserer Arbeit ist mit Sicherheit die institutionalisierte Bürgerbeteiligung. Sie birgt die Gefahr einer, provokativ gesagt, „Querulantenbeteiligung“ in sich. Es ist nicht die schweigende Mehrheit, die sich querstellt, es sind Einzelne. Eine Einzelperson klagt z.B. gegen die Aufstellung eines Bebauungsplanes und in der Folge können 50 Leute nicht bauen. Ein guter Bürgermeister, wenn er gut vernetzt ist, weiß, was die schweigende Mehrheit will, aber die schweigende Mehrheit schweigt. Und das ist eines der Probleme, die den Beruf anspruchsvoller machen.

Witt: Manchmal hat man den Eindruck, dass der Bürgermeisterberuf an Attraktivität verloren hat. Sehen Sie das auch so und wenn ja, woran liegt das?

Braun: Die Zahl der Kandidaten geht zurück, weil die Attraktivität tatsächlich abgenommen hat. Es gibt immer mehr Vorschriften, immer mehr Einzelinteressen, zunehmend harte Auseinandersetzungen und auch die Arbeit im Gemeinderat wird schwieriger. Vorgaben von Land, Bund und Europa engen den Handlungsspielraum zusätzlich ein, sind zum Teil unrealistisch oder nicht finanzierbar.

Hinzu kommt die zunehmend schlechtere Vergütung. Absolventen sind heutzutage gut ausgebildet und sehr gefragt. Beim Landratsamt haben Sie z.B. eine bessere Chance auf eine hohe Besoldungsstufe, mit deutlich weniger Druck, weniger Verantwortung und mehr Freizeit als im Bürgermeisteramt.

Da es immer weniger Kandidatinnen und Kandidaten für das Bürgermeisteramt gibt, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass sich die Gemeinde attraktiver präsentiert. Ich trage meinen Teil dazu bei, indem ich mit Kandidaten und Kandidatinnen das Gespräch suche, Literatur empfehle1Witt (Hrsg.), Karrierechance Bürgermeisteramt, 3. Auflage 2022, Richard Boorberg Verlag Stuttgart. und nach der Wahl den designierten Kandidaten ins Amt einführe und ihm mein Netzwerk zur Verfügung stelle.

„Nirgendwo sonst haben Wählende so viele Möglichkeiten wie hier“

Witt: Von Bürgermeisterkandidaten erwartet man ein gewisses Maß an Lebenserfahrung, vielleicht auch Verwaltungserfahrung und Führungserfahrung. Gleichzeitig senkt der Landtag das Mindestalter von 25 auf 18 Jahre. Bringt ein 18-jähriger die o.g. Eigenschafen mit?

Braun: Praktische Lebenserfahrung ist für einen Bürgermeister sehr wichtig, er ist oft auch Ratgeber in persönlichen Angelegenheiten. Ein 18-Jähriger ist damit eventuell überfordert. Aber es werden nicht viele so jung kandidieren, und es wird auch nicht viele geben, die mit 18 Jahren gewählt werden.

Grundsätzlich halte ich die Herabsetzung des Mindestalters für nicht zielführend, aber das Volk wird es schon richten. Da glaube ich fest an die Direktwahl!

Witt: Was halten Sie von der Einführung der Stichwahl anstelle der Neuwahl?

Braun: Demokratietheoretisch halte ich das bisherige Wahlrecht für besser. Es wird argumentiert, dass durch eine Stichwahl wenigstens einer von beiden mit mehr als 50 % gewählt ist. Aber dieser scheinbare Vorteil wiegt für mich nicht auf, dass die Wählerinnen und Wähler beim alten Wahlrecht einen neuen Kandidaten oder Kandidatin ins Rennen schicken konnten, weil sie mit den bisherigen Kandidaten nicht zufrieden waren.

Mal anders gefragt: Welcher Abgeordnete im Landtag oder im Bundestag ist mit mehr als 50 % gewählt worden? Wenn die politische Legitimation davon abhängt, dann sind die meisten Abgeordneten nicht politisch legitimiert, weil sie über eine Listenwahl gewählt wurden.

Unser Kommunalwahlrecht, aber auch das Landtagswahlrecht ist sehr wählerorientiert. Nirgendwo sonst hat der Wähler so viele Möglichkeiten wie bei uns. Sei es durch Kumulieren und Panaschieren bei der Kommunalwahl, sei es bei der Bürgermeisterwahl, wo man auch Namen auf den Stimmzettel schreiben kann. Das hätte der Gesetzgeber nicht einschränken dürfen. Leider habe ich damit in der Landespolitik kein Gehör gefunden!

Witt: Sie sind ein erfahrener Bürgermeister und jetzt im Ruhestand. Was raten Sie jungen Menschen, die Bürgermeister werden wollen?

Braun: Sei authentisch und denke darüber nach, wer du bist! Liebe die Menschen! Das ist das Wichtigste. Wenn du die Menschen liebst, dann lieben sie dich auch. Und wenn du Vertrauen in die Menschen hast, dann haben sie auch Vertrauen in dich. Es ist immer ein Geben und Nehmen.

Viele Bürgerinnen und Bürger sind heute überfordert durch gesellschaftliche Veränderungen und Krisen. Die Antwort darauf ist eine vertrauenswürdige Persönlichkeit, an der man sich festhalten kann. Und wenn man die Menschen liebt und ihnen Vertrauen gibt, dann gibt man ihnen auch Sicherheit.

Witt: Wie sieht Ihrer Meinung nach der Bürgermeister der Zukunft aus? Was für ein Mensch sollte er sein? Welche Eigenschaften oder Fähigkeiten sollte er haben?

Braun: Der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin der Zukunft ist ein Mensch, der durch Wahl ein Amt bekommt, bei dem aber die Work-Life-Balance stimmt. Er ist ein Mensch wie Du und ich. Er hat Familie und Freunde, aber er ist mit vollem Einsatz für seine Gemeinde da, bringt sie voran, wie ein Geschäftsführer sein Unternehmen. Er ist aber auch mal nicht da, macht Urlaub oder ist beim Geburtstag seiner Partnerin und eben nicht bei der Generalversammlung eines Vereins. Ein Bürgermeister, der mit Haut und Haaren nur für das Amt da ist, wird auf Dauer zerrieben.

Der moderne Bürgermeister ist außerdem eine authentische, fachlich kompetente Persönlichkeit, die in der Gemeinde respektiert wird. Er ist darüber hinaus auch derjenige, der die Richtung der Gemeinde im Auge haben muss, frei von zu viel „Klein-Klein-Denken“. Er muss Zeit und Muße haben, darüber nachzudenken, wohin die Gemeinde gehen soll.

Witt: Wie sehen Ihre Pläne für den „aktiven“ Ruhestand aus?

Braun: Mit meinen 67 Jahren habe ich sehr viel Erfahrung gesammelt. Diese möchte ich gerne weitergeben, weil ich festgestellt habe, dass vieles davon auch für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hilfreich ist.

Daneben nehme ich mir Zeit für meine Familie, Freunde und Bekannte und widme mich den Hobbys: Angeln, Motorradfahren, mein Wald und meine Bienen. Und ich beschäftige mich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen, wie der Digitalisierung in allen Lebensbereichen.

Zur Person:

Elmar Braun wurde 1956 in Maselheim geboren. Nach der mittleren Reife absolvierte Braun eine Ausbildung als Biologielaborant und arbeitete in verschiedenen Bereichen der biologischen Forschung. Bei seiner Firma in Biberach von 1990-1991 war er freigestellter Betriebsrat! 1991 wurde Elmar Braun, Bürgermeister der Gemeinde Maselheim. Dieses Amt begleitete er bis April 2023! Seither ist er selbstständiger Berater und Vermögensverwalter und Lehrbeauftragter an der Hochschule veröffentliche Verwaltung Kehl. Braun war viele Jahre auch ehrenamtlich tätig, zunächst als Ortschaftsrat und Gemeinderat in Maselheim, auch als Kreisrat in Biberach und auch einige Zeit im Landesvorstand der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ in Baden-Württemberg.

 

 

Prof. Paul Witt

Ehemals Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
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    Witt (Hrsg.), Karrierechance Bürgermeisteramt, 3. Auflage 2022, Richard Boorberg Verlag Stuttgart.
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