02.08.2024

Besserer Schutz für das BVerfG

Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Stärkung

Besserer Schutz für das BVerfG

Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Stärkung

Das BVerfG in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und die Durchsetzung
der Grundrechte.
 | © Klaus Eppele - stock.adobe.com
Das BVerfG in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und die Durchsetzung der Grundrechte.  | © Klaus Eppele - stock.adobe.com

Die Diskussion ist nicht neu. Seit vielen Jahren wird die Frage aufgeworfen, ob eines unserer wichtigsten Verfassungsorgane mit einer eher schwachen Verankerung in Artt. 93, 94 GG und einer detaillierten Regelung aller Funktionsweisen im BVerfGG resilient genug gegen unerwünschte Veränderungsinitiativen aus dem politischen Raum aufgestellt ist. Immer wieder waren Diskussionsansätze im Sande verlaufen. Immer wieder sah die Mehrheit des Parteienspektrums keine zwingende Notwendigkeit, in einer konzertierten Aktion die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des BVerfG als Hüterin der Verfassung aus der imaginären Schusslinie potenzieller Verfassungsfeinde zu bringen.

Unter dem Titel ‚Bedingt orkanfest‘ beschreibt ein Kommentator der ZEIT anschaulich, was dazu geführt haben könnte, das BVerfG als Herzstück der Demokratie mit breitem politischen Konsens retten zu wollen. Die Zeit brach an, als Denkunmöglichkeiten zu Realitäten wurden. Ein Donald Trump wurde US-Präsident, das Vereinigte Königreich vollzog den Brexit und Russland überzog die Ukraine mit Krieg. Im gleichen Zeitraum wurden zahlreiche Justizsysteme – auch solche in EU-Mitgliedstaaten – mit allen Mitteln von Regierungsseite aus angegriffen und erodiert. Polen, Ungarn, die Slowakei, Italien, Israel, die USA. Man könnte die Liste beliebig fortsetzen. Mit sogenannten Justizreformen wurden Gerichte unterwandert, ihrer Kompetenzen beschnitten, mit politischen Gefolgsleuten autoritärer Parteien besetzt, Rechtsprechung von Parlamenten überstimmt, Amtszeiten von Richtern verlängert oder verkürzt, neue Senate und Kammern gegründet, Richter diszipliniert und die Gewaltenteilung ausgehebelt. Die verwendeten Instrumentarien der andauernden und beispiellosen Angriffe waren kreativ, vielfältig und wirksam. Weitere Angriffe auf die Institutionen und den bisherigen gesellschaftlichen Konsens drohen z.B. in Frankreich – und in Deutschland.

Eine breite Parteienkoalition im deutschen Parlament ist sich einig, dass Vorsorge getroffen werden muss. Das Menetekel an der Wand liest sich: AfD. Was, wenn es einer Partei, die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft ist, gelänge den ‚wahren Volkswillen‘ zu verwirklichen: ein anderes Deutschland, eine andere EU, ein anderes BVerfG. Noch vor Kurzem ein abwegiger, heute ein naheliegender Gedanke.


Der Diskussionsstand

Seit Ende 2023 hat die Diskussion um die Frage, wie man das BVerfG widerstandsfähiger gegen Zugriffe und drohende Entmachtung schützen könne, Fahrt aufgenommen. Die Justizministerkonferenz, JuMiKo, setzte zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs eine Arbeitsgruppe ein. Ein erstes ausformuliertes Ergebnis liegt vor, das als Hauptproblembereich die Rechtsgrundlage identifiziert, auf dessen Basis das BVerfG arbeitet. Es ist das einfachgesetzliche BVerfGG, das u.a. die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des BVerfG normiert, die Besetzung der Senate, die zwölfjährige Amtszeit der Richter, das Verbot ihrer Wiederwahl und die Altersgrenze mit 68 Jahren festlegt. Auch die enorm wichtige Bindungswirkung der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie von Gerichten und Behörden an Entscheidungen des BVerfG ist lediglich in § 31I BVerfGG und nicht im GG verfügt. Im GG selbst wird in Art. 93 III und Art. 94 II für Detailfragen auf die näheren Regelungen des BVerfGG verwiesen.

Genau diese so entscheidenden Regelungen für die Arbeitsweise des BVerfG können mit einfacher parlamentarischer Mehrheit geändert werden. Was, wenn eine Koalition extremer politischer Kräfte ein solches Quorum erreicht und damit beginnt, die administrativen Stützpfeiler rund um das BVerfG einzureißen und aus dem Gericht ein völlig anderes zu machen?

Es trifft auf allgemeine Zustimmung, dass Kernbereiche der Regelungen des BVerfGG in die bisher eher rudimentären Grundsätze der Artt. 93 und 94 GG überführt werden sollen, denn für eine Änderung des GG ist nach Art. 79 II GG eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die nur schwer erreichbar ist. Eine Verlagerung der §§ 1, 2, 4 und 31 BVerfGG zu entsprechend erweiterten Artt. 93 und 94 GG soll die Zugriffs- und Veränderungsresistenz spürbar erhöhen. In diesen Punkten sind die Regelungsvorschläge der JuMiKo und des BMJ nahezu deckungsgleich. Den Vorschlag aus dem Entwurf der Länder, in Art. 94 I GG festzuschreiben, dass für die Wahl der Mitlieder des BVerfG durch Bundesrat und Bundestag jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein soll, dürfte sich letztlich durchsetzen.

Während die Diskussion über den richtigen Weg zum Ziel anhält, scheint es konsensfähig zu sein, die grundlegenden Vorschriften über die Richter, zur Binnenorganisation des Gerichts und zum Prozessrecht auf Verfassungshöhe zu heben, um eine stabile Kontrollfunktion gegenüber der Legislative zu ermöglichen, ohne dass der Kontrollierte den Kontrolleur mit einfacher Mehrheit nach Belieben verändern kann.

Ein Regelungsansatz empfiehlt, dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit der Regelung zu Organisations- und Verfahrensregelungen zu entziehen. Diskutiert werden drei Varianten, nämlich zum einen eine Gesetzesänderung nur bei Zustimmung des BVerfG zuzulassen (sog. Einvernehmensregelung) oder das Etablieren eines Erfordernisses einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag oder die Notwendigkeit der Zustimmung durch den Bundesrat. Auch Kombinationslösungen werden diskutiert.

Ein weiterer kritischer und damit regelungsbedürftiger Punkt ist eine mögliche Blockadehaltung politischer Minoritäten im Parlament, die mit Hilfe einer Sperrminorität das Erreichen einer Zwei-Drittel-Mehrheit und damit Richterwahlen dauerhaft unmöglich machen könnten. Entsprechende obstruktive Verhaltensweisen sind zur Genüge aus WTO und UN-Gremien bekannt. Zur Überwindung solcher Blockaden wird z.T. die Einschaltung eines Wahlausschusses empfohlen, der aus Richterinnen und Richtern oberster Bundesgerichte bestehen könnte. Denkbar wäre es auch zur Auflösung von Blockaden andere Verfassungsorgane am Auswahlprozess zu beteiligen, wie etwa den Bundesrat oder den Bundespräsidenten.

Starke Befürworter findet die Lösung, dass bei Blockaden blockierte Verfassungsorgane durch das jeweils andere beim Wahlrecht ersetzt werden. Die Etablierung eines Ausfallmechanismus könnte lauten:

 ‚Kommt binnen eines Jahres nach Ablauf der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Mitglieds des BVerfG die Wahl eines Nachfolgers durch den Bundestag oder den Bundesrat nach Art. 94 I GG nicht zustande, wählt das jeweils andere Verfassungsorgan den Nachfolger nach den für dieses Verfassungsorgan geltenden Wahlregeln.‘

Eine Reihe weiterer Vorschläge befürworten z.B. die Festschreibung der Notwendigkeit der Befähigung zum Richteramt für Verfassungsrichter, die Verankerung der Geschäftsordnungsautonomie und die Geschäftsverteilungsautonomie des BVerfG im GG und alternative Verfahrensweisen beim Wahlquorum für die Wahl der Bundesverfassungsrichter.

Weniger Beachtung fand bislang die Frage, ob und wie Landesverfassungsgerichte auf ähnliche Weise resilient gegen antidemokratische Einflussnahmen gemacht werden sollen oder müssen. Hier droht schon bei den nächsten Landtagswahlen eine politische Gemengelage, die wesentliche Strukturänderungen bei den staatlichen Institutionen erwarten lässt, wie z.B. der Ausstieg von Bundesländern wie Thüringen aus dem Rundfunkstaatsvertrag, ‚um sich von den gelenkten Staatsmedien zu befreien‘. Gerade in den Ländern ist der Schritt hin zu einem Zugriff auf die staatlichen Kerninstitutionen nur ein kleiner.

Fazit

Im politischen Berlin ist man sich einig: Die gesamte Grundorganisation des BVerfG gehört ins GG, um seine überaus wichtige Kontrollfunktion dem einfachgesetzlichen Mehrheitsmechanismus zu entziehen und illiberalen Erodierungsbemühungen einen Riegel vorzuschieben. Für diese Initiative eines breiten Parteienspektrums gibt es viel Zustimmung aus den juristischen Standesorganisationen.

Das Ziel ist unumstritten, auch wenn sich im Detail weiter Fragen stellen, welche Regeln als fundamental ins Grundgesetz gehören und welche beim einfachen Gesetzgeber verbleiben sollen. Der Gesetzentwurf des BMJ geht einen Mittelweg, wohl wissend, dass jede Regelung bei einer gravierenden Änderung der politischen Landschaft hin zu einer Grundüberzeugung, dass die Gewaltenteilung durch organisatorische und technische Änderungen ausgehebelt werden müsse, ins Wanken geraten kann.

Lehrbeispiele für solche Entwicklungen sind Polen und Ungarn, wo Regierungsparteien über Jahre eine Disziplinierung, Umorganisation und Entmachtung des Justizapparates betrieben. Entsprechende Bestrebungen nannten sich ‚Justizreformen‘.

Der für Deutschland angedachte Weg, auch wenn Detailfragen noch geglättet werden müssen, ist der richtige zur richtigen Zeit. Polen und Ungarn mussten durch Dutzende EU-Vertragsverletzungsverfahren und eine konsequente Rechtsprechung des EuGHs in einem zähen Ringen auf der rechtsstaatlichen Spur gehalten werden. Eine solche ‚Rettung in letzter Minute‘ durch EU-Institutionen kann und sollte nur Ultima Ratio sein.

Eine Verständigung auf sinnvolle und wirksame Abwehrmechanismen, verankert im GG, wäre für Deutschland das probate Mittel. Das sollte noch in diesem Jahr gelingen.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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