07.08.2024

Baumrecht vor Baurecht!

Neue Wertigkeit des Baumschutzes durch Rechtsprechung und Gesetzgebung

Baumrecht vor Baurecht!

Neue Wertigkeit des Baumschutzes durch Rechtsprechung und Gesetzgebung

Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Frage des Baumschutzes verdient eine neue Betrachtung. Die Rechtsprechung – EGMR, BVerfG, BVerwG und BayVGH – bewertet die Bedeutung des Art. 20a GG („Staatsziel Umweltschutz“) und auch des Waldschutzes neu. Folgerichtig stellt sich die Frage einer anderen und höheren Wertigkeit von Bäumen auch beim Baumschutz. Ab sofort gilt „Baumrecht vor Baurecht“ und nicht umgekehrt. Dem neuen Grundsatz ist gegebenenfalls durch eine Verschiebung des Baukörpers und/oder eine Reduzierung des Bauvolumens bis zur Grenze der Entschädigungspflicht Rechnung zu tragen. Das Gros der Bäume ist zu erhalten, widrigenfalls die Baugenehmigung zu versagen ist. Für besonders alte und von der Baumart her ökologisch besonders verschränkte Bäume, etwa Eichen, ist das Ermessen der Behörden bei Einzelanordnungen zum Schutz von Bäumen als geschützter Landschaftsbestandteil auf null reduziert; diese sind zwingend unter Schutz zu stellen. De lege ferenda wäre sowohl im Bund als auch in den Ländern ein gesetzlicher Baumschutz wünschenswert, wie es bereits im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern der Fall ist. Den Weg zu mehr Artenschutz und Klimaschutz gehen Menschen und Rechtsprechung Hand in Hand.

Einleitung

Der Grundsatz Baurecht vor Baumrecht dominiert die alltägliche Verwaltungspraxis und demonstriert, dass in der Umsetzung von Bauvorhaben der Bestandsschutz von Bäumen eine unter geordnete Rolle spielt. So erlangte zuletzt die Gemeinde Trudering Prominenz in der Debatte, nachdem für den Bau von 23 Wohnungen inklusive Tiefgarage 49 Bäume gefällt wurden. 47 dieser Bäume standen unter Baumschutz. Für nur 18 Bäume wurden Ersatzbäume gepflanzt, die anderen 31 wurden durch Ersatzzahlungen abgegolten.1Münchner Merkur, 29.03.2023, In unserer Baugesetzgebung zählt ein Baum nicht.

Diese Verwaltungspraxis, welche grundsätzlich den Bauvorhaben den Vorrang vor dem Erhalt von Bäumen einräumt, lässt die Wichtigkeit der Bäume für das Klima völlig unbeachtet. Bäume regulieren die Ökosystemleistung, indem sie Sauerstoff produzieren, Immissionen mindern und gleichzeitig die Temperatur senken2Vornholt, Baumschutzrecht, Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, Wissenschaftliche Beiträge Rechtswissenschaft, Band 178, S. 16.. In städtischen Ballungszentren würde nach Ergebnissen einer Studie von The Lancet eine Baumbedeckung von 30 Prozent die Temperatur um durchschnittlich 0,4 Grad senken und dadurch sogar Hitzetote verhindern3Iungman, et al: Cooling cities through urban green infrastructure: a health impact assessment of European cities, Volume 401, Issue 10376, Seiten 577–589, 18.02.2023, zugegriffen über: www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)02585-5/fulltext#articleInformation.. Innerhalb von bebauten Gebieten haben Bäume einen besonders positiven Effekt auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen. Durch eine Durchgrünung bebauter Bereiche und den Schutz innerörtlicher Grünbestände können das Ortsbild gepflegt und der Lärm gemindert werden4Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG Art. 51, Rn. 11 f.. Einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet nicht nur das Pflanzen neuer Bäume – der Schutz des bestehenden Baumbestandes ist ebenso wichtig.


Naturwälder sind ausgewogene Ökosysteme, die nicht nur für den Artenschutz unverzichtbar sind, sondern sich auch positiv auf das Klima auswirken5Wie sinnvoll ist Bäumepflanzen fürs Klima, www.greenpeace.at, zugegriffen über: https://greenpeace.at/hintergrund/baeume-pflanzen-klima/.. Wer davon ausgeht, dass es auf den einzelnen Baum nicht ankommt, verkennt, dass jeder einzelne Baum seinen Beitrag leistet. Eine alte Buche beispielsweise produziert in einer Stunde genug Sauerstoff, um 50 Menschen ebenso lang zu versorgen6Füßler, Warum das Atmen der Bäume so wichtig ist, Zeit Online, 27.11.2011, zugegriffen über: www.zeit.de/wissen/umwelt/2011-11/baeume-photosynthese.. Wissenschaftliche Studien belegen die Signifikanz besonders alter Bäume.

So wurde nachgewiesen, dass Bäume zwischen 39 und 50 Prozent des gesamten Kohlenstoffs, den sie im Laufe ihres Lebens aufnehmen, im letzten Viertel ihrer Lebensspanne binden7Köhl M., Neupane PR, Lotfiomran N, 2017, The impact of tree age on biomass growth and carbon accumulation capacity: A retrospective analysis using tree ring data of three tropical tree species grown in natural forests of Suriname. PloS ONE 12(8): e0181187.. Zudem sind Eichen beispielsweise erst mit 60 Jahren geschlechtsreif und können sich somit erst ab diesem Zeitpunkt vermehren8Eichen – Krone der Artenvielfalt, www.waldgeschichten.com, zugegriffen über www.waldgeschichten.com/schoenheit-vielfalt/tiere-im-wald/eichen-krone-der-artenvielfalt.. Der Schutz des bestehenden Baumbestandes ist somit unverzichtbar und darf in seiner Signifikanz nicht verkannt werden. Der folgende Beitrag soll aufzeigen, wie Gemeinden ihre Bäume schützen können, und ein Umdenken in der Rechtsprechung zum Baumschutz anstoßen.

Baumschutzverordnung als Voraussetzung für den Schutz der Bäume

Um die Durchgrünung bebauter Gebiete zu gewährleisten und bestehende innerörtliche Grünbestände zu schützen, steht den Gemeinden die Möglichkeit einer Baumschutzverordnung offen9Kommentar Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG Art. 51 Rn. 10.. Im Folgenden wird deutlich werden, dass es sich hierbei nicht nur um eine Möglichkeit, sondern vielmehr um eine zwingende Voraussetzung für den Schutz des Baumbestandes handelt, da ansonsten stets den Bauvorhaben der Vorrang eingeräumt wird.

Der Grundsatz Baurecht vor Baumrecht kommt in den Fällen zum Tragen, in denen ein Baum einem Bauvorhaben entgegensteht beziehungsweise sich auf der Fläche des intendierten Bauvorhabens befindet. Nach Art. 68 Abs. 1 BayBO können öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Erteilen einer Baugenehmigung entgegenstehen. Zu diesen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zählen auch Baumschutzverordnungen10VG München, U.v. 28.02.2011 – M 8 K 10.6250 – BeckRS 2011, 33436 Rn. 33..

Baumschutzverordnungen sind Regelungen der Gemeinden oder der Naturschutzbehörden (Naturschutzverordnungen), die in einem bestimmten Gebiet die Beseitigung oder Beschädigung von Bäumen verbieten oder jedenfalls unter Genehmigungsvorbehalt stellen11Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 45. AL Oktober 2019, § 29 BNatSchG Rn. 39.. In Bayern werden die von den Gemeinden erlassenen Verordnungen als Baumschutzverordnungen bezeichnet. Die Rechtsgrundlage für den Erlass von Baumschutzverordnungen stellt bundesweit § 29 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG dar12Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 45. AL Oktober 2019, § 29 BNatSchG Rn. 39.. Art. 22 BNatSchG ermächtigt die Länder den Schutz von Bäumen durch Landesrecht zu regeln13Vornholt, Baumschutzrecht, Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, Wissenschaftliche Beiträge Rechtswissenschaft, Band 178, S. 31.. Die bayerische Umsetzung dieser Regelung findet sich in Art. 12 Abs. 1, Art. 51 Abs. 1 Nr. 5a BayNatSchG und ermächtigt die Gemeinden zum Erlass von Baumschutzverordnungen. Allerdings sind Baumschutzverordnungen nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich subsidiär zu Anordnungen der Naturschutzbehörden. Der Schutz steht in der Regel Bäumen mit einem Stammumfang von 80 cm und ab einer Höhe von einem Meter über dem Erdboden zu14Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG, Art. 51 Rn. 11f.. Die Regelungen des BayNatSchG erlauben den Erlass von Baumschutzverordnungen nur innerhalb bebauter Ortsteile – dem Gemeindegebiet. Außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist der Schutz von Bäumen durch eine globale Verordnung nicht möglich15Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 38. AL April 2015, BayNatSchG, Art. 51 Rn. 14.. Obwohl die Voraussetzung für einen wirksamen Schutz des Baumbestandes das Vorhandensein einer Baumschutzverordnung ist, hatten im Jahr 2019 lediglich 94 von 2056 bayerischen Kommunen eine solche Regelung16BUND Naturschutz in Bayern e.V., FAQ: Baumschutz in der Stadt, zugegriffen über: www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/stadt-alslebensraum/stadtbaeume/faq-baumschutz-fuer-stadtbaeume#:~:text=Laut%20Bundesnaturschutzgesetz%20kann%20jede%20Kommune,ihren%20Aufbau%20wesentlich%20zu%20verändern..

Die Baumschutzverordnungen der einzelnen Kommunen enthalten häufig eine Regelung, die es verbietet, geschützte Gehölze ohne Genehmigung zu entfernen, zu zerstören oder zu verändern. So enthält beispielsweise die Baumschutzverordnung der Landeshauptstadt München in § 3 Abs. 1 ein solches Verbot. Diese Einschränkungen des Eigentumsrechts des Bauherrn im Rahmen von Baumschutzverordnungen stellen zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, welche auf dem Aspekt der Sozialbindung des Eigentums basieren17BayVGH, B.v. 25.04.2012 – 14 B 10.1750 – juris Rn. 26.. Die Einschränkung durch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung muss sich jedoch streng am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren18BVerfG, E.v. 09.01.2014 – BeckRS 2014 – 05002, ErfK/Schmidt, 24. Aufl., GG, Art. 14 Rn. 11.. Die Rechtsposition des Grundstückseigentümers darf nur begrenzt werden, wenn die Beschränkung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist, wobei eine übermäßige Belastung unzulässig ist19 BVerfG, E.v. 01.07.1981 – BVerfGE 58, 81/114; BVerfG, E.v. 26.05.2020 – BeckRS 2020, 9859 Rn. 47, ErfK/Schmidt, 24. Aufl., GG, Art. 14 Rn. 11.. Das Einfallstor für den Vorrang des Baurechts stellen Ausnahmeklauseln dar, die viele Baumschutzverordnungen enthalten. So beinhaltet beispielsweise die Baumschutzverordnung der Stadt München in § 5 Abs. 1 eine Ausnahmeklausel, die das Entfernen, Zerstören oder Verändern geschützter Bäume unter anderem in Kollisionsfällen mit Bauvorhaben trotz des Verbotes in § 3 Abs. 1 erlaubt. Über die Zulässigkeit einer Baumfällung nach den Vorschriften der Baumschutzverordnung ist im Falle eines Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO in Verbindung mit der jeweiligen Baumschutzverordnung zu entscheiden, wobei auch die Vorschriften zu berücksichtigen sind, nach denen eine baumschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen wäre20VG München, U.v. 28.02.2011 – M 8 K 10.6250 – BeckRS 2011, 33436 Rn. 41..

[…]

Zusammenfassung

Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Generation. Eine ganze Reihe höchstrichterlicher Rechtsprechung hat diese Devise bekräftigt. Mit den Bäumen in unseren Gärten beginnt der Klimaschutz bereits vor unserer Haustür. Um den Schutz der Bäume zu gewährleisten, muss das überkommene Dogma „Baurecht vor Baumrecht“ aufgegeben werden und künftig „Baumrecht vor Baurecht“ gelten. Die Rechtsprechung90 unterstützt diesen Wandel, indem sie die Wertigkeit der Bäume stärkt und den Wert von Einzelbäumen für das Klima anerkennt. Künftig ist Bäumen bis zur Grenze der Entschädigungspflicht Vorrang vor Bauvorhaben einzuräumen.

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Bayerische Verwaltungsblätter 14/2024, S. 469.

 

Bianka Hiederer

Rechtsreferendarin
 

Martin Klimesch

Rechtsanwalt in der Kanzlei Klimesch & Kollegen, München
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  • 1
    Münchner Merkur, 29.03.2023, In unserer Baugesetzgebung zählt ein Baum nicht.
  • 2
    Vornholt, Baumschutzrecht, Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, Wissenschaftliche Beiträge Rechtswissenschaft, Band 178, S. 16.
  • 3
    Iungman, et al: Cooling cities through urban green infrastructure: a health impact assessment of European cities, Volume 401, Issue 10376, Seiten 577–589, 18.02.2023, zugegriffen über: www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)02585-5/fulltext#articleInformation.
  • 4
    Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG Art. 51, Rn. 11 f.
  • 5
    Wie sinnvoll ist Bäumepflanzen fürs Klima, www.greenpeace.at, zugegriffen über: https://greenpeace.at/hintergrund/baeume-pflanzen-klima/.
  • 6
    Füßler, Warum das Atmen der Bäume so wichtig ist, Zeit Online, 27.11.2011, zugegriffen über: www.zeit.de/wissen/umwelt/2011-11/baeume-photosynthese.
  • 7
    Köhl M., Neupane PR, Lotfiomran N, 2017, The impact of tree age on biomass growth and carbon accumulation capacity: A retrospective analysis using tree ring data of three tropical tree species grown in natural forests of Suriname. PloS ONE 12(8): e0181187.
  • 8
    Eichen – Krone der Artenvielfalt, www.waldgeschichten.com, zugegriffen über www.waldgeschichten.com/schoenheit-vielfalt/tiere-im-wald/eichen-krone-der-artenvielfalt.
  • 9
    Kommentar Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG Art. 51 Rn. 10.
  • 10
    VG München, U.v. 28.02.2011 – M 8 K 10.6250 – BeckRS 2011, 33436 Rn. 33.
  • 11
    Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 45. AL Oktober 2019, § 29 BNatSchG Rn. 39.
  • 12
    Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 45. AL Oktober 2019, § 29 BNatSchG Rn. 39.
  • 13
    Vornholt, Baumschutzrecht, Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, Wissenschaftliche Beiträge Rechtswissenschaft, Band 178, S. 31.
  • 14
    Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 43. AL April 2018, BayNatSchG, Art. 51 Rn. 11f.
  • 15
    Engelhard/Brenner/et.al., Naturschutzrecht in Bayern, 38. AL April 2015, BayNatSchG, Art. 51 Rn. 14.
  • 16
    BUND Naturschutz in Bayern e.V., FAQ: Baumschutz in der Stadt, zugegriffen über: www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/stadt-alslebensraum/stadtbaeume/faq-baumschutz-fuer-stadtbaeume#:~:text=Laut%20Bundesnaturschutzgesetz%20kann%20jede%20Kommune,ihren%20Aufbau%20wesentlich%20zu%20verändern.
  • 17
    BayVGH, B.v. 25.04.2012 – 14 B 10.1750 – juris Rn. 26.
  • 18
    BVerfG, E.v. 09.01.2014 – BeckRS 2014 – 05002, ErfK/Schmidt, 24. Aufl., GG, Art. 14 Rn. 11.
  • 19
    BVerfG, E.v. 01.07.1981 – BVerfGE 58, 81/114; BVerfG, E.v. 26.05.2020 – BeckRS 2020, 9859 Rn. 47, ErfK/Schmidt, 24. Aufl., GG, Art. 14 Rn. 11.
  • 20
    VG München, U.v. 28.02.2011 – M 8 K 10.6250 – BeckRS 2011, 33436 Rn. 41.
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