„Zwischen Daten und Granaten“
Die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes vom 25.01.2024 zum Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen
„Zwischen Daten und Granaten“
Die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes vom 25.01.2024 zum Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen

Der Beitrag befasst sich mit der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes (Aktenzeichen: Vf. 91-II-19) zur Vereinbarkeit der Polizeirechtsreform von 2019 mit der Sächsischen Verfassung. Er beleuchtet die Entscheidung in ihren sieben Themenkomplexen, stellt die Entscheidungsgründe in gebotener Kürze dar und unterzieht die Erwägungen des Gerichtshofs einer kritischen Würdigung.
I.Überblick
1.Gegenstand der Entscheidung
Heimliche Telekommunikationsüberwachungen, V-Personen, automatisierte Kennzeichenerkennung oder Handgranaten – der Sächsische Verfassungsgerichtshof hatte sich in dem von 35 Abgeordneten der Landtagsfraktionen von DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen angestrengten Normenkontrollverfahren gegen das Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen vom 11.05.20191 mit einer Vielzahl von Materien zu beschäftigen. Mit diesem Gesetz wurde nicht nur das bis dahin geltende Sächsische Polizeigesetz (SächsPolG)2 durch einen dreiteiligen Gesetzesverbund aus Sächsischem Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG), Sächsischem Polizeibehördengesetz (SächsPBG) und Sächsischem Datenschutz-Umsetzungsgesetz (SächsDSUG) abgelöst und damit von einem Einheits- auf ein Trennungssystem umgestellt,3 es wurden im Zuge der Reform auch verschiedene Eingriffsbefugnisse neu geschaffen, auf die sogleich noch näher eingegangen wird. Schließlich sollten mit der Reform des sächsischen Polizeirechts auch verschiedene Vorgaben des Verfassungs-4 und des EU-Rechts in Gestalt der sog. JI-Richtlinie (EU) 2016/6805 umgesetzt werden.
Das lang ersehnte Urteil6 zur sächsischen Polizeirechtsreform hat sowohl vor7 als auch nach8 seiner Verkündung vergleichsweise viel Aufmerksamkeit erfahren. Das überrascht auch nicht, immer ging es um nicht weniger als die Vereinbarkeit zahlreicher Regelungen des SächsPVDG, aber auch einiger Regelungen des SächsPBG und des SächsDSUG mit der Sächsischen Verfassung. Damit stand also die Frage im Raum, inwieweit der sächsische Polizeivollzugsdienst und die sächsischen Polizeibehörden derzeit auf einer verfassungskonformen Grundlage operieren. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits standen vor allem die im Zuge der Polizeirechtsreform neu geschaffenen Befugnisse zur verdeckten Informationserhebung und -verarbeitung, insbesondere im Gefahrenvorfeld. Weitere Verfahrensgegenstände waren etwa die Regelungen über die Identitätsfeststellung, die Aufenthalts- und Kontaktverbote oder den Einsatz bestimmter Zwangsmittel wie Maschinengewehre und Handgranaten im SächsPVDG. Aus dem SächsPBG wurde vor allem die Befugnis zur Videoüberwachung zum Schutz von öffentlichen Einrichtungen geprüft. Und schließlich hatte sich der SächsVerfGH noch mit der Beschränkung von Durchsetzungsbefugnissen zu befassen, die dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten nach Maßgabe des SächsDSUG zustehen.
2.Zentrale Aussagen und praktische Folgen der Entscheidung
Der SächsVerfGH hat den größten Teil der im Antrag9 auf Durchführung eines abstrakten Normenkontrollverfahrens (Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf, § 7 Nr. 2, §§ 21 ff. SächsVerfGHG) angegriffenen Vorschriften für verfassungskonform erachtet. Jedoch wurden einige Vorschriften wegen eines Verstoßes gegen Art. 27 SächsVerf (das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) sowie Art. 33 SächsVerf (den Datenschutz) für verfassungswidrig (aber nicht nichtig)10 erklärt, darunter einzelne Bestimmungen aus dem SächsPVDG über die längerfristige Observation (§ 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3), den Einsatz verdeckter Ermittler und V-Personen (§ 64 Abs. 1), die Überwachung der Telekommunikation (§ 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3), die Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten (§ 67 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1) und zur Standortermittlung (§ 68 Abs. 1). Der Gesetzgeber hat nun bis zum 30.06.2026 die Möglichkeit, eine neue, verfassungskonforme Regelung zu erarbeiten. Bis dahin dürfen die betroffenen Vorschriften nur mit einschränkenden Maßgaben angewendet werden, die im Kern darauf hinauslaufen, dass die jeweilige Maßnahme zur Abwehr einer „konkretisierten“ Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut dient.11 Insgesamt aber hat der SächsVerfGH dem sächsischen Landesgesetzgeber einen großen Spielraum und der sächsischen Polizei ein breites Arsenal an Befugnissen belassen.
3.Kontext der Entscheidung
Die Richterinnen und Richter12 des SächsVerfGH konnten bei ihrer Entscheidungsfindung auf einen großen Korpus an „sicherheitsverfassungsrechtlicher“13 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgreifen. Dazu zählen – neben dem bereits erwähnten, auch für die sächsische Polizeirechtsreform zentralen Urteil zum BKAG v. 20.04.201614 – vor allem der Beschluss vom 18.12.2018 zur automatisierten Kfz-Kennzeichenkontrolle15 und der Beschluss vom 09.12.202216, der sich mit der Vereinbarkeit des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (SOG MV)17 mit dem Grundgesetz befasste, wobei auch vor allem verdeckte Informationserhebungen im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Danach stellten derlei Maßnahmen, insbesondere wenn sie von längerer Dauer sind (etwa längerfristige Observationen, der Einsatz von V-Leuten oder verdeckten Ermittlern sowie Onlinedurchsuchungen) schwerwiegende Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG), das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG) und das Wohnungsgrundrecht (Art. 13 GG) dar. Aufgrund der besonderen Eingriffsschwere18 ergeben sich spezifische Anforderungen an die sogenannte „Eingriffsschwelle“,19 womit der Zeitpunkt oder, allgemeiner gefasst, die Sachlage gemeint ist, ab dem bzw. bei deren Vorliegen die Polizei gemäß einer sie ermächtigenden Befugnisnorm in die Grundrechte Einzelner eingreifen darf, wobei diese Eingriffsschwelle in der Regel durch eine „konkrete Gefahr“ markiert wird.20 Unzulässig sind verdeckte Informationserhebungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingegen „im Vorfeld einer in ihren Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr“, wenn lediglich diffuse Annahmen vorliegen.21 Finden sich in den Eingriffsermächtigungen Formulierungen wie „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“, dass Straftaten von „erheblichem Gewicht“ begangen würden, so sind diese zur Markierung einer Eingriffsschwelle aus Gesichtspunkten der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht ausreichend, da zu diesem Zeitpunkt kein konkretes Geschehen erkennbar ist, dem vorgebeugt werden sollte.22 Folglich würde eine solche Formulierung die „Eingriffsschwellen absenken“, die von Verfassungswegen jedoch geboten seien, um einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den Schutzaufträgen der Polizei einerseits und den Grundrechten der von den polizeilichen Maßnahmen Betroffenen andererseits herzustellen.
II.Das Urteil des SächsVerfGH im Einzelnen – Darstellung und Würdigung
Die Entscheidung des SächsVerfGH gliedert sich – spiegelbildlich zur Antragsschrift des Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. Matthias Bäcker (Universität Mainz) vom 01.08.2018 – in dieselben sieben Verfahrensgegenstände bzw. „Komplexe“.23 Der besseren Übersicht halber sollen diese auch der folgenden Darstellung zugrunde gelegt werden. Während sich der SächsVerfGH also beim „Prüfungsgegenstand“ streng an der Antragsschrift orientiert,24 modifiziert er teilweise die im Antrag angegebenen Prüfungsmaßstäbe und kommt dabei mitunter zu anderen Ergebnissen. Insgesamt standen das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Normenklarheit sowie die Verhältnismäßigkeit im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der Richterinnen und Richter. Im Ergebnis passt sich das Urteil gut in die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Überwachungsmaßnahmen und Datenerhebungen ein und war nach den o. g. Leitplanken des Bundesverfassungsgerichts zu verdeckter Informationsgewinnung nur wenig überraschend. Jedoch lässt es an manchen Stellen noch Fragen offen, die Anlass für eine differenziertere Analyse geben.
1.Komplex: Heimliche Überwachungsmaßnahmen – und die Anforderungen der Normklarheit an Verweisketten
a)Überblick
Im ersten Komplex wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit der § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 64 Abs. 1 und 5, § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3, § 67 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 68 Abs. 1, § 74 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SächsPVDG zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um Befugnisse zur verdeckten Überwachung und Ermittlung in Gestalt des Einsatzes technischer Hilfsmittel (§ 63), verdeckter Ermittler oder V-Personen (§ 64), der Überwachung der Telekommunikation (TKÜ) (§ 66), der Identifizierung oder Lokalisierung von Telekommunikationsgeräten (§ 68) und der nachträglichen Benachrichtigungspflicht des Polizeivollzugsdienstes über verdeckte Maßnahmen (§ 74). Allen Normen gemein ist, dass sie Ermittlungen des Polizeivollzugsdienstes ermöglichen sollen, um festzustellen, ob die Begehung einer schweren Straftat bevorsteht oder bereits ergriffen werden könnte, noch bevor (!) sich der Sachverhalt tatsächlich in eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für ein Rechtsgut verdichtet hat.25 Die Vorschriften sehen, mit anderen Worten, vergleichsweise niedrige „Eingriffsschwellen“ vor.
b)Feststellung der Eingriffstiefe heimlicher Überwachungsmaßnahmen
Ausgehend von der Feststellung, dass die §§ 63, 64, 66 und 68 SächsPVDG in Art. 33 und Art. 27 SächsVerf eingriffen und § 74 SächsPVDG einen Eingriff in Art. 38 SächsVerf darstelle, bemüht sich der SächsVerfGH um eine Bestimmung der Eingriffstiefe. Dabei werden verdeckte, d. h. heimlich stattfindende Grundrechtseingriffe26 – wie auch vom Bundesverfassungsgericht27 – überzeugend als Eingriffe von besonderer Tiefe eingestuft, da sich die Betroffenen ihrer erst erwehren können, wenn die Maßnahmen bereits abgeschlossen sind. Hiermit ist eine erhebliche Verkürzung des gerichtlichen Rechtsschutzes verbunden28, die auch durch die in § 74 SächsPVDG normierte Pflicht der Polizei, die Betroffenen nachträglich darüber aufzuklären, dass sie Adressat einer geheimen Überwachungsmaßnahme waren, nur geringfügig kompensiert.
c)Anforderungen an die Rechtfertigung, insbesondere in Bezug auf die Normenklarheit, vor allem bei sog. dynamischen Verweisketten
Nach Ansicht des SächsVerfGH seien derart tief greifende Eingriffe nur unter den Voraussetzungen gerechtfertigt, dass sie dem Schutze überragend wichtiger Rechtsgüter dienen oder wenn eine Straftat gegen bedeutende Sach- oder Vermögenswerte, die dadurch den Rechtsfrieden in besonders schwerer Weise störe, abgewendet werden solle.29 Gemäß den §§ 63, 64, 66 und 68 SächsPVDG waren entsprechende Maßnahmen zulässig, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass die betreffende Person innerhalb absehbarer Zeit „eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird“30, oder sich aus ihrem Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sie in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird. Dabei werde der in § 4 Nr. 4 SächsPVDG legaldefinierte Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ teilweise durch einen generalisierenden offenen Katalog von Straftaten (§ 4 Nr. 4 Buchst. a, b, aa, cc SächsPVDG) und teilweise durch Verweis auf Normen des Strafgesetzbuches und des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 4 Nr. 4 Buchst. b, bb SächsPVDG) nochmals weiter konkretisiert. Der in § 4 Nr. 5 SächsPVDG legaldefinierte Begriff der „terroristischen Straftat“ verweise hingegen auf Regelungen des Strafgesetzbuches. Somit wurden die Maßnahmen des Polizeivollzugsdienstes des Freistaates Sachsen mit dem Strafrecht des Bundesgesetzgebers verknüpft, was zur Folge hat, dass sich Änderungen im Bundesrecht automatisch auch auf das Landesrecht auswirken würden.
aa)Dynamische Verweisungsketten im Grundsatz unproblematisch
Der SächsVerfGH hatte nun zu klären, ob derartige dynamische Verweise verfassungsrechtlich zulässig sind. Dabei war insbesondere problematisch, inwiefern der Landesgesetzgeber überhaupt berechtigt ist, das Landesrecht an bundesgesetzliche Normen zu knüpfen, und ob eine derartige dynamische Verweisung hinreichend normenklar ist. Beim Erfordernis der Normenklarheit handelt es sich um ein vom Bundesverfassungsgericht aufgestelltes Postulat, das in aller Regel in einem Atemzug mit dem Bestimmtheitsgebot genannt wird.31 Wie das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung32 besonders transparent herausgearbeitet hat, dient letzteres dazu, dass die Exekutive und Judikative ihrer Aufgabe der Rechtsanwendung und -auslegung möglichst effektiv nachkommen könnten, während der Grundsatz der Normenklarheit den Normadressaten in die Lage versetzen solle, anhand der bloßen Lektüre von Rechtsnormen zu verstehen, was von ihm verlangt werde. Dies könne bei Verweisketten durchaus problematisch sein. Gleichwohl hält sie das Bundesverfassungsgericht für grundsätzlich zulässig, solange sie durch bestimmte Sachzwänge veranlasst seien und die eine Verweiskette in Gang setzende Rechtsnorm nicht unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingreife.33 Dementsprechend stellt auch der SächsVerfGH fest: „Mängel hinreichender Normenbestimmtheit und -klarheit beeinträchtigen insbesondere die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes.“34
Letztlich wird also verlangt, dass sich der verweisende Gesetzgeber selbst über die Folgen seiner Verweisung ihm Klaren ist, also keine „Blankoermächtigung“35 ausstellt, sondern vor Erlass einer Verweisungsnorm eine entsprechende Grundrechtsabwägung vornimmt. Nach Ansicht des SächsVerfGH sei davon auszugehen, dass der sächsische Landesgesetzgeber, indem er die entsprechenden Straftatbestände aus dem Strafgesetzbuch in Bezug genommen hat, insoweit eine solche gebotene Grundrechtsabwägung selbst vorgenommen habe.36Darüber hinaus handle die Polizei stets, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (§ 12 Abs. 1 SächsPVDG, § 2 Abs. 1 Satz 1 SächsPBG). Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten diene daher dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und stelle eine gefahrenabwehrrechtliche Aufgabe dar. Eine ausdrückliche Nennung von Straftaten begrenze daher den Begriff der öffentlichen Sicherheit gerade auf diese Normen. Folglich seien die Verweise in § 4 Nr. 4 und 5 SächsPVDG auf bundesrechtliche Strafnormen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.37 Auch die entsprechende Verweisungstechnik führe nicht zur Unübersichtlichkeit für die betroffenen Bürger und sei daher hinreichend normenklar. Der Bürger könne klar erkennen, wann die Polizei eine entsprechende verdeckte Überwachungsmaßnahme ergreifen dürfe, und könnte entsprechend sein Verhalten dahingehend anpassen, womit den Vorgaben des Bestimmtheitsgebots und der Normenklarheit Genüge getan sei.38 Daneben hatte der Verfassungsgerichtshof zu klären, ob die entsprechenden Verweisungen verhältnismäßig, insbesondere ob sie verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen sind. Im Ergebnis sah er hier im Grundsatz keine Probleme, da die Überwachungsmaßnahmen dem Schutz vor erheblichen Straftaten dienten, insbesondere dem Schutz des Bestands des Bundes oder der Länder. Außerdem seien die Maßnahmen befristet oder stünden unter Richtervorbehalt.39
bb)Ausnahme: Verweisung auf strafbare Vorbereitungshandlungen und abstrakte Rechtsgutsgefährdungen: Notwendigkeit einer „konkretisierten Gefahr“
Als problematisch eingestuft wurde jedoch, dass § 4 Nr. 4 und 5 SächsPVDG auch auf Delikte verweisen, die bloße Vorbereitungshandlungen und (abstrakte) Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellen, sodass sie selbst also noch keine konkrete Gefahrenlage für die betroffenen Rechtsgüter vorsehen. So verweist der in § 4 Nr. 4 SächsPVDG aufgeführte § 74 a GVG unter anderem auf die §§ 89 a und 89 b StGB, die die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bzw. die Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe stellen. Auch der von § 4 Nr. 4 SächsPVDG in Bezug genommene § 120 Abs. 1 GVG verweist unter anderem auf § 83 StGB, der die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter Strafe stellt, sowie auf § 96 StGB, der Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat nach § 94 StGB bestraft. Allen Normen gemein ist, dass diese selbst noch keine konkrete Gefahrenlage für die geschützten Rechtsgüter vorsehen.40
Weder die §§ 63, 64, 66, 67, 68 noch die zentrale Verweisnorm des § 4 SächsPVDG knüpfen an ein polizeiliches Handeln, mithin einen Grundrechtsangriff, an eine zusätzliche oder zumindest konkretisierte Gefahr für das geschützte Rechtsgut, womit die Eingriffsschwelle unverhältnismäßig abgesenkt würde.41 Der SächsVerfGH stellte aber auch klar, dass sich polizeiliche Maßnahmen nicht auf die Abwehr konkreter Gefahren beschränkten. Vielmehr müsse stets im Einzelfall ermittelt werden, ob es genügend Anzeichen dafür gebe, dass ein Sachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in eine solche konkrete Gefahrenlage umschlagen könnte.42 Diese besonderen Anforderungen an die Rechtfertigung ergäben sich insbesondere aus dem Umstand, dass die beanstandeten Normen im Geheimen stattfinden. Erforderlich sei insoweit, zur effektiven Gefahrenabwehr, dass eine „konkretisierte Gefahr“ für ein geschütztes Rechtsgut vorliege, also ein Rechtsgut in naher Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gefährdet sei, auch wenn sich der Kausalverlauf noch nicht hinreichend klar vorhersehen lasse. Soweit die Normen mithin diese Straftaten, die noch keine konkretisierte Gefahrenlage voraussetzen, erfassten, seien die Vorschriften nicht mit dem Übermaßverbot vereinbar und daher verfassungswidrig. Notwendig wäre zumindest, dass die Maßnahmen selbst eine konkretisierte Gefahrenlage vorsähen. Im Übrigen seien die Maßnahmen im Einzelfall aber verfassungsgemäß.43
cc)Das Erfordernis einer „konkretisierten Gefahr“
Der SächsVerfGH orientiert sich in diesem Zusammenhang stark an den Leitlinien, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum BKAG herausgearbeitet hat.44 Mit dem Tatbestandmarkmal „konkretisierte Gefahr“ versuchen das Bundesverfassungsgericht und nunmehr auch der SächsVerfGH eine Brücke zu bauen,45 von der traditionellen Gefahrenabwehr, die eine „konkrete Gefahr“ voraussetzt, hin zu einer effektiven Gefahrenprävention auch vor Straftaten, die bereits, aufgrund der hohen Bedeutung der geschützten Rechtsgüter, im Vorfeld, ohne konkrete Gefahrenlage, Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen. Die traditionelle Eingriffsdogmatik stößt hier an ihre Grenzen, da das Strafrecht, insbesondere bei bestimmten herausragenden Rechtsgütern (wie dem Bestand des Bundes oder der Länder sowie Terrorismus) nicht zwangsläufig eine konkrete Gefahrenlage voraussetzt, sondern bereits Vorbereitungshandlungen oder bloße Gefährdungen des Rechtsguts unter Strafe stellt. Die Polizei gerät hier in ein Dilemma: Sie hat die Aufgabe gefahrenpräventiv zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (und damit auch zum Schutze vor Straften) tätig zu werden. Bestimmte Straftatbestände (z. B. §§ 89 a, 89 b, 94, 96, 120 StGB) sehen aber selbst keine konkrete Gefahrenlage für die geschützten Rechtsgüter vor.46 Daher wäre die Polizei eigentlich noch nicht zuständig bzw. sie dürfte noch nicht eingreifen, obwohl der Straftatbestand, der aufgrund der hohen Bedeutung des geschützten Rechtsguts auch Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellt, bereits potenziell verletzt ist. Es fehlt gerade an einer konkreten Gefahr, die einen Eingriff in die Grundrechte durch die Polizei rechtfertigen würde, sodass insofern allenfalls ein Risiko vorliegen würde.47 Aus dem Straftatbestand ergibt sich lediglich eine potenzielle Rechtsgutsgefährdung in der Zukunft, jedoch sind der Kausalverlauf bis dorthin und der Zeitpunkt eines Schadenseintritts noch nicht absehbar. Der Tatbestand der konkretisierten Gefahr möchte dieses Problem lösen, indem es die Eingriffsschwelle für bedeutende Rechtsgüter absenkt.48 Eine solche liegt immer dann vor, wenn der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung für ein hohes Rechtsgut mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten ist, jedoch der genaue Kausalverlauf, der zu dieser Verletzung führt, noch ungewiss ist.49 Sie ist so eine Art Vorstufe der konkreten Gefahr. Dies ermöglicht es, besonders schwer kalkulierbaren Sachverhalten – wie Terrorismus – wirksam zu begegnen.50
dd)Würdigung
Die durchaus griffige Formel der „konkretisierten Gefahr“ lässt aber zunächst Fragen offen: Welche Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutsverletzung muss vorliegen? Wie konkret muss sich dennoch der Kausalverlauf abzeichnen? Und welcher zeitliche Rahmen ist noch „in naher Zukunft“? Diese Fragen lassen sich aber durch die traditionelle und bekannte Polizeirechtsdogmatik mit der aus der Verhältnismäßigkeit fließenden „Je-desto-Formel“ lösen. Diese besagt: Je bedeutsamer, also je ranghöher das Schutzgut und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.51 Dabei unterscheidet sich die konkretisierte im Vergleich zur konkreten Gefahr lediglich in der Hinsicht, dass der Kausalverlauf und der Zeitpunkt des Schadenseintrittes bei der konkretisierten Gefahr noch nicht konkret absehbar sind. Dementsprechend ist die konkretisierte Gefahr auch lediglich auf bedeutende, hochrangige Rechtsgüter zu beschränken. Anknüpfend an die „Je-Desto“-Formel, lässt sich eine Verknüpfung zwischen zeitlicher Komponente und Konkretisierbarkeit des Kausalverlaufs herstellen. Je weiter entfernt der Zeitpunkt des zu erwarteten Schadens liegt, desto mehr muss sich der unsichere, zu erwartende Kausalverlauf zumindest abzeichnen. Je näher der Zeitpunkt eines Schadenseintritts rückt, desto geringere Anforderungen sind an den sich abzeichnenden Kausalverlauf zu stellen. Die Rechtsfigur der konkretisierten Gefahr schafft hier eine verbesserte Konturierung zur traditionellen konkreten Gefahr, die dann nur noch anzunehmen ist, wenn ein Schaden „schon in näherer Zukunft“ bevorsteht.52 Die „konkretisierte Gefahr“ stellt somit einen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der individuellen Freiheit durch die Gewährleistung von Grundrechten und dem Schutz der Freiheit der Allgemeinheit durch individuelle Eingriffe in die Grundrechte zur effektiven Gefahrenabwehr dar.53
2.Komplex: Ausschreibung zur Beobachtung und Kontrolle
Der zweite Komplex des Urteils befasst sich mit der Verfassungskonformität der in § 60 Abs. 2 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 3 Nr. 1 und 2 SächsPVDG normierten Befugnisse, die es der Polizei ermöglichen, eine Person zur polizeilichen Beobachtung oder Kontrolle auszuschreiben. Damit ist verbunden, dass Angaben über die betroffene Person in eine Datenbank eingegeben und diese dann mit den sich darin gespeicherten Daten zusammengeführt werden.54 Folglich erkannte der SächsVerfGH hierin einen Eingriff in das in Art. 33 SächsVerf normierte Datenschutzgrundrecht. Dieser Eingriff sei auch insofern von besonderer Tiefe als die betroffene Person zum Zeitpunkt der Maßnahme keinerlei Kenntnis von dieser habe. Besonders tief greifend sei der Eingriff auch deshalb, weil die Ausschreibung, die für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr angeordnet werden kann, dazu diene, Daten zu sammeln, um später ein Personenprofil zusammenzustellen. Darüber hinaus kann die Ausschreibung auch über das Jahr hinaus verlängert werden (§ 60 Abs. 5 SächsPVDG).
Problematisch war hier erneut, dass § 60 Abs. 2 sowie Abs. 3 Nr. 1 des SächsPVDG eine Ausschreibung bei Personen zulassen, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie innerhalb absehbarer Zeit eine zumindest der Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird“ (Nr. 1), wenn ihr Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat (Nr. 2) oder eine konkretisierte Straftat nach § 100 a Abs. 2 StPO begehen wird (Abs. 3 Nr. 1). § 60 Abs. 2 und 3 SächsPVDG verweisen dabei ebenso auf Straftaten, die Vorbereitungshandlungen oder bloße Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellen, ohne selbst eine konkretisierte Gefahr vorauszusetzen, weshalb sie ebenfalls verfassungswidrig seien. Im Übrigen sei § 60 Abs. 2, 3 SächsPVDG hingegen verfassungsgemäß.55
3.Komplex: Überwachungsmaßnahmen und Kontrollen im öffentlichen Raum
Der dritte Komplex befasst sich mit der Identitätsfeststellung gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 5, 7 SächsPVDG (dazu unter a), der automatisierten Kennzeichenerkennung gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 sowie Abs. 3 Satz 5 Alt. 2 SächsPVDG (unter c) und dem Datenabgleich der aus den Maßnahmen gewonnenen Informationen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG (unter b). Anders als in den ersten beiden Komplexen wurde hierbei jedoch nicht auf den Grundsatz der Normenklarheit rekurriert. Vielmehr wurden diese Normen „lediglich“ einer „herkömmlichen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen. Daneben befasste sich der SächsVerfGH in diesem Komplex mit der Aufnahme und Aufzeichnung von Bildmaterialien zum Schutz gefährdeter öffentlicher Anlagen oder Einrichtungen gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG (unter d). Dabei gelangte er zu der Feststellung, dass diese Maßnahmen in Art. 33 SächsVerf. eingriffen, indem sie die Polizei befähigten, Informationen über Personen zu erheben (Identitätsfeststellung oder Kennzeichenerkennung) und diese Daten weiter zu verarbeiten.56 Im Ergebnis seien diese Eingriffe, mit Ausnahme von Art. 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG, jedoch gerechtfertigt.
a)Identitätsfeststellungen, § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 5, Nr. 7 SächsPVDG
Nach Ansicht des SächsVerfGH diene § 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und 7 SächsPVDG der Informationsgewinnung im Gefahrenvorfeld und damit einem legitimen Zweck. Zu diesem Zweck sei die Vorschrift auch geeignet und erforderlich.57 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sei indes zu beachten, dass die Bestimmung der Eingriffstiefe aufgrund der systematischen Teilung zwischen § 15 Abs. 1 SächsPVDG, der den Grundtatbestand der Identitätsfeststellung normiert, also die Voraussetzungen einer solchen festsetzt, und § 15 Abs. 2 SächsPVDG, der sodann die Mittel einer solchen Identitätsfeststellung normiert, variiert.58 So handle es sich bei den in § 15 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SächsPVDG normierten Maßnahmen der Identitätsfeststellung (Anhalten des Betroffenen, Befragung nach den Personalien, Verlangen der Aushändigung der Ausweispapiere) um Maßnahmen geringerer Eingriffstiefe, die bei Nr. 4 bis 7 sodann sukzessive ansteige. Dabei sei zudem zu beachten, dass die Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 bis 7 nach § 15 Abs. 2 Satz 3 SächsPVDG lediglich dann eingesetzt werden dürften, wenn eine Identitätsfeststellung nicht bereits nach den Nummern 1 bis 3 möglich sei. Weiterhin sei eingriffsmindernd zu berücksichtigen, dass die Maßnahmen der Identitätsfeststellung offene Maßnahmen darstellen und zudem keine höchstpersönlichen Daten erhoben werden dürften. Im Ergebnis seien die Nummern 2 bis 5 und 7 somit verhältnismäßig im engeren Sinne. Sie dienen gerade dazu, Gefahren von „gefährlichen“ oder „gefährdeten“ Orten oder grenzüberschreitende Kriminalität, sowie Waffenverbotszonen zu verhindern und beruhen so stets auf Tatsachen für eine spezifisch gesteigerte Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat. Sie sichern gerade hohe Belange der Allgemeinheit im Verhältnis zu der geringen Eingriffstiefe, von der eine Identitätsfeststellung ausgeht. Auch wenn diese Überlegungen für sich genommen zwar durchaus zu überzeugen vermögen, verwundert es – gerade angesichts der breiten dahingehenden Ausführungen in den ersten beiden „Komplexen“ – ein wenig, weshalb der SächsVerfGH mit keinem Wort auf die Problematik eingeht, inwiefern das in Nr. 2 enthaltene Tatbestandsmerkmal des „gefährlichen Orts“ mit den Anforderungen der Bestimmtheit und Normenklarheit vereinbar ist, obwohl die Antragsschrift dies stark hervorgehoben hatte59 und inzwischen hierzu auch einschlägige Rechtsprechung vorliegt.60 Problematisch sei im Rahmen der Nr. 4 zwar, dass diese, im Vergleich zu Nr. 2 und 3, keinen konkreten Anlass einer Gefahr voraussetzt. Dies ließe sich aber dadurch rechtfertigen, dass § 15 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG einen Ausgleich zum Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen schaffe.61 Dementsprechend müsse die Identitätsfeststellung lediglich einen konsequenten Grenzbezug aufweisen und hinreichend bestimmt sein. Diesem genüge Nr. 4, da insoweit der Grenzzusammenhang durch ein vorab dokumentiertes polizeiliches Konzept sicherzustellen sei.62
Auch § 15 Abs. 1 Nr. 5 SächsPVDG sei verhältnismäßig im engeren Sinne. Dieser lässt Identitätsfeststellungen lediglich dann zu, wenn sich eine Person an einer Kontrollstelle aufhält, die die Polizei zuvor zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder zur Durchführung einer Durchsuchung nach § 28 SächsVersG errichtet habe. Das Errichten einer solchen Kontrollstelle setze selbst bereits eine konkrete Gefahr voraus. Die Vorschrift verlange zwar nur, dass die Kontrollstelle mit der Absicht errichtet wurde, die genannten Straftaten zu verhindern. Das Erfordernis einer konkreten Gefahr ergebe sich jedoch bereits aus der allgemeinen Befugnisnorm des § 12 Abs. 1 SächsPVDG, die im Lichte der Begriffsbestimmung in § 4 Nr. 3 Buchst. a) SächsPVDG grundsätzlich für polizeiliches Handeln das Bestehen einer konkreten Gefahr voraussetze. Insoweit sei auch unbedenklich, dass § 15 Abs. 1 Nr. 5 SächsPVDG im Rahmen des Schutzes vor „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ erneut auf § 4 Nr. 4 SächsPVDG verweist und so auch Straftaten umfasst, die bloße Vorbereitungshandlungen der Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellt.63
Des Weiteren genügten die Identitätsfeststellungen auch den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fließenden Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle. Eingriffsmindernd wirke insbesondere, dass die Maßnahmen im offenen Raum erfolgen. Unschädlich sei, dass es dem Betroffenen in der konkreten Situation oft nicht möglich sei, die konkreten Umstände zu erkennen, die zu einer Identitätsfeststellung führen, es aber keine Dokumentationspflichten über Maßnahmen der Identitätsfeststellung gebe. Die Tatbestände seien insoweit hinreichend klar bestimmt und so allein effektiv durch die Fachaufsicht nach § 101 SächsPVDG oder eine datenschutzrechtliche Kontrolle durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragten nach § 94 SächsPVDG i. V. m. § 39 SächsDSUG kontrollierbar.64
b)Datenabgleich, § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG
Soweit die Polizei im Rahmen von § 15 SächsPVDG personenbezogene Daten erlangt hat, darf sie diese nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG mit dem Fahndungsbestand abgleichen. Hierin sah der SächsVerfGH einen lediglich geringfügigen Eingriff in Art. 33 SächsVerf, da eine Identitätsbestimmung ohne diesen Abgleich kaum sinnvoll und der Zweck der Kriminalitätsverhütung ohne ihn kaum erreichbar wäre.65 § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG sei hinreichend bestimmt und normenklar, da der Umfang und Zweck des Datenabgleichs durch § 87 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG klar auf die Zwecke der Gefahrenabwehr begrenzt sei. Zudem handele es sich beim Fahndungsbestand um Daten, die die Polizei durch rechtmäßige Erhebungen erlangt habe. Der Datenabgleich gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG diene somit einem legitimen Zweck und sei auch geeignet sowie erforderlich.66
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sei nach Ansicht des SächsVerfGH zu beachten, dass die Polizei durch den Abgleich mit dem Fahndungsbestand die erlangten Daten über den konkreten Anlass hinaus verwenden könne. Der Gesetzgeber müsse hierfür eine eigene Rechtsgrundlage schaffen, da der Grundsatz der Zweckbindung67 vorschreibe, dass eine Nutzung der Daten, über die für die Datenerhebung maßgebenden Verfahren hinaus, nur zulässig sei, wenn sie zur Erfüllung derselben Aufgabe und zum Schutz derselben Rechtsgüter erfolge. § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG erfülle nach Ansicht des SächsVerfGH diese Anforderungen. Obwohl § 79 SächsPVDG, der die Grundsätze der Zweckbindung im Polizeirecht festlegt, nicht anwendbar sei, zeige die Aufgabennorm des § 2 SächsPVDG, dass der Datenabgleich nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG nur von derselben Behörde durchgeführt werden darf, um dieselbe Aufgabe zu erfüllen und dieselben Rechtsgüter zu schützen wie bei der Erhebung der Daten. Zudem müssten die Daten gemäß § 91 Abs. 2 SächsPVDG sofort gelöscht werden, wenn ihre Kenntnis nicht mehr erforderlich ist.68
c)Automatisierte Kennzeichenerkennung, § 58 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG
Ähnlich argumentierte der SächsVerfGH im Rahmen des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG, der die Befugnis der Kennzeichenerfassung und des Kennzeichenabgleichs zur vorbeugenden Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität in den Räumen des § 15 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG erlaubt. Die Kennzeichenerkennung und der Kennzeichenabgleich, die jeweils einen Eingriff in Art. 33 SächsVerf darstellen – und zwar auch wenn ein sog. Nichttreffer vorliege69 – diene der vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität und damit einem legitimen Zweck. Dieser sei auch geeignet und erforderlich. Insgesamt handle es sich um einen Eingriff allenfalls mittlerer Intensität. Eingriffsmindernd wirke, dass die Kennzeichenkontrolle öffentlich erfolge und das Bewegungsverhalten sowie das Kennzeichen ohnehin im öffentlichen Raum erkennbar seien. Außerdem beziehe sich die Maßnahme allein auf die Feststellung des Kennzeichens sowie Ort, Zeit und Fahrtrichtung und nicht auf sensible personenbezogene Daten. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Kontrolle gegenüber der ganz überwiegenden Zahl der Betroffenen mit keinerlei unmittelbar beeinträchtigenden Folgen verbunden sei und keine Spuren hinterlasse. Dass der Datenabgleich in Sekundenschnelle durchgeführt werde und die erfassten Daten im Nichttrefferfall sofort vollständig wieder gelöscht werden, ohne einer Person bekannt zu werden, nehme dem Eingriff zusätzlich erheblich an Gewicht. Eingriffserschwerend wiege hingegen, dass die Kennzeichenerfassung unbeschränkt erfolge, ohne dass die Person einen konkreten Anlass zur Erfassung lieferte. Allerdings sei nach § 58 Abs. 2 Satz 3 SächsPVDG auf die Kennzeichenerfassung hinzuweisen. Im Übrigen erlaube § 58 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG eine Kennzeichenerkennung und einen Kennzeichenabgleich nur im Rahmen des § 15 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG, sodass sich im Weiteren keine Neuerungen zu den Ausführungen des § 15 Abs. 1 Nr. 4 SächsPVDG ergeben und § 58 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.70
d)Bildaufnahme und Bildaufzeichnung, § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SächsPBG
Verfassungsrechtliche Bedenken hatte der SächsVerfGH hingegen bei § 30 Abs. 1 SächsPBG. Die Nummern 1 und 2 erlauben den offenen Einsatz technischer Mittel zur Bildaufnahme und Bildaufzeichnung im öffentlichen Raum. Dabei setzt § 30 Abs. 1 Nr. 1 SächsPBG voraus, dass Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass an einem Ort künftig erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen, oder nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG, dies zum Schutz gefährdeter öffentlicher Einrichtungen oder Anlagen erforderlich ist. Im Ergebnis sei § 30 Abs. 1 Nr. 1 SächsPBG verfassungsrechtlich unbedenklich. Er erlaube die Erhebung personenbezogener Daten im öffentlichen Raum durch den Einsatz von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. Er setze voraus, dass Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigten, dass dort künftig erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen. Anlass, Zweck und Mittel der Maßnahme seien klar erkennbar. Außerdem sei die Verwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe „erhebliche Gefahr“ und „öffentliche Sicherheit“ durch die Legaldefinitionen in § 4 Nr. 1 und 3 c) SächsPVDG i. V. m. § 3 SächsPBG nicht zu beanstanden. § 30 Abs. 1 Nr. 1 SächsPBG sei insoweit hinreichend bestimmt und normenklar.71 Auch im Übrigen diene es der Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und damit einem legitimen Ziel, zu dessen Erreichung die Maßnahmen auch geeignet und erforderlich seien. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engen Sinne sei zu beachten, dass die Maßnahmen für den Betroffenen insoweit anlasslos erfolgten, sofern nicht von ihm selbst die Tatsachen einer Gefahr ausgingen. Es handle sich um eine Maßnahme mit erheblicher Streubreite72, weshalb es erforderlich sei, dass ein konkreter Zusammenhang zwischen den zu erwartenden Straftaten und der besonderen Gefahrenlage an dem überwachten Ort bestehe. Bloße Vermutungen seien hingegen nicht ausreichend. Außerdem gehe der SächsVerfGH davon aus, dass es sich bei den Aufzeichnungen nicht um solche mit Gesichtserkennung handle, da insoweit eine anders geartete verfassungsrechtliche Abwägung zu erfolgen habe. Insoweit sei § 30 Abs. 1 Nr. 1 SächsPBG verfassungsgemäß.73
Hingegen genüge § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG schon nicht den Anforderungen der Bestimmtheit und Normenklarheit. Nach dem Wortlaut von § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG darf die Erhebung personenbezogener Daten in öffentlich zugänglichen Räumen durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Bildaufnahme und -aufzeichnung dann erfolgen, wenn dies insbesondere „zum Schutz gefährdeter öffentlicher Anlagen oder Einrichtungen erforderlich“ ist. Der Gerichtshof stellte zutreffend fest, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung74 ergebe, welche Einrichtungen oder Anlagen von der Regelung umfasst sind. Auch sei völlig unklar, wann diese als „gefährdet“ gelten sollen. Ebenso offen sei die Frage, welchen Grad bzw. welche Intensität die Gefahr annehmen müsse, damit eine Überwachung gerechtfertigt sein könne. Ein innerer Zusammenhang zwischen den erwarteten Gefahren für die geschützten Objekte und einer besonderen, auf tatsächlichen Anhaltspunkten basierenden Gefährdungslage sei ebenfalls nicht erkennbar. Begrenzt werde die Datenerhebung in § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG allein durch das Gebot der „Erforderlichkeit“75. Derzeit biete die Norm weder hinreichende Maßstäbe für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Überwachung durch die Polizeibehörden, noch könne der Einzelne auf dieser Grundlage vorhersehen, bei welcher Gelegenheit im Zusammenhang mit der Überwachung von öffentlichen Anlagen und Einrichtungen Daten über ihn erhoben werden dürfen, obgleich es dem Gesetzgeber möglich gewesen wäre, verständlich zu regeln, welche Voraussetzungen für die Bild- und Videoüberwachung von öffentlichen Anlagen und Einrichtungen gelten. Die Regelung treffe so keine hinreichend bestimmte und klare Vorgabe bezüglich des Anlasses, des Zwecks und der Grenzen der Maßnahmen und widerspreche so den Anforderungen der Bestimmtheit und Normenklarheit. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG sei somit verfassungswidrig.76
§ 30 Abs. 2 SächsPBG sei hingegen nach Auffassung des SächsVerfGH verfassungsgemäß. Dieser regelt zwar zunächst einmal die Löschpflicht der nach Abs. 1 erworbenen Daten. Darüber hinaus erlaube er es der Polizei aber auch, diese Daten zu anderen Zwecken als denen, zu denen sie ursprünglich erhoben wurden, also etwa zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren, zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, zur Geltendmachung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen oder nach Maßgabe des § 2 SächsPBG zum Schutz privater Rechte weiterzuverarbeiten, solange dabei die Grundsätze der Zweckbindung und Zweckänderung77 gewahrt seien.78
4.Komplex: Weiterverarbeitung von vorhandenen Daten
In Komplex 4 befasste sich der SächsVerfGH mit der „Weiterverarbeitung“79 personenbezogener Daten nach § 80 Abs. 1, § 79 Abs. SächsPVDG und § 80 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 SächsPVDG. § 80 SächsPVDG befugt die Polizei zur Weiterverarbeitung von zuvor erhobenen oder anderweitig erlangten personenbezogenen Daten nach Abschluss des Ausgangsverfahrens. Dabei sei § 80 Abs. 1 SächsPVDG nach dem Verständnis des SächsVerfGH als Generalklausel der Weiterverarbeitung zu verstehen, während Abs. 2 die Weiterverarbeitung von Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung erlangt wurden, zum Zwecke der Gefahrenabwehr regele.80
a)Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Weiterverarbeitung
Wie das Bundesverfassungsgericht81 geht auch der SächsVerfGH zu Recht davon aus, dass jede Form der Weiterverarbeitung (nach der Erhebung) einen eigenständigen Grundrechtseingriff darstelle, der insofern eigenständig gerechtfertigt werden müsse. Dazu müsse die dafür geschaffene Rechtsgrundlage eigenständige, konkrete Zwecke benennen. Eine „Bevorratung“ von Daten zur späteren Weiterverarbeitung zu bislang noch unbekannten Zwecken sei damit ausgeschlossen. Stattdessen müssten die zuvor erhobenen oder anderweitig erlangten Daten unverzüglich nach ihrem Erhalt auf ihre Erforderlichkeit zur Erreichung der definierten Zwecke überprüft werden, basierend auf tatsachenbasierten Erkenntnissen und Erfahrungen. Das jeweilige konkrete personenbezogene Datum müsse im Kontext künftiger Verfahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Erreichung der jeweiligen konkreten Zwecke von Nutzen sein. Eine bloße abstrakte Eignung als künftiger Ansatz für Spuren oder Ermittlungen sei nicht ausreichend. Darüber hinaus richte sich die weitere Nutzung staatlich erhobener Daten nach den vom Bundesverfassungsgericht82 entwickelten Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung sowie der hypothetischen Datenneuerhebung.83 Schließlich stelle die Verhältnismäßigkeit über die konkreten Anforderungen der Weiterverarbeitungsnormen auch Anforderungen an Transparenz und Rechtsschutz, die sich in Benachrichtigungs-, Protokoll-, Prüfungs- und Löschpflichten zu realisieren haben.84
b)Anwendung dieses Maßstabes auf das SächsPVDG
Diesen Anforderungen genüge nach Auffassung des SächsVerfGH zwar § 80 Abs. 1 i. V. m. § 79 SächsPVDG, nicht jedoch § 80 Abs. 2 SächsPVDG. § 80 Abs. 1, § 79 SächsPVDG seien hinreichend bestimmt und verhältnismäßig. § 80 Abs. 1 SächsPVDG ermächtige schließlich zur Weiterverarbeitung personenbezogener Daten in polizeilichen Informationssystemen85 unter Beachtung des vom Gesetzgeber in § 79 Abs. 1 SächsPVDG festgelegten Grundsatzes der Zweckbindung. Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 und 2 SächsPVDG dürfen Daten zur Erfüllung derselben Aufgabe (Nr. 1) und zum Schutze derselben Rechtsgüter bzw. zur Verhütung von Straftaten (Nr. 2) weiterverarbeitet werden, zu denen sie ursprünglich erhoben bzw. gespeichert wurden. Im Ergebnis handle es sich dabei um eine gesetzliche Beschreibung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Zweckbindung.86
Hingegen genüge § 80 Abs. 2 SächsPVDG bereits nicht den Anforderungen der Bestimmtheit und Normenklarheit. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Norm noch hinreichend bestimmt sei. Jedenfalls sei sie nicht hinreichend normenklar, also für die Bürger verständlich. Der SächsVerfGH legte sogar in entwaffnender Ehrlichkeit dar, dass es selbst für ihn nicht erkennbar sei, inwiefern Abs. 2 und 1 im Zusammenhang stünden. Es könne sich bei Abs. 2 sowohl um einen Unterfall des Abs. 1 handeln, mit der Folge der Anwendbarkeit des § 79 SächsPVDG, als auch um eine eigenständige Ermächtigung zur Weiterverarbeitung, mit der sich anschließenden Frage, ob nunmehr die allgemeinen Grundsätze der Zweckbindung gelten oder aber insoweit § 80 Abs. 2 SächsPVDG die eigene speziellere Norm sei. Auch sei § 80 Abs. 2 SächsPVDG aufgrund des großen Mangels an Klarheit nicht verfassungskonform auslegbar und somit verfassungswidrig.87
5.Komplex: Datenschutzbeauftragter und Sofortvollzug
a)Kein Verfassungsverstoß durch § 17 Abs. 4 SächsDSUG
Im fünften Komplex prüfte der Verfassungsgerichtshof sodann § 17 Abs. 4 SächsDSUG. Dieser untersagt es dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten gegenüber Behörden oder deren Rechtsträgern die sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen. Im Ergebnis erachtete der SächsVerfGH diese Vorschrift für verfassungskonform. Sie sei kompetenzmäßig ergangen, da es sich hier um eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung und nicht eine verwaltungsprozessuale Regelung handle.88 Des Weiteren sei kein Eingriff in die Rechtsweggarantie des Art. 38 SächsVerf erkennbar, da dem Betroffenen insoweit nicht der Rechtsschutz gegen Anordnungen der Datenschutzbeauftragten verwehrt werde. Auch ein Eingriff in Art. 33 SächsVerf sei nicht ersichtlich, da § 17 Abs. 4 SächsDSUG nicht die Erhebung oder Speicherung persönlicher Daten umfasse, da sich dies stets nach der jeweils einschlägigen Ermächtigungsgrundlage richte. Demgegenüber beschränke sich § 17 Abs. 4 SächsDSUG darauf, dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten zu verwehren, seine Anordnungen gegenüber Behörden und juristischen Körperschaften des öffentlichen Rechts für sofort vollziehbar zu erklären. Auch ein Eingriff in Art. 57 SächsVerf sei nicht ersichtlich, da nicht die Position des Datenschutzbeauftragten zur Disposition stehe, sondern lediglich die Wirkung seiner Anordnungen.89
b)Vereinbarkeit mit Unionsrecht?
Darüber hinaus war strittig, ob § 17 Abs. 4 SächsDSUG möglicherweise gegen § 47 Abs. 2 JI-Richtlinie90 verstoße. Die Antragsteller rügten, dass gemäß Art. 47 Abs. 2 JI-Richtlinie dem Datenschutzbeauftragten wirksame Abhilfebefugnisse zur Verfügung stehen müssten, um gegen rechtswidrige polizeiliche Datenverarbeitungen einschreiten zu können. In Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgaben vermittelt § 40 Abs. 2 SächsDSUG dem Datenschutzbeauftragten eine Reihe von Interventionsbefugnissen, die bis zur Anordnung „geeigneter Maßnahmen“ gegenüber der verantwortlichen Polizeibehörde reichen. Mit den in § 17 Abs. 4 SächsDSUG vermittelten Rechten mangelt es dem Datenschutzbeauftragten nun aber womöglich an wirksamen Abhilfebefugnissen.91
Der SächsVerfGH traf diesbezüglich keine Entscheidung in der Sache. Er habe insoweit bereits aus kompetenziellen Gründen keine Unionswidrigkeit festzustellen, da die Vereinbarkeit mit Unionsrecht nicht zur Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes i. S. d. Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf, § 7 Nr. 2, § 21 Nr. 1 SächsVerfGHG gehöre. Es könne zwar bei offenkundigen Verstößen gegen Unionsrecht eine Ausnahme der Prüfungskompetenz vorliegen, eine solche sei hier aber nicht ersichtlich, da insoweit dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Art. 47 Abs. 2 JI-Richtlinie ein breiter Ausgestaltungsspielraum verbleibe.92
Diese Kürze der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs überrascht, gerade mit Blick auf die Judikatur anderer Landesverfassungsgerichte.93 Auch angesichts der grundlegenden Bedeutung des Unionsrechts erscheint eine derart kurze Auseinandersetzung, auch bei dem übrigen Umfang des Urteils, der Problematik unangemessen. So ist zwar der SächsVerfGH mit seiner vornehmen Zurückhaltung gegenüber einer Heranziehung des Unionsrechts als Prüfungsmaßstab nicht allein unter den Landesverfassungsgerichten,94 jedoch prüfen – soweit ersichtlich – neben dem Hessischen Verfassungsgerichtshof und dem Thüringer Verfassungsgerichtshof, die das Unionsrecht über den Anwendungsvorrang des Unionsrechts unmittelbar als Prüfungsmaßstab heranzieht,95 auch andere Landesverfassungsgerichte Unionsrecht zumindest mittelbar über das landesgesetzliche Rechtsstaatsprinzip und stellen einen Verstoß gegen die Landesverfassung bei offenkundigen Verstößen oder schwerwiegenden Eingriff in das Unionsrecht fest.96 Auch mit Blick auf Art. 23 Abs. 1 GG, der die Europäische Integration als Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland vorgibt, überrascht diese Eindeutigkeit der Entscheidung. Nach Art. 1 Satz 1 SächsVerf ist auch der Freistaat Sachsen ein Teil dieser Bundesrepublik und so Verpflichteter des Integrationsauftrags. Demnach hat auch der Freistaat Sachsen der Wirksamkeit des Unionsrechts zur Geltung zu verhelfen. Ob dieser Prüfungsmaßstab nun mittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 1 Satz 2 SächsVerf oder unmittelbar aus Art. 23 Abs. 1 GG fließt, kann insoweit dahinstehen. Der SächsVerfGH hätte hier zumindest die Möglichkeit gehabt, (neue) Maßstäbe zu setzen, sich in die Judikaturen der Landesverfassungsgerichte zum Prüfungsmaßstab des Unionsrechts einzufügen und zu bestimmen, inwiefern es nun Unionsrecht als Prüfungsmaßstab heranzieht und wie er diesen dogmatisch herleitet. Allein ein Verweis auf die fehlende Offenkundigkeit des Unionsrechtsverstoßes und der Rückzug darauf, dass man ja ohnehin kein Unionsrecht prüfe, ist weder ein eindeutiges Ergebnis noch wird es der herausragenden Bedeutung des Unionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland gerecht.
6.Komplex: Aufenthaltsgebot, Aufenthaltsverbot und Fußfessel
Im sechsten Komplex beschäftigte sich der SächsVerfGH mit § 21 Abs. 2 und 3, § 61 Abs. 1 und 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 1, Satz 7 Nr. 1 SächsPVDG, die die Polizei dazu befugen, Aufenthaltsgebote, Aufenthaltsverbote sowie Kontaktverbote anzuordnen, als auch elektronische Aufenthaltsüberwachung zu erlassen.
Der SächsVerfGH stellte fest, dass § 21 Abs. 2 Alt. 1 SächsPVDG, der die Polizei ermächtigt, für die Dauer von zwei Monaten einer Person zu untersagen sich von ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort zu entfernen, in das Recht auf Fortbewegungsfreiheit aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf eingreife.97 Die Regelung § 21 Abs. 2 Alt. 2 SächsPVDG, wonach die Polizei für die Dauer von zwei Monaten einer Person den Kontakt mit einer anderen Person untersagen darf, stelle zudem einen Eingriff in Art. 15 SächsVerf dar, der die freie Entfaltung der Person schütze. Diese Eingriffe verstärken sich noch dadurch, dass eine Nichteinhaltung nach § 106 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG als Ordnungswidrigkeit strafbewährt sei und gegebenenfalls durch eine elektronische Aufenthaltsüberwachung nach § 61 Abs. 2 SächsPVDG abgesichert werden kann.98 Es handle sich aber noch nicht um eine Freiheitsentziehung nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 17 SächsVerf. § 21 Abs. 2 SächsPVDG diene dazu, schwere Straftaten, insbesondere solche mit terroristischer Zielrichtung und solche, die sich gegen den Bestand des Bundes oder des Landes richten, zu verhindern. Indem es der Person verboten wird, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, wird die Gefahr einer Verwirklichung einer abzuwehrenden Gefahr zumindest verringert. Die Maßnahme diene damit einem legitimen Zweck und sei auch geeignet. Auch seien ein Platzverweis nach § 18 SächsPVDG, das Aufenthaltsverbot nach § 21 Abs. 1 SächsPVDG sowie die Meldeauflage nach § 20 SächsPVDG keine milderen, gleich geeigneten Mittel und die Maßnahme daher auch erforderlich.
Daneben greife die in § 61 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsPVDG normierte Befugnis, Einzelne zu verpflichten, eine „elektronische Fußfessel“ oder ein anderes Gerät zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung zu tragen, in Art. 33 SächsVerf ein. § 61 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsPVDG stelle zudem einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 15 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 SächsVerf dar, indem er die Polizei befähige, Daten zu erheben oder zu speichern. Auch hier erhöhe sich der Eingriff dadurch, dass die Nichteinhaltung durch § 106 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG strafbewehrt ist und sich die ermittelten Daten möglicherweise zu einem Bewegungsbild verbinden lassen. Eingriffsmindernd wirke aber, dass die Betroffenen von dieser Überwachung Kenntnis hätten. Etwas anderes gelte jedoch, wenn die Überwachung längere Zeit angeordnet sei und so durch die Pflicht zum Tragen einer Fußfessel das Gefühl staatlicher Überwachung allgegenwärtig werde. Es handle sich somit insgesamt um einen schwerwiegenden Eingriff. Dieser diene aber grundsätzlich, wie § 21 Abs. 2 SächsPVDG, einem legitimen Zweck und sei geeignet und erforderlich.99
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne war erneut – wie schon in den ersten beiden „Komplexen“ – problematisch, dass § 21 Abs. 2 Nr. 2 SächsPVDG und § 61 Abs. 1, 7 Nr. 1 SächsPVDG den Anwendungsbereich abermals auf „terroristische Straftaten“ erstreckt und somit auf § 4 Nr. 5 SächsPVDG Bezug nehmen, der wiederum dynamisch auf Straftatbestände des Strafgesetzbuchs verweist, die bloße Vorbereitungshandlungen und (abstrakte) Rechtsgutsgefährdungen betreffen. Im Vergleich zu den im 1. Komplex behandelten Vorschriften handle es sich hierbei aber nicht um „gefahrenermittelnde“, sondern um gefahrenbeendende Maßnahmen, die unmittelbar auf das Verhalten der Betroffenen einwirken und somit noch tiefer in die Grundrechte eingriffen. Insoweit seien an die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen noch höhere Anforderungen zu stellen.100 § 21 Abs. 2 Nr. 2 SächsPVDG sowie § 61 Abs. 1, 3 Satz 7 Nr. 1 SächsPVDG setzen aber selbst keine konkrete oder konkretisierbare Gefahrenlage voraus, weshalb sie insoweit verfassungswidrig seien.101 Im Übrigen genüge § 21 Abs. 2 SächsPVDG, § 61 Abs. 1, 3 Satz 7 Nr. 1 SächsPVDG allerdings den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.102 Insbesondere stehe er durch § 21 Abs. 7 SächsPVDG unter einem strengen Erforderlichkeitsvorbehalt sowie nach § 21 Abs. 4 SächsPVDG unter Richtervorbehalt.103 § 21 Abs. 2 Nr. 1 SächsPVDG genüge im Vergleich zu § 21 Abs. 2 Nr. 2 SächsPVDG hingegen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne in Gänze, da dieser selbst eine „konkretisierende Gefahrenlage“ voraussetzt und dadurch die Eingriffsschwelle nicht unverhältnismäßig abgesenkt werde.104 Da Art. 15 SächsVerf keine höheren Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs als Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf stellt, verwies der SächsVerfGH zutreffend auf die Ausführungen zu § 21 Abs. 2 Alt. 1 SächsPVDG.105 Darüber hinaus war infolge der Entscheidung zu § 21 Abs. 2 SächsPVDG auch § 21 Abs. 3 SächsPVDG verfassungswidrig, soweit er sich auf verfassungswidrige Teile des § 21 Abs. 2 SächsPVDG bezog.106
Dieser „Erforderlichkeitsvorbehalt“ des § 21 Abs. 7 SächsPVDG stellt aber durchaus eine problematische Regelung dar. Zum einen steht er im Konflikt mit den Prinzipien der Bestimmtheit und Normenklarheit. Es ist für die Betroffenen oft unklar, wann genau eine Maßnahme als „erforderlich“ anzusehen ist.107 Dies führt zu einer ungewissen Rechtslage und erschwert die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen. Darüber hinaus steht der Erforderlichkeitsvorbehalt im Widerspruch zum Prinzip der Gewaltenteilung und dem sich daraus ergebenden Wesentlichkeitsvorbehalt.108 Danach ist es gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, grundrechtswesentliche Entscheidungen zu treffen und klare Grenzen für die Ausübung staatlicher Befugnisse festzulegen. Indem der Gesetzgeber der Verwaltung die Befugnis einräumt, selbst zu entscheiden, ob eine Maßnahme erforderlich ist, wird die Grenze zwischen Legislative und Exekutive verwischt. Dies birgt die Gefahr, dass die Verwaltung zu weitreichende Befugnisse erhält und die Gewaltenteilung ausgehöhlt wird. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Erforderlichkeitsvorbehalt aus mehreren Gründen zumindest verfassungsrechtlich problematisch ist und einer kritischeren Überprüfung bedurft hätte.
7.Komplex: Bewaffnung von Spezialeinheiten der Polizei
Im siebenten und letzten Komplex hatte sich der SächsVerfGH mit § 40 Abs. 4 Satz 3 und § 46 SächsPVDG zu beschäftigen. Diese ermöglichen es den Spezialeinheiten des Polizeivollzugsdienstes, Maschinengewehre und Handgranaten als besondere Waffen in begrenzten Einsatzszenarien und unter besonderen qualifizierten Voraussetzungen einzusetzen.
Im Ergebnis entschied der SächsVerfGH, dass diese Befugnisse weder gegen Strukturprinzipien der Sächsischen Verfassung oder ungeschriebene Grundsätze des Verfassungsrechts verstoßen noch das Grundrecht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf verletzt sei.
Es sei kein direkter oder ungeschriebener Grundsatz aus Art. 28 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 35 Abs. 2 und 3 oder Art. 87 a Abs. 4 GG erkennbar, der es der Polizei verwehren würde, entsprechende Ausrüstung im Rahmen einer Spezialeinheit zu besitzen.109 Darüber hinaus sei auch nicht Art. 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf verletzt. Dieser stehe zwar nach Art. 16 Abs. 1 Satz 3 SächsVerf unter einfachem Gesetzesvorbehalt und sei aufgrund der besonderen Bedeutung des Lebens für die Menschenwürde unter der besonderen Bedeutung des Art. 14 SächsVerf auszulegen,110 im Ergebnis sei eine solche Regelung aber nur dann unverhältnismäßig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit auch unbeteiligte Dritte gefährdet würden. Eine solche Gefahrenlage der sicheren Tötung unbeteiligter Dritter auf Grundlage einer begrenzten Erkenntnislage sei bei dem Einsatz schwerer Waffen in Menschenmengen zumindest naheliegend,111 allerdings könne ein Einsatz schwerer Waffen auch dann gerechtfertigt sein, wenn dies das einzig verbleibende Mittel zur Abwehr einer bereits eingetretenen Gefahrenlage für Leib und Leben ist. Eine solche, dem Ultima-Ratio-Grundsatz entsprechende Regelung sieht § 43 Abs. 4 Satz 2 SächsPVDG, der über § 46 Abs. 3 SächsPVDG auch für die besonderen Waffen anwendbar ist, ausdrücklich vor.112 Insgesamt sehe das Polizeivollzugsdienstgesetz genügend prozessuale und materielle Sicherungen vor, um den Einsatz solch schwerer Waffen unter hohe Anforderungen zu stellen, sodass § 40 Abs. 4 Satz 3 und § 46 SächsPVDG als verhältnismäßig anzusehen seien.113
Gegen diese Argumentation wurde angeführt, dass der SächsVerfGH die von ihm gezogenen Verhältnismäßigkeitsanforderungen bei der Anwendung von § 43 Abs. 4 Satz 2 SächsPVDG, § 46 Abs. 3, § 40 Abs. 4 Satz 3 SächsPVDG selbst nur unzureichend beachte, da beim Einsatz von Schusswaffen stets eine potentielle Gefahr für Unbeteiligte bestehe, die durch die schweren Waffen erhöht werde.114 Dagegen ließe sich jedoch einwenden, dass, anders als bei herkömmlichen Schusswaffen, bei Maschinengewehren ein anderer mittelbarer Zwang bewirkt wird. Sie können in erster Linie auch dazu dienen, allein aufgrund ihres Auftretens (sog. Einschüchterungs- oder Abschreckungseffekt115) bei den Betroffenen, eine gefahrenbeendende Wirkung zu erzielen und vermögen in schweren, gefährlichen Situationen der Polizei zur besseren Durchsetzung der Maßnahmen zu verhelfen. Der Einsatz als Schusswaffe rückt damit in den Hintergrund der eigentlichen Nutzung. Darüber hinaus ist ein allzu schneller Rückgriff auf diese besonders schweren Waffen dadurch abgesichert, dass der Einsatz unter dem Vorbehalt der Freigabe des Landespolizeipräsidenten oder seiner Vertretung steht (§ 46 Abs. 1 SächsPVDG). Auch der Einsatz gegenüber Menschenmengen ist in § 45 SächsPVDG besonders geregelt, der einen Einsatz von Schusswaffen dann als unzulässig erachtet, wenn für die Polizeibediensteten erkennbar mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Unbeteiligte zu Schaden kommen können (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Einsatz als letztes mögliches Mittel erscheint (§ 45 Abs. 1 Satz 2 SächsPVDG). Auch die Negativformulierung des § 45 Abs. 2 SächsPVDG deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber den Einsatz aller Schusswaffen lediglich als letztes mögliches Mittel ansieht. Für den Einsatz von besonders schweren Schusswaffen bei Menschenmengen verbleibt dabei lediglich ein eng begrenzter Raum, den der Gesetzgeber aber zulässigerweise regeln können muss, um besonders schweren, gewalttätigen Situationen, denen mit dem Einsatz von einfachen Schusswaffen nicht angemessen begegnet werden kann, angemessen begegnen zu können. Ob eine solche Maßnahme notwendig ist, ist insoweit unerheblich. Dem Gesetzgeber muss es möglich sein solche Situationen präventiv gesetzlich regeln zu können.
Etwas anderes gilt indes bei Handgranaten. So überzeugt die zusammenfassende Prüfung von Handgranaten und Maschinengewehren des Verfassungsgerichts nicht. So ist der Einsatz dieser selbst schon nicht vergleichbar. Bieten Maschinengewehre einen, zumindest im Vergleich zu Handgranaten, gezielteren Einsatz, besteht bei Handgranaten eine große Gefahr der Streuung. Insbesondere bei Handgranaten ist damit nicht von einem gezielten Einsatz auszugehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit keine unbeteiligten Dritten gefährdet. Hier wäre eine differenziertere Betrachtung des Verfassungsgerichts, der individuellen Gefährlichkeit unbeteiligter Dritter, notwendig gewesen. Auch der „Erforderlichkeitsvorbehalt“ aus § 46 Abs. 1 SächsPVDG ist aus den oben genannten Gründen verfassungsrechtlich zumindest problematisch.
III.Résumé
Insgesamt hält sich die Entscheidung des SächsVerfGH stark an die vom Bundesverfassungsgericht – insbesondere im BKAG-Urteil116 und im Beschluss zum mecklenburg-vorpommerischen Sicherheitsgesetz117 – gezogenen Leitlinien zur Herabsetzung von Eingriffsschwellen im Vorfeld konkreter Gefahren.118 Dazu zählen vor allem die Grundsätze von Bestimmtheit und Normenklarheit119, deren strikte Einhaltung der SächsVerfGH auch bei dynamischen Verweisungsketten fordert, womit er die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nochmals erhöht, sowie für die Grundsätze der Zweckbindung, Zweckänderung und hypothetischen Datenneuerhebung120, die der SächsVerfGH vorliegend jedoch allesamt als gewahrt ansah. Zugleich ergänzt der SächsVerfGH die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe zur Normenklarheit durch Erwägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dies führt den SächsVerfGH dann zu einer bereits aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts121 bekannten Figur, nämlich derjenigen der „konkretisierten Gefahr“, die der SächsVerfGH heranzieht, um ein zu tiefes Absenken von Eingriffsschwellen, d. h. ein Eingreifen der Polizei schon weit im Gefahrenvorfeld rechtsstaatlich zu begrenzen. All dies überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Warum sich der SächsVerfGH hingegen nicht stärker mit dem Unionsrecht in Gestalt der JI-Richtlinie befasst hat, bleibt offen. Insbesondere mit Blick auf die Judikatur anderer Landesverfassungsgerichte122 übt er sich hier in besonderem Maße in richterlicher Zurückhaltung. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn der Verfassungsgerichtshof künftig seine Rolle als europäisches Gericht noch stärker und offensiver wahrnehmen und vertreten würde.
Für die Verfahrensbeteiligten kann das Ergebnis des Urteils als salomonische Lösung bezeichnet werden: So wurde einerseits die Verfassungskonformität der Polizeirechtsreform in den meisten der mit der Antragsschrift angegriffene Punkten bestätigt. Andererseits konnten auch die Antragsteller in einigen Punkten einen Sieg davontragen. Die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften lässt sich jedoch – und dies dürfte wiederum den Gesetzgeber beruhigen – vergleichsweise leicht beheben. Abzuwarten bliebt schließlich, wie das Bundesverfassungsgericht die – ebenfalls von Prof. Matthias Bäcker verfasste – anhängige Verfassungsbeschwerde123 behandeln wird.