08.06.2017

Zur Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen

VG Gießen: Mitarbeiter der Kreisverwaltung dürfen nicht teilnehmen

Zur Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen

VG Gießen: Mitarbeiter der Kreisverwaltung dürfen nicht teilnehmen

Was bedeutet die Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen? | © Gina Sanders - Fotolia
Was bedeutet die Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen? | © Gina Sanders - Fotolia

Das Verwaltungsgericht Gießen hat jüngst (Beschluss vom 01.02.2017, Aktenzeichen 8L 3591 / 16.Gl) die Anwesenheit von Mitarbeitern der Kreisverwaltung im Rahmen der Beschlussfassungen des Kreisausschusses für unzulässig erklärt. Das Gericht bewertete ihre Anwesenheit als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Bisher ist es in den meisten Landkreisen üblich, dass der Kreisausschuss durch Mitarbeiter der Verwaltung während der Sitzungen beraten wird und diese auch bei Beschussfassungen zugegen sind. Weder der Sinn und Zweck der Regelung, noch systematische Überlegungen stehen aber einer Teilnahme von Mitarbeitern der Kreisverwaltung entgegen. Insofern greift das VG Gießen hier unzulässig in die Selbstorganisationskompetenz des Kreisausschusses ein und erschwert mit dem Eilbeschluss den Beratungs- und Beschlussfassungsprozess im Kreisausschuss.

Der Beitrag befasst sich daher mit der Frage, ob die gesetzlich angeordnete Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen (§ 42 HKO i.V.m. § 67 Abs. 1 Satz 1 HGO ) durch die Anwesenheit von Kreisbediensteten verletzt werden kann. Die Argumentation des Gerichts vermag hier juristisch nicht zu überzeugen. Die Nichtöffentlichkeit von Sitzungen kann auch dann gewahrt bleiben, wenn Dritte, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, der Beschlussfassung beiwohnen. .

Der Grundsatz der Öffentlichkeit als Ausfluss des Demokratieprinzips

Im demokratischen Rechtsstaat kommt dem Grundsatz der Öffentlichkeit besondere Bedeutung zu. Alle wesentlichen und wichtigen Sitzungen der Bundes- und Landesparlamente finden daher in öffentlichen Sitzungen statt. Für die Exekutive gilt dies mit Einschränkungen ebenso, denn auch die öffentliche Verwaltung soll möglichst transparent arbeiten. Dort, wo Gründe der Vertraulichkeit überwiegen, gibt es anderweitige Regelungen – dann finden Sitzungen nichtöffentlich statt. Allerdings hat der Gesetzgeber auch in diesen Fällen der Legislative und Judikative, der Presse sowie Interessensverbänden und den Bürgerinnen und Bürgern Transparenz- und Kontrollmöglichkeiten an die Hand gegeben.


Öffentlichkeit und Transparenz finden insbesondere dann ihre Grenzen, wenn schutzwürdige Interessen Dritter zu berücksichtigen sind. Gesetzlich normiert findet sich diese Überlegung bspw. in §§ 42 HKO, 67 Abs. 1 Satz 1 HGO, die festlegen, dass der Kreisausschuss in Hessen seine Beschlüsse grundsätzlich in nichtöffentlichen Sitzungen trifft. Dies begründet sich in seiner Funktion als Organ der inneren Verwaltung.

Der Kreisausschuss fällt einerseits nicht die wesentlichen und grundsätzlichen Entscheidungen eines Landkreises, sondern bereitet sie nur vor, führt sie aus und besorgt die laufende Verwaltung  (vgl. § 41 Abs. 1 S.2 HKO). Andererseits sind Kreisausschusssitzungen geprägt von vertraulichen Informationen wie bspw. Angeboten bei Auftragsvergaben, der Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen, freien Trägern und Vereinen sowie den wesentlichen Personalentscheidungen der Kreisverwaltung. Gründe des Vertrauensschutzes rechtfertigen insofern die Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit.

Zugleich ist der Kreisausschuss aber gehalten, die Ergebnisse aller wesentlichen Entscheidungen transparent zu machen. Dies geschieht regelmäßig durch den Landrat als Vorsitzenden des Kreisausschusses und Behördenleiter (§ 77 HBG) bzw. die jeweilige Pressestelle des Landratsamts.

Zum Begriff der Nichtöffentlichkeit 

Das Verwaltungsgericht Gießen hatte sich auf Antrag eines Kreisausschussmitglieds mit der Frage zu befassen, inwiefern der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit es zulässt, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes an Kreisausschusssitzungen teilhaben zu lassen. Es kam zu der Feststellung: „andere Personen als die gewählten Beigeordneten und der Schriftführer dürfen bei den Verhandlungen des Kreisausschusses jedoch nicht anwesend sein.“

Damit fasst das Gericht den Begriff der Nichtöffentlichkeit denkbar eng. Dies geht nach der hier vertretenen Auffassung an der gesetzlichen Intention vorbei. Denn bereits eine Auslegung des Wortlauts lässt darauf schließen, dass eine Sitzung (nur) dann „öffentlich“ stattfindet, wenn diese jedermann zugänglich ist. So könnte bereits geschlussfolgert werden, dass jede Sitzung, die nicht jedermann zugänglich ist, nichtöffentlich ist. Ein Vergleich zur Strafprozessordnung legt dies nahe. Es ist ein anerkannter Revisionsgrund, wenn öffentliche Verfahren bereits abstrakt nicht jedermann zugänglich waren. Das Beispiel der verschlossenen Sitzungstür bei Gericht ist nicht nur Juristen geläufig. Der Wortlaut schließt die Anwesenheit Dritter daher nicht von vornherein aus.

Isoliert betrachtet würde dieses Ergebnis jedoch nicht dem Sinn und Zweck nichtöffentlicher Sitzungen gerecht.  Denn nur weil nicht „Jedermann“ Zugang zu einer Sitzung hatte, wird die Sitzung noch nicht zwingend zu einer nichtöffentlichen Sitzung im Sinne des Gesetzes. Vielmehr sollen nur solche Personen anwesend sein dürfen, die dem jeweiligen Gremium angehören (so auch die Argumentation des VG Gießen). Es stellt sich also die Frage, wer Berechtigter im Sinne des Gesetzes ist. Das Gericht sieht in der Norm ein Verbot der Anwesenheit von Nichtmitgliedern. Es schließt die Anwesenheit Dritter bei der Beschlussfassung des Gremiums also a priori aus.

Dies überzeugt nicht. Vielmehr muss es in der Entscheidungshoheit des Organs selbst liegen, wer Gast der jeweiligen Sitzung ist. Dies lässt sich auch systematisch begründen. Wenn das Organ sogar beschließen kann, eine Sitzung öffentlich durchzuführen (§ 42 HKO i.V.m. § 67 Abs.1 Satz 1 HGO), dann muss es auch die vergleichsweise mildere Variante beschließen können, dass Gäste an der Sitzung teilnehmen können – zumal wenn diese als Beamte oder Angestellte des Öffentlichen Dienstes zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Weder der Sinn und Zweck der Regelung, noch systematische Überlegungen stehen daher einer Teilnahme von Mitarbeitern der Kreisverwaltung entgegen.

Ergebnis und rechtspolitische Forderung

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die dauerhafte Anwesenheit von Kreisbediensteten nicht von vornherein gegen den gesetzlich normierten Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Kreisausschusssitzungen verstößt. Vielmehr kann der Kreisausschuss als eigenständiges Organ im Wege der ihm zukommenden Selbstverwaltungskompetenz selbst festlegen, wer wann an den Sitzungen teilnimmt, solange hierdurch die Verschwiegenheit sichergestellt bleibt. Insofern greift das VG Gießen hier unzulässig in die Rechte des Kreisausschusses ein. Es bleibt zu erwarten, dass der VGH Kassel als Rechtsmittelinstanz mehr Fingerspitzengefühl bei der Entscheidungsfindung zeigt und sich an den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsatz des „judicial self-restraint“ erinnert. Sollte die Rechtsprechung dies negieren und auch weiterhin in originäre Bereiche der Exekutive eingreifen, wäre der Gesetzgeber gefordert.

 

 

Dr. Michael H. Koch

Landrat Landkreis Hersfeld-Rotenburg
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