15.06.2017

Die Pflichten aus dem Mindestlohngesetz …

… gelten auch bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber

Die Pflichten aus dem Mindestlohngesetz …

… gelten auch bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber

Unter die Lupe genommen: Öffentliche Auftraggeber müssen Bewerber bei Verstoß gegen das Mindestlohngesetz ausschließen. | © stadtratte - Fotolia
Unter die Lupe genommen: Öffentliche Auftraggeber müssen Bewerber bei Verstoß gegen das Mindestlohngesetz ausschließen. | © stadtratte - Fotolia

Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sind verpflichtet, ihren in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohnes (Mindestlohngesetz – MiLoG) zu zahlen (§ 20 MiLoG). Für Mindestentgelte, die sich aus branchenspezifischen bundesweiten und für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen ergeben, gelten weiterhin die Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG), soweit sie die Höhe des Mindestlohnes nach dem Mindestlohngesetz nicht unterschreiten (bis zum 31. 12. 2017 sind Übergangsregelungen zu beachten [§ 24 MiLoG]).

Auch für öffentliche Auftraggeber ergeben sich aus den Vorgaben des Mindestlohngesetzes und des Arbeitnehmerentsendegesetzes bei der Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträge Pflichten.

Ausschluss vom Wettbewerb

Bewerber, die nach § 23 AEntG zum Beispiel wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Gewährung von Mindestentgeltsätzen mit einem Bußgeld von wenigstens 2 500 € belegt worden sind, sollen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom Wettbewerb ausgeschlossen werden (§ 21 AEntG). Die Auswirkungen von Verstößen gegen das Mindestlohngesetz durch Bewerber, die sich an Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen beteiligen, sind in der mit § 21 AEntG nahezu wortgleichen Bestimmung des § 19 MiLoG geregelt. Demnach sollen auch Bewerber, die gegen die Gewährung des gesetzlichen Mindestlohns verstoßen haben und gegen die deswegen ein Bußgeld von wenigstens 2 500 € verhängt worden ist, vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.


Aufträge ab 30 000 €: Zwingend Auskunft aus dem Gewerbezentralregister

Der öffentliche Auftraggeber muss bei Aufträgen ab 30 000 € vor der Zuschlagserteilung vom Bewerber, der den Zuschlag erhalten soll, eine Auskunft aus dem Gewerbezentralregister nach § 150a der Gewerbeordnung einholen. Der Auftragswert in Höhe von 30 000 € als Schwelle für die zwingende Einholung einer Auskunft aus dem Gewerbezentralregister nach § 19 Abs. 4 MiLoG versteht sich nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) als Nettogrenze ohne Umsatzsteuer.

Die Verpflichtung zur Einholung von Auskünften aus dem Gewerbezentralregister trifft nicht die Unternehmen, sondern allein den öffentlichen Auftraggeber.

Aufträge unter 30 000 € – auch Eigenerklärung kann ausreichen

Bei Aufträgen mit einem Wert von weniger als 30 000 € netto ist wahlweise die Eigenerklärung zu verlangen, dass die Voraussetzungen für einen Ausschluss nicht vorliegen oder alternativ eine Auskunft aus dem Gewerbezentralregister über rechtskräftige Bußgeldentscheidungen anzufordern.

Auf Direktkäufe von Lieferungen bzw. Dienstleistungen (Auftragswert bis 500 € ohne Umsatzsteuer) wird kein Gewerbezentralregister eingeholt und keine Eigenerklärung verlangt, da hier kein wettbewerbliches Verfahren durchgeführt wird.

Vordrucke

Die Formblätter in den Vergabehandbüchern des Bundes (VHB Bund) und der Länder (z. B. des Freistaates Bayern – VHB Bayern bzw. VHL Bayern) zur „Eigenerklärung“ (Formblatt 124 im VHB, Formblatt L 124 im VHL) decken die aktuelle Rechtslage ab. Hier ist vom Bieter generell zu bestätigen, dass in den letzten zwei Jahren keine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften, der zu einem Eintrag im Gewerbezentralregister geführt hat, verhängt worden ist.

Anpassung von Verträgen

Für den öffentlichen Auftraggeber besteht keine Verpflichtung, aus eigener Initiative eine Anpassung von längerfristigen Verträgen, die vor Inkrafttreten des Arbeitnehmerentsendegesetzes oder des Mindestlohngesetzes abgeschlossen wurden, zu überprüfen. Fordert dagegen der Auftragnehmer eine Vertragsanpassung mit dem Argument, die Kosten seien wegen der Einhaltung des Mindestlohns gestiegen, ist dies zunächst zivilrechtlich anhand der konkreten Verträge zu prüfen. Die anschließende vergaberechtliche Prüfung, ob ein neues Ausschreibungsverfahren erforderlich ist, orientiert sich im Einzelfall insbesondere an der Frage, ob eine wesentliche Änderung des ursprünglichen Vertrags vorliegt (siehe hierzu EuGH, Urt. v. 19.06.2008, C-454/06, «pressetext»). Auf jeden Fall ist eine «Nachtragsvereinbarung» erforderlich.

Haftung des Unternehmers

Nach § 13 MiLoG, § 14 AEntG haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers und seiner Nachunternehmer zur Zahlung des Mindestentgelts. Das BMAS vertritt dazu die Rechtsauffassung, dass diese Haftungsregelung nur dann gilt, wenn sich der Auftraggeber selbst vertraglich dazu verpflichtet, eine bestimmte Dienst- oder Werkleistung zu erbringen und diese nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigt, sondern sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung eines Subunternehmers bedient. Wenn dagegen die öffentliche Hand eine Werk- oder Dienstleistung bestellt, die sie selbst in Anspruch nimmt, ist sie danach von der Auftraggeberhaftung nicht betroffen. (Dies ergibt sich nach Auffassung des BMAS aus der einschränkenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zum Unternehmerbegriff des § 14 AEntG.)

Kritische Grenze für den Kalkulationsaufschlag auf den Stundenlohn

Unabhängig von den Vorgaben des AEntG und des MiLoG ist der öffentliche Auftraggeber für die Prüfung der Auskömmlichkeit und der Plausibilität des Angebots verantwortlich. Für die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsbedingungen nach dem AEntG vertritt die Zollverwaltung die Auffassung, dass ein Kalkulationsaufschlag unter 70 % auf einen Stundenlohn für «lohngebundene Kosten» als «kritische Grenze» zu sehen ist. Dieser Satz ergibt sich aus dem Mindestlohn, Sozialöhnen (Urlaubsentgelt, Lohnfortzahlung usw.) und den zu entrichtenden Sozialversicherungsabgaben.

 

Hans Schaller

Gelernter Kommunalbeamter, u. a. Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung, Industrieansiedlung und Recht einer Kommunalverwaltung, viele Jahre Prüfer im kommunalen und staatlichen Bereich, u. a. für Vergaben und Zuwendungen Lehrbeauftragter an den Hochschulen Hof und Osnabrück.
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