15.07.2014

Zum Umgang mit Online-Petitionen

Ergebnisse müssen realistisch interpretiert und eingeordnet werden

Zum Umgang mit Online-Petitionen

Ergebnisse müssen realistisch interpretiert und eingeordnet werden

Elektronische Beteiligungsformen müssen als Puzzle-Teil im demokratischen Gefüge kritisch betrachtet werden. | © Brian Jackson - Fotolia
Elektronische Beteiligungsformen müssen als Puzzle-Teil im demokratischen Gefüge kritisch betrachtet werden. | © Brian Jackson - Fotolia

Seit mehreren Jahren spielen Online-Petitionen eine immer größere Rolle. Mit der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, der Einrichtung der ePetition im Deutschen Bundestag und dem Aufkommen von Online-Aktionsportalen wie OpenPetition und Campact! entwickeln sich Online-Petitionen zumindest gefühlt zum Standardwerkzeug der politischen Partizipation. Richtig ist sicherlich, dass das klassische Instrument der Unterschriftensammlung eine notwendige Modernisierung erfährt. Aber lässt sich dabei eine neue Qualität erkennen? Was unterscheidet Online-Petitionen von klassischen (Straßen-)Unterschriftensammlungen vor allem hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Politik? Muss die Politik auf diese Formen anders reagieren als früher? Und wie bettet sich diese Form der Beteiligung in die Welt der Online-Partizipation und der direkten Demokratie ein?

Modernisierung der klassischen Unterschriftenliste

Unterschriftensammlungen in all ihren Formen sind in der deutschen Demokratie ein etabliertes Instrument. Sie sind ein Standardwerkzeug von Bürgerinitiativen und Verbänden. Mittlerweile sind die Sammlungen aber nicht nur zur Bestärkung des eigenen Anliegens gegenüber der Politik gedacht. Mindestens im gleichen Maße dient eine Unterschriftensammlung der Eigenmobilisierung und als Fundraising-Maßnahme.

Seit der Etablierung des Internet erfährt die Unterschriftensammlung und die Massenpetition eine unausweichliche Modernisierung. Die digitale Unterschriftensammlung hat viele Vorzüge. Sie ist billiger und unkomplizierter. Sie lässt sich mit geringem technischem Aufwand auch auf der eigenen Webseite realisieren. Durch soziale Medien, wie Twitter und Facebook, werden die Inhalte in die Online-Welt getragen. Wird das Anliegen weiter gehend rezipiert, springt es in die allgemeine (Print- und TV-)Öffentlichkeit. Dies geschieht meist nicht ohne Anstrengung seitens des Initiators einer Unterschriftenkampagne. Nicht umsonst kombiniert beispielsweise Campact! eine Online-Aktion mit tatsächlichen Demonstrationen, um der Forderung mehr Aufmerksamkeit zu geben.


Die reine Online-Unterschriftensammlung hat aber auch Nachteile. Sie beschränkt sich auf einen konkreten Personen- und Nutzerkreis – in erster Linie natürlich auf internetaffine Menschen. Sie ist unpersönlicher und verringert den Kontakt zwischen Initiator und den Unterstützerinnen und Unterstützern. Bei einer Unterschriftensammlung auf der Straße begegnen die Sammlerinnen und Sammler nicht nur denjenigen, die ein Anliegen unterstützen, sondern auch denen, die es nicht tun.

Der Online-Sammlung fehlen damit zwei Funktionen, die die Straßensammlung aufweist: Zum einen können diejenigen angesprochen werden, die dem Anliegen noch ablehnend oder unschlüssig gegenüberstehen. Bei diesen Personenkreisen um Unterstützung zu werben, lohnt sich einmal mehr und einmal weniger, aber zumindest ist es möglich. Im Internet erreicht man diese Personengruppen tendenziell weniger bis überhaupt nicht: Die Nutzerin/der Nutzer im Internet hat eine höchst selektive Wahrnehmung, die durch die Algorithmen von Google, Facebook und Twitter noch verstärkt wird. Ebenso fehlt der Online-Sammlung eine breite Rückmeldung über das Anliegen selbst. Die Initiatoren werden kaum und spät mit denen konfrontiert, die das Anliegen ablehnen. Grundsätzlich erscheint es sowohl aus einer normativ-demokratietheoretischen wie auch aus einer akteursorientierten Sicht sinnvoll, eine Unterschriftensammlung auf der Straße und online durchzuführen.

Modernisierung bereits institutionalisierter Formen der Beteiligung

Mit der Schaffung der ePetition im Bundestag und der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) nehmen sich auch politische Institutionen der technischen Entwicklung an. Erstmals können klassische und institutionalisierte Formen der Beteiligung online unterstützt werden. Es ist damit zu rechnen, dass diese Entwicklung auch bei Bürgerbegehren und Volksbegehren Einzug hält. Diese Formen der Beteiligung setzen allerdings voraus, dass der oder die Unterzeichnende auch tatsächlich existiert. Nicht umsonst werden die Unterzeichnenden mit dem Einwohner- bzw. Wählerverzeichnis abgeglichen. Bei der Online-Petition wie bei der klassischen Unterschriftensammlung kann nicht verhindert werden, dass ein und dieselbe Person mit verschiedenen Namen mehrfach unterschreibt. In einem geringen Ausmaß sind Mehrfacheintragungen nicht weiter schlimm, da sich aus der informellen Unterschriftensammlung kein unmittelbares Recht ableitet. Bei der EBI und der ePetition des Bundestages sowie bei Einwohneranträgen und Volksbegehren stellt sich dies jedoch anders dar. Hier werden konstitutionell oder gesetzlich geregelte Rechte ausgeübt, die in der Regel daran gebunden sind, ob die Unterzeichnenden tatsächlich existieren und zeichnungsberechtigt sind. Mit den Instrumenten sind Rechte verbunden, von der Anhörung bis hin zum Ansetzen einer Volksabstimmung, und haben damit mehr als einen appellativen Charakter.

Wirkung auf Politik

Es wäre natürlich zu kurz gegriffen, die Wirkung von und den Umgang mit einer bestimmten Form der Partizipation von ihrem Grad der Institutionalisierung abhängig zu machen. Es wäre aber sicherlich auch falsch, den Institutionalisierungsgrad unberücksichtigt zu lassen. Auch innerhalb einer Form der Beteiligung können ganz unterschiedliche Wirkungen auftreten. Zum Beispiel sind die meisten öffentlichen Petitionen im Deutschen Bundestag medial nicht sichtbar. Zu behaupten, nur diejenigen seien auch „erfolgreich“, die herausstechen, lässt unberücksichtigt, dass auch Einzelpetitionen inhaltlich erfolgreich sein können.

Es gilt somit für alle Beteiligungsverfahren, dass die reine Quantität der Unterstützung nicht ausschlaggebend ist und sein kann. Es befremdet, wenn ein Aufruf, der 20.000 oder 200.000 Unterschriften erreicht hat, quasi als Volkes Stimme ausgelegt und ein Anspruch abgeleitet wird, das geforderte Anliegen umzusetzen. Gerade die möglichen Mängel der Online-Beteiligung – vor allem die Mehrfacheintragungen – stellen eine solche Auslegung massiv in Frage. Vor allem kann man sich aber nicht sicher sein, dass das Anliegen jenseits der im Internet Mobilisierten tatsächlich mehrheitsfähig ist. Dafür ist das inhaltliche und politische Setting auch meist viel komplexer.

Eine Ausnahme stellen direktdemokratische Instrumente dar, wo die Höhe der Unterstützung maßgeblich ist für den erfolgreichen Abschluss. Aber selbst ein erfolgreiches Bürger- oder Volksbegehren bedeutet nicht, dass die gesamte Wählerschaft dem formulierten Anliegen auch zustimmt. Unterschriftensammlungen, Online-Petitionen und Bürger-/Volksbegehren bringen also lediglich zum Ausdruck, dass ein Teil der Bevölkerung ein Anliegen unterstützt. Weitergehende Interpretationen sind nicht angebracht. Nur bei der Volksabstimmung und beim Bürgerentscheid gilt das Mehrheitsvotum und nur hier kann man von einer konkreten Verbindlichkeit ausgehen. Gleichzeitig zeigt das Beispiel Schweiz, dass selbst vom Volk abgelehnte Initiativen einen Widerhall in der Politik finden können. Sei es, dass nachfolgende Gesetzesvorlagen dem ursprünglichen Anliegen nahekommen oder die Politik die Stimmungslagen zukünftig stärker berücksichtigt.

Nicht Quantität zählt, sondern Qualität

Während in unserer Demokratie die Entscheidungsregel auf das Mehrheitsprinzip zuläuft, ist es generell die Stärke von partizipativen Verfahren, auch Minderheitenmeinungen zu berücksichtigen: Sie kommen nicht nur zu Wort, sondern haben über den Beteiligungsdiskurs die Möglichkeit, Einfluss auf Inhalte und Umsetzungen zu erlangen. Was oben schon anklang – nicht die Quantität ist entscheidend, sondern die Qualität –, bleibt in der Debatte um Beteiligungsverfahren aber oftmals unberücksichtigt. Ein Bürgerhaushalt ist demnach (vermeintlich) erfolgreich, wenn viele Vorschläge eingehen und diese von möglichst vielen bewertet werden. Die Debatte verkürzt sich somit auf rein mengenmäßige Unterstützung und nicht auf die inhaltliche Qualität des Verfahrens und seiner Ergebnisse. Deutlich wird dies, wenn man weiß, dass mehr Beiträge zu einem politischen Vorschlag nicht mehr Vielfalt der Meinungen generieren. Faktisch können 50 Diskussionsbeiträge zu einem Thema genauso viele Aspekte beinhalten wie 500 oder 5000.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass eine Fixierung auf möglichst hohe Unterstützungszahlen weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft ein Garant dafür waren oder sein werden, dass ein Anliegen sich durchsetzt. Dies gilt für informelle genauso wie für institutionalisierte Verfahren. Gerade die elektronischen Formen der Beteiligung haben neben ihren Vorteilen auch immanente und strukturelle Nachteile, die vor allem in der öffentlichen Debatte kritisch berücksichtigt werden müssen.

 

Fabian Reidinger

Mitarbeiter in der Stabsstelle der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Gisela Erler im Staatsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart
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