15.07.2014

Ein EuGH-Urteil macht Furore

Google und das ‚Recht auf Vergessenwerden’

Ein EuGH-Urteil macht Furore

Google und das ‚Recht auf Vergessenwerden’

Mit seiner Google-Entscheidung löste der EuGH ein mittleres Erdbeben aus. | © nmann77 - Fotolia
Mit seiner Google-Entscheidung löste der EuGH ein mittleres Erdbeben aus. | © nmann77 - Fotolia

Am 13. 05. 2014 veröffentlichte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Pressemitteilung Nr. 70/74 in der Rechtssache C-131/12 (Google Spain SL, Google Inc. / AEPD, Mario Costeja Gonzalez) und löste dabei ein mittleres Erdbeben aus.

Die Sachlage

Die Pressemitteilung des EuGH machte mit der Überschrift auf, dass Betreiber von Suchmaschinen bei personenbezogenen Daten, die auf von Dritten veröffentlichten Internetseiten erscheinen, für die von ihnen vorgenommenen Verarbeitungen verantwortlich seien. Daher könnten sich Personen mit berechtigten Löschungswünschen indexierter Links unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber wenden, um die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste zu erwirken.

Die Medien griffen das Urteil flächendeckend auf und titelten in ihrer Mehrzahl, dass EU-Bürger ab sofort ein ‚Recht auf Vergessenwerden’ im Internet hätten. Das Urteil des EuGH stärke die Verbraucherrechte gegenüber den mächtigen ‚Datenkraken’ wie Google und Facebook, schaffe ein richterrechtlich entwickeltes ‚Recht auf Vergessenwerden’, noch bevor die neue EU-Datenschutzgrundverordnung eine entsprechende Regelung verbindlich anordne, und zeige, dass der EuGH in wichtigen Entscheidungen auch überraschend vom gegensätzlichen Schlussantrag des Generalanwalts abweiche.


Ins Rollen gebracht hatte den Fall der Spanier Costeja Gonzalez, der im November 2009 von einem spanischen Zeitungsverleger verlangte, zwei Online-Bekanntmachungen über Immobilienversteigerungen wegen Sozialversicherungsschulden von Herrn Gonzalez aus dem Jahr 1998 zu löschen oder sonst dafür zu sorgen, dass Google-Suchen nach seinem Namen nicht mehr die beanstandeten Pfändungsverfahren aufriefen. Er begründete sein Begehren damit, dass er die Schulden beglichen habe und die Verfahren schon lange beendet seien. Das Auffinden der veralteten Pfändungsnachrichten bei Google-Suchen bringe ihm dagegen heute noch berufliche Nachteile.

Der Verleger lehnte eine Löschung der Daten ab, weil sie weder unrichtig noch verleumderisch seien und ihre Veröffentlichung auf Anordnung des spanischen Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung erfolgt sei.

Im Februar 2010 wandte sich der Betroffene an Google Spain mit einem entsprechenden Löschungsverlangen. Google Spain leitete das Begehren an Google Inc. in den USA weiter, da die Internet-Suchdienste von diesem Unternehmen erbracht würden.

Daraufhin legte Herr Gonzalez bei der spanischen Datenschutzagentur AEPD Beschwerde gegen den Zeitungsverleger und Google ein. Am 30. 07. 2010 gab die AEPD der Beschwerde gegen Google Spain und Google Inc. statt und wies diese an, die Daten aus ihrem Index zu löschen und Zugriffe unmöglich zu machen. Die Beschwerde gegen den Verleger hatte keinen Erfolg, weil die Veröffentlichungen nach spanischem Recht rechtens erfolgt seien.

Google Spain und Google Inc. erhoben gegen den Bescheid der AEPD jeweils Klage bei dem spanischen Nationalen Obergericht, Audencia Nacional, und begehrten die Aufhebung der Entscheidung der AEPD.

In einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vom 09. 03. 2012 legte das spanische Obergericht eine Reihe von Fragen vor, die im Wesentlichen den räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 1995 ‚Zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr’ und ihre Reichweite und den Wirkungsgrad betrafen.

Der Schlussantrag des Generalanwalts

In seinem Entscheidungsvorschlag vom 25. 06. 2013 hat Generalanwalt Jääskinen die Problemlage umfänglich rechtshistorisch, teleologisch und unter differenzierter Analyse der Internet-Datenerhebung, -verarbeitung und -weitergabe aufgearbeitet.

Er hat dabei drei Quellen identifiziert, bei denen der typische Gebrauch des Internets zu einer gesteigerten Schutzbedürftigkeit personenbezogener Daten und der Privatsphäre des Einzelnen führen könne. Dies seien Daten auf Quellenwebseiten, Suchergebnisse von Internetsuchmaschinen, die ihre Nutzer zu Quellenwebseiten führen und die automatisierte Weitergabe und Speicherung der IP-Adresse des Computers, von dem aus die Suche vorgenommen wird.

In allen identifizierten Bereichen komme es im Rahmen des technischen Fortschritts ständig zu neuen, noch nicht entschiedenen Fallkonstellationen, so z. B. im Vorlageverfahren Gonzalez, bei dem die Anwendung der Datenschutzrichtlinie auf die Google-Suchmaschine in Frage steht. Zu untersuchen seien sowohl der räumliche Anwendungsbereich der Datenschutzvorschriften für den Fall, dass das datenverarbeitende Unternehmen außerhalb der EU angesiedelt sei, die generelle Rechtsstellung des Internetsuchmaschinen-Diensteanbieters als Verantwortlicher für die Datenverarbeitung und das ‚Recht auf Vergessenwerden’, so dass betroffene Personen verlangen können, dass bestimmte Suchergebnisse nicht mehr über die Suchmaschine angezeigt werden.

Bei der rechtlichen Aufarbeitung der Vorlagefragen müsse in Betracht gezogen werden, dass seit dem Erlass der Richtlinie in Art. 16 AEUV und in Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bestimmungen über den Schutz personenbezogener Daten aufgenommen wurden. Auch müssten Funktion und Verantwortlichkeiten von Quellenwebseiteninhabern und Suchmaschinenbetreibern voneinander abgegrenzt und bei der Entscheidungsfindung die Rechtsfolgewirkungen beachtet werden.

Grundsätzlich geht der Generalanwalt in seinen Vorbemerkungen davon aus, dass angesichts der absehbaren raschen technischen Entwicklung die Datenschutzrichtlinie weite Anwendungsbereiche erhielt, um neue Phänomene datenschutzrechtlich integrieren zu können. Entsprechend weit gefasst seien die Definitionen der Schlüsselbegriffe ‚personenbezogene Daten’, ‚Verarbeitung’ und ‚für die Verarbeitung Verantwortlicher’. Gleichzeitig mahnt er an, bei der Auslegung der Anwendungsbereiche der Richtlinie ‚Vernunft’ walten zu lassen, um einer nahezu uferlosen Anwendung vorzubeugen. Damit stellte er klar, dass eine extensive Anwendung der Richtlinie besonderer Umstände des Einzelfalls bedürfe.

Er führt aus:

‚Im vorliegenden Fall muss daher ein richtiges, angemessenes und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechendes Gleichgewicht zwischen dem Schutz personenbezogener Daten, einer kohärenten Auslegung der Anliegen der Informationsgesellschaft und den berechtigten Interessen der Wirtschaftsteilnehmer und Internetnutzer in ihrer Gesamtheit gefunden werden.’

Die eher restriktive Problemannäherung des Generalanwaltes setzt sich in seiner Analyse der Funktion von Suchmaschinen fort. So stellt er klar, dass Suchmaschinen keine neuen, eigenständigen Inhalte erstellen, sondern Fremdinhalte verlinken, während die Quellenwebseitenurheber, die auf ihre Seiten personenbezogene Daten einstellen, diese Daten sowohl verarbeiten als auch die für die Verarbeitung Verantwortlichen im Sinne der Datenschutzrichtlinie sind. Für diskussionswürdig hält der Generalanwalt die Frage, inwieweit Suchmaschinenbetreiber, deren Instrumente zu einem optimierten Auffinden von digitalen Informationen führen, eine ‚sekundäre Verantwortlichkeit’ für die Verarbeitung personenbezogener Daten haben.

Er definiert das Vorabentscheidungsverfahren als rechtliche Auseinandersetzung mit der Tätigkeit von Google als reinem Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter in Bezug auf Daten, einschließlich personenbezogener Daten, die auf den Quellenwebseiten Dritter im Internet veröffentlicht sind und von der Google-Suchmaschine verarbeitet und indexiert werden.

Die erste Fragengruppe

Für die erste Fragengruppe des Vorabentscheidungsersuchens, nämlich den Fragen betreffend den räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie, kommt der Generalanwalt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Tatsache, dass Google USA und nicht Google Spain als verantwortlicher Datenverarbeiter auftritt, nicht dazu führen kann, dass durch diese geografische Anknüpfung die Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie ausgehebelt wird.

Nach Art. 4 I der Richtlinie sind Hauptanknüpfung für die räumliche Anwendbarkeit der nationalen Datenschutzbestimmungen die Verarbeitungen personenbezogener Daten, die im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt werden, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats besitzt oder auf deren Mittel er zurückgreift. Google Inc. hat für sein Geschäftsmodell eigens nationale Gesellschaften gegründet, die mit ihrer Präsenz auf den nationalen Werbemärkten und einer auf diese Märkte abgestimmten Schlüsselwörterwerbung den Betrieb der Suchmaschine und damit ihre datenverarbeitende Funktion erst möglich machen. Dass die technische Datenverarbeitung in einem Drittland erfolgt, kann die gemeinsame datenverarbeitende Tätigkeit nicht entkräften.

Die zweite Fragengruppe

Eine wesentlich differenziertere Position nimmt der Generalanwalt bezüglich des Kriteriums des ‚für die Verarbeitung Verantwortlichen’ ein. Während er das Argument von Google verwirft, Google verarbeite keine personenbezogenen Daten, weil sich die Suchmaschine nicht bewusst sei, welche Daten personenbezogen seien und welche nicht, nimmt er bei der Begriffsbestimmung derer, die für die Datenverarbeitung verantwortlich sind, über den Wortlaut hinweg eine Abschichtung nach Entscheidungsparametern vor. Danach sei der Verantwortungsbegriff ein funktionelles Konzept, das für denjenigen gelten soll‚der über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet’.

Ein Suchmaschinenbetreiber übe mit seinem passiven Vermittlungsinstrument zur Lokalisierung von Fremdinformationen gerade keine Kontrolle über die auf Webseiten Dritter vorhandenen personenbezogenen Daten aus. Diese Auslegung des Begriffes der ‚Verantwortlichkeit‚ werde auch von Erwägungsgrund 47 der Richtlinie gestützt, wo es heißt, dass bei einer Nachricht, die personenbezogene Daten enthält und die über Telekommunikationsdienste oder elektronische Post übermittelt wird, die Person, von der die Nachricht stammt, und nicht die Person, die den Übermittlungsdienst anbietet, als Verantwortlicher für die Verarbeitung der Daten gilt. Jede gegenteilige Auffassung führe auch zu Pflichtenkatalogen der Suchmaschinenbetreiber als für den Inhalt verantwortliche Datenverarbeiter, die diese gar nicht erfüllen könnten, weil ihnen die Einflussnahmemöglichkeit fehlt, da diese beim Webseitenbetreiber liegt.

Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sich Suchmaschinenbetreiber über Sperrvermerke und ‚exclusion codes’ hinwegsetzen, die gerade verhindern sollen, dass Webseiten mit bestimmten Schlüsselwörtern aufgerufen werden oder wenn die Betreiber einer Aufforderung eines Webseiteninhabers nicht nachkommen, den Cache zu aktualisieren, und damit nicht mehr gewollte Inhalte weiterhin angezeigt werden. Ähnliches gilt auch bei Verlinkungen zu Webseiten mit illegalen, kriminellen oder grob anstößigen Inhalten nach jeweils nationalen Rechten.

In der Gesamtbetrachtung kommt der Generalanwalt somit zu dem Schluss, die Suchmaschinenbetreiber nicht als ‚für die Datenverarbeitung Verantwortliche’ im Sinne von Art. 2 d der Richtlinie anzusehen.

Die dritte Fragengruppe

Von großer praktischer Bedeutung ist auch die Frage, ob aus Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Buchst. a der Richtlinie hergeleitet werden kann, dass es ein ‚Recht auf Vergessenwerden’ gibt, auch wenn es sich um Daten handelt, die von Dritten rechtmäßig veröffentlicht wurden.

Die Richtlinie nimmt hier zum einen Bezug auf Daten, die beispielsweise unvollständig oder unrichtig sind, zum anderen auf überwiegende, schutzwürdige, sich aus ihrer besonderen Situation ergebende Gründe von Betroffenen, die eine Sperrung oder Löschung begründen könnten. Die diversen, von der Richtlinie nicht abschließend vorgegebenen Abwägungsgesichtspunkte legen nahe, dass ein absolutes Recht auf Vergessenwerden nicht existiert und dass eine subjektive Beschwer eines Betroffenen kein ausreichender Grund für ein Löschungsverlangen sein kann.

Die in Rede stehenden Grundrechte der Grundrechtecharta, namentlich das Recht auf Achtung der Privatsphäre und der Schutz der personenbezogenen Daten, Artt. 7 und 8 der Charta, schützen vor Eingriffen, die nicht auf Gesetz beruhen und nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgen. Demgegenüber können sich Internetnutzer auf Art. 11 I der Charta berufen, der eine weitgehende Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit postuliert. Webseiten- und Suchmaschinenbetreiber machen die garantierte Informationsfreiheit zu einem erlaubten Geschäftsmodell und zum Kern ihres Unternehmertums. Auch die Informationsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet. Nur in einem komplexen Abwägungsprozess im jeweiligen Einzelfall könnten die widerstreitenden Interessen sachgerecht gegeneinander abgewogen werden, um ein fallbezogenes Löschungsrecht durchzusetzen.

Interessant ist, dass der Generalanwalt in seiner Rechtsfolgenabwägung zu dem Schluss kommt, dass sich derartige Einzelfallabwägungen kontraproduktiv auswirken könnten.

Er argumentiert:

‚Ich möchte dem Gerichtshof auch abraten, in seinem Urteil zu dem Ergebnis zu gelangen, dass diese einander widerstreitenden Interessen im jeweiligen Einzelfall auf zufriedenstellende Weise in ein Gleichgewicht gebracht werden können und dass die Entscheidung dem Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter überlassen bleibt. Derartige Verfahren zur Meldung und Entfernung, sollte der Gerichtshof sie vorschreiben, werden wahrscheinlich entweder zu einer automatischen Löschung von Links zu beanstandeten Inhalten oder zu einer von den beliebtesten und wichtigsten Internetsuchmaschinen-Diensteanbietern nicht zu bewältigenden Anzahl von entsprechenden Anträgen führen… Es käme zu einem Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung des Webseitenurhebers, der in einem solchen Fall ohne angemessenen Rechtsschutz bliebe, da ein ungeregeltes Verfahren zur Meldung und Entfernung eine privatrechtliche Angelegenheit zwischen der betroffenen Person und dem Suchmaschinen-Diensteanbieter wäre.’

Aus allen genannten Gründen kommt der Generalanwalt zu dem Schluss, dass sich aus der Datenschutzrichtlinie kein Recht auf Vergessenwerden herleiten lässt.

Das Urteil des EuGH

Die Große Kammer des EuGH hat am 13. 05. 2014 auf eine äußerst pragmatische, beinahe lakonische Weise entschieden, dass Betreiber von Suchmaschinen im Sinne der Datenschutzrichtlinie eine Verarbeitung personenbezogener Daten praktizieren und als für diese Verarbeitung Verantwortliche anzusehen sind, wobei jede zielgerichtet verkaufsfördende Tätigkeit einer EU-ansässigen Niederlassung ausreicht, um diese als Datenverarbeiter im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren. Bei Erfüllung der Voraussetzungen müsse ein Suchmaschinenbetreiber Links zu Drittseiten löschen oder sperren, auch wenn diese Webseiten noch weiter existieren und deren Inhalte rechtmäßig veröffentlicht wurden. Es müssen dabei in einem Abwägungsprozess die geschäftlichen Interessen der Suchmaschinenbetreiber und der Öffentlichkeit auf Information gegen die grundrechtlich geschützten Interessen des Betroffenen auf Vergessenwerden im Einzelfall gegeneinander gewichtet werden.

Interessanterweise lässt das Urteil des EuGH an keiner Stelle erkennen, dass sich das Gericht vertieft mit den Ausführungen des Generalanwalts auseinandergesetzt hat. Die teleologischen, grammatikalischen und rechtshistorischen Analysen bleiben ebenso unberücksichtigt wie die Ausführungen des Generalanwalts zu den Rechtsfolgewirkungen, sollte ein Urteil gefällt werden, wie es gefällt wurde.

Die Vorlagefragen bearbeitet der EuGH weniger juristisch überzeugend als ergebnisorientiert so, als ob das ‚Recht auf Vergessenwerden’, wie in der umstrittenen EU-Datenschutzgrundverordnung verankert, schon Rechtswirklichkeit geworden und bereits in der Datenschutzrichtlinie angelegt sei.

Entsprechend knapp und klar fallen die Stellungnahmen zu den Vorlagefragen aus. Unter Verweis auf das Lindqvist-Urteil (C-101/01) wird bestätigt, dass jeder Vorgang, der darin besteht, personenbezogene Daten auf eine Internetseite zu stellen, als eine Verarbeitung im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46 anzusehen ist. Das gelte auch, wenn nur Informationen verlinkt würden, die bereits von Drittseite veröffentlicht wurden, da sonst der Schutzbereich der Richtlinie weitgehend leerlaufen würde.

Zur Frage, ob der Suchmaschinenbetreiber als ‚für die Verarbeitung Verantwortlicher’ (Art. 2 Buchst. d der Richtlinie) anzusehen sei, verweist der EuGH auf den klaren Wortlaut der Regelung und die Tatsache, dass Suchmaschinen maßgeblich für die weltweite Verbreitung personenbezogener Daten sorgen. Organisation und Aggregation der Suchmaschinenalgorithmen führten zudem zu einem strukturierten Überblick über die gesuchten personenbezogenen Informationen und damit für eine neue Qualität des Datenmaterials, unabhängig von den verlinkten Webseiten. Diese eigene Kompilierungsqualität unternehme der Suchmaschinenbetreiber ‚alleine oder gemeinsam mit anderen’. Dass Webseiteninhaber die Verlinkung mit Sperrvermerken verhindern könnten, ändere an der Einstufung des Suchmaschinenbetreibers als ‚für die Verarbeitung Verantwortlichem’ nichts.

Google Spain habe den Auftrag, für den Bereich Spanien die Förderung, Erleichterung und Durchführung des Verkaufs von Produkten und Diensten der Onlinewerbung an Dritte und das entsprechende Marketing zu betreiben, während die technische Datenverarbeitung von Google Inc, USA geleistet werde. Der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie setze zur Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie voraus, dass ‚eine Niederlassung….die effektive und tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung (im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats) besteht’. Die Erwägungsgründe 18 bis 20 und Art. 4 der Richtlinie sollen laut EuGH den Datenschutz garantieren und Umgehungen vorbeugen, wie sie z. B. bei einer künstlich wirkenden Aufsplittung des Geschäftsmodells in eine technische Datenverarbeitung außerhalb des Hoheitsgebiets der EU und einen Marketingstandort innerhalb der EU vorgenommen wird. Beide Geschäftsteile seien untrennbar miteinander verbunden, so dass auch die Werbetätigkeit von Google Spain als Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutzrichtlinie zu qualifizieren sei. Der EuGH wendet hier ähnliche Argumente an, wie sie der deutsche Gesetzgeber bei sogenannten ‚verbundenen Geschäften’ im BGB verankert hat.

Bei den Vorlagefragen zum Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers betont der EuGH das hohe Niveau des Grundrechtsschutzes, wie in Art. 7 und Art. 8 der Grundrechtecharta und Erwägungsgründen 10 und 25 der Richtlinie vorgegeben und durch den Gerichtshof zu sichern.

Der exemplarische und nicht abschießende Charakter der von Betroffenen einforderbaren Maßnahmen des Art. 12 Buchst. b der Richtlinie, wenn Datenverarbeitungen nicht den Richtlinienbestimmungen entsprechen (Berichtigung, Löschung, Sperrung etc.), mache deutlich, dass potenziell auch Fälle erfasst sein könnten, bei denen es um veraltete Daten gehe, die länger als für die Realisierung der Zwecke, für die sie erhoben oder weiterverarbeitet werden, verlinkt und aufgefunden würden. Suchmaschinenbetreiber kämen demnach nicht um eine Einzelfallabwägung der jeweiligen einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen der Beteiligten herum und dürften auch nicht die Verantwortlichkeit auf die Webseitenbetreiber abwälzen. Ein ‚Recht auf Vergessenwerden’ könne sich demnach aus einer Gemengelage widerstreitender Interessen unterschiedlichen Ranges ergeben. Zu den objektiv abzuwägenden Kriterien gehörten die erwähnten grundrechtlichen Positionen, gemeinschaftsrechtliche Grundsätze, nationale Rechte und die mehr oder weniger prominente Rolle der betreffenden Personen im öffentlichen Leben, um im Einzelfall überwiegende Interessen der einen oder anderen Position zu begründen.

An genau dieser Stelle bricht das Urteil seine Erwägungen ab und verzichtet auf eine Rechtsfolgenanalyse, die der Generalanwalt noch zu einem zentralen Punkt seines Entscheidungsvorschlags gemacht hat.

Fazit

Das Urteil des EuGH hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Es folgt mit seinen juristischen Ausführungen einem politischen Trend, der die Marktmacht von ‚Datenkraken’ zugunsten von Verbraucherrechten begrenzen soll, ohne Praktikabilitätserwägungen anzustellen. Natürlich kann man argumentieren, dass solche Erwägungen in den außerrechtlichen Bereich gehören und nach dem Gesetzgeber rufen, dem es primär obliegt, nachzubessern, wenn die Rechtsanwendung zu schier unüberwindlichen Problemen führt. Es wäre sicher besser gewesen, wenn sich der EuGH auch dezidiert mit der Rechtsfolgenseite auseinandergesetzt hätte.

Schon jetzt haben wir als unmittelbare Reaktion auf das Urteil tausende Löschungsansprüche, die bei Google eingegangen sind. Sie dürften erst der Anfang einer Lawine sein, die Google, Facebook und Co. bevorstehen. Die Gegenreaktion wird nicht auf sich warten lassen. Unter Berufung auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung der Informationen werden Webseitenbetreiber, Blogs, Verleger und Informationsbroker von den Suchmaschinenbetreibern verlangen, Informationen weiter zu verlinken und sichtbar zu machen, falls Google und Co. wegen der unbewältigbaren Flut von Löschungsanträgen jedem Antrag auf Löschung ohne detailliert juristische Abwägung stattgeben. Sie werden argumentieren, dass dem ‚Recht auf Vergessenwerden’ ein ebenso schwergewichtiges ‚Recht auf Gefundenwerden’ gegenübersteht, zumal die ehemals verlinkten Webseiteninhalte bestehen bleiben. In der Gemengelage von Abwägungskriterien wird der Weiterbestand von Vertrags- und Geschäftsmodellen und der Vielfalt von Informationsquellen in Frage gestellt.

All dies hätte nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.

Der EuGH wusste dies vor seiner Urteilsfindung und hat sich dafür entschieden, dem ausgewogenen und praxisnahen Votum des Generalanwalts nicht zu folgen. Google hat sich Bedenkzeit ausgebeten und wird sicher den pragmatischsten und kostengünstigsten Weg gehen. Nur eines werden Google und Co. ganz sicher nicht tun: sie werden nicht mit einer Heerschar von Juristen in jedem Einzelfall die widerstreitenden Interessen der Betroffenen an der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Informationen auf eigene Kosten ausbalancieren. Diese Vorstellung ist lebensfremd. Damit wird schon jetzt der Kern des EuGH-Urteils ad absurdum geführt.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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