15.07.2014

Stadtteilarbeit – ein Erfolgskonzept

Stadt Kempten (Allgäu): Soziale Stadt Thingers-Nord (1999 – 2010)

Stadtteilarbeit – ein Erfolgskonzept

Stadt Kempten (Allgäu): Soziale Stadt Thingers-Nord (1999 – 2010)

Durch gemeinsame Projekte konnten nachhaltige Prozesse im Stadtteil angestoßen werden. | © M.studio - Fotolia
Durch gemeinsame Projekte konnten nachhaltige Prozesse im Stadtteil angestoßen werden. | © M.studio - Fotolia

Elf Jahre Soziale Stadt Thingers-Nord sind eine Erfolgsgeschichte! In den Jahren zwischen 1999 und 2010 konnte die Stadt Kempten (Allgäu) mit dem Projekt „Soziale Stadt“ im Stadtteil Thingers-Nord viel bewegen. Mit einer Vielzahl an Maßnahmen ist es gelungen, die Wohn- und Lebensbedingungen erheblich zu verbessern. Dies wird zum einen an den zahlreichen baulichen Veränderungen im Stadtteil sichtbar, zum anderen aber vor allem auch am neuen Miteinander der Bewohnerinnen und Bewohner.

Was einst ein sozialer Brennpunkt war, ist jetzt ein Quartier mit hoher Lebens- und Wohnqualität.

Bund-Länder-Programm als Starthilfe

Die Möglichkeit zur Verbesserung der bestehenden Verhältnisse bot sich mit Hilfe des 1999 neu aufgelegten Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“. Mit Hilfe des Programms sollen Gebiete mit besonderen sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Problemen – wie z. B. hohe Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Probleme, Defizite bei der Integration ausländischer Mitbürger, Vernachlässigung von Gebäuden und öffentlichen Räumen und Vandalismus – gezielt unterstützt werden.


Eines der Kernziele des Programms Soziale Stadt ist es, die Lebenssituation der betroffenen Menschen in benachteiligten Stadtteilen durch eine aktive und integrativ wirkende Stadtentwicklungspolitik nachhaltig zu verbessern.

Das neue Programm „Soziale Stadt“ erschien wie geschaffen für die Ende der 1990er Jahre immer stärker hervortretenden Probleme im Bereich Thingers-Nord. Der Stadtteil Thingers-Nord im Nordwesten der Stadt gelegen, umfasst ca. 5.000 Einwohner und weist in Teilbereichen einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund auf. Thingers-Nord zeigt sich als eine typische Wohnblocksiedlung aus den 1960er Jahren mit Zeilenbebauung und Punkthochhäusern, die sich im Besitz der kommunalen Wohnbaugesellschaft „Sozialbau Kempten GmbH“ befinden. Soziales Konfliktpotential entstand durch die Belegung der Wohnungen, die der Sozialbindung unterlagen, was zu einer Überbelegung mit sozial schwachen Personen aus dem „Zuwandererbereich“ führte. Zunächst zogen vorwiegend Bürger türkischer Abstammung, später dann schwerpunktmäßig Aussiedler nach Thingers-Nord. Die unausgewogenen Sozialstrukturen im Quartier führten zu Problemen. Ein „gewachsenes“ Miteinander gab es nicht. Schlagzeilen in den Medien sprachen stattdessen von „sozialen Ghettos“ und „Konflikten“ zwischen deutschen, türkischen Mitbewohnern und Aussiedlern, die Zahl der Straftaten stieg. „Thingers – unterschwellig `gärt´s` im ganzen Viertel“ lautete gar eine Überschrift in der Allgäuer Zeitung vom 29. 01. 1998.

Integriertes Handlungskonzept

Vor diesem Hintergrund hat sich die Stadt Kempten (Allgäu) im Jahr 1999 um die Aufnahme des Stadtteils Thingers-Nord in das neue Städtebauförderprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“ beworben. Nach der offiziellen Aufnahme in dieses Programm im Jahr 2000 hat der Stadtrat der Stadt Kempten (Allgäu) auf der Grundlage von Vorbereitenden Untersuchungen für Thingers-Nord ein integriertes Handlungskonzept mit vielfältigen baulichen und sozialintegrativen Maßnahmen zur Aufwertung des Stadtteils beschlossen.

Als wesentliche Ziele für den Stadtteil wurden definiert:

  • deutliche Aufwertung des Stadtteils
  • Entwicklung einer sozialverträglichen Bevölkerungsstruktur
  • maßgeschneiderte Angebote für Familien, Kinder, Jugendliche und Senioren
  • Verbesserung des Wohnumfeldes mit Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen
  • deutliche Verbesserung der Infrastruktur

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Organisation des Erneuerungsprozesses in Thingers-Nord (Stand: 25.09.2001).

Verbesserung der Lebensbedingungen

Im Vordergrund stand zunächst die Einrichtung eines Quartiersmanagements mit einem zentral im Quartier gelegenen Stadtteilbüro. Das Stadtteilbüro ist Servicestation im Quartier und wichtiges Bindeglied zwischen Verwaltung und Bevölkerung. Das Quartiersmanagement ist Ansprechpartner im Stadtteil, vernetzt die Akteure im Stadtteil, aktiviert und motiviert die Bevölkerung, unterstützt einzelne Projekte und trägt zur konzeptionellen Weiterentwicklung des Projektes bei.

Im Projektzeitraum von 1999 bis 2010 konnten umfangreiche Projekte und Aktivitäten im Stadtteil initiiert und umgesetzt werden, die zur baulichen und infrastrukturellen Aufwertung und damit zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Quartier geführt haben. Bei den baulichen Maßnahmen standen die Erweiterung der Freizeitangebote im Stadtteil, die Gebäudemodernisierung und die Wohnumfeldgestaltung im Vordergrund. Aber auch die Neugestaltung des Ortsmittelpunktes und die Einrichtung eines Bürgertreffs haben maßgeblich zu einer Aufwertung des Quartiers geführt.

Sozialintegrative Projekte im Quartier

Neben den baulichen Maßnahmen hat die Stadt Kempten (Allgäu) ein Hauptaugenmerk auf die sozialintegrativen Projekte im Quartier gelegt. Diese haben wesentlich dazu beigetragen, das soziale und wirtschaftliche Klima in Thingers-Nord dauerhaft positiv zu verändern. Vom Aufbau einer Stadtteilzeitung, über die Gründung einer Theatergruppe und des Vereins IKARUS Thingers e. V. bis zu sozial- und jugendpädagogischen Maßnahmen, Projekten zur Sprachförderung oder beschäftigungsfördernde Initiativen (LOS-Projekte – Lokales Kapital für soziale Zwecke) konnten hiermit nachhaltige Prozesse und Initiativen im Stadtteil angestoßen werden.

Herausragend im Projekt Soziale Stadt Thingers-Nord war das hohe Engagement und die zielführende Zusammenarbeit aller Beteiligter – vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, der Regierung von Schwaben und der Stadt Kempten (Allgäu) über die Sozialbau Kempten GmbH, verschiedene Gruppierungen und Organisationen bis hin zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils. Hohe Anerkennung verdient dabei auch der Arbeitskreis Stadtteilentwicklung Thingers, der sich bereits seit Mitte der 1990er Jahre für den Stadtteil eingesetzt hat. Ohne die vielen Mitwirkenden aus Verwaltung, Politik, Sozialen Trägern, Bildungseinrichtungen, Vereinen und Bürgern hätte das Projekt nicht so erfolgreich durchgeführt werden können.

Ein „verlorener Stadtteil“ wird integriert

Der Stadt Kempten (Allgäu) ist es gelungen, mit dem Projekt Soziale Stadt Thingers-Nord ein Beispiel gebendes Projekt für soziale Stadtteilentwicklung anzustoßen. Die kontinuierliche, fachübergreifende Aufbauarbeit führte dazu, dass ein „verlorener Stadtteil“ wieder integriert werden konnte. Als besonders wichtig werden hierbei das Stadtteilbüro als Kern der sozialen Stadtteilentwicklung angesehen, das auch als Bürgertreffpunkt fungiert und identifikationsstiftend und -fördernd wirkt und die baulichen und städtebaulichen Maßnahmen erachtet, die zu einer Aufwertung beim Wohnen und im Wohnumfeld führten. Hervorzuheben sind hier die Umgestaltung der Ortsmitte und des Thingers-Treffs, die Aufwertung der Eingangsbereiche der Geschosswohnungsbauten, Bürgerpark und Sandrasenplatz.

Im Rahmen der Projektlaufzeit von 1999 bis 2010 wurden im Quartier über 100 Projekte realisiert und dabei Gesamtinvestitionen in Höhe von 11,0 Mio. Euro getätigt, davon 2,4 Mio. Euro über den städtischen Haushalt, 2,2 Mio. Euro Förderung im Rahmen der Städtebauförderung, 0,4 Mio. Euro Förderung „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ und 6,0 Mio. Euro Investitionen der Sozialbau Kempten.

Seit Ende der Förderung erfolgt zur nachhaltigen Absicherung und Verstetigung der erreichten Ziele die Finanzierung zur Fortführung des Quartiersmanagements und des Bürgertreffs über den städtischen Haushalt.

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Der Stadtteil Thingers-Nord.

 

Dagmar Lazar

Leiterin des Amtes für Wirtschaft und Stadtentwicklung, Stadt Kempten (Allgäu)
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