15.07.2014

Chancen erkennen und nutzen

Zu den alternativen Möglichkeiten der Mediation im öffentlichen Raum

Chancen erkennen und nutzen

Zu den alternativen Möglichkeiten der Mediation im öffentlichen Raum

Die gelingende Mediation lenkt den individuellen Blickwinkel in eine gemeinsame Perspektive. | © palau83 - Fotolia
Die gelingende Mediation lenkt den individuellen Blickwinkel in eine gemeinsame Perspektive. | © palau83 - Fotolia

„Wutbürger“, „Mutbürger“, „Bürgerinitiative“, „Bürgerentscheid“ – diese und solche Begriffe sind bereits vor „Stuttgart 21“ vielfach Realität in der kommunalen und staatlichen Planungspraxis. Und immer öfter taucht in diesen Zusammenhängen der Begriff der Mediation auf. So war in der Presse Heiner Geißler mit seinem Engagement in Stuttgart immer wieder (unzutreffend) als „Mediator“ bezeichnet worden. Seit Mitte 2012 gibt es nun auch ein Mediationsgesetz. In allen gerichtlichen Verfahrensordnungen sind Mediationen vorgesehen oder ihr vorgerichtlicher Versuch ist sogar vorgeschrieben. Auch das BauGB eröffnet in der 2013 in Kraft getretenen Novelle in § 4b die Möglichkeit der Mediation in der Bauleitplanung.

Was ist Mediation und welche Bedeutung kann ihr im kommunalen Kontext zukommen?

Nach dem Mediationsgesetz ist Mediation ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien eines Konflikts mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Der Mediator ist dabei eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt. Wesentliche Kennzeichen der Mediation sind danach die Freiwilligkeit, die Eigenverantwortung der Parteien, der Abschluss einer Vereinbarung sowie die Unabhängigkeit des Mediators und eine lösungsorientierte Führung der Parteien durch ihn („Prozess“-Verantwortung). Diese Definition stammt ursprünglich aus dem Bereich des Familienrechts, für das die ersten Mediationsformen vor ca. 25 Jahren aus den USA „importiert“ und für das deutsche Recht weiterentwickelt wurden.

Richter haben unparteilich zu sein und sie entscheiden den Konflikt. Ausgebildete Mediatoren entscheiden nicht und sie sind nicht unparteilich. Sie sind vielmehr all-parteilich, was heißt, dass ihre Aufgabe nicht zuletzt in dem Versuch besteht, die Blickwinkel aller Beteiligten offen und ohne Vorannahmen nachzuvollziehen und allen anderen zumindest sichtbar zu machen. Dadurch beginnen die Konfliktparteien langsam und schrittweise zu erkennen, wie und warum der andere gerade zu seiner im Konflikt eingenommenen Haltung kommt – sie beginnen nach und nach, den anderen zu verstehen.


Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass etwas zu verstehen nicht bedeutet, damit auch einverstanden zu sein! Es entsteht jedoch in der Folge für beide Seiten die Möglichkeit, zu akzeptieren, dass man zu dem Konflikt verschiedene Blickwinkel und damit auch verschiedene Meinungen haben kann. Ist dieser Schritt gelungen, steht meist der Weg aus dem dualistischen und konfliktreichen „Entweder/Oder“ in die gemeinsame Suche nach den bislang übersehenen oder nicht sichtbaren Alternativen „Sowohl/Als auch“ bzw. „Weder/Noch“ offen. Häufig haben Mediationen Ergebnisse, die beide Parteien überraschen („Win/Win-Situationen“).

Diese bewährte und bereits im zivilrechtlichen Kontext verbreitet praktizierte Form der Konfliktbeilegung eignet sich ersichtlich auch in allen öffentlich-rechtlichen Konflikten als Alternative zur verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzung. Die Mediation hat eine relativ feste Struktur: In – regelmäßig – fünf Schritten führt der Mediator die Konfliktparteien mit speziellen Kommunikationsmethoden aus der konträren konfliktreichen Sichtweise des eigenen Standpunktes zu einem zunehmend gemeinsamen Blick auf den Konflikt und dessen Lösungsmöglichkeiten, die oft außerhalb der ursprünglich definierten bzw. gesehenen Alternativen zu finden sind. Die bislang auf den eigenen Blickwinkel begrenzten und ver-eng-ten Sichtweisen werden so zu einem neuen gemeinsamen Blickwinkel er-weit-ert, auch wenn sich die Konfliktparteien dies zu Beginn kaum vorstellen können. Im Zivilrecht sind der Einigung nur die Grenzen der Vertragsfreiheit gesetzt, im öffentlich-rechtlichen Kontext ist die jeweilige Behörde hingegen enger an Recht und Gesetz gebunden, öffentlich-rechtliche Verträge unterliegen folglich in erhöhtem Maß auch einer Inhaltskontrolle. Dennoch ist auch hier die Mediation sehr häufig eine echte Alternative zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Planungsverfahren aller Art bedürfen hingegen einer differenzierten Betrachtung: Sie werden regelmäßig durch Abwägungsentscheidungen abgeschlossen, deren konkretes Ergebnis einer vorherigen Vereinbarung nicht zugänglich ist. So ist es Kommunen bekanntlich untersagt, sich vertraglich zu bestimmten Inhalten von Bauleitplänen zu verpflichten, Gleiches gilt für Planfeststellungsbehörden etc. Daher kann, wenn § 4b Satz 2 BauGB n. F. dennoch von „Mediation“ spricht, eine „klassische“ Mediation im oben beschriebenen Sinn nicht gemeint sein, denn diese würde ja immer mit einer verbindlichen Vereinbarung enden.

Die Möglichkeiten der „Planungsmediation“

Gemeint sind vielmehr Beteiligungsverfahren, die mit mediativen Kommunikationsmethoden gestaltet werden und konfliktbeilegende Wirkung haben sollen. Wir wollen diese neue Form der Bürgerbeteiligung „Planungsmediation“ nennen. Ihr Ziel kann also einerseits nicht eine Vereinbarung über ein bestimmtes Planungsergebnis sein, andererseits kann es auch nicht nur um eine bloße Akzeptanzerhöhung für bereits getroffene Entscheidungen (wie im Fall von Heiner Geißler bei „Stuttgart 21“) gehen. Vielmehr muss das Ziel eine „Übereinkunft“ der Beteiligten über das weitere Vorgehen, über gewünschte künftige Planungsinhalte und über deren Bedeutung für die Beteiligten sein: Vereinbart werden können so z. B. Rechtsmittelverzichte für den Fall, dass die Abwägung und damit auch die Planungsentscheidung zu einem Ergebnis kommt, das der „Übereinkunft“ entspricht, oder auch konkrete Maßnahmen, die seitens der Kommune oder anderer Beteiligter in diesem Fall durchgeführt werden. Nur: dass es zu diesem konkreten Planungsinhalt zwingend kommen muss, kann nicht vereinbart werden.

Als Beteiligte einer solchen Planungsmediation kommen grundsätzlich die Gemeinde, die betroffenen Grundstückseigentümer und Investoren, aber auch Vertreter von Bürgerinitiativen, Verbänden und – je nach Einzelfall – auch Träger öffentlicher Belange in Betracht. Die Planungsmediation ersetzt dabei nicht die vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren nach §§ 3 und 4 BauGB, sondern sie ergänzt diese. Soweit Vertreter einzelner Gruppen auftreten, ist deren Bevollmächtigung durch die Gruppe sinnvoll. Das Motto einer solchen Planungsmediation lautet (in Anlehnung an Heiner Geißler): „Alle an den Tisch und alles auf den Tisch!“ Es liegt im Geschick des Mediators, den häufig widerstreitenden Interessen und Argumentationen Gehör zu verschaffen und dennoch die Orientierung nicht zu verlieren. Diese Orientierung besteht primär darin, bei den Beteiligten sukzessive soviel Verständnis für die jeweils eigene und fremde Position zu schaffen, dass ihnen – bei gutem Willen – das Auffinden sinnvoller Lösungen ermöglicht wird. Die Freiwilligkeit als ein Grundelement jeder Mediation impliziert, dass die Beteiligten auch den Willen mitbringen, zu einer Einigung bzw. Lösung zu kommen. Fehlt einem oder mehreren Beteiligten der Wille hierzu, wird es mit der Freiwilligkeit der übrigen Teilnehmer schnell vorbei sein.

Die Planungsmediation schafft einen neuen demokratischen Raum mit dem Ziel, ein möglichst umfassendes Bild des soziologischen Umfelds des Planungsvorhabens zu erhalten, eine möglichst breite Information und Einbindung der Betroffenen zu gewährleisten und zu einem von breitem Konsens getragenen Planungsinhalt zu kommen. Da die rechtliche Qualität eines so gefundenen Konsenses nicht in einer verbindlichen Festlegung der Planung liegen kann und darf, andererseits aber mehr sein muss als eine bloße Information über Befindlichkeiten, ist sie als abwägungserheblicher Belang zu qualifizieren. Die notwendige Gewichtung dieses Belangs im Rahmen der Abwägungsentscheidung über das endgültige Planungsergebnis kann und muss die Kommune davon abhängig machen, wie „breit“ der erzielte Konsens und damit seine demokratische Legitimation jeweils ist. Zumeist wird dieser „Belang Mediationsergebnis“ im Rahmen der Abwägung durch andere entgegenstehende Belange schon deshalb nicht mehr überwunden werden können, weil in der Mediation idealiter eben „alles auf dem Tisch war“. Rechtlich ist ein Vorrang anderer Belange aber natürlich nicht ausgeschlossen.

Keine Beruhigungspille für Wutbürger

Mediation und Planungsmediation sind relativ neue Instrumente der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie werden nicht alle Konflikte vermeiden und sind sicher auch keine Beruhigungspille für Wutbürger, sofern es diesen primär um die Wut geht. Und sie eignen sich schon gar nicht dafür, durch ihren Einsatz die eigene Meinung durchsetzen zu wollen. Mediation und Planungsmediation sind auch keine Instrumente, um schnelle Lösungen zu ermöglichen, wenn es eigentlich um eine wirkliche Auseinandersetzung mit den betroffenen Belangen geht. Aber sie sind eine echte Chance, aus der dualistischen Situation „Sieg oder Niederlage“ herauszukommen und langjährige zermürbende Gerichtsverfahren zu vermeiden. Es gilt, mit diesen Instrumenten zu beginnen, sie weiterzuentwickeln und sie als sinnvolle Alternativen zu begreifen und zu ergreifen.

 

Dr. Nikolaus Birkl

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Mediator, Partner der Kanzlei Meidert Kollegen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, München
 

Mathias Reitberger

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Mediator, Partner der Kanzlei Meidert & Kollegen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, München
n/a