08.04.2019

Zeitliche Begrenzung der Erhebung von (Erschließungs-)Beiträgen

Rechtssicherheit für Betroffene

Zeitliche Begrenzung der Erhebung von (Erschließungs-)Beiträgen

Rechtssicherheit für Betroffene

Weiterhin offene Fragen verfassungsrechtlicher wie rechtspolitischer Art. | © magele-picture - stock.adobe.com
Weiterhin offene Fragen verfassungsrechtlicher wie rechtspolitischer Art. | © magele-picture - stock.adobe.com

BVerwG: Defizitäre landesgesetzliche (Verfahrens-)Regelung

Der 9. Senat des BVerwG hat mit Beschluss vom 06.09.2018 (9 C 5.17) dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorgelegt, ob § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG Rheinland-Pfalz (RP) i.V.m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. dem Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar ist, „soweit er die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage erlaubt“.

Zwar habe der Gesetzgeber, so das BVerwG in seiner Begründung, mit der Schaffung von Festsetzungsfristen Bestimmungen erlassen, die einer unbefristeten Abgabenerhebung entgegenwirken. Diese seien jedoch insofern unzureichend, als sie (wie im konkret zu entscheidenden Fall) gleichwohl „eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen ermöglichen“ (Rn. 45). Für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage reiche die dem Kläger (Beitragsschuldner) offen gehaltene Chance aus, die sich aus einem Vergleich der zwischen dem Eintritt der Vorteilslage und der Beitragserhebung verstrichenen Zeitspanne mit der Dauer der Ausschlussfristen derjenigen (acht) Landesgesetze ergebe, welche in Reaktion auf den BVerfG-Beschluss vom 05.03.2013 (1 BvR 2457/08; BVerfGE 133, 143) erlassen wurden, um dem dort in Bezug auf eine leitungsgebundene öffentliche Entwässerungseinrichtung und das bayerische Landesrecht (BayKAG) formulierten „Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit“ für die Abgabenerhebung entsprechend eine zeitliche Begrenzung zu normieren, so das BVerwG (Rn. 53).

Das BVerwG führt insoweit die Bandbreite der in anderen Bundesländern geltenden Höchstfristen zwischen zehn und 20 (bzw. in Sonderfällen 25) Jahren an (Rn. 41, 59). Zudem erwägt das Gericht, ob § 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ein Grundsatz entnommen werden könne (a maiore ad minus), dass, „wenn selbst bestandskräftig festgestellte Ansprüche nach 30 Jahren nicht mehr durchgesetzt werden können, spätestens nach dieser Frist“ auch ohne bzw. vor Erlass einer expliziten gesetzlichen Regelung die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen ausgeschlossen ist (Rn. 42).


Zeitpunkt der Vorteilsentstehung als Fristbeginn

Das BVerwG geht (in Abgrenzung zu mehreren allein die Höhe eines Beitrags betreffenden Aspekten) auch näher auf das Entstehen der Beitragsschuld dem Grunde nach ein, d. h. den Eintritt einer die spezifische Belastung rechtfertigenden „Vorteilslage“. Das Rechtsstaatsprinzip verlange Klarheit darüber, „ob ein Vorteilsempfänger die erlangten Vorteile durch Beiträge auszugleichen hat, und damit eine für den Beitragsschuldner konkret bestimmbare Frist“ (Rn. 54), wieder Bezug nehmend auf den BVerfG-Beschluss von 2013. Da der Pflichtige selbst feststellen können müsse, bis zu welchem Zeitpunkt er noch mit seiner Heranziehung zu rechnen habe, setze diese Maßgabe wiederum die Erkennbarkeit des Zeitpunkts voraus, in dem der beitragsrechtliche Vorteil entsteht und die Frist für eine mögliche Inanspruchnahme zu laufen beginnt. Folgerichtig komme es daher im Erschließungsbeitragsrecht maßgeblich „auf die tatsächliche – bautechnische – Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme, nicht jedoch darauf an, ob darüber hinaus auch die weiteren, für den Betroffenen nicht erkennbaren rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vorliegen“.

Entscheidend sei, so das BVerwG weiter, ob die jeweilige (Erschließungs-)Anlage „sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Durchführung nur provisorisch her- oder schon endgültig technisch fertiggestellt ist, d. h. dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht“ (Rn. 55; hier liegt der maßgebliche tatsächliche Unterschied gegenüber dem Beschl. v. 13.09.2018, 9 B 29.17, Rn. 5). Würde zudem auf Widmung einer Straße (speziell bei § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) und/oder Wirksamkeit einer Beitragssatzung (§ 132 BauGB, Art. 2 BayKAG) abgestellt, könnten Erlangung des Vorteils und Entstehung der Beitragspflicht „zeitlich unbegrenzt zusammenfallen“; das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit „liefe dann leer“ (Rn. 55).

Der zu beurteilende Sachverhalt zeigt allerdings, dass sich damit in der Praxis Probleme nur verschieben mögen: Obwohl hier der abgerechnete Straßenteil satzungsgemäß (s. § 132 Nr. 4 BauGB) hergestellt war, soll dieser Termin nicht maßgeblich sein, weil seinerzeit noch (in einem später für nichtig erachteten Bebauungsplan) eine vierspurige Fortführung geplant und somit die Anlage nicht in ihrer gesamten Länge fertiggestellt gewesen sei. Jedoch könnte, was auch das BVerwG sieht, der abgerechnete Teil schon (vor der neuen, nur noch zweispurigen Straßenbauplanung) „in die Eigenschaft einer selbstständigen Erschließungsstraße hineingewachsen“ sein (Rn. 57). Und im Hinblick auf gerichtlich aufgehobene Bescheide oder auch die Erhebung von Vorausleistungen (im Hinblick auf die ursprünglichen wie die später modifizierten Vorgaben der Bauleitplanung, § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) stellt das Gericht klar (erneut bezogen auf den BVerfG-Beschluss von 2013), das Rechtsstaatsprinzip gewähre Rechtssicherheit „sogar dann, wenn Umstände einem dahingehenden Vertrauen des Betroffenen entgegenstehen“ (Rn. 58). Damit greift es ein Argument auf, das bereits zuvor zur Unterscheidung von bloßem Zeitablauf (wie bei Verjährung) und anderen, zusätzliche Umstände erfordernden Durchsetzungshindernissen (wie Verwirkung) herangezogen worden war (Rn. 16, 38).

Funktionelle Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

Die Vorinstanz (OVG Koblenz, Urt. v. 06.11.2017, 6 A 11831) hatte eine (parlaments-) gesetzliche Normierung einer gesonderten Höchstfrist für die Beitragserhebung für unnötig gehalten. Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit könne bereits durch einen Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG im Wege der Analogie oder vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben hinreichend Rechnung getragen werden (Rn. 37 ff.).

Das OVG konnte sich dabei nicht nur auf Judikatur, sondern auch auf einen Beitrag von Driehaus (KStZ 2014, 181 ff.) stützen. Das BVerwG trat dieser Auffassung entschieden entgegen, nicht nur mit (im Ergebnis plausiblen) methodischen Überlegungen, sondern auch und primär (daher auch als Leitsatz 1 formuliert) unter dem Gesichtspunkt der Gewalten-/Funktionenteilung.

Wie das BVerfG (worauf das BVerwG ausdrücklich verweist) bereits 2013 klargestellt habe, sei es „Aufgabe des Gesetzgebers – und damit nicht der Gerichte –, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden berechtigten Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen“.

Notwendig seien Regelungen gerade des Gesetzgebers, dessen „originäre Aufgabe“ es sei, die genannten Interessen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen“ (Rn. 20). Später betont das BVerwG noch einmal den „Gestaltungsauftrag“, dem sich „der Gesetzgeber nicht entziehen und den die Rechtsprechung nicht ohne Anhaltspunkte im Gesetz durch letztlich gegriffene Fristen ersetzen darf“ (Rn. 41). Warum allerdings die Durchführung eines Gesetzgebungsverfahrens sachrichtig bzw. geboten sei, wird nicht explizit dargelegt, vor allem nicht auf eine Wesentlichkeit für die Verwirklichung von Grundrechten abgestellt, die hier ohnehin nur am Rande (in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit) erwähnt (Rn. 18, 22) und nicht weiter erörtert werden.

Verdeutlicht hat das Gericht zuvor auch, warum es nicht angehe, auf den (in § 242 BGB manifestierten) Grundsatz von Treu und Glauben bzw. auf Verwirkung als dessen Ausprägung abzustellen: Weil danach eine Beitragserhebung „nur ausnahmsweise und einzelfallbezogen unzulässig“ ist, werde dadurch keine allgemeine hinreichend bestimmte zeitliche Obergrenze gewährleistet (Rn. 38).

Das BVerwG verneint damit insoweit „schon“ eine „vergleichbare Sach- und Interessenlage“ (Rn. 32). Die Ausführungen zum positiven Recht (also zu einer etwaigen „ungewollten Unvollständigkeit des Gesetzes“) sind demgegenüber recht kursorisch: So sehen die einschlägigen Kommunalabgabengesetze durchweg (s. nur Art. 13 Abs. 1, 6 BayKAG; § 3 [Abs. 1] KAG RP, § 3 [Abs. 1, 3] KAG Baden-Württemberg [BW]; § 4 [Abs. 1, 3] HessKAG) – soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist – eine entsprechende Anwendung auch zahlreicher, wenngleich nicht sämtlicher Vorschriften des Vierten Teil der AO über die „Durchführung der Besteuerung“, speziell das „Festsetzungs- und Feststellungsverfahren“ vor, u. a. der §§ 169 und 170 (teils in modifizierter Form).

Zudem wird eine entsprechende Anwendung der AO-Regelungen zur (Steuer-)Erhebung, insbesondere zur „Zahlungsverjährung“ (§§ 228 ff.), und zur (Straf-)Verfolgungsverjährung (§ 376 AO) landesgesetzlich normiert (etwa in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) bzw. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayKAG; § 3 Abs. 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 Satz 2 KAG RP; § 3 Abs. 1 Nr. 5 a), § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG BW; § 4 Abs. 1 Nr. 5 a), § 5 Abs. 1 Satz 2 HessKAG).

Auch die Regelung, dass Ansprüche aus einem „Steuerschuldverhältnis“ (§ 37 AO) entstehen, „sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“ (§ 38 AO), wird im Kommunalabgabenrecht für entsprechend anwendbar erklärt (z. B. Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b) BayKAG; § 3 Abs. 1 Nr. 2 KAG RP; § 3 Abs. 1 Nr. 2 b) KAG BW; § 4 Abs. 1 Nr. 2 b) HessKAG). Im Erschließungsbeitragsrecht ist das (so auch das BVerwG, Rn. 24, 28) § 133 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, soweit diese Vorschrift noch nicht durch (heute nach Art. 70 i.V.m. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG einschlägiges) Landesrecht ersetzt worden ist (wie in Bayern, wo jedoch Art. 5a Abs. 9 BayKAG auch § 133 BauGB für weiterhin geltendes [Landes-]Recht erklärt; in Baden-Württemberg §§ 33 ff. KAG BW, mit teils abweichender Regelung in § 41 Abs. 1).

Ansonsten ordnen zwar die für das öffentlich-rechtliche Handeln von Kommunalbehörden einschlägigen Landes-Verwaltungsverfahrensgesetze den Vorrang spezieller Verfahrensregelungen an (etwa in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 1 BayVwVfG; s.a. § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Jedoch gilt die Abgabenordnung ihrerseits nur für Finanzbehörden (in den Bundesländern also besondere Stellen der Landesverwaltung nach § 2 FVG, nicht die „Abgabenberechtigten“ z. B. nach Art. 1 BayKAG; § 1 KAG RP; § 1 KAG BW; § 1 HessKAG) sowie für Steuern (§ 3 Abs. 1 AO), die durch Bundes- oder EU-Recht geregelt sind, nicht aber auch für andere Abgaben.

Damit lässt sich das Ineinandergreifen von zwei je allgemeinen Verfahrensgesetzen bei der Erhebung von Kommunalabgaben gerade wegen der nur punktuellen Verweisung auf die AO und deren explizitem Nachrang hinter anderen gesetzlichen Bestimmungen nicht ohne weiteres als „unvollständig“ werten. Um gleichwohl eine „planwidrige, zumal verfassungswidrige Regelungslücke“ (Rn. 31) zu bejahen, wäre zumindest darzulegen, dass eine Bereinigung nicht auch und bereits über § 227 AO erfolgen kann, dessen entsprechende Anwendung die Kommunalabgabengesetze ebenfalls vorsehen.

Rechtssicherheit als materiell-rechtlicher Eckpunkt

Auch der Gesetzgeber ist nach Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG (nur letztere Vorschrift nennt das BVerwG) an die Verfassung und damit an den Grundsatz der Rechtssicherheit gebunden. Offenbar sieht das BVerwG es nicht als geboten an, dieses Prinzip an einzelnen GG-Bestimmungen festzumachen bzw. als wesentliches Element von Rechtsstaatlichkeit (neben der Einzelfallgerechtigkeit) zumindest kurz einzuordnen (was allenfalls in Rn. 16 erfolgt).

Rechtssicherheit schütze davor, so das BVerwG, „dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können“ (Rn. 11), und verpflichte daher (den Gesetzgeber) dazu „sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können“ (Rn. 12). Diese Überlegung knüpft damit auch an die zeitliche Dimension der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Eingriffs (in Art. 2 Abs. 1 GG) an.

Ungeachtet eines weiten Gestaltungsspielraums für den danach zu schaffenden Ausgleich von Interessen der „Allgemeinheit“ einer-, des „Beitragsschuldners“ andererseits (so bereits BVerwG, Beschl. v. 20.03.2014, 4 C 11.13, Rn. 16, für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeträge) verbiete es, so das BVerwG im Folgenden, der „Grundsatz der Rechtssicherheit“, die Interessen des „Bürgers“ (!) „völlig unberücksichtigt zu lassen“, also (auch) „von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt“ (Rn. 13).

Eine nähere Begründung für diese unbedingt formulierte Aussage, die sich wörtlich bereits im Beschluss vom 15.04.2015 (9 C 19.14, Rn. 8) in Bezug auf Abwasserbeseitigungseinrichtungen findet, fehlt allerdings; auch gehören „Bürger“ und „Beitragsschuldner“ weder notwendig noch regelmäßig demselben Personenkreis an.

Der Fokus auf „Bürger“ scheint allerdings durchaus bewusst gelegt, denn bei der insoweit postulierten Gleichbehandlung von Erschließungs- und Ausbaubeiträgen und als Grund hierfür hebt das BVerwG darauf ab, das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schütze „unter Abwägung des staatlichen Interesses an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten nicht das Vertrauen, sondern das Interesse der Bürgerinnen und Bürger, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können“ (Rn. 16). Diese Erwägung gilt dann freilich nicht nur für Beiträge, sondern für alle hoheitlichen Abgaben (und in Bezug auf insoweit verpflichtete Personen; bei Erschließungsbeiträgen wären dies „Einwohner“, nicht nur „Bürger“!) – was letztlich den Bogen zur funktionell-rechtlichen Zuordnung schlägt, dass nämlich wesentliche Angelegenheiten (auch bei fehlender oder nur geringer Grundrechtsrelevanz) in die Kompetenz des demokratisch legitimierten Parlaments fallen. Bei allen finanziellen Belastungen gilt daher auch und gerade heute: „no taxation without representation“. Bemerkenswert ist freilich, dass das BVerwG an keiner Stelle Gleichheitsgrundrechte thematisiert, weder im Hinblick auf Abgabenschuldner allgemein noch auf die zeitlich unterschiedliche Inanspruchnahme.

Hingegen beziehen und beschränken sich die Erwägungen des Gerichts zum richtigen Zeitpunkt der Vorteilserlangung speziell auf Beiträge. Insofern spricht das BVerwG dann wieder allein von Beitragspflicht und Beitragsschuldner. Auch (und gerade) bei gegenleistungsabhängigen Abgabepflichten darf allerdings ein Schuldner „hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs nicht dauerhaft im Unklaren gelassen (werden), ob er noch mit Belastungen rechnen muss“ (Rn. 19). Da diese Deduktion aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit jedoch zu vage bleibt, um darauf ein eindeutiges Datum bzw. eine in Zahlen ausgedrückte exakte Höchstfrist zu stützen, ist insoweit eine generelle normative Festlegung unabdingbar – und im demokratischen Verfassungsstaat in erster Linie Angelegenheit der direkt vom Volk legitimierten Legislative.

Fazit: Nur Schritt zur (allgemeinen) Klärung eines speziellen Problems, weiterhin offene Fragen verfassungsrechtlicher wie rechtspolitischer Art

Der Vorlagebeschluss befasst sich relativ breit mit den Voraussetzungen einer konkreten Normenkontrolle durch das BVerfG; er betrifft ein Bundesland, das noch keine landesgesetzlichen Folgerungen aus dem Karlsruher Beschluss von 2013 gezogen hat, und zielt auf dessen Präzisierung und zugleich Ausdehnung auf zumindest alle kommunalen Beitragsregelungen ab. Durchaus bemerkenswert ist, dass kaum einzelne GG-Maßstabsnormen erwähnt oder gar geprüft werden, obwohl doch eine „Vorteilslage“ alsbald die Frage aufwirft, worin diese liegt und wem hierbei ein ausgleichsbedürftiger Wert zuwächst, d.h. nach der konkret maßgeblichen Vorgabe einer Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das BVerwG scheint dies allein als Problem der Höhe des Beitrags (des Wie) zu verstehen.

Zumindest rechtspolitisch ist misslich, dass die Argumentation im Kern auf den (nur vorübergehend fortgeltenden, s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18, 125a Abs. 1, 2 GG) Vorschriften der §§ 127 ff. BauGB beruht, die im Wesentlichen Bestimmungen des BBauG fortführen, obwohl die Vorschriften über den Erschließungsbeitrag inzwischen teils durch Landesrecht ersetzt worden sind (Art. 5a BayKAG, eigenständiger §§ 33 ff. KAG BW; ferner Erschließungsbeitragsgesetz Berlin).

Hier kann nur dringend empfohlen werden zu überdenken, ob denn die Ende der 1950er Jahre angestellten Überlegungen vor allem zur Vorteilsermittlung (BT-Drs. 3/336, S. 99 ff.; zu 3/1794, S. 24 ff.), an die im insoweit nur Details ändernden BauGB bruchlos angeknüpft wurde (s. BT-Drs. 10/4630, S. 113 ff.), heute noch zeit- und sachgemäß sind, auch vor dem Hintergrund, ob und wieweit Grundstückseigentümer die überwiegend von ihnen zu entrichtende monetäre Gegenleistung für eine erschließungsbedingte Wertsteigerung ihrer Immobilie auf Mieter oder andere berechtigte Besitzer betreffender Flächen überwälzen dürfen (sollten) – was derzeit im Hinblick auf §§ 556, 560 BGB bei Wohnraum und damit in der Regel nicht zulässig ist.

Neben der erforderlichen Klärung von Art und Ausmaß personenbezogener (finanzieller) Bevorteilung zeigt der Fall schließlich auch die Notwendigkeit, die zeitliche Dimension der öffentlichen/kommunalen Aufgabe Erschließung (§ 123 [Abs. 1, 2] i.V.m. § 1 [Abs. 1, 3] BauGB) genauer zu analysieren. Einmal hergestellte Erschließungsanlagen bedürfen nicht nur der (aktuell haushaltsfinanzierten) dauernden Unterhaltung und Pflege, um Verschlechterungen ihrer Qualität entgegenzuwirken, sondern sie haben auch (unabhängig von wesentlichen Aus- oder Umgestaltungen und der nach wie vor brisanten Problematik von „Ausbaubeiträgen“; dazu Driehaus, PUBLICUS 12/2018 (https://publicus.boorberg.de/entstehen-der-sachlichen-beitragspflichten-im-strassenbaubeitragsrecht/ )) eine (mehr oder weniger lange) „Lebensdauer“, die beim Verlust von Funktionstauglichkeit eine Erneuerung (oder auch Ersetzung) im Hinblick auf (erheblich) veränderte Lebensverhältnisse notwendig machen wird.

Hieraus ergibt sich nicht nur eine absolute Höchstfrist für die Beitragserhebung (nur solange Anlagen tatsächlich noch nutzbar sind, weil danach auch keine „Vorteilslage“ mehr existiert), sondern wird zudem die allgemeinere Thematik aufgeworfen, ob die überkommene Art der Refinanzierung nutzbarer/nützlicher Einrichtungen nicht durch andere (Abgaben-)Formen und Modalitäten abgelöst werden sollte. Dabei wären zum einen Erkenntnisse der Finanzwissenschaften fruchtbar zu machen, müsste aber auch überlegt werden, ob und wie weit den Gemeinden bzw. Kommunen auferlegten Pflichtaufgaben stärker als bislang eigenverantwortlich realisierbare Kompetenzen der Einnahmengenerierung gegenüber gestellt werden sollten, ohne dass dabei auf eine einheitliche Rahmensetzung für alle staatlichen Ebenen in Deutschland (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verzichtet werden müsste.

Freilich wird das BVerfG bei der Entscheidung über die Vorlage wohl kaum solche Aspekte aufgreifen (können), nicht nur, weil dies für die Beantwortung der Frage nicht zwingend geboten ist, vielmehr auch und vor allem deshalb, weil es hierbei um (verfassungsrechtlich nur eher schwach gebundene) Weichenstellungen zukunftsorientierter Politik-Gestaltung geht.

 

Dr. Ludwig Gramlich, Univ.-Prof. i.R.

früher Technische Universität Chemnitz,
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

Diskutieren Sie über diesen Artikel

n/a