03.04.2025

Wirtschaftsstandortfaktor Digitalisierung

Das Zusammenspiel von Verwaltung und Wirtschaft stand im Mittelpunkt der 6. Digitalisierungsgespräche

Wirtschaftsstandortfaktor Digitalisierung

Das Zusammenspiel von Verwaltung und Wirtschaft stand im Mittelpunkt der 6. Digitalisierungsgespräche

Prof. Dr. Volkmar Mrass, Institut für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG), hat zu den 6. Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen eingeladen.    |   © Zerbor - stock.adobe.com
Prof. Dr. Volkmar Mrass, Institut für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG), hat zu den 6. Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen eingeladen. | © Zerbor - stock.adobe.com

Vertreter aus Wirtschaft, Verwaltung, Lehre und Politik blickten auf die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und schilderten ihre Eindrücke. Fortsetzung von Folge 1.

„Allein in der Region Stuttgart gibt es 179 Kommunen. Im schlechtesten Fall bedeutet dies, dass es 179 Formulare für denselben Prozess gibt“, zeichnet Dr. Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, ein düsteres Bild der Digitalisierung in den Kommunen.

Eine gelungene Digitalisierung bedeute für sie, eine einheitliche Lösung zu haben. Daher müssten individuelle Prozesse abgegeben werden, um eine Vereinheitlichung zu erzielen. Hierfür müssten die Voraussetzungen geschaffen werden: Hard- und Softwareausstattung müssen zeitgemäß sein und finanziert werden. Herre mahnte, die Verwaltung müsse digitaler werden. „Damit Schnittstellen funktionieren, müssen Verwaltung und Wirtschaft Hand in Hand greifen“, so die Juristin, die seit 2022 die Industrie- und Handelskammer in der schwäbischen Metropole führt.


Digitalisierung in kleineren Kommunen

Einen Einblick in die Digitalisierung auf kommunaler Ebene ermöglichte Marcus Kohler. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Erdmannhausen im Landkreis Ludwigsburg. In der 5000-Einwohner-Gemeinde amtiert der ehemalige Oracle-Manager seit April 2020 als Leiter der örtlichen Verwaltung. Dort hinkte die Digitalisierung gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen etwa 15 Jahre zurück. Inzwischen wurde, so Kohler, Folgendes umgesetzt:

  • Die Gemeinde stellte um auf Cloudcomputing bei Komm.One.
  • Es wird nicht mehr mit stationären Computern gearbeitet, sondern die Amtsmitarbeiter verfügen über Laptops, um ihnen Homeoffice zu ermöglichen. Jeder MA hat eine E-Mail-Adresse für die zentrale Kommunikation.
  • Die internen administrativen Vorgänge werden über die Cloud abgewickelt.
  • Die Personalakten sind digitalisiert.
  • Es gibt ein digitales Zeiterfassungssystem mit Selbstservice.
  • Bürger nutzen ein Terminverwaltungssystem sowie Unterschriftenpads im Amt.
  • Es gibt eine Kita-App. Von den 160 Mitarbeitern der Gemeinde sind 100 Mitarbeiterinnen als Erzieher in der örtlichen Kita tätig.
  • Die Telefonie soll auf Cloud-Telefonie umgestellt werden.
  • Eine neue Gemeinde-Website mit Chatbot (namens Erdi) wird gerade programmiert. „Damit zieht ein Touch von KI in die Gemeinde ein“, so Kohler.
  • Es gibt ein zentrales Dokumentenmanagementsystem, das als digitales Ratsinformationssystem dient, sodass z. B. 150-Seiten-Vorlagen nicht mehr ausgedruckt werden müssen.

Kohler sieht deshalb Schwierigkeiten bei der Digitalisierung im öffentlichen Sektor, da bestehende Systeme ersetzt oder weiterentwickelt werden müssen. Das oft als Referenz benannte Estland hatte den Vorteil, digital „auf der grünen Wiese etwas aufbauen zu können“.

Große Herausforderungen sieht Kohler beim Thema KI, der damit verbundenen extremen Rechtsunsicherheit, der notwendigen Schaffung einer größeren Resilienz (weg von US-Lösungen) sowie der Umsetzung der Novelle des Produkthaftungsgesetzes mit unbegrenzter Haftung für Fehler des IT-Anbieters.

„Zahlreiche Interaktionspunkte zwischen Verwaltung und Wirtschaft“

Prof. Dr. Hendrik Scholta von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer wies darauf hin, dass Unternehmen im Schnitt regelmäßig 200 Verwaltungskontakte hätten. Es gebe also zahlreiche Interaktionspunkte. Grundsätzlich sehe er ein positives Zusammenspiel von Verwaltungsdigitalisierung und Wirtschaft. Allerdings bereite ihm der demographische Wandel Sorgen, so der Wirtschaftsinformatiker Scholta. Das Ersetzen der Ausscheidenden ohne Digitalisierung werde schwierig. Es ist daher zu klären, wo im Schwerpunkt die menschliche Arbeit eingesetzt werden müsse. Sobald etwa Ermessen erforderlich ist, stoße die Digitalisierung an ihre Grenzen. Und auch bei sozialen Leistungen sei eine Mensch-zu-Mensch-Beziehung wichtig.

Auch Scholta sieht in der Verwaltungsdigitalisierung einen „wichtigen Faktor für die Wirtschaft“. „Je mehr wir digitalisieren, desto besser für die Wirtschaft. „Aber nicht überall, wo man digitalisieren kann, ist es auch sinnvoll“, warnt Scholta.

Professor Volkmar Mrass, Direktor des Instituts für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG), wollte von den Gesprächsteilnehmern der von ihm initiierten Gesprächsrunde wissen, welche drei Maßnahmen sie für wichtig im Kontext der Digitalisierung hielten.

Förderung der Digitalkompetenz

Jonathan Weiter, der als Referent der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Vertretung des verhinderten Landtagsabgeordneten Peter Seimer (Wahlkreis 6, Leonberg) teilnahm, nannte die höhere Sichtbarkeit digitaler Themen in der Breite der Gesellschaft, die Förderung der Digitalkompetenz in der Gesellschaft, sowie die Beschleunigung der digitalen Transformation. Als Analogie zog er die Verkürzung der Genehmigungsverfahren von Windkraftanlagen heran, die Dauer sei von 35 auf sieben Monate gesenkt worden.

Für Hendrik Scholta war am wichtigsten die durchgängige Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, ohne zwischengeschaltetes Drucken, Faxen oder der Ablage von Papieren. Der Föderalismus müsse zugunsten partieller Zentralisierung reduziert werden. Er nahm dabei Bezug auf die „Dresdner Forderungen“  aus dem Jahr 2021. Und schließlich sollte man „mit den Basics anfangen, statt KI zu machen, also E-Akte und leichtere Digitalisierungsprojekte abschließen“, so Professor Scholta.

Digitalisierung: zentral organisieren, finanziell besser ausstatten

Bürgermeister Marcus Kohler forderte auch eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung. „Es hilft nichts, ein PDF auszudrucken, um es dann einzuscannen“, so Kohler. Er mahnte eine zentrale Strategie des Bundes an für eine bundeseinheitliche Strategie und Standards. „Das OZG 2.0 erfüllt das nicht“, kritisiert der ehemalige IT-Manager. Und schließlich müsste  die Finanzierung der Digitalisierung anders aufgestellt werden, da die Kommunen zu finanzschwach seien.

„Digitalisierung muss Chefsache sein“, meinte Dr. Susanne Herre (IHK Stuttgart). Für die Digitalisierung müsse die nötige Infrastruktur durch Glasfaserausbau geschaffen werden. Auch sei eine zentrale Stelle beim Innenministerium erforderlich, bei der zentral Digitalchecks für Gesetze erfolgten, statt wie bisher in jedem Ressort.

Schließlich wollte Gastgeber Mrass wissen, welche Innovationen oder Anwendungen anderer Länder als positive Beispiele herangezogen werden könnten.

„Die Baltischen Staaten agieren komplett online. Dafür müssten wir Regeln entschlacken, um einen Vorgang vollkommen digital umsetzen zu können“, so Herre. In Deutschland müsse eine kleine GmbH zur Beglaubigung stets noch zum Notar. Für einen neuen Personalausweis müsse man persönlich zum Bürgeramt.

Auch Kohler hält die Digitalisierung bei Beantragung eines Personalausweises für sinnvoll. In den kleinen Kommunen müsste beim Bauen und beim Straßenverkehr mehr eigenständig entschieden werden dürfen.

Österreichisches Kindergeld

Professor Scholta schilderte einen Fall aus Estland, wo inzwischen ein Papierdokument mehr Misstrauen wecke als ein digitaler Vorgang. „Dies ist bereits ein komplett anderes Mindset.“ Sinnvoll seien auch proaktive Verwaltungsleistungen, wie etwa das Kindergeld in Österreich, das nach Meldung des Krankenhauses gezahlt werde. Und dies sei bereits vor zehn Jahren eingeführt worden.

Scholta verwies auch auf Dänemark: Dort gelte ‚digital only‘.  Wer auf Papier etwas einreichen wolle, müsse eine Ausnahmegenehmigung einholen. Estlands Verwaltungen tauschten unterdessen untereinander Daten aus. Dies müsse in Deutschland durch ein neues Gesetz, das die Abläufe grundlegend ändert, erst noch ermöglicht werden.

Nächste Digitalisierungsgespräche: Am 8. Oktober

Die Digitalisierungsthemen werden also stetig zunehmen. Daher folgt auch bei den Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen eine Fortsetzung: Die 7. Gesprächsrunde findet am 8. Oktober statt.

 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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