16.04.2018

Windenergieanlagen und Schall

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse – Auswirkungen auf
die behördliche und gerichtliche Praxis

Windenergieanlagen und Schall

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse – Auswirkungen auf
die behördliche und gerichtliche Praxis

Das Interimsverfahren verspricht eine höhere Genauigkeit bei der Prüfung von Schallimmissionsprognosen | © elxeneize
Das Interimsverfahren verspricht eine höhere Genauigkeit bei der Prüfung von Schallimmissionsprognosen | © elxeneize

Wo Windenergieanlagen betrieben werden sollen, befürchten Anwohner häufig unzumutbare Lärmbelästigungen. Deswegen ist vor Erteilung der Genehmigung zu prüfen, ob die zu erwartenden Schallimmissionen mit den Richtwerten der »Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm« (TA Lärm) vereinbar sind. Zum Nachweis müssen die Antragsteller eine Schallimmissionsprognose vorlegen, die bislang nach dem sogenannten »alternativen Verfahren« vorzunehmen war. Anhaltende Kritik hat nun aber dazu geführt, dass die meisten Bundesländer ihre Genehmigungsbehörden angewiesen haben, das sogenannte »Interimsverfahren» durchzuführen, welches zu durchaus anderen Ergebnissen kommen kann. Was genau sich hinter den unterschiedlichen Verfahren verbirgt, wo die Unterschiede liegen und welche rechtlichen Probleme sich hieraus ergeben, ist Gegenstand dieses Beitrags.

Verfahren zur Berechnung einer Schallimmissionsprognose in der Kritik

Wie genau die Berechnung einer Schallimmissionsprognose für WEA vorzunehmen ist, regelt die TA Lärm, die in ihrem Anhang auf die DIN ISO 9613-2 und damit auf das alternative Verfahren verweist. In den letzten Jahren wurde allerdings Kritik an diesem Verfahren laut. Sie bezog sich namentlich auf die Berücksichtigung der Bodendämpfung, die in diesem Berechnungsmodell überschätzt werde. Das alternative Verfahren, das ursprünglich für bodennahe Schallquellen in maximal 30 Meter Höhe entwickelt wurde, sei insoweit auf moderne Windenergieanlagen nicht übertragbar. Eine 2014 veröffentlichte Studie aus Nordrhein-Westfalen (»Uppenkamp-Studie«) kam bei zwei untersuchten Anlagen im Offenland zu dem Ergebnis, dass die tatsächlichen Werte höher waren als im alternativen Verfahren prognostiziert. Weitere Studien in der Folgezeit bestätigten dies im Kern.

Deswegen empfahl die Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) den Ländern im September 2017, anstelle des alternativen Verfahrens das Interimsverfahren anzuwenden, bei dem (neben anderen Änderungen) die Bodendämpfung nicht mehr berücksichtigt wird. Die Umweltministerkonferenz (UMK) hat diese Empfehlung im November »zur Kenntnis genommen«. Mittlerweile haben die meisten Bundesländer ihre Genehmigungsbehörden per Erlass angewiesen, das Interimsverfahren anzuwenden.


Wo die Unterschiede in den Verfahren liegen

Das Interimsverfahren unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von dem bisherigen Verfahren: Die wichtigste Neuerung ist sicherlich der Verzicht auf eine Berücksichtigung der Bodendämpfung, was namentlich bei weiter entfernt liegenden Wohnhäusern zu höheren Schallimmissionswerten führen kann.

Doch auch darüber hinaus ändert sich Einiges: So entfällt der sogenannte meteorologische Korrekturfaktor, was wiederum zu einer Erhöhung der Prognose führen kann. Den tendenziell gegenteiligen Effekt haben die neuen Vorgaben zur Luftabsorption. Dies wird nicht wie bisher pauschal berücksichtigt, sondern abhängig von der Frequenz des verursachten Schalls berechnet. Hierdurch sinkt die Prognose bei modernen Anlagen. Zudem werden nunmehr mindestens sieben verschiedene Frequenzbereiche der Schallausbreitung einzeln betrachtet, was zu einer genaueren Prognose führen soll. Flankierend wird der Sicherheitszuschlag, der jeder Prognose verpflichtend hinzuzurechnen ist, von 1,5 Dezibel auf 1,0 Dezibel gesenkt – was die Prognose im Ergebnis geringer ausfallen lässt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das neue Prognosemodell eine höhere Genauigkeit verspricht. Inwieweit dies im Einzelfall wirklich relevant wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt, weil die Änderungen ja in durchaus unterschiedliche Richtungen wirken. Erste Erfahrungen zeigen, dass sich die Prognosen unterm Strich häufig nur wenig unterscheiden.

Was dies für die Behörden und Gerichte bedeutet

In künftigen Genehmigungsverfahren sind die Genehmigungsbehörden bereits wegen der sie bindenden Anwendungserlasse gehalten, nur noch Schallimmissionsprognosen nach dem Interimsverfahren zu akzeptieren. Auch wenn die TA Lärm und die DIN-Norm eigentlich nach wie vor etwas anderes vorsehen und durchaus zweifelhaft ist, ob bloße LAI-Empfehlungen, UMK-Kenntnisnahmen und Erlasse ohne Außenwirkung bereits ausreichen, um hiervon abzuweichen, ist die Vorlage einer Prognose auf Grundlage des alternativen Verfahrens damit nicht mehr zulässig. Ob die Verwaltungsgerichte, die ja an die Anwendungserlasse nicht gebunden sind, dieses Vorgehen billigen werden, ist aber noch nicht endgültig ausgemacht. Deshalb legen viele Antragsteller eine Interimsberechnung auch nur unter Vorbehalt vor.

In bereits seit Längerem laufenden Verfahren, in denen bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Schallimmissionsprognose nach dem alternativen Verfahren vorgelegt worden ist, sollen die Behörden ebenfalls eine Prognose gemäß Interimsverfahren nachfordern. Dies wird in den Bundesländern aber unterschiedlich gehandhabt. Während z.B. die nordrhein-westfälischen Behörden angewiesen sind, stets eine Neuberechnung zu verlangen, sollen ihre Kollegen in Sachsen-Anhalt davon absehen, wenn die Schallimmissionsprognose nach alternativem Verfahren ergeben hat, dass die zulässigen Immissionsrichtwerte um 2 dB(A) oder mehr unterschritten werden.

Stand der Rechtsprechung

Noch nicht abschließend geklärt ist die Lage bei laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen. Problematisch sind vor allem die Fälle, in denen eine Genehmigung noch vor der Empfehlung der LAI erteilt wurde, das Gericht aber erst danach über den Fall entscheidet. Hier ist das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 25.09.2017 (28 L 3809/17) vorgeprescht, in dem das Interimsverfahren kurzerhand zum neuen Stand der Technik erklärt wurde, was rückwirkend die Rechtmäßigkeit der Genehmigung entfallen lassen sollte. Auch wenn sich Windkraftgegner landauf und landab auf diese Entscheidung berufen, wird ihre Bedeutung vollkommen überschätzt. Zum einen ist der Beschluss mittlerweile gegenstandslos, weil das Verwaltungsgericht selbst nur einen Monat später einen Abänderungsbeschluss erlassen hat, nachdem der Genehmigungsinhaber nachgewiesen hatte, dass auch unter Anwendung des Interimsverfahrens keine unzulässigen Lärmimmissionen zu erwarten sind. Zum anderen ist die Argumentation aber auch rechtlich unzutreffend, weil die TA Lärm, die ja nach wie vor unverändert auf das alternative Verfahren verweist, so lange für Behörden und Gerichte verbindlich ist, wie sie nicht durch gesicherte Erkenntnisfortschritte überholt ist, was jedenfalls im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht der Fall war. Denn hieran sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sehr hohe Anforderungen zu stellen.

Deswegen ist dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, soweit ersichtlich, bislang auch kein anderes Gericht gefolgt: So haben z.B. die Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz (17.10.2017 – 8 B 11345/17), Saarland (Beschluss vom 03.11.2017 – 2 B 573/17) und Niedersachsen (08.02.2018 – 12 ME 7/18) entschieden, dass noch kein neuer gesicherter Erkenntnisstand vorliege, der die Anwendung des Interimsverfahrens gebiete. Weil zumeist (wie auch im Düsseldorfer Fall) die zulässigen Immissionsrichtwerte aber ohnehin auch bei Anwendung des Interimsverfahrens nicht überschritten werden, haben viele Gerichte die Frage bislang ausdrücklich offengelassen – so z.B. das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 29.11.2017 – 8 B 663/17) und das Verwaltungsgericht Darmstadt (Beschluss vom 24.01.2018 – 6 L 180/17). Auch wenn eine endgültige höchstrichterliche Klärung damit noch aussteht, so sprechen die deutlich besseren Argumente dafür, dass »Übergangsgenehmigungen«, bei denen eine Schallimmissionsprognose nach dem alternativen Verfahren vorgelegt worden war, nicht bereits deswegen »rechtswidrig geworden« sind.

Bestehende Anlagen nicht betroffen

Dies gilt umso mehr für bestandskräftig genehmigte Anlagen, weil insoweit nicht zuletzt auch das grundrechtlich geschützte Vertrauen des Anlagenbetreibers in den Bestand der Genehmigung Berücksichtigung finden muss. Hier die Vorlage einer neuen Prognose zu fordern, wäre ersichtlich unverhältnismäßig – nicht zuletzt, weil die regelmäßig als Nebenbestimmung vorgeschriebenen Schallemissionsmessungen nach Inbetriebnahme in den meisten Fällen ergeben, dass der tatsächliche Schall bereits an der Quelle niedriger ist als in der Prognose geschätzt.

 

Dr. Sebastian Helmes

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Sterr-Kölln & Partner mbH, Berlin
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