10.04.2025

Wenn Straßen schlechte Namen tragen

Straßennamen mit Kolonialgeschichte

Wenn Straßen schlechte Namen tragen

Straßennamen mit Kolonialgeschichte

Bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Straßenbenennung steht der Gemeinde eine weitgehende auf diesem Selbstverwaltungsrecht beruhende Gestaltungsfreiheit zu.  | © CrazyCloud - stock.adobe.com
Bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Straßenbenennung steht der Gemeinde eine weitgehende auf diesem Selbstverwaltungsrecht beruhende Gestaltungsfreiheit zu. | © CrazyCloud - stock.adobe.com

Die Umbenennung von Straßennamen mit Kolonialgeschichte steht weiter dringlich auf der Tagesordnung.

„Die aufständischen Stämme werden mit Strömen von Blut untergehen, ein Krieg in Afrika läßt sich nun mal nicht nach den Gesetzen der Genfer Konvention führen“ (General Lothar von Trotha, Kommandant im Krieg gegen die Herero und Nama, der 1904 den berüchtigten Befehl zum Völkermord gab).

Die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte wirft lange Schatten. In vielen Kommunen wird immer noch heftig über die Umbenennung von Straßen gestritten, in denen die damaligen kolonialen Protagonisten oder Orte sprichwörtlich aufs Schild gehoben werden. Welche rechtlichen Hürden zu nehmen sind, eine neue, die rassistischen Opfer des Kolonialismus in den Blick nehmende Erinnerungskultur zu etablieren, zeigt der folgende Beitrag.


Manifeste vergangener unrühmlicher Zeiten

Straßennamen manifestieren eine Art Denkmal. Sie sollen an Menschen erinnern, die Bewundernswertes geleitet und sich verdient gemacht haben. Nationalsozialisten oder Stalinisten werden selbstverständlich nicht mehr mit Straßennamen geehrt. Für verbrecherische Kolonialisten deutscher Herkunft gilt dieses absolute Tabu jedoch offenbar nicht.

In den deutschen Kolonien starben in Asien und Afrika durch Zwangsarbeit, Verschleppung und Kriege zwischen 1884 und 1918 hunderttausende Menschen, wie etwa beim Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. In der Folge wurden in den 20er-Jahren bis mindestens 1945 (und teils darüber hinaus) ideologisch motiviert Straßen nach Kolonien, Schlachten und Schlächtern oder auch Forschern oder Händlern benannt.

Auch heute noch finden sich häufig im Straßenbild entsprechende Beschilderungen, obgleich schon in den 80er-Jahren der Prozess der Umbenennung angestoßen wurde. In sog. Afrikanischen Vierteln wie in Berlin oder Köln erinnern Straßennamen immer noch an Verfechter des deutschen Kolonialismus wie den Kaufmann Adolf Lüderitz, an Offiziere wie Paul von Lettwo-Vorbeck, Lothar von Trotha, Carl Peters oder den Afrikaforscher Gustav Nachtigal.

Kommune hat weitgehende Gestaltungsfreiheit

Die Zuständigkeit für die Benennung und Umbenennung von öffentlichen Straßen, worunter nach Landesrecht in der Regel nicht nur alle dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, sondern auch Wege, Brücken und Plätze zählen, haben die Gemeinden bereits kraft ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) inne. Straßenrecht der Länder kann diese Zuständigkeit expliziter begründen (wie z.B. § 4 Straßen- und Wegegesetz NW).

Bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Straßenbenennung steht der Gemeinde eine weitgehende auf diesem Selbstverwaltungsrecht beruhende Gestaltungsfreiheit zu. Diese wird lediglich durch den Zweck der Aufgabenzuweisung und durch die aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie besonderen gesetzlichen Bestimmungen folgenden Grenzen jeder Verwaltungstätigkeit beschränkt. Auch müssen der Zweck der Ermächtigung sowie die Ermessensgrenzen eingehalten werden.

Nach gefestigter Rechtsprechung ist Zweck der Benennung in erster Linie, im Verkehr der Bürger untereinander sowie zwischen Bürgern und Behörden das Auffinden von Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen Einrichtungen und Amtsgebäuden zu ermöglichen oder zu erleichtern. Neben dieser im Vordergrund stehenden Ordnungs- und Erschließungsfunktion können auch die Pflege örtlicher Traditionen und die Ehrung verdienter Bürger legitime Zwecke der Straßenbenennung sein (statt vieler: Bay. VGH, Urt. v. 02.03.2010 – 8 BV 08.3320 – juris; OVG NW, Beschl. v. 29.10.2007 – 15 B 1517/07 – a.a.O.).

Gemeinderäte entscheiden im rechtlichen Rahmen

Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Straßennamen ist zwar rechtlich eingefasst, aber letztlich eine erinnerungspolitische. Demgemäß beschließen in den meisten Ländern die örtlichen Gemeinderäte darüber, welche Person oder welches Ereignis ausgewählt wird, um es dem kollektiven Erinnern zu entreißen oder zu implementieren. Selten ist die Kompetenz auf die Verwaltung delegiert. In NRW entscheiden in kreisfreien Städten die Bezirksvertretungen über Straßennamen mit nicht wesentlich überbezirklicher Bedeutung (OVG NRW, Urt. v. 09.01.25 – 15 A 205/24 „Dirk-Bach-Platz“).

Im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraumes geben sich die kommunalen Gremien, um den erinnerungspolitischen Prozess normativ zu kanalisieren meist selbst Richtlinien auf bzw. schreiben Verfahrensgrundsätze fest. Diese Festlegungen sind bei der gerichtlichen Nachprüfung der Ermessensentscheidung als Maßstab anzulegen.

Beispielsweise ermöglichen die Richtlinien für Berlin eine Umbenennung in Bezug auf den Kolonialismus, „sofern die Straßen nach Wegbereitern und Verfechtern von Kolonialismus, Sklaverei und rassistisch-imperialistischen Ideologien oder nach diesem im Zusammenhang stehenden Orten, Sachen; Ereignissen, Organisationen, Symbolen, Begriffen oder ähnlichem benannt wurden.“ Die Verwaltung setzt den Ratsbeschluss durch Erlass eines dinglichen Verwaltungsaktes als Allgemeinverfügung um.

Anliegerechte sind zu wahren

Es ist anerkannt, dass bei einer Umbenennung von Straßen die für die Anlieger dadurch ausgelösten nachteiligen Folgen in die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind. Die Anlieger verfügen insoweit über eine die Klagebefugnis begründende eigene Rechtsposition.

Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich jedoch auf Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot und die Verletzung verfassungsrechtlich garantierter Rechte. Das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet zudem, eigene an sich interne Richtlinien als ermessenslenkende Richtschnur bei jeder Einzelfallentscheidung gleich zu berücksichtigen Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin, VG Berlin, Urteil vom 06.07.2023 – VG 1 K 102/22, NJ 2023, 406).

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt dabei nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Rechtsanwendung nicht mehr verständlich bzw. nachvollziehbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.

Folgekosten sind eingepreist

Anlieger denken konservativ. Sie haben sich an ihren Straßennamen gewöhnt. Ihre Adresse ist nahezu Teil ihrer Identität. Änderungen sind mit Kosten verbunden. Anlieger tun sich verständlicherweise oft schwer, Straßenumbenennungen zu akzeptieren. Indes begründet das in Art. 14 GG verbürgte Eigentumsrecht kein subjektives Abwehrrecht gegen die gemeindliche Entscheidung. Der Straßenname ist nicht Teil des Eigentums, sondern schlicht tatsächlicher Vorteil bzw. in Bezug auf einen Gewerbebetrieb bloße Chance.

Auch als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die Anschrift nicht geschützt, da sie nicht zur Identität einer Person oder Firma gehört. Ein Recht des Bürgers auf Beibehaltung des Straßennamens besteht somit nicht.

Die Behörde hat das Für und Wider mit Blick auf die Interessen und Beeinträchtigen Anwohner unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Finanzielle „Folgelasten“ berühren dabei nicht den grundrechtlichen Schutz des Eigentums.

Kosten wie Umstellungskosten sind in die Ermessenserwägungen einzustellen, wobei die Grenze der Unzumutbarkeit weit zu fassen ist; umso weiter, je länger die Umbenennung vorher angekündigt wird oder Übergangsfristen eingeräumt werden. Die für Anwohner aus einer Straßenumbenennung sich ergebenen „Lästigkeiten“ (Ummeldung, neues Briefpapier etc. ) liegen aber unter der Eingriffsschwelle der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Anbringung eines ergänzenden Schildes mit Erläuterungen ist kein milderes Mittel im Sinne des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist angezeigt

Gerade weil die Rechtspositionen der Anlieger insofern keine juristischen Blütenträume entstehen lassen, empfiehlt es ich in der kommunalen Praxis die Bürgerinnen und Bürger über probate und bewährte Formate der Öffentlichkeitsbeteiligung in den politischen Findungsprozess auch hinsichtlich der neuen Namensgebung einzubeziehen und so Überzeugungsarbeit zu leisten. Gemeinsamkeit schafft hier lokale Identitäten.

Dabei sind die Gemeinderäte jedoch nicht an das Ergebnis einer Bürgerbefragung oder an eine frühere, entgegenstehende Ratsentscheidung gebunden und haben nicht von den Anwohnern vorgebrachte Belange in die Ermessenserwägungen einzustellen, die diesen nicht individuell zugeordnet werden können (OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.01.2011, 10 A LA 158/10).

Sind Namen gefunden, ist es ferner ratsam, die betroffenen Anlieger ggfs. zusätzlich nochmals formal anzuhören, um deren rechtsstaatlichen Verfahrensrechten nachzukommen und alle Gesichtspunkte vorher zu ermitteln, die in die Ermessenserwägungen einzustellen sind, auch wenn weder das allgemeine Verfahrensrecht noch das Kommunalrecht verbindlich eine Anhörung vorsehen.

Koloniale Geschichte als Mahnung für die Zukunft

Ein breite Diskussion in der Bürgerschaft ist Zeichen einer vitalen Demokratie, auch wenn die Gefahr besteht, dass sich die Diskussionen im Detail verlieren und Laien zu selbsternannten Experten aufschwingen. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Richtlinien der Kommunen bei historischen Bezügen regelmäßig die Einholung eines Fachgutachtens voraussetzen. Dieses ist bei der Entscheidung zugrunde zu legen,

Fachgutachten und verbürgte historische Expertisen schärfen das kollektive politische Bewusstsein und halten die Erinnerung an die kolonialen Gräueltaten und das Leid der Opfer wach. Auch die Gerichte berufen sich auf die historisch unleugbaren Fakten (so erinnert das VG Hannover im Urteil v. 03.03.2011 an die Verbrechen des Generals Paul von Lettwo-Vorbeck, dem Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika). Klagen haben auch deshalb meist wenig Erfolgsaussichten.

Viele Städte lassen systematisch durch Verwaltung, Experten mit Beteiligung der Gesellschaft (auch lokale Geschichtswerkstätten) Straßennamen auf koloniale und andere Belastungen etwa nach dem „Freiburger Modell“ durchforsten (siehe https://www.freiburg.de/pb/1017982.html). Wichtig bleibt auch hier der kommunale Dialog mit der Bürgerschaft.

Es gibt ein Grundbedürfnis nach Erinnerung erlittener Verletzungen. Die Opfer kolonialer Gewalt haben einen moralischen Anspruch darauf, erinnert zu werden; sie müssen nicht dauerhaft dulden, dass die Namen ihrer Mörder in Straßennamen scheinbar ehrend verewigt werden. Dies gebietet nicht zuletzt auch unser Verständnis der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, die die an den Staat gerichteten Auftrag beinhaltet, den Einzelnen vor sozialer Missachtung zu bewahren, was eine Anerkennung des Verfolgungsschicksals grundsätzlich auch über den Tod umfasst (ähnlich auch Davydov, Erinnerungspolitische Wertungsfragen in der kommunalen Praxis, NVWBl. 2024, 1, 8 f.).

Oft wird bei der Neubenennung den Opfern kolonialer Gewalt gedacht. Beispielsweise Rudolph und Emily Duala Manga Bell, ein kamerunisches Königspaar, das sich gegen die Kolonialpolitik und für die Menschen im Kamerun und deren Rechte einsetzte oder Cornelius Fredericks, der als Widerstandskämpfer im Zuge des Widerstandkampfs in Namibia von den Deutschen ermordet wurde.

Eine sensible Erinnerungskultur in Bezug besonders auch auf koloniale Straßennamen kann helfen, alte Wunden zu schließen. Nur eine Gesellschaft, die ihrer Vergangenheit wahrhaftig ins Auge sieht und sie angemessen aufarbeitet, ist wachsam gerüstet für die Gegenwart und kann die Wiederholung alter Fehler wirklich vermeiden. Das Kommunal- und Straßenrecht sollte diesem hehren Anspruch dienen, denn ein die Menschenwürde wahrendes Erinnern ist nicht nur genuin politisch, sondern ständiger Auftrag an uns alle.

 

Franz Dillmann

Leiter des Bürgeramtes des Stadtbezirks Köln-Nippes
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