13.08.2018

Was kommt auf die Kommunen zu, woran fehlt es?

Interview mit DStGB-Präsident Dr. Uwe Brandl

Was kommt auf die Kommunen zu, woran fehlt es?

Interview mit DStGB-Präsident Dr. Uwe Brandl

Dr. Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. | © Fotoatelier Claudia Brandl
Dr. Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. | © Fotoatelier Claudia Brandl

In diesem Beitrag stellt sich der seit 1.1.2018 amtierende Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), Dr. Uwe Brandl, den Fragen von PUBLICUS. Dr. Brandl ist zudem u.a. seit 2008 Präsident des Bayerischen Gemeindetages und bereits in der vierten Amtszeit erster Bürgermeister der bayerischen Stadt Abensberg (Landkreis Kehlheim). Das Interview führte das PUBLICUS-Redaktionsmitglied Franz Königsperger.

Herr Dr. Brandl, die ersten 100 Tage im neuen Amt und auch die folgenden haben Sie offensichtlich gut überstanden. Was war seit Amtsantritt Ihr nachhaltigstes Erlebnis?

Das war zum einen die Begleitung der Koalitionsverhandlungen. Wir hatten im Hintergrund unsere Netzwerke intensiv genutzt, um die kommunalen Positionen deutlich zu machen. Das ist uns gut gelungen. Zum Zweiten waren es die Herzlichkeit und die Offenheit, die mir die Kolleginnen und Kollegen der Landesverbände bei meinen Antrittsbesuchen entgegengebracht haben. Und zum Dritten: Ich bin wirklich beeindruckt und begeistert, wie kompetent, schnell und konsistent mir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DStGB zuliefern. Gerd Landsberg und sein Team sind ein Glücksfall für die deutschen Kommunen.


Wie schafft man den Spagat zwischen dem obersten Repräsentanten des DStGB, des Bayerischen Gemeindetages und Ihrer Stadt Abensberg?

Mit digitaler Vernetzung, zwei hoch kompetenten Teams in München und Berlin und einer ebenso motivierten Truppe in Abensberg, mit Schlüsselpersonen wie meinen Bürgermeisterkollegen im Bund und meinem Mitarbeiter Peter Schmid, auf die ich mich blind verlassen kann. Das sind die wesentlichen Grundpfeiler, die effizientes und multilokales Agieren überhaupt ermöglichen. Dann ist da noch ein 16 Stunden-Tag und eine Familie, die mir den notwendigen Freiraum einräumt, diese spannenden Aufgaben zu meistern.

Die jüngste erfreuliche Steuerschätzung vom Mai 2018 gibt auch den Kommunen weitreichende Handlungsspielräume. Also Entwarnung hinsichtlich der in der Vergangenheit oftmals beklagten Situation?

Entwarnung wäre angebracht, wenn die generellen strukturellen Defizite, die unterschiedliche Wirtschaftskraft, die infrastrukturellen Defizite wirklich beseitigt wären. Wir dürfen uns nichts vormachen, die nach wie vor, mittlerweile atypisch, boomende Ökonomie kaschiert Vieles, was uns in Zeiten eines Abschwungs ganz schnell wieder erden wird.

Nach wie vor bestehen jedoch erhebliche Unterschiede bei den Kommunen. Was muss die Politik tun, damit sich die Schere zwischen armen und reichen, schrumpfenden und wachsenden Kommunen nicht noch weiter öffnet (Stichworte „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, „Stadt-Umland-Problematik“)?

Was wir brauchen sind wirklich gleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen im ganzen Land. Lebens und Bleibeperspektiven für alle Generationen. Dazu ist eine effiziente und nachhaltige Struktur- und Ordnungspolitik notwendig, die wir noch nicht in genügendem Umfang erkennen. Wir brauchen keine Problembeschreibungen und Lippenbekenntnisse, sondern Handlungs- und Umsetzungsmaßnahmen. Die schnelle, flächendeckende Gigabitversorgung aller Regionen wird für uns der Lackmustest sein, wie ernst es die Politik mit der Gleichwertigkeit meint.

Weshalb hinken wir im Vergleich zu anderen (europäischen) Ländern mit der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie hinterher? Was ist zu tun? (Siehe dazu auch den Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission über die Einrichtung eines zentralen digitalen Zugangstors (Single Digital Gateway) vom 02.05.2017. Zeitlich nahezu fast parallel hat der Deutsche Bundestag am 01.06.2017 das Onlinezugangsgesetz (OZG) beschlossen, das die öffentliche Verwaltung in Deutschland zu einer umfangreichen Digitalisierung verpflichtet.)

Ich denke, wir haben in Deutschland einfach keine nachhaltige Strategie. Dazu würde u.a. gehören, die Gigabitversorgung als eine Art Grundversorgung festzuschreiben. Damit hätten wir schon mal die Beihilfeproblematik vom Hals und könnten wesentlich schneller und effizienter ausbauen. Zum anderen müssten auch Fragen von Standards oder, wie Sie es ansprechen, einheitlichen Portalen geklärt werden. Das scheint nicht mit der deutschen Denkweise kompatibel, die in vielen Fällen von einem falschen Marktbegriff geprägt ist. In Bereichen ohne Gewinn oder Kostendeckung gibt es keinen Markt. Extreme Diversifikation als Ergebnis von Marktprozessen ist für belastbare und schnelle digitale Strukturen, die schnittstellenbruchfrei arbeiten müssen, kontraproduktiv. Was wir brauchen ist ein Masterplan und dessen konsequente Umsetzung. Dies in enger Abstimmung mit den betroffenen Staatsebenen.

Ein Drittes darf nicht unterschätzt werden: Mit dem ausufernden, nahezu nicht mehr administrierbaren Datenschutz, wie wir ihn praktizieren, wird eine digitale Verwaltung und die Digitalisierung unserer Gesellschaft ein nicht realisierbarer Traum bleiben.

Was wir brauchen ist ein effizienter, schlanker und praktizierbarer Datenschutz. Was wir haben ist Überreglementierung.

Der Straßenverkehr in Deutschland nimmt weiter zu. In den Blick gekommen sind in jüngster Zeit vor allem die Immissionen. Die Stadt Hamburg hat mittlerweile Dieselfahrverbote erlassen. Rechnen Sie mit weiteren? Was sind Ihre Lösungsansätze, um die Belastung durch den Verkehr zu verringern?

 Verbote, die wegen zigfacher Ausnahmen (Anlieger, Unternehmer, ÖPNV, Rettungsdienste etc.) leerlaufen, sind politische Augenwischerei und bringen wenig bis nichts. Auch hier fehlt ein Plan. Wir setzen auf Nachrüstungen, die dort, wo die Industrie manipuliert hat, von dieser zu finanzieren sind. Wir setzen auf einen schnellen nachhaltigen Umbau des ÖPNV und sehen in der digitalen Mobilität Lösungsansätze. Wir haben viele bauliche Verbesserungspotentiale identifiziert, aber wir wissen auch, dass diese Maßnahmen nicht kurz-, sondern mittelfristig wirken können.

Die Flüchtlingspolitik und die Integration von Menschen mit Bleiberecht tangieren auch die Kommunen in starkem Maß. Welche Akzente muss die „große Politik“ setzen? Was halten Sie von den angekündigten „Ankerzentren“?

 Zunächst begrüßen wir im DStGB die gefundene Einigung in der Asyldebatte. Wir glauben, dass Ankerzentren eine gute Möglichkeit sind, um Asylverfahren schnell und effizient abzuwickeln. Antragsteller ohne Bleibeperspektiven können so schnell – und ohne dass falsche Hoffnungen geweckt werden – zurückgeführt werden.

Unabhängig davon bleibt das Thema Integration eine Mammutaufgabe, die noch Generationen beschäftigen und unsere Sozialsysteme vor ernste Herausforderungen stellen wird.

Bund und Land sind gefordert, die Kommunen bei der Finanzierung der damit verbundenen Aufgabe dauerhaft und in angemessener Höhe zu unterstützen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle Kommunen sicherzustellen.

Wirtschaft und Lehre werden effiziente Methoden entwickeln müssen, um Sprache zu vermitteln und die Menschen an Berufe heranzuführen, um ihnen ein Leben in eigener Verantwortung zu ermöglichen.

Die Schaffung von ausreichendem und finanzierbarem Wohnraum wird eine der großen Aufgaben sein, bei der wir beweisen müssen, dass Staat, Kommunen und Wirtschaft in der Lage sind, alle Bevölkerungsschichten zufriedenzustellen.

In einer neuen Studie kommt die Bertelsmann-Stiftung zu dem Ergebnis, dass es große Unterschiede in Deutschland bei den Kindergartengebühren gibt. Dies gilt sowohl bezogen auf die einzelnen Bundesländer als auch auf die Kommunen. Ist eine Harmonisierung anzustreben, evtl. sogar eine Gebührenfreiheit?

Es gilt der Grundsatz: Was nichts kostet, ist nichts wert. Nein … Spaß beiseite! Solange wir die mit einem Rechtsanspruch versehenen Betreuungsplätze nicht annähernd sicherstellen können, brauchen wir nicht über Kostenfreiheit bei gleichzeitig höheren Gehaltszusagen zu schwadronieren. Ich halte im Übrigen unser System, das diejenigen, die selbst nicht leistungsfähig sind, ohnehin von den Gebühren entlastet, für gut.

Generell: Wer eine Leistung des Staates in Anspruch nimmt, soll dafür auch sozial angemessen mitbezahlen.

Gibt es weitere Themen, die zu den großen Herausforderungen der Kommunen in den nächsten 10 Jahren gehören und die oben noch nicht (ausreichend) angesprochen wurden?

 Die größte, alles umfassende Aufgabe, von der auch die weitere Prosperität unserer Nation abhängen wird, ist die Digitalisierung. Alle Lebensbereiche werden betroffen sein. Neben der industriellen Revolution des beginnenden 19. Jahrhunderts ist das die zweite disruptive Systemänderung unserer Gesellschaft. Wenn wir da den Zug verpassen, wird das nachhaltige negative Auswirkungen haben. Wenn wir vorne dabei sind, werden gleichwertige Lebensbedingungen endlich mehr sein als ein Programmsatz.

Am 21.09.2018, dem internationalen Friedenstag, sollen von 18:00 bis 18:15 MEZ erstmals in der Geschichte europaweit kirchliche und säkulare Glocken gemeinsam läuten und damit ein starkes Zeichen des Friedens senden. Der DStGB unterstützt diese Aktion. Was verbinden Sie damit?
Annexfrage: Wie beurteilen Sie den„Kreuzerlass“ der Bayerischen Staatsregierung, wonach in allen bayerischen Behörden in deren Eingangsbereich Kreuze hängen müssen und den Kommunen dies empfohlen wird?

Glocken waren schon seit jeher ein Zeichen für Frieden oder Gefahr. Ich bevorzuge, sie als Symbol für den Frieden zu interpretieren, ebenso wie ich es bevorzuge, das Kreuz im Amtszimmer als Zeichen von Caritas und Wertorientierung zu sehen. Ich finde die gesamte Diskussion reichlich krude. Wer in die Bayerische Verfassung oder das Grundgesetz schaut, findet dort den Bezug zur christlichen Wertordnung. Ich kann daran nichts Schlechtes finden.

Sie sind Verfasser nicht nur von Fachbeiträgen, sondern auch von Lyrik, Storys aus dem Urlaub und zuletzt für Kinder „Die kleine Mäusegemeinde“, in der demokratisches (gemeindliches) Zusammenleben behandelt wird. Dürfen wir trotz Ihrer immensen Aufgaben weiterhin mit einer literarischen Überraschung von Ihnen rechnen – angesichts der Jahreszeit: vielleicht eine Fortsetzung zu Ihren Urlaubsgeschichten („Pack die Badehose ein“)?

Ich schreibe sehr gerne. Das Problem ist, einen Verlag zu finden, der bereit ist, zu veröffentlichen und professionelles Marketing zu betreiben. Ich gebe aber nicht auf. Einen Teil der Verkaufserlöse gebe ich nämlich für soziale und kulturelle Projekte ab. Wenn einem der liebe Gott ein Talent (das sage nicht ich) gibt, dann sollte man einen Teil der Früchte auch anderen zu Gute kommen lassen.

Aktuell habe ich meine erste Thriller-Novelle in der Endredaktion. Da geht es um ein Geflecht von Nazionalsozialisten, die die Zeit überdauert haben, und deren Verwicklungen mit der Politik und dem organisierten Verbrechen. Und natürlich gibt es da die Protagonisten, die aber bewusst nicht einer bestimmten Seite zugeordnet werden können. Das Leben ist eben nicht schwarz oder weiß.

Parallel habe ich Ende 2017 ein neues Buch mit 24 Kurzgeschichten verfasst, das darauf wartet, einen Verleger zu finden. „Geschichten, die das Leben schreibt“ heißt es und ist nicht nur was für die Vorweihnachtszeit.

Herr Dr. Brandl, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

 

 

 

Dr. Uwe Brandl

Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
 

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